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Superheldin 21

Mein Leben mit Down-Syndrom

AutorDaniela Chmelik, Verena Elisabeth Turin
VerlagRowohlt Verlag GmbH
Erscheinungsjahr2017
Seitenanzahl160 Seiten
ISBN9783644401433
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis9,99 EUR
Verena Turin erzählt selbstbewusst von ihrem Leben mit Down-Syndrom. Sie möchte mit Vorurteilen aufräumen, denn sie fühlt nicht anders. Sie fühlt sich ganz normal. Sie wäre gerne Superheldin. Oder Sängerin. Oder Schauspielerin. Und hat Träume, wie jeder andere auch. In einem sehr eigenen und feinsinnigen Ton beschreibt sie ihre Arbeit im Pflegeheim, erzählt von ihrer Band und ihrer Familie, von der Liebe und von Schmetterlingen. Turin schreibt: 'Normal ist einfach, wie wir selbst sind. Wir alleine bestimmen das. Nicht die anderen Menschen. Ich bin normal und so bleibe ich auch. Was ist nicht normal dabei?' Ein Buch, das anregt zum Nachdenken über die eigene Weltsicht und über den Umgang mit Menschen mit Behinderung. Ein Buch, das hilft, zu verstehen.

Verena Elisabeth Turin, geboren 1979 in Tirol, arbeitet in einem Pflegeheim und als Journalistin für den Ohrenkuss, Magazin von Menschen mit Down Syndrom. Turin ist fasziniert von Mischpulten, macht auch selbst Musik in einer Band, liebt Wasser, Schwimmen, Himbeersaft und Filme von Walt Disney. Negative Gedanken und Diskriminierung hingegen kann sie nicht ausstehen. Verena Turin hat zwei Nichten und wohnt bei ihren Eltern.

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Leseprobe

2 LEBEN


Ich bin behindert seit der Geburt. Ich wurde sechs Wochen zu früh geboren. Die Ärzte haben mich mit einem Kaiserschnitt herausgeholt. Und danach haben sie mich gewogen. Ich wog nur 1,3 kg. Später untersuchten sie mich. Und dann legten die Ärzte mich in einen warmen Brutkasten in der Klinik Innsbruck. Ich war sehr viel mit Schläuchen umgeben.

Später habe ich von meiner Mutter erfahren, dass ich mit offenen Händen auf die Welt gekommen bin. Ich habe keine Fäuste mit den Händen gemacht. Meine Mutter hat mir auch erzählt, dass der Frauenarzt im Ultraschallmonitor meinte, ich sollte ein Bub werden. Meine Eltern hätten mich dann Tobias genannt. Weil der Nachbarshund Tobias heißt. Aber dann haben sie das doch bleiben lassen. Als sie erfahren haben, dass ich ein Mädchen geworden bin, haben sie mich Verena Elisabeth genannt. Das hat den Eltern auch gefallen.

Das Down-Syndrom hat der Doktor Down bei uns entdeckt. Ich leide nicht daran. Das muss ich oft sagen. Für mich ist Down-Syndrom keine Schwierigkeit. Ich habe es einfach. Und das tut auch nicht weh.

Das Reden habe ich bei der Logopädie gelernt, bis ich vier Jahre war. Zum Beispiel musste ich Blasübungen und Zungenübungen machen. Ich sollte immer die Zunge herausstrecken. Und Laute machen und wie Tiere reden. Ich sollte auch Bilder anschauen und zeigen und sagen. Aber ich hatte andere Worte, wie ich klein war: O für Oma und Bo für Brot, mam und nam für essen, wuwu für Hund, umm für Auto und bam für alles.

Meine Kindergartentasche war rosaweiß mit kleinen Bärchen in pink und blau. Dort hat meine Mutter immer die Jause hineingetan. Im Kindergarten waren viele Kinder zu sehen. Und ich habe verschiedene Tanten bekommen. Ich habe sehr gern im Garten im Sand gespielt. Oder ich bin geschaukelt oder gerutscht. Der Kindergarten hat Löwenegg geheißen. Wir haben viel gespielt, gesungen, getanzt, gebastelt. Auf einem Foto habe ich gesehen, dass ich im Sandkasten zwei herunterhängende Zöpfe getragen habe.

Wie ich größer und älter wurde, habe ich von meiner Schwester erfahren, dass wir Menschen mit Down-Syndrom eine besondere Linie in den Handflächen haben. Das finde ich wirklich toll. Auch wie ich aussehe finde ich mit Down-Syndrom super.

 

Mit sechs Jahren bin ich in die Grundschule in meiner Stadt gekommen. Auf einem Foto habe ich gesehen, dass ich eine bunte Schultüte hatte. Und einen pinkweißen Schulranzen. Mit den Fingern habe ich meine sechs Jahre hergezeigt. Die Direktorin hat mich in den normalen Schulbetrieb aufgenommen. Und das ohne Gewalt und Richter. Natürlich finden meine Eltern sehr gut, dass ich in die normale Schule gekommen bin. Sie haben mich gefördert, aufgemuntert, gut erzogen, selbstständig gemacht. In der Früh bin ich mit der Direktorin zur Schule gegangen. In der Schule gab es viele Mitschüler. Und ich hatte viele Fächer. Besonders mochte ich Naturkunde, Singen, Turnen, Schwimmen, Deutsch, Italienisch, Religion. Die meiste Zeit war ich mit meinen Mitschülern in der Schulklasse. Die Mitschüler waren sehr nett. Sie waren nicht behindert. Und die Lehrpersonen waren auch alle nett mit mir. Niemand hat mich geärgert oder geneckt.

Mein Pult war vor dem Lehrertisch. An meinem Pult haben immer verschiedene Stützlehrer und Stützlehrerinnen gesessen. Wenn ich den Unterrichtsstoff nicht richtig verstanden habe, bin ich mit ihnen in ein kleines Schulzimmer gegangen. Dort haben die Stützlehrer mir den Unterrichtsstoff sehr bildlich, viel leichter, verständlicher und buntlicher erklärt. Und genauer gesagt, wie ich meine Hausaufgaben verstehen muss. So bin ich meinen Mitschülern voraus gekommen.

Mein Lieblingsfach war Naturkunde. Und Turnen. Und Singen. Und Aufsätze schreiben. Meine Mitschüler wollten immer sehr gerne Schulferien haben. Nur ich nicht. Ich bin sehr gern in die Schule gegangen.

Auch die Psychologen haben mich in der Schulzeit begleitet. Sie haben mich getestet und mit mir gespielt. Damit ich bei den Übergängen der Klassenversetzungen weiterkomme.

Einmal hat mir einer ein Geburtstagsständchen auf seiner Querflöte gespielt. Und meine italienische Lehrerin hat mir im Dunklen eine Überraschungstorte mit leuchtenden, unlöschbaren, verzauberten Kerzen überreicht. Ich sollte dann die verzauberten Kerzen ausblasen. Aber die Flammen wollten nicht ausgehen. Nur mit Wasser ist es uns dann gelungen. Alle Mitschüler und die Lehrerin haben auf Italienisch «Alles Gute zum Geburtstag» vorgesungen. Und dann haben wir den Walt-Disney-Film «Die Schöne und das Biest» auf Italienisch angeschaut. Die Lehrerin hat den Film immer wieder gestoppt. Und verschiedene Sachen erklärt. Das hat mich genervt. Ich wollte den Film ohne Pausen anschauen. Das hat mir am besten gefallen.

In dieser Zeit habe ich auch die Liebe mit elf Jahren entdeckt. Das war aufregend in der Schulpause. Da hatte ich mir vor meinem Klassenzimmer auf einem Bänkchen die Hausschuhe angezogen. Wie ich wieder aufgestanden bin, sehe ich einen sehr netten Jungen vor mir. Und habe mich in ihn verliebt. Danach habe ich von ihm einen Mundkuss bekommen. Genau in dieser Zeit ungefähr habe ich auch meine Tage bekommen.

Das Leben in der Schule hat mir sehr gut gefallen. Ich kann mich noch erinnern, wie schön es war beim Völkerball im Turnen. Da war ich immer die Letzte, die abgeschossen wurde vom Ball. Man hat mich nicht erwischt.

Bei der Abschlussprüfung sollte ich mit meinem Körper eine Brücke machen und mit dem Reifen Hula-Hoop tanzen. Ich habe getanzt. Meine Lehrer wollten mich stoppen. Weil ich schon bestanden hatte. Aber ich habe weitergetanzt.

Vor der italienischen Lehrerin sollte ich eine italienische Bildgeschichte erzählen. Das war nicht leicht für mich.

In Naturkunde habe ich mich freiwillig prüfen lassen. Dort habe ich erzählt, wie das Leben von Regenwurm und Schmetterlingen geht.

 

Meine zweite Schulzeit war ich in der großen Stadt, in Brixen. Da habe ich in einem Wohnheim gelebt. Nur am Wochenende bin ich mit dem Zug nach Hause gefahren. Diese Schule hat früher Berufsfindung geheißen. Meine Mitschüler waren ungefähr wie ich. Es waren viele Jungen und Frauen dabei. In diese Schule sind wir vier Jahre lang gegangen. Wir hatten sehr nette Lehrpersonen. Und auch viele verschiedene Fächer. Zum Beispiel Deutsch, Italienisch, Rechnen, Computer, Naturkunde, Erdkunde, Politik. Ich habe sehr gerne Hausaufgaben gemacht. In dem Fach Politik sollten wir regelmäßig die «Tagesschau» als Aufgabe ansehen.

Beim Rechnen bin ich nicht so gut. Aber mit den Aufsätzen bin ich sehr gut beim Schreiben. Ab und zu war ich vor den Mitschülern weit voraus.

Manchmal haben wir auch Pausen gebraucht von dem vielen Lernen. Hin und wieder waren wir auf Ausflügen. Zum Beispiel bei der Bäckerei, um Brote zu verkosten. Oder bei der Feuerwehr oder beim Milchhof. Mir hat die Bäckerei am besten gefallen. Und wie wir einmal mit der Klasse ins Hallenbad gegangen sind, das fand ich wirklich super. Ich liebe besonders auch Wasser zum Schwimmen. Ich gehe immer oft ins Schwimmbad. Mir macht das Schwimmen großen Spaß.

Mittwochs haben wir in der Schule immer zusammen unser Mittagessen gekocht. In dieser Zeit habe ich eine Freundin gefunden. Sie war eine größere Schülerin von einer anderen Klasse. Die mochte ich sehr.

 

Ich war auch in einer Theatergruppe. Wir haben viel geprobt und gespielt. Unsere Theaterleiterin war sehr nett. Es war nicht leicht, nicht zu lachen. Zum Beispiel wenn man sich auf der Bühne ernst gegenseitig in die Augen schauen muss. Manchmal war die Leiterin auch streng. Aber das musste sein. Einmal war ich in einer Rolle eine Jugendliche, die ausgeschlossen wurde. Leider weiß ich nicht mehr, wie das Stück heißt. Aber ich kann mich noch erinnern, dass meine Theaterkollegen ihre Köpfe zusammengesteckt hatten wie eine gemeinsame Jugendgruppe. Sie wollten nicht, dass ich was mitkriegte. Als hätten sie etwas mit mir geplant. Ich habe mir dann selbst ein Bein gestellt. Damit ich mich ausgeschlossen auf dem Bühnenboden fühlte. Wie ich auf dem Bühnenboden lag, dann sind die anderen geschlossen zu mir gekommen. Um mich auszulachen. Und sie haben gleichzeitig mir den Zeigefinger hergezeigt. Dabei fühlte ich mich gegenüber vor ihnen hilflos, einsam, verlassen, sehr traurig, verletzt.

Ein anderes Theaterstück hat «Der rote Strumpf» geheißen. Bei dem Theaterstück hatte ich die Hauptrolle. Ich hatte den roten Strumpf an. Ich sollte mich auf einen Stuhl setzen und einen Socken stricken. Ich war eine alte Frau. Natürlich musste ich ein Kopftuch und eine Brille tragen. Bei der Erstaufführung war ich erst recht sehr aufgeregt. Zum Schluss haben wir sehr viel Applaus bekommen. Dieses Theaterstück war auch ein Erfolg.

Ich bin sehr gerne in die Schule in Brixen gegangen. Es war sehr fein in der Klasse und im Wohnheim. Und die meisten Mitschüler waren mit mir nett.

Aber einmal in der Schulpause habe ich eine andere Mitschülerin vor drei Jugendlichen verteidigt. Die Jungen haben sie geärgert. Weil sie ein bisschen rundlich war. Ich war sehr zornig auf die drei Jungen. Als ich gemerkt habe, dass sie geweint hat, bin ich dann zwischen sie gegangen. Und ich habe den Schülern gegenüber gestanden und sie angeschrien:

  • Was wollt ihr von ihr?

  • Tratzen. Was sonst.

  • Das dürft ihr nicht tun.

  • Wieso nicht? Sie ist dick.

Das ist mir wirklich ganz gleich. Und das ist unfair: drei gegen einen zu sein!

In dieser Zeit habe ich meine Kampfstellung eingenommen. Und dann habe ich den Jungen...

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