2. | Der gesellschaftliche Stellenwert des Sports |
Sportliche Vielfalt
Die Ziele und Aufgaben des Sports sind vielfältig. In erster Linie dient er als Plattform für die Sportlichkeit einer Gesellschaft. Immerhin sind bei uns in Deutschland über 50 Prozent der Bevölkerung sportlich aktiv. Und über 80 Prozent interessieren sich für den Sport und schauen sich Sportereignisse regelmäßig im Fernsehen an. Der Sport steht aber auch für Werte, die für das Zusammenleben in einer Gesellschaft relevant sind. Dies sind Leistungsorientierung und Leistungsbereitschaft, Fair Play und Toleranz sowie körperliche und geistige Fitness.
Und schließlich wird auch die internationale Reputation einer Nation in hohem Maße durch den Sport geprägt. Meistertitel und Medaillen, Fahnen und Hymnen, Show und Rekorde – alles bedeutsame Signale, die über das „nur dabei sein“ weit hinausgehen und deshalb die Veranstaltungen für die einzelnen Nationen so begehrt machen. Ein Moderator des ZDF-Sportstudios sagte hierzu einmal: „Früher führte man Kriege, heute spielt man gegeneinander Fußball“. Diese Verantwortung und die sich daraus ergebenden Aufgaben kann der Sport allerdings alleine nicht bewältigen. Hierbei müssen ihn der Staat aber auch die Medien und die Wirtschaft wirkungsvoll unterstützen.
Bislang wurde der Begriff „Sport“ in diesem Buch allgemein verwandt. An dieser Stelle und folgend soll nun differenziert und aufgezeigt werden, wie vielfältig der Sport sein kann. Allein in Deutschland gibt es über 200 Sportarten. Diese reichen von Fußball, Handball, Basketball, Tennis oder Reiten bis hin zu Kegeln, Teakwondo, Kanupolo, Fahnenschwingen oder Unterwasser-Rugby. Die meisten davon sind in einem der etwa 60 Fachverbände organisiert. Weltweit werden sogar über 600 Sportarten betrieben. Oder sollte man vielleicht besser von Möglichkeiten sprechen, sich sportlich zu betätigen? Denn neben den klassischen und hinlänglich bekannten Sportarten gibt es auch noch ganz andere, wie Armdrücken, Fingerhakeln, Eierlaufen, Kastanienschlagen, Cheese Rolling, Elefantenrennen, Frauentragen oder Reifenrodeln.
Da leuchtet es dann auch ein, dass nur wenige hiervon sich für das kommerzielle Sportentertainment eignen. Denn dieses setzt neben einer starken individuellen Begeisterung und nicht selten einem dazu gehörigen Spleen für die jeweilige Sportart eben auch voraus, dass sich ein großer Teil der Bevölkerung dafür interessiert. Doch bei den meisten dieser Exoten geht das Interesse nicht weit über den eigentlichen Teilnehmerkreis und vielleicht auch noch ein paar begeisterte Familienmitglieder hinaus. Da bedarf es dann schon eines echten „Spleen Scouts“, der daraus ein Big Business macht.
So einer wie der TV-Moderator Stefan Raab. Er hat offensichtlich das richtige Gespür dafür, wie man aus ganz eigenwilligen Ideen mediale Events mit hohem Zuschauerinteresse macht. Wer hätte jemals daran gedacht, dass man mit dem Rutschen auf einem Wok durch einen Eiskanal eine derart große Zuschauerbegeisterung erzielen kann? Oder mit der Kombination aus Quiz und Boxen – nach dem Motto: Bei uns sind die Boxer gescheiter als das Publikum? Doch mit diesem Geschick zählt Stefan Raab ganz eindeutig zu den Ausnahmen im Entertainment. Und das ist vielleicht auch gut so, denn solche Formate gehören in die Kategorie mediales Entertainment, dienen folglich in erster Linie der Quotenbeschaffung und haben mit dem Sport und seinen Werten eigentlich nicht mehr all zu viel zu tun.
Trotz unserer Vorliebe für den Showsport dürfen wir nicht vergessen, dass der Breiten- und Freizeitsport die wahre Basis unseres Sportsystems bildet. Getragen von einem neuen Körpergefühl und hohem Gesundheitsbewusstsein, erzeugt dieser immer wieder gewaltige Wellen. Ob Joggen, Walken, Radfahren, Schwimmen oder Body-Shape, Pilates, Qi-Gong, Capoeira und Zumba – weit über 50 Prozent unserer Bevölkerung nutzen die vielfältigen Angebote der rund 90.000 Sportvereine oder der etwa 8.000 Fitnessstudios. Und darüber hinaus sind es auch nicht gerade Wenige, die sich individuell und eben nicht organisiert sportlich betätigen.
So gesehen nimmt der Sport einen zentralen Teil unseres Lebens ein. Er hält nicht nur Körper und Geist fit, er kann auch in ganz besonderem Maße das soziale Miteinander der Menschen fördern. Da ist so manchem das Bierchen hinterher im geselligen Freundeskreis wichtiger als die eigentliche sportliche Tätigkeit – unabhängig davon, in welche Richtung der Saldo aus Kalorienabnahme oder -zunahme am Ende ausschlägt.
In uns Menschen steckt aber auch schon immer das starke Bedürfnis, nicht nur irgendwie aktiv zu sein, sondern sich hierbei mit Anderen zu messen oder zu vergleichen und dabei möglichst besser abzuschneiden. Dieses Streben nach Leistung ist ein charakteristisches Merkmal unserer wettbewerbsorientierten Gesellschaftsform und prägt ganz besonders unseren Spitzen- und Hochleistungssport. So sind auch die meisten unserer Sportarten von vornherein auf Wettkampf und Leistung ausgerichtet. Dies ist nicht nur im Teamsport wie Fußball und Handball so, sondern gilt auch für individuelle Sportarten wie Leichtathletik oder Skifahren.
Ein für diese Interessen und Motive vielfältiges und umfassendes Spielund Wettkampfsystem zu organisieren, ist die vornehmliche Aufgabe unserer zahlreichen Sportverbände und Sportvereine – und eine echte Herausforderung. Man denke an die zahlreichen Wettkampfveranstaltungen in allen diesen Sportarten. Nicht nur auf der internationalen Top-Ebene, sondern vor allem auch auf den unterschiedlichsten Leistungsebenen – von den Vereinsmeisterschaften über die Bezirks- und Landesmeisterschaften bis hin zu den deutschen Meisterschaften. Die Zahlen sind beeindruckend: So werden etwa in einer Fußballsaison alleine in Deutschland über 1,6 Millionen Spiele ausgetragen und in der Leichtathletik finden innerhalb eines Jahres immerhin über 10.000 kleinere und größere Veranstaltungen statt.
Doch nur die wenigsten dieser Wettkämpfe sind auch für das professionelle Showgeschäft und damit für das Sportentertainment geeignet. Denn dazu gehört einiges mehr: In erster Linie diese Events so spannend und attraktiv zu gestalten, dass sie möglichst viele Zuschauer vor Ort begeistern und emotional einstimmen. Und außerdem müssen sich die Medien dafür interessieren, diese für ein Millionenpublikum zu übertragen. Welche Sportarten, welche Wettkämpfe dies sind, das differiert von Land zu Land. So stößt Fußball weltweit auf eine hohe emotionale Begeisterung. Tischtennis zählt hingegen eher nur in den asiatischen Ländern und hier insbesondere in China zu den favorisierten und beliebtesten Sportarten. Und Ski Alpin fasziniert vor allem dort, wo es hohe Berge mit dem notwendigen Schnee gibt. Obwohl dank der weit verbreiteten Herstellungsmöglichkeiten von Kunstschnee sich mittlerweile immer mehr Menschen auch fernab der Berge für den Skisport begeistern, so zum Beispiel im Fußballstadion von Gelsenkirchen, entlang des Rheinufers bei Düsseldorf oder im Flachland der Lüneburger Heide.
Einen Bambi für die Heroes
Der Olympiasieg der Deutschen im Beachvolleyball 2012 in London war für sich alleine schon eine echte Sensation, die kurz vor Mitternacht über neun Millionen Menschen in Deutschland an den Bildschirmen verfolgten. Damit schloss die ganze Nation gleich auch zwei neue Lieblinge in ihr Herz – Jonas Reckermann und Julius Brink. Und mit ihnen eine Sportart, die man bislang eher nur vom Urlaubsstrand her kannte. Die Verleihung des Silbernen Lorbeerblatts, ein Auftritt bei „Menschen 2012“, die Verleihung eines Bambis und die Verewigung auf einer Sonderbriefmarke sind Ausdruck dieser Begeisterung.
Dieses Beispiel zeigt aber auch, dass erfolgreiches Sportentertainment über das attraktive Erlebnis hinaus noch ein weiteres charakteristisches Merkmal voraussetzt: die Präsenz eines sportlichen Heroes oder einer Heroin. Also eines oder auch mehrerer Top-Sportler, die bei uns höchst anerkannt und beliebt sind. So wäre der seinerzeitige Tennisboom in Deutschland ohne Steffi Graf und Boris Becker nicht denkbar gewesen und der Hype um die Formel 1 fände ohne Sebastian Vettel bei uns zumindest nicht in dieser Form statt. Welchen Stellenwert hätte Turnen ohne Fabian Hambüchen oder Tischtennis ohne Timo Boll? Und was wäre für uns die Champions League ohne die Spieler von Bayern München und Borussia Dortmund?
Symptomatisch für den Stellenwert sportlicher Heros ist ein von der Bild-Zeitung im Jahre 2012 abgefragtes Ranking der beliebtesten Deutschen. Danach liegt Steffi Graf auf dem zweiten Platz, immerhin direkt vor unserem damaligen Papst. Und mit Franz Beckenbauer und Michael Schumacher befinden sich zwei weitere Sportler unter den ersten Zehn. Dies ist insofern nicht weiter überraschend, als Sportler in der Bevölkerung als besonders glaubwürdig und sympathisch gelten. Sie werden stärker mit harter, ehrlicher Arbeit in Verbindung gebracht als andere Testimonials unserer Gesellschaft, wie zum Beispiel Schauspieler, Musiker oder Models.
In Anbetracht all dieser Anforderungen an ein erfolgreiches Sportentertainment kann man sich sehr gut vorstellen, dass der Showsport lediglich die ganz kleine Spitze einer großen Pyramide ausmacht, die insgesamt den Breiten- und den Leistungssport symbolisiert. Top-Leistungen im Sport setzen nun einmal eine breite Basis voraus, aus der Talente hervorgehen. Umgekehrt ist es aber auch so, dass die Faszination, die Begeisterung und...