Vorwort
Autobahn 8, Anfang Mai 2002, unterwegs von San Diego nach Osten.
Seitdem ich angefangen hatte, gegen die Dago Hells Angels zu ermitteln, hatten mir Leute, denen ich vertraute, immer wieder geraten, meine Koffer zu packen und Südkalifornien zu verlassen. Das könne nur böse enden, hatten sie gesagt. Jetzt, zwei Jahre danach, befolgte ich endlich ihren Rat, und zwar ziemlich schnell.
Ich hielt mich nicht einmal groß mit Packen auf. Ich schmiss einfach ein paar Kleider, einige Papiere, meinen Computer und ein paar CDs für die Fahrt in meinen Nissan-Pick-up, rief meinen Hund und fuhr nach Osten in die Wüste.
Der Abschied von meinen Betreuern bei der Polizei war kurz gewesen. Sie hatten mich gebeten, noch eine Nacht in der Gegend von San Diego zu verbringen, damit wir ein Abschiedsessen veranstalten konnten. Ich ließ sie daher für mich ein Zimmer in einem Motel buchen, aber als ich dann in meinem Auto saß und unterwegs war, hatte ich keine Lust mehr auf einen Zwischenstopp.
Der Abschied von meinen Bikerkumpels war noch abrupter gewesen: Ich hatte sie mit kreischenden Reifen und in einer Wolke aus verbranntem Gummi verlassen, nachdem Bobby Perez, das unberechenbarste und bösartigste Mitglied der San Diego – oder Dago – Hells Angels, mir gezeigt hatte, dass die Dinge einen unangenehmen Verlauf nehmen würden.
Einige Tag zuvor hatte er mich gebeten, seine Waffe – eine kleine Bersa.380 – von Laughlin in Nevada nach El Cajon in Kalifornien zu bringen, nachdem drei Biker in einem Kasino erschossen worden waren. Ich wusste nicht, ob die Bersa bei der Schießerei benutzt worden war oder ob Bobby sie nur nicht selbst über die Staatsgrenze bringen wollte. Immerhin war er auf Bewährung frei und hätte Kalifornien eigentlich nicht einmal verlassen dürfen, geschweige denn mit Kriminellen Kontakt haben. Seine Bitte, die Waffe ins heimische Revier der Dago Hells Angels zurückzubringen, war auf jeden Fall ein enormer Vertrauensbeweis. Doch als meine Kontaktleute bei der Polizei die Waffe beschlagnahmten und erklärten, dass sie mir nicht erlauben könnten, sie einem verurteilten Straftäter zurückzugeben, vermasselten sie mir jede Möglichkeit, noch tiefer ins Allerheiligste der Gang einzudringen. »Sagen Sie Bobby, dass Sie das Ding vergraben mussten«, rieten sie mir. »Oder dass Sie es verloren haben. Egal was, denken Sie sich etwas aus.«
Etwas Dümmeres hätten sie nicht tun können, zumal die kleine Waffe Bobby offenbar sehr wichtig war. Als er mich bei einem Treffen spätabends auf einem Parkplatz in El Cajon danach fragte, vertröstete ich ihn mit der Behauptung, ich hätte sie ganz unten im Motor meines Autos versteckt und noch keine Zeit gehabt, sie herauszuholen. Bobby sah mich wütend an und befahl mir dann: »Bring sie morgen um zehn Uhr in die Bar!«
Am nächsten Morgen sollte eine Gedenkfahrt stattfinden, denn einige Tage zuvor war ein Biker umgekommen. Christian Tate, ein Mitglied der Dago Hells Angels, war auf seinem Motorrad von hinten erschossen worden, als er von Laughlin nach Kalifornien gefahren war, etwa eine Stunde vor dem Schusswechsel im Kasino. Und Bobby brauchte die .380 offenbar für diese Fahrt.
Nach der Szene auf dem Parkplatz überlegte ich, ob es nicht besser wäre, den Dago-Fall aufzugeben. Er hatte sich seit einiger Zeit nach Süden ausgeweitet, schon bevor die stümperhafte und streng geheime Polizeiaktion gegen einen Drogentransport der Hells Angels in der Wüste zu wer weiß wie vielen Leichen geführt hatte. Ich hatte vier Biker und zwei Polizisten sterben sehen, bevor man mich schließlich aus diesem Schlamassel herausholte.
In diesem Fall hatte es von Anfang an kein klares Ziel gegeben. Er hatte 1999 mit Ermittlungen gegen einen Quebecer begonnen, der verdächtigt wurde, Kokain von Kolumbien nach Kalifornien und dann mit Unterstützung der Dago Hells Angels nach Kanada zu schmuggeln. Aber der Kerl war einen Tag vor meiner Ankunft in Kalifornien verschwunden. So war aus dem Fall eine Unterwanderung der Dago Angels geworden – wir sammelten Informationen, ohne damit gezielt die Festnahme und Verurteilung von Ganoven zu planen. Um mit der Gang Kontakt aufzunehmen, eröffnete ich ein Fotostudio und spezialisierte mich auf Bewerbungsmappen für Stripperinnen, »Bikepornos« – Bilder von üppig verchromten Harleys vor der untergehenden Sonne – und Ähnliches. Mit der Zeit luden mich immer wieder Gangmitglieder und ihr Umfeld als Fotograf zu Partys und Versammlungen ein. Natürlich durfte ich dabei keinen Biker kompromittieren, ich hütete mich also davor, jemanden zum Beispiel mit der Nase in einem großen Haufen Kokain zu knipsen.
Nach einigen Monaten begann ich dann, von Leuten, die mit der Gang in Verbindung standen, Kokain und Crystal in moderaten Mengen zu kaufen. Außerdem erwarb ich gestohlene Autos und Waffen: vollautomatische Maschinenpistolen, M-16-Gewehre, umgebaute SKS-Karabiner, Handgranaten und so weiter. Ich gab mich als krimineller Mittelsmann aus, der sich für beinahe alles interessierte, was Geld einbrachte. Dank dieser Käufe entwickelte sich unser kleiner Fall weiter, und wir strebten nun Festnahmen und Verurteilungen an.
Trotzdem war das Ziel immer noch nicht genau umrissen, außerdem neigten meine Kontaktleute zu gefährlichen spontanen Entscheidungen. Im Laufe von zwei Jahren sammelte ich Informationen über korrupte Soldaten, die Gewehre verscherbelten, mexikanische Grenzgänger, die Waffen und Menschen schmuggelten, und russische Mafiosi. Nebenbei kümmerte ich mich um die Hells Angels und ihre Verbündeten. Das Problem war, dass wir wegen dieser vielen verschiedenen Einsatzbereiche nie einen Endpunkt bestimmen konnten, einen Punkt, an dem es hieß: »Gut, jetzt wissen wir genug und es ist Zeit aufzuhören.«
Schlimmer noch: Ich hatte schon früh den vagen Verdacht, dass Operation Five Star nicht vertrauenswürdig war. Gemeint ist die Einsatzgruppe, für die ich arbeitete und die aus Leuten aus der Drug Enforcement Administration (DEA; Bundesbehörde zur Drogenbekämpfung), dem Bureau of Alcohol, Tobacco, Firearms and Explosives (ATF; Behörde für die Überwachung von Alkohol, Tabak, Schusswaffen und Sprengstoffen), dem Sheriffbüro von San Diego und der Stadtpolizei von San Diego und El Cajon bestand. Anscheinend sickerten Informationen an die falschen Leute durch. Anfangs war es nur ein Bauchgefühl ohne greifbare Beweise. Aber im Herbst 2001 rief mich ein bekannter FBI-Chef aus San Francisco an, der schon eine Menge Biker festgenommen hatte, und bat mich um eine Unterredung. Wie sich herausstellte, hatte er den gleichen Verdacht.
Das alles hätte mich zusammen mit der Schießerei in der Wüste eigentlich veranlassen sollen, aus diesem Fall auszusteigen, und zwar schon bevor Bobby Perez mir befahl, ihm seine Waffe zurückzugeben. Aber ich führe gerne zu Ende, was ich angefangen habe, und meine Sicherheit war nie ernsthaft bedroht gewesen. Außerdem wurde ich gut bezahlt: 5000 Dollar plus Spesen im Monat, genug, um für meine zweite Frau und meine Tochter ein neues Haus in Kanada zukaufen.
Die Begegnung auf dem Parkplatz überzeugte mich schließlich doch davon, dass der Fall zumindest für mich mit ziemlicher Sicherheit beendet war. Trotzdem nahm ich aus irgendeinem Grund an, dass ich den unvermeidlichen Streit mit Bobby um wenigstens einen oder zwei Tage hinauszögern konnte. Also fuhr ich am nächsten Tag um Punkt zehn Uhr auf das Gelände am El Cajon Boulevard, das praktisch den Hells Angels gehörte. Dort standen ihr Clubhaus, das »Dumont’s«, besser bekannt als »die Bar«, und Stetts Motorradgeschäft.
Als ich vorfuhr, lungerten bereits Hunderte von Bikern auf dem Gehweg vor der Bar herum. Und mittendrin stand Bobby. Ich parkte vor einem Hydranten, ohne den Motor abzustellen.
Schon während ich auf Bobby zuging, merkte ich, dass er heute wohl besonders schlecht gelaunt war.
»Hast du sie mitgebracht?«, fragte er.
»Ich finde sie nicht mehr«, sagte ich. »Sie muss während der Fahrt auf die Straße gefallen sein.«
Bobby begann zu zittern. »Komm mit mir nach hinten«, knurrte er. Ich wusste, was sich dort oft abspielte, und hatte keine Lust, mitzugehen.
»Klar«, antwortete ich und drehte mich um, »aber zuerst muss ich richtig parken und den Motor abstellen. Bin gleich wieder da.« Dann sprang ich schnell in mein Auto und fuhr los.
Bobby schrie einem Typen zu, dass er mich aufhalten solle. Und tatsächlich zog der Kerl an der Tür auf der Beifahrerseite, aber sie war zum Glück abgesperrt. Als ich Vollgas gab, ließ er los. Dann raste ich davon, fuhr in mein Studio, um ein paar wichtige Sachen zu holen, und war wieder unterwegs.
In einem schlechten Roman würde der nächste Satz vielleicht lauten: »Eine Woge der Erleichterung umspülte mich, als ich in die reine, klare Wüstenluft fuhr, weg von der Gefahr und dem Verrat der vergangenen zwei Jahre.« Aber wenn ich überhaupt so etwas wie Erleichterung verspürte, dann war es eher ein Tröpfeln als eine Woge. Natürlich war es ein gutes Gefühl, El Cajon und San Diego zu verlassen und mein Leben wieder...