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Sprachen, Interferenz und Intelligenz

Eine soziolinguistische Untersuchung in Luxemburg

AutorClaude Vandivinit, Jean Schoos, Robert Soisson
VerlagBooks on Demand
Erscheinungsjahr2016
Seitenanzahl300 Seiten
ISBN9783741233432
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis6,99 EUR
Rund 40 Jahre nach der Publikation dieser Diplomarbeit in einer limitierten Auflage, versuchen die Autoren nun über diesen Weg, sie einem breiteren Publikum zugänglich zu machen. Die Uni Luxemburg hat 2015 einen eigenen Forschungsbereich "Luxemburgistik" eingerichtet und diese Arbeit könnte dazu immer noch einen lesenswerten Beitrag leisten. Sie wurde damals von Prof. Dr. Norbert Groeben mit der Note 1-2 bewertet. Er hatte den Autoren vorgeschlagen, an dem Thema weiterzuarbeiten, was aber aufgrund der unterschiedlichen beruflichen Laufbahnen in Vergessenheit geriet. Einige Gedankengänge dieser Arbeit sind durchaus noch aktuell und weiterer Untersuchungen würdig.

Jean SCHOOS wurde 1947 in Luxemburg geboren. Nach dem Abitur an der Sekundarschule "Lycée de Garçons" in Luxemburg studierte er Chemie und danach Psychologie an der Universität Heidelberg, wo er 1975 das Diplom in Psychologie erwarb. Nach drei Jahren Arbeit in der Arbeitsgruppe für empirische Bildungsforschung in Heidelberg kehrte er nach Luxemburg zurück, wo er bis zu seiner Pensionierung Direktor der Jugendhilfeeinrichtung "Jongenheem" wurde. Jean ist verheiratet, hat 2 Söhne und eine Tochter und lebt seit mehreren Jahren in Luxemburg und Berlin.

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Leseprobe

1.127 Dichotomisierung


Es wäre müßig, wiederum. alle Beispiele aufzuzählen, in denen Bernstein zwei entgegengesetzte Pole als Dimensionen seiner Variablen setzt. Die Beispiele erscheinen fast alle auf den vorhergehenden Seiten.

Kurz, die Praxis der Dichotomisierung ist wesentlich für Bernsteins Theorie. über seine Erfahrung als Pädagoge interessierte er sich wahrscheinlich mehr an den Extremen (gut - schlecht) schulischer Leistungen als an dem Mittelmäßigen. In dieses Schema presste er auch seine Theorie. Auch wenn diese dichotomen Begriffe für ihn vor allem eine heuristische Funktion haben, so implizieren sie doch einen normativen Standpunkt. Die Differenz-Konzeption ist differenzierter, weil sie explizit auf Normen und damit auch Dichotomisierungen verzichtet.

Es ist verwirrend, wenn Oevermann schreibt:

"Vielmehr scheint das, was Bernstein eindimensional als "restringiert" und "elaboriert" bezeichnet, in verschiedenen, unabhängig voneinander variierende linguistische Dimensionen zu zerfallen." (a.a.O., S.403-404)

um dann

"ein Kontinuum von "restringiert" bis "elaboriert"" (ibd., 404)

zu unterstellen.

Bernstein war sich dessen wohl bewusst, dass die Codes nie "in reiner Form" auftreten. Sie entsprechen in der Wirklichkeit der linguistischen Norm einerseits und einem (oder mehreren) diese Norm verletzenden Sprachvarianten andererseits. Dass es unterschiedliche Stufen im Verstoß gegen diese Norm gibt bezweifelt niemand. Oevermanns Kriterien sind deshalb umso fragwürdiger, als bei der Annahme eines Kontinuums eine mehr oder weniger willkürliche Grenze gesetzt werden muss; und dies nicht nur was die Codes anbelangt, sondern auch für andere Variablen (Schicht, Intelligenz usw.)

Bernsteins Theorie ist zu den Akten gelegt worden. Es gibt kaum noch Psychologen, Linguisten oder Soziologen, die auf der Basis der Defizit-Theorie arbeiten. Für uns war sie jedoch in zweierlei Hinsicht wichtig. Erstens stand Bernstein Ausgangspunkt unserer Überlegungen und beeinflusste damit die Anlage der Untersuchung allgemein. Die Kritik an ihm war und bleibt für das Verständnis und für die weitere Entwicklung unserer Arbeit auf diesem Gebiet - über die Diplomarbeit hinaus von großer Bedeutung. Zweitens versuchte Bernstein, Variablen in seine Untersuchungen einzubeziehen in die Beziehungen zwischen diesen Variablen zu analysieren die unserem Erachten nach wichtig für das Verständnis der Mechanismen von Sprach- und Denkprozessen sind. Damit stellen wir uns bewusst gegen die Annahme der Differenz-Konzeption (vgl. 1.200), welche diese Dimensionen aus ihren Untersuchungen ausklammert. Es handelt sich unserer Meinung nach bei der Frage ob man z.B. Intelligenz im Zusammenhang mit Sprache untersuchen sollte um eine Frage des Standpunkts und der Methoden eher denn um eine prinzipielle Frage.

1.130 Bernsteins Schüler


Obwohl Bernsteins Theorie in allen Ansätzen, die wir nun referieren wollen - punktuell - kritisch rezipiert wird, arbeiten alle mit denselben Grundannahmen, die einfach übernommen werden.

Für den englischen Sprachraum werden vor allem Lawton, Robinson, Hawkins und Loban zitiert, für den deutschsprachigen Raum Reichwein, Roeder und Oevermann.

a) Lawton


Lawton gelangte in seinen Untersuchungen zu "Ergebnissen, die die Theorie der linguistischen Codes im Wesentlichen bestätigen." (Hager u.a., a.a.O., S. 79)

Seine inhaltliche Übereinstimmung mit Bernstein wird in der folgenden Bemerkung deutlich:

"Der Inhalt der Aufsätze bestärkt die Ansicht, dass die Welt der Arbeiterklasse mehr von konkreten Dingen als von Ideen, mehr von Geschehnissen als von der geistigen Verarbeitung dieser Ereignisse beherrscht ist." (ibd., S. 82)

Lawton arbeitete mit (fragwürdigen) linguistischen Kriterien, Satzergänzungstests und mit der Inhaltsanalyse von Aufsätzen. Er zweifelte jedoch an der Allgemeingültigkeit der Bernsteinschen Aussagen:

"Meiner Meinung nach zeigt diese Untersuchung einen sehr beträchtlichen Zwiespalt zwischen der normalen Sprachlichen Leistung und der möglichen Leistungsfähigkeit bestimmter Schüler aus der Arbeiterklasse." (ibd., S. 85)

b) Robinson


Sie arbeitete mit Satzergänzungstests und Aufsätzen. Auch bei ihr finden wir Ansätze zu einer Kritik Bernsteins:

"Robinson geht davon aus, dass das Thema A (Brief an einen Freund aufsetzen - d. Verf.) zu einer mehr restringierten Schreibweise anregt, das Thema B (Brief an einen "alten Herrn" der Schule mit der Bitte um ein Stipendium - d. Verf.) zu einer mehr elaborierten. Bernsteins Hypothesen sagen laut Robinson voraus, dass die deutlichsten Schichtunterschiede in den Aufsätzen zum Thema B auftreten. Die linguistische Analyse ergibt aber - im Gegensatz zu Lawton - dass die Unterschiede beim Thema A grösser sind. Wenn es stimmt, dass das Thema B zu einem elaborierten Sprachgebrauch anregt, dann bedeutet dieses Ergebnis eine deutlichere Relativierung Bernsteins als Lawtons Ergebnisse bei individuellen Interviews: in einer sonst gleichen Verbalisierungssituation provoziert diejenige Aufgabe, die mehr Elaboriertheit verlangt, auch bei den Arbeiterkindern eine elaboriertere Sprache als die andere Aufgabe; die Schichtunterschiede sind im Falle des "elaborierten "Themas geringer als im Falle des "restringierten". (Niepold, a.a.O., 8.43)

Robinson verwies - um ihre Resultate zu erklären - auf die Problematik der Untersuchungssituation (Niepold, a.a.O., S.48), und schlug differenziertere Untersuchungstechniken vor.

c) Loban


Loban hat eine Langzeitstudie über das Sprachverhalten von Kindern durchgeführt, wobei er Satzkonstruktionen mit Hilfe von 5 Satztypen verglich und quantifizierte.

Dittmar (a.a.O., S.58) kritisiert diese Studie an drei Punkten:

  1. geben die Daten keine verlässliche Grundlage für die Beurteilung
  2. ist die Auswertung methodisch nicht korrekt gewesen, was die Haltbarkeit des schichtenspezifischen Vergleichs anbelangt
  3. gibt es Feststellungen, die nicht theoretisch begründet werden

daraus folgt Dittmar:

"Lobans Sprachdaten geben einen Eindruck davon, wie Kinder Sprache gewöhnlich in Testsituationen oder in der Schule benutzen, sie reflektieren jedoch weder in funktionaler noch in leistungsspezifischer Hinsicht den Umfang der kindlichen Sprachfähigkeit." (ibd., S.58)

d) Hawkins


Hawkins untersuchte Kinder der Mittelschicht und der Unterschicht auf den Gebrauch von Pronomina in Anlehnung an die Kategorien-Grammatik von Halliday (Beschreibung bei Dittmar, 1973, S. 66f). Seine Resultate fasst er wie folgt zusammen:

"With this evidence we have shown very considerable differences between the type of speech produces by middle-class children and that of working-class children, which may have important consequences ... These findings substantiate the predictions derived from Bernsteins theory of restricted and elaborated codes." (zit. bei Dittmar, S. 68)

Dittmar kritisiert die Untersuchungssituation (Darbietung von Bildfolgen), die linguistischen Annahmen sowie die Behandlung der Daten. Wie alle anderen Untersuchungen kann auch diejenige Hawkins kaum als Beweis für die Theorie der linguistischen Codes herangezogen werden.

Im deutschen Sprachraum gibt es mehrere Untersuchungen, von denen hauptsächlich drei zitiert werden:

e) Roeder


P.M. Roeder untersuchte die Schriftsprache von über 500 Kindern und fand Resultate, die denjenigen Bernsteins ziemlich entsprachen; er stellte fest:

"Für die Kinder der Unterschicht, die in der Regel auf der Volksschule zurückbleiben, wird das Sprachmilieu wiederum eingeschränkt und der Unterschied zwischen der sprachlichen Umwelt in der Schule und außerhalb der Schule geringer. Die Differenzierung der Schultypen trägt dadurch wahrscheinlich zur Stabilisierung der spezifischen Sprachmerkmale der jeweiligen Sozialschichten bei." (zit. nach Hager u.a.; a.a.O., S.86)

f) Reichwein


R. Reichwein untersuchte Aufsätze von Kindern aus dem 7., 8. und 9. Schuljahr mit einer Methode, die noch hinter den Ungenauigkeiten Bernsteins zurückbleibt. (s. Niepold, S. 59; Hager u. u., S.94f). Als Kompensationsprogramm schlägt sie ein "formales Training logischer Operationen" vor, (Hager, a.a.O., S.95). Zu diesem Schluss konnte sie nur kommen über die "empirische Feststellung",

"dass die Zensuren in Deutsch und Mathematik bei Schülern, die in Mengenlehre unterrichtet worden sind, sich deutlich verbesserten als bei Schülern, die solchen Unterricht nicht bekommen haben." (Niepold, a.a.O., S.54)

g) Oevermann


zu Oevermann bemerkt Dittmar:

"Oevermanns Untersuchung muss ... zu den theoretisch und empirisch fundiertesten Arbeiten der Defizit-Hypothese gerechnet werden. Dies gilt vor...

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