2. Akzeptanz
Während meiner Beschäftigung mit dem Resilienzkonzept bin ich auf eine interessante Differenzierung des Begriffs „Akzeptanz“ gestoßen. Das Wort Akzeptanz geht auf das lateinische „accipere“ zurück und bedeutet einerseits, dass wir etwas ganz bewusst aktiv in Empfang nehmen, annehmen, ja vielleicht sogar willkommen heißen. Gleichermaßen kann „accipere“ auch das passive Empfangen von dem bedeuten, was auch ohne unser Dazutun und unseren Willen in unserem Leben geschieht.
Für das Stärken unserer Seele ist es sinnvoll und wichtig, dass wir uns beide Seiten der Akzeptanz bewusst machen. Die passive Seite kann uns dabei helfen zu akzeptieren, dass wir nicht alles in unserem Leben steuern und bestimmen können. Dass es auch einfach Dinge gibt, die passieren. Auch wenn sie nicht durch unseren aktiven Willen in unser Leben gekommen sind: Sie gehören dazu. Sie sind da.
Die aktive Seite kann uns zu der bewussten Entscheidung führen, uns mit allem, was zu unserem Leben gehört, liebevoll anzunehmen. Akzeptanz kann hier zu einer bedingungslosen und ganz bewussten Selbstannahme werden. Wir lieben uns selbst mit allem, was wir bewusst willkommen geheißen und herbeigeführt haben, aber auch mit all dem, was einfach passiert ist, was wir empfangen haben, ohne dass wir dies aktiv wollten.
Der Resilienzfaktor Akzeptanz ist das bedingungslose Ja-Wort zu uns selbst. Zu allem, das wunschgemäß kommt und kommen soll und auch zu all dem, das wir weder planen noch vorausahnen können.
Inwieweit kann eine bedingungslose Selbstannahme bei der Bewältigung von traumatischen Erfahrungen helfen?
Meiner Erfahrung nach kann das bewusste Üben von Akzeptanz vor allem in den folgenden vier Punkten eine Hilfe sein. Diese Liste erhebt keinen Anspruch auf Vollständigkeit; Ihnen können dazu noch ganz andere Aspekte einfallen.
- Zu wissen und zu akzeptieren, dass es Dinge gibt, die einfach passieren, ohne dass wir daran selbst „beteiligt“ waren, kann helfen, sich von eventuell vorhandenen Schuldgefühlen zu befreien. Es hilft niemandem, am wenigsten uns selbst, wenn wir uns zusätzlich mit den eigenen Schmerzen martern.
- Akzeptanz bedeutet auch, die Dinge klar zu sehen wie sie sind. Schönes wie Schlimmes. Eine mutige klare Sicht auf das eigene Leben ist notwendig, um der eigenen Wahrheit angemessen zu begegnen und von Schlimmem heilen zu können.
- Die Entscheidung für eine ehrliche bedingungslose Selbstliebe kann bereits einen Teil unserer Schmerzen heilen, da wir uns ohne Vorbehalte mit allem annehmen und uns selbst mit Mitgefühl anstatt mit Vorwürfen begegnen.
- Der Schritt zur bewussten Selbstannahme führt uns aus der passiven Rolle heraus zu mehr Aktivität. Die Entscheidung, uns selbst mit all unseren Seiten und unserer ganzen Geschichte zu lieben und uns für uns selbst und für die eigene Wahrheit zu öffnen, anstatt uns von der Vergangenheit beherrschen zu lassen, kann ein großer und sehr aktiver Schritt auf dem Weg zur Heilung und zu uns selbst sein.
ÜBUNG 10: Bestandsaufnahme: Wie sehe ich meine Situation?
Ich stelle Ihnen im Folgenden einige Fragen zum Thema Akzeptanz und Eigenliebe. Nach meiner Erfahrung ist es sinnvoll, diese Übung schriftlich zu machen. Wenn Ihnen bestimmte Fragen unangenehm sind oder wenn sie alte Wunden berühren sollten, so lassen Sie diese Punkte zunächst außen vor und beginnen mit dem, was Ihnen leichter fällt.
- Wie würden Sie die Beziehung zu sich selbst beschreiben?
- Welche Eigenschaften mögen Sie besonders an sich?
- Gibt es Teile Ihrer Persönlichkeit oder bestimmte Eigenschaften, die Sie innerlich ablehnen? Falls ja, was denken Sie, woher diese Ablehnung kommt?
- Welche Eigenschaften eines Menschen werden oder wurden von Ihrem Umfeld nicht toleriert?
- Gibt es irgendetwas in Ihrem Leben, das bei Ihnen ernsthafte Schuldgefühle verursacht?
- Beschönigen Sie gern „Ihre Wahrheit“ oder geben sich stärker als Sie sind? Falls ja, wobei hilft Ihnen das?
- Haben Sie das Gefühl, manchmal gegen sich selbst anzukämpfen oder sich selbst „ein Bein zu stellen“? In welchen Situationen passiert das und was sind die Folgen?
- Wenn Sie sich vornehmen würden, zu sich selbst „netter“ zu sein, wie würde das bei Ihnen aussehen?
- Was in Ihrem Leben fällt Ihnen am schwersten anzunehmen?
- Was würde sich für Sie verändern, wenn Sie diesen Punkt (siehe Frage 9) in Ihrem Leben annehmen würden?
ÜBUNG 11: Imagination „Das Spiegelzimmer“
Für diese Übung lesen Sie sich bitte den folgenden Text zweimal durch. Versuchen Sie beim ersten Lesen einfach das Gesamtbild wahrzunehmen, ohne sich irgendetwas besonders einzuprägen. Beim zweiten Lesen achten Sie auf die Abfolge der Bilder und die Inschriften der Spiegel. Z. B.: „Schloss von außen, Schloss von innen, Spiegelzimmer, erste Inschrift, zweite, dritte und vierte.“ Danach können Sie die Imagination ohne den Text im Kopf durchspielen und den Schwerpunkt auf die Situation im Spiegelzimmer legen.
Sie können sich die Imagination auch unter http://www.junfermann.de/titel-1-1/uebungsbuch_resilienz-10191/ anhören, bis Sie ohne Anleitung von außen den Ablauf für sich durchspielen können.
Stellen Sie sich vor, dass Sie ein altes Märchenschloss besichtigen. Das Schloss liegt inmitten einer wunderbaren Landschaft und wird auf geheimnisvolle Weise von einer Sphäre aus alten Sagen und Legenden umspielt.
Malen Sie sich aus, wie das Schloss von außen aussieht. Gehen Sie in Gedanken einmal um das Schloss herum. Dann betreten Sie das alte Gemäuer. Betrachten die Verzierungen der Decken und Wände und die zum Teil noch gut erhaltenen antiken Möbel und Requisiten der verschiedenen Räume. Sie nehmen sich einen Moment Zeit, um die Eindrücke des Schlosses auf sich wirken zu lassen.
Am Ende eines langen Gangs entdecken Sie schließlich eine weiße Holztür. Sie ist etwas verzogen. Dadurch schließt die Tür nicht richtig. Durch die kleinen Öffnungen am Rahmen funkeln und gleißen kleine Lichtspeere aus dem Raum heraus. Sie werden neugierig und gehen auf die Tür zu.
Ein Schild weist den Raum hinter der Tür als das Ankleidezimmer der früheren Prinzessin aus. Sie ist nicht nur eine bildschöne Frau gewesen, sondern sie ist später vor allem auch als ausgesprochen kluge, weitsichtige und Frieden stiftende Königin in die Geschichte eingegangen. Sie betreten den Raum.
Das Ankleidezimmer der Prinzessin ist nicht besonders groß, aber so gelegen, dass zu drei Seiten Licht durch die Fenster hereinfallen kann. Die Fenster sind von ungewöhnlicher Form und auf Wunsch der Prinzessin in unterschiedlicher Höhe angebracht worden, sodass das Sonnenlicht in einem besonderen Winkel von den vielen Spiegeln, die es in dem Raum gibt, reflektiert wird. Dadurch entsteht der Eindruck, dass das ganze Zimmer glitzert und glänzt.
Es gibt mit Smaragden verzierte Handspiegel, mehrere große aufstellbare Ganzkörperspiegel und auch solche, die in die Wandschränke eingearbeitet wurden.
Sie gehen zu den Spiegeln hin und betrachten sie aus der Nähe. Alle Spiegel tragen eine kleine Inschrift in der Fassung. Sie gehen zu einem der Wandschränke. Ins Holz geritzt steht über dem integrierten großen Spiegel: Zum Wohlgefallen der anderen.
Sie sehen in den Spiegel. Und natürlich sich selbst. Allerdings sehen Sie etwas anders aus als jetzt. Sie sehen so aus, wie bestimmte andere Menschen Sie gerne sehen möchten. Vielleicht erfolgreich oder besonders hilfsbereit? Auf besondere Weise zurechtgemacht? Versuchen Sie sich vorzustellen, wie bestimmte Personen in Ihrem Leben Sie gerne sehen möchten.
Dann gehen Sie zu einem anderen Spiegel. Er trägt die Inschrift: Zu deinem Wohlgefallen.
Wie glauben Sie von sich selbst, sein zu müssen? Versuchen Sie sich vorzustellen, wie sich selbst gerne sehen.
Die Inschrift des dritten Spiegels lautet: Deine Wahrheit. Sie blicken hinein und erkennen sich selbst. Mit all Ihren Gefühlen. Mit Ihrer Liebe, mit Ihren Ängsten und Ihren Hoffnungen. Wie sieht Ihre Wahrheit wirklich aus? Das glitzernde Sonnenlicht wärmt Sie dabei und die Seele der mutigen und klugen Prinzessin ist spürbar nah bei Ihnen im Raum. Wie auch immer Ihre Wahrheit aussieht, haben Sie keine Angst vor ihr. Sie brauchen sich nicht vor sich selbst zu fürchten. Es wird Ihnen nichts geschehen.
Sie atmen kurz durch, bevor Sie zum nächsten Spiegel gehen. Über ihm steht: Dein Frieden.
Sie sehen Ihr Spiegelbild und sehen, wie Sie sich selbst zulächeln. Ihr Bild im Spiegel streckt Ihnen die Arme entgegen und berührt mit den Handinnenflächen den Spiegel, so als würde Ihr Gegenüber hinter einer Glasscheibe stehen. Sie legen Ihre Hände auf die Ihres Spiegelbildes. So bleiben Sie einen Moment. In Frieden und verbunden in einer liebenden Geste mit sich selbst.
Nun ist Ihnen klar, warum die Prinzessin später eine so kluge und Frieden stiftende Königin war.
ÜBUNG 12: Die Realitäten benennen
In der Einführung zu diesem Kapitel habe ich gesagt, dass Akzeptanz auch beinhaltet, das eigene Leben so zu sehen wie es wirklich ist. Wenn wir lernen wollen, uns mit allem ganz anzunehmen, ist es nicht besonders hilfreich, Teile unseres Lebens oder bestimmte Gefühle auszuklammern, zu beschönigen oder sie negativer zu sehen als sie sind. Sie sind wie Sie sind und Ihr Leben ist wie es ist. In dieser Übung geht es vorrangig um das Vergegenwärtigen Ihrer...