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E-Book

Umweltethik

Eine Einführung in globaler Perspektive

AutorAndreas Gösele, Johannes Wallacher, Lukas Köhler, Michael Reder
VerlagKohlhammer Verlag
Erscheinungsjahr2019
Seitenanzahl156 Seiten
ISBN9783170314696
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis22,99 EUR
The ways in which we deal with the environment have become a central topic as well in the sciences and academia, as in society in recent years. Not only debates over sustainability, but also many specific (global) challenges such as how to manage resources or climate change have made this very clear. This volume places the questions and issues that arise on four different levels: basic research in environmental ethics; environmental ethics and the political and legal field; ecological challenges and their ethical aspects; and cultural aspects of environmental ethics. The volume is completed by a view on the prospects for a future ethics of the environment.

Prof. Michael Reder, Dr. Andreas Gösele SJ, Dr. Lukas Köhler and Prof. Johannes Wallacher teach at the Munich School of Philosophy.

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Leseprobe

3.  Umweltethik und Entwicklung


3.1  Nachhaltigkeit als umweltethisches Leitprinzip


3.1.1  Nachhaltige Entwicklung


Die Begriffe »Nachhaltigkeit« oder »nachhaltige Entwicklung« gehören zu den heute einflussreichsten umweltethischen und -politischen Konzepten. Ein aktuelles Beispiel für die politische Bedeutung ist die »2030-Agenda für nachhaltige Entwicklung« (VN 2015), die am 25. September 2015 von der Vollversammlung der Vereinten Nationen beschlossen wurde. Die Staatengemeinschaft setzt sich dabei 17 ehrgeizige, umfassende Entwicklungsziele und 169 operationalisierbare Unterziele, die man bis 2030 umsetzen will.

Dabei sollen wirtschaftliche, soziale und ökologische Belange so verbunden werden, dass weltweit und auf Dauer alle Menschen ein erfülltes Leben – frei von Armut in allen Formen, frei von Hunger, Krankheit, Furcht, Gewalt – führen können und die Menschenrechte für alle verwirklicht sind. Die Agenda ist anthropozentrisch (sie stellt »die Menschen in den Mittelpunkt«) und sieht in der »Beseitigung der Armut in allen ihren Formen [ ...] die größte globale Herausforderung [ ...] und eine unabdingbare Voraussetzung für eine nachhaltige Entwicklung« (VN 2015).

Angesichts der ökologischen Gefahren, die vom gegenwärtigen Entwicklungspfad der Menschheit ausgehen, schließt die Agenda auch ökologische Ziele ein und erklärt die Entschlossenheit,

»den Planeten vor Schädigung zu schützen, unter anderem durch nachhaltigen Konsum und nachhaltige Produktion, die nachhaltige Bewirtschaftung seiner natürlichen Ressourcen und umgehende Maßnahmen gegen den Klimawandel, damit die Erde die Bedürfnisse der heutigen und der kommenden Generationen decken kann.« (VN 2015)

Die Agenda 2030 spricht von drei Dimensionen von nachhaltiger Entwicklung – der wirtschaftlichen, sozialen und ökologischen – und zielt an, nachhaltige Entwicklung in einer ausgewogenen und integrierten Art und Weise zu erreichen. Diese Betonung von drei Dimensionen der nachhaltigen Entwicklung darf als ein Markenzeichen des offiziellen internationalen Nachhaltigkeitsdiskurses gelten und zielt darauf, unterschiedliche Ziele, Schwerpunkte und Interessen unter einen Hut zu bringen.

Die dreidimensionale Sicht der nachhaltigen Entwicklung findet sich sachlich schon in dem sogenannten Brundtland-Bericht der Weltkommission für Umwelt und Entwicklung der Vereinten Nationen, dem auch die klassische Definition von nachhaltiger Entwicklung entstammt:

»Dauerhafte Entwicklung [engl.: sustainable development] ist Entwicklung, die die Bedürfnisse der Gegenwart befriedigt, ohne zu riskieren, dass künftige Generationen ihre eigenen Bedürfnisse nicht befriedigen können. Zwei Schlüsselbegriffe sind wichtig:

• Der Begriff von ›Bedürfnisse‹, insbesondere der Grundbedürfnisse der Ärmsten der Welt, die die überwiegende Priorität haben sollten;

• und der Gedanke von Beschränkungen, die der Stand der Technologie und sozialen Organisation auf die Fähigkeit der Umwelt ausübt, gegenwärtige und zukünftige Bedürfnisse zu befriedigen.« (Hauff 1987, 46)

In diese Definition sind – über die zwei Schlüsselbegriffe – die soziale Dimension (Priorität der Grundbedürfnisse der Armen) und die ökologische Dimension (Beschränkungen der Fähigkeit der Umwelt, Bedürfnisse zu befriedigen) explizit aufgenommen. Der Bericht als Ganzer zeigt aber, welche Rolle die Kommission auch der wirtschaftlichen Entwicklung und dem wirtschaftlichen Wachstum zumisst.

Von hier aus ist es möglich, eine Zuordnung der drei Dimensionen vorzunehmen, die ihre jeweilige Rolle verdeutlicht:

• Die ökologische Dimension beschreibt eine Grenze, in deren Rahmen sich der Entwicklungsprozess bewegen muss. Diese Grenze ist nicht fixiert, da sie unter anderem von der Technologie und sozialen Organisation abhängt, aber bindend, wenn die Möglichkeiten zukünftiger Entwicklung nicht einem zu großen Risiko ausgesetzt oder direkt zerstört werden sollen.

• Die soziale Dimension beschreibt das Ziel der Entwicklung, die Befriedigung der Bedürfnisse zukünftiger und gegenwärtiger Generationen mit einer besonderen Priorität für die Armen.

• Die wirtschaftliche Entwicklung und wirtschaftliches Wachstum sind Mittel, das Ziel zu erreichen.

Für die Kommission verlangt nachhaltige Entwicklung die Berücksichtigung von Fragen der intergenerationalen und intragenerationalen Gerechtigkeit. Auch diese Verknüpfung mit Fragen der Gerechtigkeit ist bis heute prägend für das Konzept der nachhaltigen Entwicklung.

3.1.2  Terminologisches und historisches Zwischenspiel


Das »Deutsche Wörterbuch« definiert 1889 »nachhaltig« als »auf längere Zeit anhaltend und wirkend«. Auch heute kann nachhaltig in diesem Sinn verwendet werden. »Nachhaltigkeit« bedeutet dann einfach eine über »längere Zeit anhaltende Wirkung« (Dudenredaktion o. J.). Damit hängt die oft beklagte Inflation des Begriffs zusammen, da das Wort heute sprachlich korrekt auch völlig unabhängig von Fragen der Ökologie gebraucht werden kann.

Der Begriff findet sich zum ersten Mal – allerdings in der Form »nachhaltend« – in der Sylvicultura oeconomica des kursächsischen Berghauptmannes Hans Carl von Carlowitz:

»Wird derhalben die größte Kunst, Wissenschaft, Fleiß und Einrichtung hiesiger Lande darinnen beruhen, wie eine sothane [solche] Conservation und Anbau des Holzes anzustellen, daß es eine continuierliche, beständige und nachhaltende Nutzung gebe: weiln es eine unentbehrliche Sache ist, ohne welche das Land in seinem Esse [guten Zustand] nicht bleiben mag.« (von Carlowitz 1713, 105 f.)

Das Werk war eine Antwort auf eine damalige ökologische Krise: Sachsen war ökonomisch vom Silberbergbau abhängig und verbrauchte dafür gewaltige Mengen an Holz. Die Umgebung der Bergwerke war schon weitgehend abgeholzt und es wurde immer schwerer, Holz zu beschaffen. Der Silberbergbau war in seiner Existenz bedroht (Grober 2002). Carlowitz (1713, 44) beklagte, dass »binnen wenig Jahren in Europa mehr Holtz abgetrieben worden, als in etzlichen seculis [etlichen Jahrhunderten] erwachsen« und zitiert zustimmend einen nicht benannten Autor, der eine Katastrophe voraussieht:

»Es ist an dem, daß nicht aller Orten ein Uberfluß, sondern ein grosser Mangel an Holtze ist, welches man gewiß vor ein rechtes Zorn-Gerichte des grossen Gottes anzusehen hat. Es scheinet auch nunmehr Philippi Melanchthonis Propheceyung ihre Erfüllung zu haben, daß nehmlich am Ende der Welt man an Holtze grosse Noth leiden werde.« (von Carlowitz 1713, 50)

Bei Wilhelm Gottfried Moser (1757, 31) findet sich eine frühe Verwendung von »nachhaltig«:

»Und dieses [die Krise eines schmerzlich gefühlten Holzmangels] hat uns nunmehro gedrungen, 1. Auf eine nachhaltige Wirtschaft mit unsern Wäldern. 2. Auf Holzsparkünste, 3. auf Nachpflanzen und neuen Holz-Anbau sowol in einzeln, als in denen Blössen der Wälder, theils vor uns, theils vor unsere Kinder und Nachkommen zu denken: und dieses ist so vernünftig, gerecht, klug und gesellschaftlich, je gewisser es ist, daß kein Mensch nur blos für sich, sondern auch für andere und für die Nachkommenschaft leben müsse.«

In einer Publikation aus dem Jahr 1804 findet sich schließlich direkt das Wort Nachhaltigkeit:

»Es läßt sich keine dauerhafte Forstwirthschaft denken und erwarten, wenn die Holzabgabe aus den Wäldern nicht auf Nachhaltigkeit berechnet ist. Jede weise Forstdirection muss daher die Waldungen des Staates [ ...] so hoch als möglich, doch so zu benutzen suchen, daß die Nachkommenschaft wenigstens eben so viel Vortheil daraus ziehen kann, als sich die jetzt lebende Generation zueignet.« (Hartig 1804, 1)

Diese Texte sind nicht einfach literarische Kuriositäten, sondern sie haben eine systematische Umorientierung des Umgangs mit der Ressource Wald in weiten Teilen Europas begleitet. Wälder wurden wieder aufgeforstet, vermessen, systematisch und – so eine Verfügung der Herzogin Anna Amalia von Sachsen-Weimar – nach »Grundsätzen der Forstwirtschaft« gepflegt und Alternativen zur Nutzung von Holz, z. B. für den Silberbergbau, gesucht. Diese Lösungen selbst waren aber nicht unproblematisch: Die neuen Wälder wurden i. d. R. als Monokulturen angelegt und die Alternative zur Holzverwendung war u. a. Kohle (Grober 2002, 2010).

Dieser Rückblick auf die frühe Verwendung des Nachhaltigkeitsbegriffs in der forstwirtschaftlichen Literatur zeigt, dass von Anfang an drei Elemente zentral waren: Erstens war die Idee der Nachhaltigkeit eine Antwort auf eine ökologische Krise. Zweitens hatte der Begriff eine klare ökonomische Orientierung: Es ging um die nachhaltige wirtschaftliche Nutzung des Waldes. Und drittens war der Begriff eng mit einer ethischen Überzeugung verbunden: Der Überzeugung von ethischen Verpflichtungen sowohl gegenüber kommenden Generationen als auch gegenüber Menschen der gegenwärtigen Generation.

Schon Anfang des 19. Jahrhundert wurde der zunächst forstwirtschaftliche Begriff verallgemeinert und auf die Landwirtschaft übertragen. Aus der deutschen Forstwissenschaft wurde der Begriff des »nachhaltigen Ertrags« ebenfalls im 19. Jahrhundert als Lehnübersetzung in die englische Literatur übernommen, zunächst als »sustained yield« und später als »sustainable ­yield«. In der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts hat der Begriff »sustainability« seine Ausweitung auf das gesamte Mensch-Ökonomie-Natur-Verhältnis erfahren und wurde dann ins Deutsche als...

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