2 | | Therapeutisches Arbeiten mit Pfeil und Bogen |
Nach dem anfänglichen Ausprobieren und Lernen der praktischen Grundlagen des Intuitiven Bogenschießens, wie im ersten Teil dieses Buchs dargestellt, sind zwar gute Voraussetzungen für eine sich anschließende therapeutische Arbeit geschaffen. Dennoch muss sich erst zeigen, ob ein Patient sich darauf einlassen möchte.
Es kommt auch vor, dass jemand damit zufrieden ist, das Bogenschießen kurz kennengelernt zu haben, sich für die interessante Erfahrung bedankt und wieder anderen Dingen zuwendet. Anderen hat es so gut gefallen, dass sie es als eine neue Sportart oder Hobby weiterführen und zumindest für eine Zeit zu einem Teil ihres Lebens machen möchten. Das ist natürlich als Bereicherung zu begrüßen. Es hätte jedoch genauso gut das erfreuliche Ergebnis von Schnupperstunden in einem Verein oder bei einer Freizeitveranstaltung sein können, hier handelte es sich eben um ein Bogenschießen mit Patienten.
Im therapeutischen Kontext eröffnet sich jedoch für diejenigen, die sich vom Bogenschießen angesprochen fühlen, auch noch die Möglichkeit, es zu einem Teil ihrer Therapie werden zu lassen.
Aus einem Bogenschießen mit Patienten wird nun dadurch ein Therapeutisches Bogenschießen, dass der Patient mit Hilfe des Therapeuten der besonderen, persönlichen Bedeutung nachgeht, die Bogenschießen bzw. ein Teil des Bogenschießens für ihn in seinem jetzigen Leben hat. Therapeutisches Bogenschießen dient dem Erkennen und genaueren Verstehen von Problemen, bietet Möglichkeiten zur konstruktiven Veränderung und positiven Entwicklung, unterstützt die Person und bringt sie voran in ihrem speziellen therapeutischen Prozess.
Dieses Therapeutische Bogenschießen soll mit seinen vielfältigen Möglichkeiten praxisbezogen und mit zahlreichen Beispielen dargestellt werden.
Ich beginne mit der grundlegenden Unterscheidung zweier therapeutischer Ebenen, die auch methodisch eine unterschiedliche Vorgehensweise erfordern, und mit allgemeinen Hinweisen zur therapeutischen Beziehung und Kommunikation.
2.1 Die therapeutischen Ebenen des Bogenschießens
2.1.1 Bogenschießen als Ressource
Zum einen kann Bogenschießen auf der Ressource-Ebene therapeutisch wertvoll werden. In diesem Fall zeigt sich, dass es für die Person sinnvoll ist, Bogenschießen öfter und regelmäßig zu praktizieren, da es ein gesundes Gegengewicht und einen Ausgleich zu belastenden Dingen zu schaffen vermag. Es stärkt die gesunden Anteile der Person und unterstützt den Heilungsprozess. Im besten Fall: Es behebt ein Symptom.
Dieser therapeutische Bereich schließt sich gut an die grundlegende Erfahrung mit dem technischen Lernen des Bogenschießens an. Wenn jemand sich schon in der Lernphase vom Bogenschießen angesprochen fühlt, ist anzunehmen, dass er bestimmte Punkte als erfreulich, gesundheitlich positiv, beruhigend oder stärkend erlebt. Und es wurden, wie im vorhergehenden Kapitel dargestellt, auch schon einige eventuell wünschenswerte, gesündere Einstellungen eröffnet, die nun vom Patienten aufgegriffen, modellhaft geübt und als Ressource genützt werden können.
Dem ist aber beim therapeutischen Arbeiten genauer nachzugehen. Es geht nicht nur darum, sich irgendwie eine Zeit lang besser zu fühlen, etwa unterhaltsam abgelenkt zu sein. Sondern es gilt, herauszufinden, was genau am Bogenschießen einen wirklichen, dauerhaften Ausgleich zum Problem bedeuten kann, und diese Ressource dann ausreichend zu entwickeln, zu stärken und zu stabilisieren. Dann kann das regelmäßige Ausüben des Bogenschießens zu einer tatsächlichen Gesundung beitragen.
Im Kapitel „Therapeutisches Bogenschießen auf der Ressource-Ebene“ wird an den Beispielen deutlich werden, wie vielseitig und speziell die im Bogenschießen enthaltenen persönlichen Ressourcen beschaffen sein können.
2.1.2 Bogenschießen als Spiegel der Seele
Beim Bogenschießen eröffnet sich aber auch in besonderer Weise die Möglichkeit, sich selbst besser kennenzulernen und weiterzuentwickeln. Spezielle Schwierigkeiten beim Ablauf des Bogenschießens können aktuelle Probleme, Themen und problematische Muster, die mit der ganzen Persönlichkeit und dem ganzen Leben zu tun haben, spiegeln und einen Ansatz zur therapeutischen Bearbeitung bieten.
Mit dem Spiegeln befinden wir uns im Bereich der Metaphorik. Typischerweise ist nämlich der für die Person schwierige Teil des Bogenschießens die konkret gewordene Metapher für eine persönliche Problematik.
Oft ist das therapeutische Thema, das sich da auch beim Bogenschießen bemerkbar macht, der Patientin bzw. dem Patienten schon lange bewusst. Aber es ist auch möglich, dass es beim Bogenschießen erstmals erkennbar wird und genauer geklärt werden kann, so dass Bogenschießen einen regelrechten diagnostischen Wert bekommt.
Darüber hinaus bietet die aufschlussreiche Schwierigkeit beim Bogenschießen die Chance, am therapeutischen Thema weiterzuarbeiten und eine persönliche Weiterentwicklung in Gang zu setzen.
Die Vorgehensweise entspricht dem Grundgedanken der Psychosomatik, ein konkretes Symptom (hier: die Schwierigkeit beim Bogenschießen) als Botschaft zu betrachten, die gehört und beachtet werden sollte. Es geht also gerade nicht darum, das Symptom wegzumachen, wie in einer medizinischen Behandlung etwa durch ein Medikament (hier: die Schwierigkeit beim Bogenschießen als rein technisches Problem betrachten und in den Griff bekommen sowie weg-üben). Durch das Hören auf die Botschaft kommt der Patient bei gutem Therapieverlauf den Zusammenhängen auf die Spur und entdeckt das zugrundeliegende Problem. Er kann sich dann auf dieser wesentlichen Ebene verändern, indem er Alternativen entwickelt und dauerhaft in seinem Erleben und Verhalten verankert.
Dieser Entwicklungsverlauf wird hier durch das Bogenschießen gebahnt, es stellt das Feld der Auseinandersetzung mit dem Problem dar und, in Verbindung mit dem therapeutischen Gespräch, das Medium der Thera-pie. Das ist therapeutisches Arbeiten mit Pfeil und Bogen. Im besten Fall: Es löst das Problem.
Die ausführlichere Darstellung und die praktischen Beispiele des Kapitels „Therapeutisches Bogenschießen auf der Problem-Ebene“ werden diese Grundgedanken entfalten und anschaulich machen.
Doch vorweg sollte der grundlegende methodische Unterschied schon angesprochen sein: Auf der Problem-Ebene ist es nicht vorgesehen, das Bogenschießen regelmäßig auszuüben, sondern Pfeil und Bogen werden in der aktuellen Stunde zum therapeutischen Werkzeug – wie Pinsel und Farbe in der Maltherapie.
Der Unterschied zwischen ressourcen-orientierter und problem-lösen-der Vorgehensweise soll hier auch schon einmal exemplarisch verdeutlicht werden am Beispiel Rückenschmerzen.
Bei einem Patienten mit Rückenschmerzen heißt ressourcen-orien-tiert arbeiten herausfinden, was den Schmerzen direkt entgegenwirkt. Das könnte z. B. ein guter Stand sein mit aufrechter Haltung, der die Wirbelsäule stabilisiert und die relevanten Muskeln kräftigt.
Wenn diese hilfreiche Ressource entdeckt ist, richtet sich die therapeutische Vorgehensweise darauf, die Ressource möglichst noch zu intensivieren und zu sichern, auch durch wiederholtes Üben. Schließlich sollte die Person das Bogenschießen, das ihr in so wertvoller Weise gut tut, mitnehmen und möglichst oft und regelmäßig praktizieren.
Oftmals funktioniert dies hervorragend: Wenn das Symptom zugleich selbst das Problem ist, d. h. wenn kein relevanter psychischer Zusammenhang dahinter steckt, dann ist ressourcen-orientiertes Arbeiten das Mittel der Wahl.
Wenn allerdings das Symptom Ausdruck eines Problems ist, kann ein solches Arbeiten am Symptom keine durchgreifende Lösung bringen.
Problemlösendes Arbeiten bei Patienten mit Rückenschmerzen orientiert sich an der psychischen Thematik, die hinter dem Symptom Schmerz verborgen ist, ihn immer wieder verursacht, verstärkt oder aufrechterhält.
Hier richtet sich die therapeutische Vorgehensweise also zuerst auf die Frage nach den Schwankungen der Symptomatik und nach möglichen Zusammenhängen.
Dabei könnte eine Person z. B. entdecken, dass verstärktes Auftreten des Schmerzes mit einem aggressiven Gefühl zusammenhängt und dieses wiederum mit bestimmten Situationen.
Dann wird mit dem Medium Bogenschießen an diesem Gefühl bzw. die-sen Situationen gearbeitet.
Das kann etwa so aussehen, dass die Fähigkeit zum freien Ausdrücken des Gefühls entwickelt wird, indem die Person das Gefühl in den Pfeil legt und ihn dann fliegen lässt (Zu weiteren therapeutischen Möglichkeiten und zur möglichen Vorgehensweise im Einzelnen siehe besonders das dritte Fallbeispiel in Kapitel 2.6.5).
Mit Hilfe des Bogenschießens wird am Problem gearbeitet und nicht das Bogenschießen verbessert oder intensiviert. | |
Der therapeutische Fortschritt geschieht in dieser Stunde Bogenschießen und ist mit ihr im Wesentlichen abgeschlossen, wie es oft durch einen besiegelnden Pfeil besonders deutlich wird. Beim problemlösenden Arbeiten gibt es kein längeres Üben, und es ist auch nicht daran gedacht, dass die Person weiterhin Bogenschießen praktiziert.
Ich...