3. Die politische, ökonomische, rechtliche und soziale Situation von MigrantInnen und Flüchtlingen in Deutschland
Um sich ein Überblick der politischen, ökonomischen, rechtlichen und sozialen Lage von Flüchtlingen in Deutschland zu verschaffen, bietet es sich an, den Blick auf die mediale und politische Art der Diskussion der jeweils vorherrschenden, thematisierten Migrationsform in Deutschland zu richten. Die vorherrschenden Migrationsregime werden durch die unterschiedlichen Leitbilder und Regierungsweisen abgebildet, unter denen MigrantInnen und damit auch Flüchtlinge subsumiert werden. Erstere werden maßgeblich von der ökonomischen Situation bestimmt, weshalb einleitend auch die globale Migrationssituation unter ökonomischen Aspekten beleuchtet wird. Bezogen auf die Bundesrepublik Deutschland wird dann das Arbeitsmigrationsregime von 1949 bis 1973 und das sich anschließende Asyl- und Migrationsregime seit 1973 bis in die Gegenwart beleuchtet. Die Regime werden chronologisch mit den markantesten Gesetzesänderungen und Entwicklungen im nationalen und europäischen Kontext wiedergegeben. Das Augenmerk liegt auf wichtigen politischen, rechtlichen, ökonomischen und sozialen Eckpfeilern. Diese sollen im darauffolgenden Kapitel in einer präzisen Beschreibung der einzelnen Problemlagen für Flüchtlinge und in Ansatzmöglichkeiten für die Soziale Arbeit münden.
Migration ist ein Phänomen, das es seit Anbeginn der Menschheit gibt. Migration geht immer mit demographischem Wachstum, technologischem Fortschritt, politischen Konflikten oder Handel einher. In den letzten fünf Jahrzehnten hat Massenmigration eine große Rolle im Kolonialismus, in der Industrialisierung, der Bildung von Nationalstaaten und der Entwicklung des kapitalisierten Weltmarktes12 gespielt (vgl. Scherrer & Kunze 2011, S. 19-21). Jedoch war Migration noch nie zuvor sozioökonomisch und politisch von derselben Signifikanz wie heute. Auch wurde Migration noch nie zuvor so stark mit Themen der nationalen Sicherheit und mit globalen Konflikten verknüpft (vgl. Castles & Miller 2009, S. 299).
Daher unterliegt auch die Flüchtlingspolitik den Interessen der industrialisierten Welt. Die OECD-Staaten rücken bei der Asyl- und Flüchtlingsfrage immer enger zusammen und zwischenstaatliche Verträge, wie z.B. das Schengener-Abkommen13 zeigen, dass Staaten ihre Asylpolitik real aufeinander abstimmen und sich gemeinsam gegen Flüchtlingsströme abschotten. Unter Einbezug des Welthandelsvolumens „vollzieht sich 84 Prozent des Welthandels zwischen Ländern, die lediglich 28 Prozent der Weltbevölkerung stellen“ (Westermann 2009, S. 23). Die meisten Handelsabkommen laufen über strategische Kooperationsabkommen zwischen Japan, Westeuropa und Nordamerika. Dies bedeutet, dass die OECD-Staaten immer mehr untereinander interagieren und ihr Integrationsprozess immer weiter fortschreitet, während die restlichen Länder von diesen Entwicklungen abgekoppelt werden (vgl. eb.d, S. 24).
Die Internationalisierung von Wirtschaftsbeziehungen macht interkulturelle Abwanderungen dadurch zunehmend wahrscheinlich (vgl. Holzer & Schneider 2002, S. 118). Hier wird in steigendem Maße selektiert: Die internationalisierte Ökonomie profitiert zunehmend von der gezielten transnationalen Anwerbung von innovativen ImmigrantInnen und baut verstärkt auf die Bekämpfung armer MigrantInnen und Flüchtlinge (vgl. Castles & Miller 2009, S. 31).
Die Abwanderung aus überwiegend ländlichen Regionen mit starkem Bevölkerungswachstum, aber unzureichendem Erwerbsangebot in wirtschaftlich stärkere Regionen des Landes ist eine Gemeinsamkeit internationaler, arbeitsbedingter Migration. Dieses unzureichende Erwerbsangebot hat ökologische, ökonomische, demographische und soziale Ursachen (vgl. Bade 2000, S. 24f). Hier trifft Angebot auf Nachfrage: Arbeitswanderung erfüllt meist Ersatz- und Zusatzfunktionen im wirtschaftlichen Bereich, die oft körperlich intensiv und gesundheitsschädigend sind und ökonomische Pufferzonen in konjunkturellen Wechsellagen bedient. Migration gleicht also Lücken aus und transferiert Fähigkeiten und Fertigkeiten aus dem unternehmerischen, kaufmännischen, handwerklichen oder technischen Bereich (vgl. ebd., S. 108-113).
3.1 Das Arbeitsmigrationsregime
Der Zeitraum von 1949 bis 1973 ist von der Anwerbepolitik von ArbeitsmigrantInnen (auch GastarbeiterInnen genannt) geprägt. Aufgrund des Wirtschaftswunders und der niedrigen Lohnhöhe von einfachen Arbeiterjobs, die teilweise unter dem Niveau der Arbeitslosenhilfe lag, gelang es trotz Arbeitslosigkeit nicht, offene Stellen zu besetzen. Daher wurden Anwerbeverträge mit Spanien, Griechenland, der Türkei, Marokko, Portugal, Tunesien und Jugoslawien geschlossen, um den Nachschub von billigen und benötigten Arbeitskräften zu gewährleisten. Asylgesuche wurden in dieser Zeit fast gar nicht gestellt. Das damals geltende Aufenthaltsrecht wurde für ArbeitsmigrantInnen und Asylsuchende von der Ausländerbehörde geregelt, die auf Grundlage des Aufenthalts- und Arbeitserlaubnisrechts für Ausländer entschied (vgl. Heck 2008, S. 71). Im Zeitraum von 1945 bis 1973 gab es drei Möglichkeiten nach Deutschland zu kommen: über Anwerbeabkommen zwischen den verschiedenen Ländern mit Deutschland, über das sog. 'Sichtvermerksverfahren', wenn man sich eigenständig auf den Weg nach Deutschland aufgemacht hatte, oder über ein Studenten- oder Tourismusvisa, das die Einreise ohne Sichtvermerk ermöglichte. Die Einreise mit Visa wurde vor allem 1958 gebilligt, da es zu diesem Zeitpunkt zu Verzögerungen bei der Anwerbung kam. Die Einreise erfolgte meist über die grüne Grenze und wurde nachträglich – bei Antritt eines Jobs – bestätigt. Diese Praxis führte 1965 dazu, dass eine Einreise zur Arbeitsaufnahme ohne Sichtvermerk grundsätzlich illegal wurde (vgl. Karakayali 2008, S. 121). Aus- und Inländer waren zwar sozial- und zivilrechtlich gleichgestellt, diese Rechte wurden jedoch vom Aufenthalts- und Arbeitserlaubnisrecht unterwandert. Es galt das bis heute aktuelle Inländerprimat: Inländer werden MigrantInnen gegenüber vorgezogen und der Arbeitsmarkt als Resultat ethnisch segmentiert. Deutsche Arbeitskräfte stiegen in höhere Positionen auf, während migrantische Arbeitskräfte in Positionen angestellt wurden, die sonst einer Modernisierung zum Opfer gefallen wären. Nach Schätzungen sind im Zeitraum zwischen 1960 bis 1970 ca. 2.3 Mio. deutsche Beschäftige von Arbeiter- in Angestelltenpositionen aufgestiegen (vgl. ebd., S. 104). 1968 zeichnete sich eine soziale Krise ab, da ArbeitnehmerInnen vermehrt ihre Familien mitbrachten und damit in der Nachfrage nach Gütern wie z.B. Wohnungen, Kindergartenplätzen, sozialstaatlichen Leistungen etc. in direkter Konkurrenz zur deutschen Bevölkerung standen. Es entstanden Verteilungskämpfe durch den Nachzug von Familienmitgliedern der GastarbeiterInnen (vgl. ebd., S. 153). Die Jahre zwischen 1970 bis 1980 war die Zeit der Familienzusammenführungen und Heiratsmigration. Dies macht auch bis heute einen nicht unerheblichen Teil von Migration nach Deutschland aus. Durch die Einführung einer Visumspflicht und sog. 'Rückkehrprämien' versuchte man diesen Zuzug zu steuern (vgl. ebd., S. 161).
3.2 Asyl- und Flüchtlingsmigrationsregime
Die weltweite Ölkrise 1973 markiert den Anwerbestopp und den Wendepunkt von ökonomisch gewollter Migration zu einem Bündel von Maßnahmen, um Migration zu drosseln. Der Regimewechsel ist durch den ökonomischen und darauf folgenden medialen und politischen Umbruch gekennzeichnet: anstelle von GastarbeiterInnen wird nun von AsylbewerberInnen gesprochen, die nach Deutschland kommen. Ab den 80er Jahren rückt die Flüchtlingspolitik in den Fokus des Diskurses, die wesentlich von einer Abschottungspolitik der EU-Staaten, der Ablehnung von GastarbeiterInnen und der Skandalisierung des Einwanderungs- und Flüchtlingsdiskurses bestimmt ist. In den 90er Jahren erfährt der Diskurs eine weitreichende Veränderung: illegale Migration wird europaweit zum Dreh- und Angelpunkt der Migrationspolitik.
3.2.1 Vom Asylmissbrauch zum Asylkompromiss
Es lässt sich feststellen, dass sich Europa innerhalb von 40 Jahren bis zum Ende der 1980er Jahre in ein Einwanderungsgebiet verwandelt hat. Liberalisierung und Restriktion führten jedoch zu vermehrten xenophoben Abwehrhaltungen, die politisch und medial forciert wurden (vgl. Holzer & Schneider 2002, S. 18). Im Zentrum der Diskurse standen die
„(…) aus der Wanderungsgeschichte vielfach bekannten, durch Kettenwanderungen entstandenen Konzentrationen von Zuwanderergruppen in ethnischen oder regionalen Herkunftsgemeinschaften oder gemischten Zuwanderervierteln. Die Herausbildung von polyethnischen Strukturen setzte bei vielen Ein-heimischen, forciert durch politische Agitation und deren Unterstützung durch die Medien, Prozesse der negativen Integration, des defensiven Zusammenrückens auf Kosten von 'Fremden' in Gang“ (Bade 2000, S. 381).
Hinzu kamen ökonomische Unsicherheiten aufgrund der Krise, Ängste um...