2. Alles wird „social“ – Wie Social Business Unternehmen verändert
Thomas Mickeleit und Annabelle Atchison
Unlängst saßen wir mit der Leiterin Interne Kommunikation eines großen Unternehmens zusammen und tauschten uns über unsere Erfahrungen mit Social Networks aus. Natürlich sprachen wir auch über Yammer, das seit 2012 zu Microsoft gehört und dessen Fremium-Ansatz Mitarbeiter von Unternehmen auf die Seite zieht, um dort an der IT vorbei eine Social Plattform mit Kolleginnen und Kollegen zu betreiben. Bei uns machte sich die verblüffende Erkenntnis breit, dass weder Yammer, noch Jive, noch Connections (IBM) oder einer der anderen Marktteilnehmer bekannt war. Es stellte sich übrigens heraus, dass sich bereits mehr als 1.400 Mitarbeiter des Unternehmens auf Yammer tummelten, sich dort in Gruppen organisierten und diskutierten. Allein, das Unternehmen hatte davon keine Kenntnis.
Häme darüber ist unangebracht, denn die Kollegin ist nicht allein. Immer häufiger kam es in den letzten 18 Monaten vor, dass wir als Kommunikationsverantwortliche bei Kundengesprächen hinzugezogen wurden. Immer geht es dabei um die Frage, wie wir bei Microsoft mit dem Thema „Social“ umgehen. Ob Gespräche mit kleinen, großen oder ganz großen Microsoft-Kunden, alle hatten in einer Hinsicht einen ähnlichen Verlauf. Die Gesprächspartner hatten das Gefühl, jetzt handeln zu müssen, wussten aber nicht recht, wie sie sich dem Thema nähern sollten. Und damit sind wir am Kern, der auch zu der Idee zu diesem Buch führte. Abhängig von der Funktion, mit der wir sprachen, wurden völlig andere Facetten von „Social“ thematisiert. Die IT-Abteilungen hinterfragen die technischen Features von Sharepoint. Im Marketing spielen die Koordination von Redaktionsprozessen und die Entwicklung von Social-Kanälen oder im weiteren Sinne Customer Relationship Management eine große Rolle. In Entwicklungsabteilungen möchte man weltumfassende Projekte besser managen.
Schon diese Schlaglichter zeigen: Wir haben es bei „Social“ nicht mit einem einzigen Thema, sondern mit einem Phänomen zu tun, dass alle Unternehmensbereiche durchdringt. Wenn über „Social“ gesprochen wird, reduziert sich die Debatte häufig auf Fragen wie: „Benötigen wir einen Facebook-Auftritt und wie managen wir ihn?“. Das ist zu kurz gesprungen, denn tatsächlich werden Social Media viel umfassender eingesetzt, und „Social“ geht weit über Facebook, Twitter und Co. hinaus.
Wir sprechen deshalb ganz bewusst von „Social Business“. Suchmaschinen werfen unter dem Begriff Social Business einiges aus, das der ursprünglichen Definition von Social Business entspricht, nämlich ein gesellschaftsverträgliches Geschäft im Sinne einer Corporate Social Responsibility zu betreiben. Heute setzt sich die Deutung durch, dass Social Business sich durch den Einsatz von Social Media auszeichnet. Wir haben die Hoffnung, dass beide Deutungen am Ende nicht so weit auseinander liegen. Könnte es nicht sein, dass eine Organisation, die das „perfekte“ Social Business verkörpert, am Ende menschlicher und gesellschaftlich nützlicher agiert?
Wir erliegen nicht der Illusion, dass unternehmerische Entscheidungen – von Ausnahmen abgesehen – aus altruistischen Motiven getroffen werden. Unternehmen sind dazu da, um Geld zu verdienen. Wie können also Entscheidungsträger in Unternehmen überzeugt werden, dass es zum Vorteil der Organisation ist, zu einem Social Business zu werden?
Was ist eigentlich Social Business?
Nachdem wir schon über Social Business in seinen verschiedenen Facetten sprechen, hätte es sich hier angeboten, tiefer in die Frage einzutauchen, was man denn unter einem Social Business zu verstehen hat. Diese Aufgabe hat Axel Oppermann in seinem Beitrag „Ausblick: Social Business – Vision & Realitäten 2020“ hervorragend abgedeckt und wir verweisen darauf.
Wenn wir genauer hinschauen, welche der Anwendungsszenarien von Social Business in den Unternehmen besonders weit entwickelt sind, fällt auf, dass beim Einsatz von Social Media PR und Marketing die Nase vorn haben. Das erklärt auch die reflexhafte Verbindung von Social mit der Präsenz in Social Networks wie Facebook. Ein anderes Bild ergibt sich, wenn wir auf das Wertschöpfungspotential der Anwendungsszenarien zu sprechen kommen. Nach einer neueren McKinsey-Studie (siehe Details im Beitrag von Carsten Rossi, Social Business in Zahlen, S. 23 ff.) erschließen sich zwei Drittel des insgesamt errechneten „Economic Surplus“ allein durch die verbesserte Zusammenarbeit aufgrund von Social-Anwendungen in und zwischen Unternehmen. Noch unterbelichtet ist der Einsatz von Social-Anwendungen im Bereich vom Customer Relationship Management. Hier ist aber bereits zu beobachten, dass die Integration von Social-Anwendungen in die CRM-Suites – wie bei Microsoft CRM Online – diesem Anwendungsfeld einen massiven Push gibt. Der Beitrag von Petra Felgen (S. 231 ff.) verdichtet die neuen Möglichkeiten zu einer Vision, was Social CRM zu leisten vermag – eines Tages.
Dieses Buch unterscheidet sich von der aktuell verfügbaren Literatur, da es den Versuch macht, möglichst viele Facetten des Phänomens „Social“ aus Unternehmensperspektive zu beleuchten und dabei erstmals dem Aspekt der Collaboration im Unternehmen die seinem Wertschöpfungsbeitrag angemessene Beachtung einzuräumen. Es ist kein wissenschaftliches Buch, es ist vielleicht nicht mal ein Fachbuch. Schon seine Entstehungsgeschichte spiegelt die Veränderungen wider, die auch die Produktion eines Buchs betreffen. Es steht gewissermaßen für die These: Alles was „social“ werden kann, wird „social“. Die Autoren wurden überwiegend mit einem Call-for-Papers über Facebook und Twitter gewonnen. Die Diskussion über die Inhalte und die notwendige Administration erfolgte über eine Yammer-Gruppe. Transparenz zu schaffen, einen offenen Dialog zu führen und dabei auch im Interesse eines besseren Ergebnisses Fehler und Schwächen einzugestehen, gehört zu den Prinzipien, in denen wir uns als Herausgeber geübt haben. Auch in unserer Yammer-Gruppe gab es die eifrigen Mitmacher, die punktuell Engagierten und die Beobachter. In jeder Hinsicht sind wir durch die gleichen Zyklen gelaufen, die einem bei der Implementierung eines Social-Projekts immer wieder begegnen. Darum geht es in diesem Buch. Wir haben zahlreiche Praxisbeispiele gesammelt, die Orientierung geben und Mut machen sollen. Manche der mit großer Offenheit berichteten Erfahrungen sind Berichte des „beinahe Scheiterns“, siehe etwa den Beitrag unseres Co-Herausgebers Carsten Rossi zur Einführung von Yammer bei Kuhn, Kammann & Kuhn GmbH (S. 135 ff.) und Björn Eichstädts Beitrag zur Nutzung von Yammer in seiner Agentur Storymaker (S. 130 ff.). Es gehört nach unseren ganz persönlichen Erfahrungen zu den fundamentalen Veränderungen, viel unbefangener aus Fehlern zu lernen, etwa so, wie es dort geschildert wird.
Wo kann ich die Einsparungen abholen?
Wem das zu allgemein ist, mag mehr Inspiration aus den Zahlen schöpfen und darin den zweiten Grund für die Motivation finden, Social Business zu betreiben. Gartner hat „Social Enterprise“ neben Cloud, Mobile und Big Data als einen der vier beherrschenden IT-Trends der nächsten zehn Jahre identifiziert. Wir wollen hier die Anwenderperspektive einnehmen und hinterfragen, welche Wertschöpfungs- oder Produktivitätsgewinne die Nutzer erzielen. Diese Fragen sind relevant, und wir sind nicht so unbedarft, dass wir nicht wüssten, dass sich jeder Investment Case, auch der in Social Business, betriebswirtschaftlich rechnen muss. Für Finanzvorstände sind solche Gewinne nur relevant, wenn sie sie in Bilanz und GuV verbuchen können. Und tatsächlich finden wir in der Praxis belegte Einsparungsgewinne, wie der Beitrag „Social Business in Zahlen“ (S. 23 ff.) aufzeigt. Trotzdem möchten wir eine Lanze dafür brechen, den Nutzen eines Social Business nicht ausschließlich an Finanzkennzahlen festzumachen. Unbestreitbar definiert sich Unternehmenserfolg auch über langfristiger angelegte Performance-Indikatoren, die für den Bestand des Unternehmens keinen geringeren Stellenwert einnehmen. Wie viele Produkte oder Services wird ein Unternehmen noch verkaufen, dessen Markenreputation in den Keller gegangen ist, dessen Kundenzufriedenheitswerte mit denen des Wettbewerbs nicht mithalten können oder nicht zuletzt dessen Beschäftigte unmotiviert sind und die Besten sich bereits nach anderen Jobs umschauen?
Die neue Welt des Arbeitens – als Arbeitgeber attraktiv bleiben
Kommen wir zum dritten Treiber für Social Business: Unsere Arbeitswelt hat sich in den letzten Jahren massiv verändert. Die Veränderung ist getrieben durch die Verfügbarkeit neuer Technologien und anderer Ansprüche, gerade jüngerer Beschäftigter, an ihr Arbeitsumfeld. Was die Technologien angeht, so ist offensichtlich, dass unser Arbeiten heute mobiler stattfindet und wir über eine Vielzahl von Kanälen kommunizieren. Die alte Welt der Wissensarbeiter bestand aus einem Schreibtisch, einem PC und einem Festnetztelefon. Heute ist der Wissensarbeiter mobil und kommuniziert über sein Smartphone oder Tablet in Social Networks, über Instant Messaging, noch viel über Mail und nur noch in ganz wichtigen Angelegenheiten per Telefon. Wo es eine Lücke gibt, etwa zwischen dem, was Mitarbeiter in ihrem privaten Umfeld selbstverständlich tun – nämlich diese Technologien zu nutzen –, und der Verfügbarkeit am Arbeitsplatz, gibt es ein Problem. Die Industrieanalysten von Forrester haben schon 2009 in einer Befragung herausgefunden, dass für 67 Prozent der Berufsanfänger die technische Ausstattung ihres Arbeitgebers...