1. Entfesseln Sie den Meister in sich
»Leidenschaft ist das, was Ihnen zum Maximum Ihres Talents verhelfen wird.«
– Larry Smith, TEDx, November 2011
Aimee Mullins hat zwölf Paar Beine. Wie die meisten Menschen ist sie mit zwei Beinen geboren worden, aber im Unterschied zu anderen Menschen mussten ihr wegen einer genbedingten Fehlbildung beide Beine unterhalb des Knies amputiert werden. Mullins lebt seit ihrem ersten Geburtstag ohne Unterschenkel.
Sie wuchs in einer durchschnittlichen Familie in der Industriestadt Allentown, Pennsylvania, auf. Ihre Leistungen sind jedoch alles andere als durchschnittlich. Die Ärzte hatten eine frühe Amputation empfohlen, da Mullins dann die größte Chance auf relative Beweglichkeit habe. Als Kind hatte Mullins keinen Anteil an dieser Entscheidung, aber als sie heranwuchs, weigerte sie sich, das Etikett zu akzeptieren, das ihr von den meisten Menschen zugeteilt wurde – »behindert«. Stattdessen entschied sie, dass Prothesen ihr Superkräfte verleihen würden, von denen andere nur träumen konnten.
Mullins definiert neu, was es bedeutet, behindert zu sein. Sie sagte dem Komiker und Talk-Showgastgeber Stephen Colbert, dass viele Schauspielerinnen mehr Prothesenmaterial in ihren Busen haben als sie in ihrem ganzen Körper, »und wir bezeichnen nicht halb Hollywood als behindert.«
Mullins hat sich ihre Superkraft – ihre Prothesen – zunutze gemacht, um für die NCAA Topliga an der Georgetown Universität zu laufen. Sie hat bei den Paralympics 1996 drei Weltrekorde in der Leichtathletik gebrochen, ist Mannequin und Schauspielerin geworden, und wurde in die jährliche Liste des People Magazins der fünfzig schönsten Menschen aufgenommen.
2009 stand die etwas über 1,70 Meter große Mullins mit einer Größe von 1,82 Meter auf der TED-Bühne, der Größe, die sie für diese Gelegenheit gewählt hatte. Mullins sucht sich unterschiedliche Beine aus, die zum jeweiligen Ereignis passen. Sie verwendet eher funktionelle Prothesen, um auf den Straßen Manhattans spazieren zu gehen, und modischere für schicke Partys.
»TED war sprichwörtlich das Sprungbrett zur nächsten Dekade meines Lebens voller Entdeckungen«7, sagte Mullins. Sie glaubt, dass ihr TED-Auftritt eine Auseinandersetzung angestoßen hat, die tiefgreifend die Weise verändert, wie die Gesellschaft Menschen mit Behinderungen betrachtet. Erfinder, Designer und Künstler außerhalb der traditionellen medizinischen Prothetik erkannten auf einmal, wie kreativ und lebensecht sie Beine gestalten konnten. »Es ist kein Dialog mehr darüber, wie man ein Defizit überwindet. Es ist ein Dialog über Potenzial. Eine Prothese steht nicht länger für das Bedürfnis, einen Mangel auszugleichen … Also können Menschen, die einmal von der Gesellschaft als behindert betrachtet worden sind, jetzt zu Architekten ihrer eigenen Identität werden, und tatsächlich fahren sie fort, diese Identitäten zu verändern, indem sie ihre Körper mit einem Gefühl der Ermächtigung gestalten … Es ist unsere Menschlichkeit und das ganze Potenzial in ihr, das uns schön werden lässt.«
Mullins Entschlossenheit hat sie zu einer Weltklasseathletin gemacht; mit ihrer Leidenschaft hat sie die Herzen des TED-Publikums gewonnen.
Geheimnis Nr. 1: Entfesseln Sie den Meister in sich
Graben Sie tief, um herauszufinden, was Sie auf einzigartige und bedeutungsvolle Weise mit Ihrem Vortragsthema verbindet. Leidenschaft führt zu Meisterschaft, und ohne diese ist ihre Rede nichts. Denken Sie jedoch daran, dass das, was Sie antreibt, nicht unbedingt auf der Hand liegt. Aimee Mullins hegt keine Leidenschaft für Prothesen, sondern für das Freisetzen des menschlichen Potenzials.
Warum es funktioniert: Die Wissenschaft zeigt, dass Leidenschaft buchstäblich ansteckend ist. Sie können andere nur begeistern, wenn Sie selbst begeistert sind. Sie haben eine viel größere Chance, Ihre Zuhörer zu überzeugen und zu begeistern, wenn Sie eine begeisterte, leidenschaftliche und bedeutungsvolle Verbindung zu Ihrem Thema zum Ausdruck bringen.
Im Oktober 2012 hat Cameron Russell einem TEDx Publikum erzählt: »Aussehen ist nicht alles.«8 Klischee? Ja, wenn es von jemand anderem geliefert worden wäre. Russell ist jedoch ein erfolgreiches Model. Innerhalb von dreißig Sekunden nach dem Betreten der Bühne hat Russell ihr Outfit geändert. Sie bedeckte ihr enges schwarzes Kleid mit einem Wickelrock, ersetzte die High Heels durch Slipper und streifte eine Strickjacke über. »Warum habe ich das jetzt getan?« fragte sie anschließend das Publikum. »Ein Image ist mächtig, aber ein Image ist auch oberflächlich. Ich habe gerade Ihre Meinung von mir in sechs Sekunden völlig verändert.«
Russell erzählte, dass sie ein Unterwäschemodel sei, das für Victoria´s Secret bei Modenschauen läuft und auf den Covern der Modezeitschriften abgebildet ist. Während Russell zugibt, dass ihr das Modeln durchaus nützt – sie hat damit ihr Studium finanziert – ist ihr aber auch bewusst, dass sie »in der genetischen Lotterie gewonnen hat.«
Russell zeigte dem Publikum eine Reihe von Vorher/Nachher-Fotos. Die »Vorher«-Fotos zeigten, wie sie an jenem Tag ausgesehen hat, bevor sie zum Fotoshooting ging, während auf den »Nachher«-Fotos die fertige Anzeige zu sehen ist. Natürlich hatten beide Aufnahmen überhaupt keine Ähnlichkeit. Auf einem Foto ist Russell – zu dem Zeitpunkt sechzehn Jahre alt – in verführerischer Pose mit einem jungen Mann zu sehen, dessen Hand in der Gesäßtasche ihrer Jeans steckt (Russell hatte zum Zeitpunkt des Fotoshootings noch nie einen Freund gehabt). »Und ich hoffe, Sie sehen, dass diese Fotos keine Bilder von mir sind. Es sind Konstrukte einer Gruppe von Profis – Hairstylisten, Make-up-Künstler, Fotografen, Stylisten und all ihre Assistenten bei der Vor- und Nachbereitung. Es ist eine Konstruktion. Das bin nicht ich.«
Russell ist eine Meisterin ihres Handwerks – des Modelns. Aber ihre Leidenschaft gilt nicht dem Modeln. Wofür sie jedoch Leidenschaft hegt, ist das Steigern der Selbstachtung junger Mädchen und darum stellt sie eine Bindung zum Publikum her. Leidenschaft ist ansteckend. »Der wahre Grund, warum ich Model geworden bin, liegt daran, dass ich in der genetischen Lotterie gewonnen und ein Erbe in Empfang genommen habe. Vielleicht fragen Sie sich, worin dieses Erbe besteht? Nun, in den letzten Jahrhunderten haben wir Schönheit nicht nur als gesund, jugendlich und symmetrisch definiert, worauf wir biologisch programmiert sind, sondern auch als groß, schlank, feminin und hellhäutig. Dieses Erbe wurde für mich geschaffen, und es ist ein Erbe, das ich mir zunutze mache.«
Dank ihres Aussehens wurde Russell Model; ihre Leidenschaft machte sie zu einer erfolgreichen Sprecherin.
Russell und Mullins erhielten eine Plattform, weil sie Meisterinnen auf ihren Gebieten sind, aber sie stellen eine Verbindung mit ihren Zuhörern her, weil sie Leidenschaft für ihre Themen hegen. Was die Leidenschaft eines Redners antreibt, hat nicht immer mit seiner täglichen Arbeit zu tun. Russell hat nicht über das Posieren für Fotos gesprochen und Mullins nicht über ihre Wettkämpfe als Leichtathletin. Und doch haben beide die Rede ihres Lebens gehalten.
Die berühmtesten TED-Redner haben etwas mit den fesselndsten Kommunikatoren jedes Bereiches gemeinsam – eine Leidenschaft, eine Obsession, die sie mit anderen teilen müssen. Diese Menschen sind dazu berufen, ihre Ideen mitzuteilen.
Menschen können andere nicht begeistern, solange sie nicht selbst begeistert sind. »In unserem Kulturkreis neigen wir dazu, das Denken und die geistigen Fähigkeiten mit Erfolg und Leistung gleichzusetzen. Was die Meister eines Gebiets von den vielen anderen, die nur einen Job erledigen, unterscheidet, ist dabei eher eine emotionale Eigenschaft«9, schreibt Robert Greene in Perfekt: Der überlegene Weg zum Erfolg. »Der Grad unserer Leidenschaft, Geduld, unseres Durchsetzungsvermögens und Selbstvertrauens spielt für den Erfolg eine ungleich größere Rolle als unser logisches Denkvermögen. Wer motiviert und energiegeladen ist, kann fast jedes Hindernis überwinden. Sind wir aber ruhelos und gelangweilt, dann verschließt sich unser Geist und wir werden immer passiver.« Motivierte und energiegeladene Redner sind immer interessanter und einnehmender als gelangweilte und passive.
Ich werde häufig gebeten, mit CEOs an wichtigen Produkteinführungen oder Initiativen zu arbeiten, und ihnen dabei zu helfen, ihre Brand Stories wirkungsvoller und überzeugender zu erzählen. Ich reise um die Welt, um Marken wie Intel, Coca-Cola, Chevron, Pfizer und viele andere Unternehmen aus fast jeder Produktgruppe zu besuchen. In jeder Sprache, auf jedem Kontinent, in jedem Land sind es jene Sprecher, die aufrichtig ihre Leidenschaft und Begeisterung für das Thema ausdrücken, die als inspirierende Führungspersönlichkeiten herausragen. Mit ihnen wollen die Kunden Geschäfte machen.
Jahrelang habe ich meinen Kunden zu Beginn des Coachings folgende Frage gestellt: Was ist Ihre Leidenschaft? In der Anfangsphase des Entwickelns einer Geschichte mache ich mir weniger Gedanken über das Produkt, als darüber, warum der Redner Feuer und Flamme für das Produkt oder die Dienstleistung ist. Howard Schultz, der Gründer von Starbucks, erzählte mir einst, dass seine Leidenschaft weniger dem Kaffee gilt als vielmehr dem »Schaffen eines dritten Ortes neben der Arbeit und dem Zuhause, einem Ort, an dem Angestellte mit Respekt behandelt und herausragenden Service anbieten würden.« Kaffee ist das...