2 Auftrittsfreude – Die innere Haltung
Öffentliche Auftritte kann man als Vergrößerungsglas für das eigene Selbstwertgefühl (Michael Bohne), für Souveränität und Stressresistenz betrachten. Ihr persönliches Stressmanagement muss darauf gerichtet sein, an diesen Faktoren anzusetzen, um aus angstbesetzten Auftritten positive Herausforderungen zu machen. Sie können Ihre Bestleistung bei Vorträgen und Präsentationen nur erreichen, wenn Sie sich beim Auftritt wohlfühlen. Diese emotionale Voraussetzung ist entscheidend, um authentisch, gelassen und überzeugend zu wirken.
Wenn Sie Ihr bestes Leistungsniveau verfügbar haben, ist ein „Auftritt im Flow“ möglich. Flow kennzeichnet einen Zustand des Glücksgefühls, in den Menschen geraten, die gänzlich in der (Vortrags-)Tätigkeit aufgehen. Aus einer Bedrohung wird dann eine Herausforderung, aus Angst wird Zuversicht und Engagement. Wir sind dann in der Lage, unsere besten Möglichkeiten auf der Bühne zu zeigen. Wenn wir es geschafft haben, merken wir, dass das Selbstvertrauen, also das Vertrauen in das eigene Wissen und Können, gewachsen ist. Das Erfolgserlebnis macht uns dann stolz und sogar ein wenig glücklich.
Eine spannende Erkenntnis aus der Flow- und Glücksforschung lautet, dass wir die positivsten Gefühle genau dann bekommen, wenn wir erheblichen Anforderungen ausgesetzt sind, die wir aufgrund unserer Fähigkeiten jedoch gut bewältigen können. Sowohl Unter- wie Überforderungen führen zu Unwohlsein, Langeweile oder Ängsten. Flow heißt, dass Sie beim Vortrag vollkommen in Ihrer Tätigkeit aufgehen, ohne an die Wirkung auf das Publikum oder an persönliche Unzulänglichkeiten zu denken; auch Ängste vor kritischen Fragen, vor Verlegenheitspausen oder vor mangelnder Akzeptanz werden völlig ausgeblendet. Sie konzentrieren Ihre gesamte Energie darauf, Ihre Inhalte überzeugend und zuhörerorientiert zu präsentieren.
Erfolgreiche Redner, Präsentatoren und Moderatoren haben eines gemeinsam: Sie verbinden eine ausgefeilte Vortragstechnik mit etwas Zentralem, nämlich mit Auftrittsfreude. Hier liegt das Erfolgsgeheimnis aller großen Redner. Referenzbeispiele in Sachen Auftreten und Rhetorik sind zum Beispiel Steve Jobs, Barack Obama, Helmut Schmidt, Karl Theodor zu Guttenberg oder Ursula von der Leyen. Im Bereich der TV-Moderation gehören dazu Günther Jauch und Claus Kleber.
An dieser Stelle entsteht die Frage: Inwieweit ist es möglich, sich diese Auftrittsfreude anzueignen? Ich bin davon überzeugt, dass Sie diese Fähigkeit genauso erlernen können wie die Techniken des Vortragens und der Rhetorik. Wo Sie dabei genau ansetzen können, zeigt Abbildung 3.
Abbildung 3: Wege zur Auftrittsfreude
Selbstvertrauen und positive Einstellung
Der erste Schritt besteht darin, sich selbst zu akzeptieren. Dies ist eine entscheidende Voraussetzung, um andere Menschen zu überzeugen: Wenn Sie sich selbst nicht akzeptieren, können Sie nicht erwarten, dass andere dies tun! Nur ein Mensch, der Selbstvertrauen hat, kann das Vertrauen anderer gewinnen.
Wer Vertrauen in das eigene Können und die eigenen Soft Skills mitbringt, wird sich auf der Bühne eher wohlfühlen und den Auftritt als Chance und nicht als Bedrohung wahrnehmen. Die Teile des Gehirns, die bei Angst heißlaufen, werden – so der Hirnforscher Gerald Hüther – durch Selbstvertrauen und Selbstakzeptanz runtergekühlt. Selbstvertrauen hemmt Übererregung und fördert die Tendenz zum Flow: Je mehr Selbstakzeptanz Sie aufbauen, umso sicherer werden Sie sich in Vortrags- und in anderen Kommunikationssituationen fühlen.
Dazu gehört auch, Ihre Stimme und Ihre Körpersprache anzunehmen. In meinen Seminaren zeigt sich immer wieder, dass sich Selbstablehnung und Unsicherheit wechselseitig bedingen: Je mehr eine Person glaubt, Stimme und Körpersprache seien ungenügend, umso unsicherer wird sie sich bei ihrem Vortrag fühlen.
Suchen Sie nach Ermutigern in der eigenen Vita
Durchforsten Sie Ihren Lebenslauf nach Verstärkern für Ihr Selbstvertrauen, indem Sie sich fragen, wo Ihre besonderen Stärken liegen, worauf Sie stolz sind, worauf Sie bauen können, wenn Sie Ihre Vorträge halten, und was Ihnen gelungen ist, obwohl Sie vorher unsicher waren.
Insbesondere wenn Sie zu großer Selbstkritik neigen und die Selbsteinschätzung Ihrer Vorträge in der Regel sehr viel schlechter ist als das Feedback von anderen (Fremdbild), lohnt es sich, an einer positiven Meinung von sich selbst zu arbeiten. Wie die folgenden Beispiele zeigen, können Ermutiger und Selbstwert verstärkende Erfolge in sehr unterschiedlichen Bereichen liegen:
• Ihr Beruf, Ihre Karriere und Ihre Fachkompetenz,
• Ihre Fähigkeit, zu motivieren und für Ideen zu begeistern,
• Ihre Fähigkeit, komplexe Zusammenhänge verständlich darzustellen,
• Projekte und Aufgaben, die Sie mit Bravour gemeistert haben,
• Ihre kommunikativen Fähigkeiten wie Empathie, Zuhören-Können, Kontaktfähigkeit,
• Ihr Auftreten, Ihr Argumentationsgeschick, Ihre Stimme,
• Ihre körperliche Fitness und Ihr Aussehen,
• Ihre sportlichen Leistungen,
• Ihre Familie und Ihr Freundeskreis,
• Ihr Eigenheim, Ihre finanzielle Situation und andere materielle Faktoren.
Was sind meine Ermutiger?
Nehmen Sie sich ein Blatt Papier und schreiben Sie Ihre „Ermutiger“ auf.
Positive Einstellung zur eigenen Person
Selbstvertrauen wird stark beeinflusst durch innere Dialoge. Darunter versteht man Glaubenssätze (= Scripte), die unser Selbstkonzept prägen, also das Denken über uns selbst. Glaubenssätze wirken wie Programmierungen für unser Gehirn und bestimmen zu einem großen Teil, mit welcher inneren Einstellung wir auf eine Bühne gehen.
Welche inneren Dialoge laufen bei Ihnen ab, wenn Sie an Ihren nächsten Auftritt denken? Haben sie mit Gelingen, mit Freude, mit Chancen und Erfolgszuversicht zu tun? Oder sind es negativ geprägte Glaubenssätze, die Selbstzweifel und Lampenfieber befördern? Je mehr Ihre Gedanken um Ängste und Versagen kreisen, umso weiter entfernen Sie sich von Ihrem persönlichen Bestleistungsniveau.
Gift für Auftrittsfreude: Negative Glaubenssätze
Selbstzweifel und Ängste sind häufig die Folge von negativen Glaubenssätzen. Wer sich vor Auftritten von belastenden Gedanken (siehe Kasten) beherrschen lässt, macht sich klein und verliert an Sicherheit – mit der Gefahr, dass Sie ängstlich und zögerlich auftreten.
Beispiele für negative Glaubenssätze:
• Ich darf keine Fehler machen – ich möchte perfekt sein.
• Ich habe Angst vor Kritik und erlebe die Gruppe als Bedrohung.
• Ich habe Angst vor Verlegenheitspausen und einem Blackout.
• Ich habe Angst, nicht als kompetent wahrgenommen zu werden.
• Ich habe Angst, dass man meine Unsicherheit und Nervosität sieht.
• Ich habe nichts Interessantes zu erzählen – ich bin langweilig.
• Ich habe Angst, abgelehnt zu werden.
Was haben diese negativ geprägten Glaubenssätze gemeinsam? Sie produzieren negative Gefühle, mindern Souveränität und erhöhen das Stressniveau. Darüber hinaus läuft im Hirn eine fatale Reizreaktion ab: Sätze etwa wie „Ich habe nichts Interessantes zu erzählen“ oder „Ich bin langweilig“ aktivieren neuronale Erinnerungsfelder, die mit negativen Emotionen gekoppelt sind. Der Glaubenssatz fungiert als Schlüsselreiz, um sich aus dem Gedächtnis an all die Szenarien zu erinnern, in denen frustrierende Erfahrungen gemacht wurden. Unser Gehirn meldet: Der Auftritt ist gefährlich. Du kannst dich blamieren, kannst Kompetenz einbüßen und abgelehnt werden. Durch diesen Mechanismus erleben wir alle angstbegleitenden Reaktionen, von denen bisher die Rede war. Auch im Bereich der Körpersprache und Stimme. Sie fühlen sich einfach nicht wohl und haben den Wunsch, den Auftritt möglichst schnell hinter sich zu bringen.
Selbstwertreduzierende Glaubenssätze haben häufig mit überzogenen Ansprüchen an die eigene Person zu tun und wurden maßgeblich in der Kindheit und Jugend geprägt. Sie führen zu einem negativen Selbstkonzept, das dem selbstkritischen Denken und den damit gekoppelten Gefühlen mehr Raum gibt als den Faktoren, die Selbstvertrauen und Souveränität positiv beeinflussen. In Feedbackgesprächen erlebe ich häufig, dass sehr selbstkritisch eingestellte Menschen bei der Analyse eigener Vorträge dazu neigen, zunächst einen langen Katalog eigener Unzulänglichkeiten und Fehler zu benennen. Selbst nach gelungenen Auftritten fällt es den meisten schwer, positive Aspekte der eigenen Leistung hervorzuheben.
Wer es mit dem Lernziel „Auftrittsfreude“ ernst meint, ist gut beraten, alle Möglichkeiten auszuschöpfen, diese negativen Dialoge ins Positive zu wenden und damit zu einem positiven Selbstkonzept zu gelangen (siehe Abbildung 4).
Die Entwicklung eines positiv geprägten Selbstkonzepts ist von entscheidender Bedeutung, weil Selbstwertgefühl und Selbstvertrauen als „Immunsystem unseres Bewusstseins“ (Michael Bohne) interpretiert werden können. Ist es hoch, bleiben wir auch in schwierigen Situationen gelassen: Wir sind geschützt vor Angriffen auf unser Denken und Fühlen. Ist unser Selbstvertrauen niedrig, lassen wir uns leicht verunsichern und das Heft aus der Hand...