1. Einleitung
Deutschlands umfangreichste Fotosammlung, die Notrufsäulen auf der Autobahn, eine Flüchtlingsambulanz für traumatisierte Kinder und Jugendliche, die Förderung urbaner Gemeinschaftsgärten: Hinter diesen und zahllosen weiteren Aktivitäten für das Gemeinwohl stehen Stiftungen und Menschen, die diese Stiftungen ins Leben gerufen haben.
So verschieden wie diese Projekte sind die Menschen, die sie gestiftet haben: der Fotograf Franz Christian Gundlach, das Ehepaar Ute und Siegfried Steiger, die Sportlerin Steffi Graf, der Vorwerk-Erbe Jens Mittelsten-Scheid. Auch diese Studie wurde durch einen Stifter persönlich auf den Weg gebracht: Klaus Tschira, der 2015 viel zu früh verstorbene Mitbegründer der SAP AG. Stiftungen gibt es schon sehr lange und fast überall: Menschen stifteten in der Antike, im Mittelalter, in der Frühen Neuzeit und in der Moderne, im Orient und im Okzident (Borgolte 2012: 46f.). Gemeinsam ist ihnen der Gedanke, ein bestimmtes Vermögen für eine lange Zeit und oft über das eigene Leben hinaus einem festgelegten Zweck zukommen zu lassen.
In den vergangenen Jahren hat zwar die Debatte über bürgerschaftliches Engagement und Zivilgesellschaft an Fahrt aufgenommen und auch Stiftungen sind inzwischen Thema einer ganzen Reihe von Forschungsarbeiten und Publikationen. Doch nur sehr wenige Untersuchungen widmen sich den Stiftenden selbst (z.B. Adloff 2010, Bloemer 2010). Dabei sind es letztlich die Stifterinnen und Stifter, die diesen Sektor mit der Stiftungsgründung und ihrem Engagement in der Stiftung wesentlich prägen.
Die letzte umfassende Studie über Stifterinnen und Stifter in Deutschland ist über zehn Jahre alt (Timmer 2005). Seitdem hat sich das Stiftungswesen stark verändert. Im Jahr 2004 gab es hierzulande 12.670 rechtsfähige Stiftungen bürgerlichen Rechts, Ende 2014 waren es 20.784 – knapp 40 Prozent der bestehenden Stiftungen wurden also in diesem Zeitraum gegründet. Gut zwei Drittel davon haben Privatpersonen errichtet (Bundesverband Deutscher Stiftungen 2014b: 86).1
Die vorliegende Studie (im Folgenden: Stifterstudie 2015) schließt an die Studie „Stiften in Deutschland“ der Bertelsmann Stiftung in Kooperation mit dem Bundesverband Deutscher Stiftungen an (im Folgenden: Stifterstudie 2005). Sie basiert auf vier Erhebungsmethoden:
»15 Stifterinnen und Stifter wurden persönlich interviewt und
»676 Stifterinnen und Stifter beteiligten sich an einer schriftlichen Umfrage.
»Zudem wurden Daten aus der Datenbank Deutscher Stiftungen des Bundesverbandes Deutscher Stiftungen neu ausgewertet und
»eine repräsentative Bevölkerungsumfrage wurde durchgeführt.
Genaue Angaben zur Methodik der Untersuchung stehen im Anhang auf Seite 225ff. Im Anhang findet sich zudem eine anonymisierte Liste zu den befragten Personen und ihren Stiftungen mit Informationen wie Alter, Geschlecht oder Stiftungszweck. Die interviewten Stifterinnen und Stifter wurden mit Buchstaben versehen, damit die Leserinnen und Leser die jeweiligen Aussagen besser zuordnen können. Um die Anonymität der Interviewten zu wahren, wurde bei Zitaten, die Rückschlüsse auf die Person ermöglichen, auf diese Zuordnung verzichtet.
Wer sind diese Menschen, die freiwillig ihr Privatvermögen für einen guten Zweck verschenken? Warum stiften sie? Was treibt sie an? Fast 700 Stifterinnen und Stifter haben sich an der Umfrage für die vorliegende Studie beteiligt und Antworten auf diese Fragen gegeben. Das sind 700 Persönlichkeiten und 700 Geschichten, die zeigen: Stifter2 bringen weit mehr als Geld in die Stiftung ein. Sie gründen eine eigenständige Organisation und in den Jahren und Jahrzehnten nach der Gründung ist es meist das persönliche Engagement der Stiftenden, das diese Organisation wesentlich prägt. Denn heute werden 90 Prozent der Stiftungen zu Lebzeiten ihrer Stifterinnen und Stifter errichtet.3
Für das Engagement einer Stifterin oder eines Stifters sind relativ viele Voraussetzungen notwendig: Stiftende brauchen erstens eine Idee und zweitens ein gewisses Vermögen, das sie in die Stiftung einbringen. Rechtsfähige Stiftungen werden erst ab einem Kapital von 50.000 Euro bis eine Million Euro von den Landesstiftungsaufsichten anerkannt. Drittens müssen die Stiftenden über Zeit und Know-how verfügen, um die Stiftung zu gründen und sich später darin zu engagieren. Insofern ist es nicht verwunderlich, dass Stifterinnen und Stifter sich hinsichtlich einiger Merkmale sehr ähneln. Die vorliegende Studie zeigt, dass sie größtenteils vermögend sind, einen sehr hohen Bildungsgrad haben und sich kurz vor dem oder im Ruhestand befinden.
Fast alle Stifterinnen und Stifter engagieren sich in ihren Stiftungen, und die Möglichkeit, persönlich Einfluss zu nehmen, ist ihnen überaus wichtig. Wie sie diesen Anspruch umsetzen und was ihnen bei der Stiftungsarbeit wichtig ist, wird im Folgenden untersucht.
Ferner zeigt die Studie, wie Privatpersonen ihre Stiftungen ausgestalten, und gibt Antworten auf diese Fragen: Welche Zwecke wählen die Stifterinnen und Stifter? Mit welchem Vermögen statten sie die Stiftungen aus? Wie besetzen sie die Gremien? Erstmals werden hier auch Treuhandstiftungen in den Blick genommen. Ein gesondertes Kapitel gibt Auskunft zu den Stifterinnen und Stiftern von Treuhandstiftungen (vgl. Kapitel 6).
Nicht zuletzt beschreibt die Studie die Gruppe der Stifterinnen und Stifter um zu eruieren, welche Personen besonders stiftungsaffin sind und wie diese für das Stiften gewonnen werden können.
Wer wurde befragt?
Stifterinnen und Stifter, die
»seit 2004
»allein oder zu zweit
»eine Stiftung mit mindestens 50.000 Euro Stiftungsvermögen ausgestattet haben.
Diese Studie bezieht sich ausschließlich auf das Engagement von Privatpersonen, die ein privates Vermögen von mindestens 50.000 Euro in die Stiftung eingebracht haben. Neben privaten Personen gibt es verschiedene Organisation wie Vereine, kirchliche oder staatliche Einrichtungen sowie Unternehmen, die stiften. Nicht selten sind auch in diesen Fällen Privatpersonen an der Stiftungsgründung beteiligt. Denn oft gründen Organisationen – meist sind es Vereine – zwar die Stiftungen, aber das Stiftungsvermögen wird von Privatpersonen eingebracht. Die Stifter von Gemeinschaftsstiftungen (Stiftungen, die von einer Personengruppe gegründet werden) sind ebenfalls nicht Gegenstand dieser Untersuchung, denn sie unterscheiden sich hinsichtlich der Höhe des gestifteten Vermögens und ihres Einflusses auf die Stiftung meist deutlich von denjenigen, die allein bzw. mit dem Partner oder der Partnerin gestiftet haben. Zudem sind nicht alle Stifter von Gemeinschaftsstiftungen auch an der Gründung der Stiftung beteiligt.
Definition: Stiftungen
Der Begriff der Stiftung umfasst eine ganze Reihe unterschiedlicher Organisationsformen, denen gemeinsam ist, dass ein Vermögen auf Dauer für einen festgelegten Zweck genutzt werden soll. Typischerweise ist die rechtsfähige Stiftung bürgerlichen Rechts gemeint. Weitere Rechtsformen sind die nicht rechtsfähige Stiftung (s.u.), die gemeinnützige Stiftungs-GmbH, die gemeinnützige Stiftungs-Aktiengesellschaft, die öffentlich-rechtliche Stiftung, die Stiftung & Co. KG sowie der Stiftungsverein.
Rechtsfähige Stiftung bürgerlichen Rechts
Die rechtsfähige Stiftung bürgerlichen Rechts ist gekennzeichnet durch eine Vermögensmasse, die einem bestimmten Zweck auf Dauer gewidmet ist. Das Grundstockvermögen der Stiftung muss in der Regel dauerhaft erhalten bleiben. Zur Zweckerfüllung stehen daher nur die Erträge aus dem Stiftungsvermögen sowie sonstige Zuwendungen (z.B. Spenden) zur Verfügung. Den Zweck der Stiftung bestimmt der bzw. die Stiftende bei Stiftungsgründung. Er ist fortan festgeschrieben und kann nur schwer geändert werden. 95 Prozent der Stiftungen verfolgen gemeinnützige Zwecke.
Die rechtsfähige Stiftung bürgerlichen Rechts untersteht der staatlichen Stiftungsaufsicht, die in den Landesgesetzen geregelt ist, und wird von den Finanzbehörden kontrolliert. Ihre materiellen Entstehungsvoraussetzungen finden sich in den §§ 80ff. des Bürgerlichen Gesetzbuches.
Nicht rechtsfähige Stiftung / Treuhandstiftung
Eine Treuhandstiftung, die auch als unselbstständige, nicht rechtsfähige oder fiduziarische Stiftung bezeichnet wird, entsteht durch einen Vertrag zwischen Stifter und Treuhänder (Träger). Der oder die Stiftende überträgt das Stiftungsvermögen dem Treuhänder, der es getrennt von seinem eigenen Vermögen gemäß den Satzungsbestimmungen der Stiftung verwaltet. Anders als eine rechtsfähige Stiftung...