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E-Book

Unfair! Für eine gerechte Globalisierung

Für eine gerechte Globalisierung

AutorGerd Müller
VerlagMurmann Publishers
Erscheinungsjahr2017
Seitenanzahl192 Seiten
ISBN9783867745802
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis9,99 EUR
Sie schuften für 50 Cent am Tag, damit wir unseren Kaffee und unsere Schokolade genießen können - und sollen selbst zurückbleiben in Armut, ohne gerechten Anteil am Wohlstand der anderen? Dass viele, vor allem junge Menschen aus Afrika, die Flucht Richtung Europa ergreifen - wen wundert es? Es fehlt uns heute weder an Wissen, noch an Technologien, noch an Geld, um endlich zu mehr Fairness gegenüber den unterentwickelten Ländern dieser Welt zu kommen. Was wir brauchen: Zupacken und Lösungen umsetzen. Gefragt ist ein neuer Politikertyp. Einer wie Gerd Müller, der jenseits parteipolitischer Grenzen und ideologischer Zwänge in aller Welt Zeichen setzt. Denn während der Wohlstand der Globalisierungsgewinner wächst, leben immer mehr Menschen in Entwicklungsländern unter menschenunwürdigen Verhältnissen ohne Wasser- und Energieversorgung - gleichzeitig sehen sie Dank der Digitalisierung wie ein Leben im reichen Europa aussehen kann. Das will Gerd Müller ändern. In seinem Buch plädiert der Bundesminister für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung für eine gerechte Globalisierung für alle. In 'Unfair. Für eine gerechte Globalisierung' fordert er eine gerechte Weltordnung mit einem fairen Interessenausgleich. Er findet klare Worte für die Missstände, zeigt aber auch Perspektiven und Lösungen. Gemeinsam mit dem Bundesministerium für Entwicklung und Zusammenarbeit hat er einen Marshallplan mit Afrika entwickelt, der die wirtschaftliche Entwicklung afrikanischer Staaten vorantreiben soll. Wer verstehen will, vor welchen gigantischen Herausforderungen die Menschheit steht und was zu tun ist, sollte dieses Buch lesen!

Dr. Gerd Müller, geb. 1955, war von 1989 bis 1994 als Abgeordneter im Europäischen Parlament tätig. Seit Herbst 1994 ist Gerd Müller Mitglied des Deutschen Bundestages. Von 2005 bis 2013 war er Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz, wo er unter anderem für internationale Ernährungssicherung zuständig war. Im Dezember 2013 wurde er zum Bundesminister für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung berufen. Seit 2009 ist er Honorarprofessor für Internationale Agrarpolitik an der Hochschule für Technik und Wirtschaft in Dresden. Als Bundesminister setzt er sich besonders für den Chancenkontinent Afrika ein. Mit der Vorstellung des Marshallplanes mit Afrika wurde so ein umfassender Konsultationsprozess eingeleitet. Er initiierte den Zukunftscharta-Prozess, die Gründung des Textilbündnisses sowie die Sonderinitiative EINEWelt ohne Hunger.

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Leseprobe

Ich habe schon viele Flüchtlingslager gesehen. Das fürchterlichste war in Juba, der Hauptstadt des Südsudan. Dort gibt es keine Kanalisation, keine Toiletten, die Menschen verrichten ihre Notdurft hinter dem Zelt. Wenn es regnet, und das tut es häufig in dieser Gegend, fließt alles, was sich außen befindet, als dunkle Brühe in die Hütten herein. Dazu Fliegen, Parasiten, Katzen, Hunde – ein hochinfektiöses Gemisch. Einfach verheerend.

Abends hatte ich die Gelegenheit, zusammen mit den Bewohnern des Camps das Bundesligaspiel Bayern München gegen Hertha BSC zu sehen. Ein Flachbildschirm in unserer bescheidenen Unterkunft tat gute Dienste. In der Halbzeitpause gab es ausführlich Werbung: für deutsche Autos, Motorräder, tolle Reisen, Glitzer und Glamour. Die Afrikaner um mich herum kannten solche Bilder bereits. Für mich dagegen war es ein Schock. Diesen Kontrast zu erleben zu dem, was ich tagsüber gesehen hatte, an einem der finstersten Orte der Welt, ein Dahinvegetieren auf der Straße, in der Kloake. Und Stunden später dann die Hochglanzbilder im Fernsehen.

An diesem Abend in einem der entlegensten Winkel der Welt wurde mir klar, dass die Menschen dort genau wissen, was wir in den reichen Ländern essen und trinken, wie unsere Wohnungen, Häuser und Straßen aussehen, unsere Autos, unsere Kleiderschränke. An diesem Abend fehlten bei der Werbung nur noch die Untertitel: »Schau, so leben wir! Warum bleibst du zurück in deiner beschränkten Welt?« Es erscheint mir auch plausibel, dass gerade die klugen und dynamischen unter den jungen Leuten, die diese Bilder sehen, sich nicht mit dem Schicksal ihrer Eltern und Großeltern, mit Hunger, Bürgerkriegen, Not und Perspektivlosigkeit abfinden werden. Sondern dass sie sich auf den Weg machen werden, um ein besseres Leben, eine bessere Zukunft zu finden.

Wir haben die Wahl. Wir können hinsehen oder wegsehen. Aber selbst wenn wir die Augen schließen, wird sich die Welt weiterdrehen. So schnell wie nie zuvor. Und die Dinge sind kompliziert. Noch nie waren wir so viele Menschen auf diesem Planeten – bald acht Milliarden. Noch nie war die technische und gesellschaftliche Entwicklung so rasant. Niemals zuvor waren die Menschen so eng miteinander verknüpft. Und noch nie waren wir so sehr aufeinander angewiesen.

Ein Gefühl für die rasante Entwicklung vermittelt ein Blick in die Geschichte. Hätte man zur Zeit von Christi Geburt einen Menschen gefragt, wie die Welt in 50 Jahren aussieht, hätte er die Frage wahrscheinlich nicht verstanden. Natürlich gab es hin und wieder Missernten oder Hochwasser, das die Dörfer und Städte bedrohte, oder tauchte von Zeit zu Zeit ein feindliches Heer am Horizont auf, das im schlimmsten Fall Tod und Verwüstung hinterließ. Im Großen und Ganzen verlief das Leben aber in den immer gleichen Bahnen. Die allermeisten Menschen waren Bauern und sorgten selbst für ihr tägliches Brot. Der technische Fortschritt und die gesellschaftliche Entwicklung waren so langsam, dass die Antwort auf die Frage nach der Zukunft nur hätte sein können: Das Leben in 50 Jahren? – Es wird so sein wie heute.

Heute, 2000 Jahre später, umkreisen Hunderte von Satelliten die Erde. Jeder Quadratmeter auf den Kontinenten ist vermessen. Die Menge der Informationen verdoppelt sich regelmäßig innerhalb weniger Jahre. Aber trotz all dieses Wissens haben wir nicht den Hauch einer Ahnung, wie unsere Welt in 50 Jahren aussehen wird. Weil die Geschwindigkeit der technischen, der wirtschaftlichen und der politischen Entwicklung so rasant ist wie nie zuvor. Und weil alle diese Kräfte, Trends und Tendenzen eine wechselseitige, nicht vorhersehbare Dynamik entfalten. Wir kennen die Zukunft nicht.

Früher durften die Menschen zeit ihres Lebens bleiben, wie sie waren. Einmal Erlerntes hatte ein Leben lang Bestand. Allenfalls die Jungen eigneten sich neues Wissen und neue Fertigkeiten an. Heute dagegen gilt das Prinzip des lebenslangen Lernens. Viele Menschen empfinden das allerdings nicht als Bereicherung, sondern als zusätzlichen Stress.

Ein guter Maßstab für die historische Entwicklung ist die Anzahl der Menschen, die jeweils auf der Erde lebten. Vor etwa vier Millionen Jahren brachte die Evolution die ersten Hominiden hervor. Einige wenige nur. Lange Zeit waren unsere Vorfahren vom Aussterben bedroht. Zur Zeit von Christi Geburt betrug die Anzahl der Menschen etwa 300 Millionen Menschen, seitdem sind erst 100 bis 150 Generationen vergangen. Die Schwelle der ersten Bevölkerungsmilliarde durchbrach die Menschheit etwa zu dem Zeitpunkt, als Goethe starb, im Jahr 1832. Rund 130 Jahre später, 1965, waren wir bereits drei Milliarden Menschen, und heute sind wir annähernd acht Milliarden. Wobei 1,5 Milliarden in den wenigen Jahren seit dem Jahr 2000 hinzugekommen sind. Diese Entwicklung entspricht der berühmten sogenannten Hockeyschläger-Kurve: Lange Zeit tut sich kaum etwas, doch dann hebt die exponentielle Entwicklung ab und die Kurve weist steil nach oben. Genau das tut sie noch immer. Wir, die heute lebenden Menschen, sind Teil dieser überaus stürmischen Phase der Geschichte. Jeden Tag werden 230 000 Menschen mehr geboren als sterben, jedes Jahr sind es 80 Millionen.

Das Bevölkerungswachstum findet heute allerdings kaum mehr in Europa und den industrialisierten Zonen statt, sondern in den Schwellen- und Entwicklungsländern und dort an unterschiedlichen Stellen mit je spezifischer Dynamik. Indien als Staat mit derzeit etwa 1,3 Milliarden Menschen und Afrika als Kontinent mit heute etwa 1,2 Milliarden weisen eine rasante Entwicklung auf. Allerdings bewegt sich dieses Wachstum auf dünnem Eis. Die ökologischen Trägersysteme des Planeten stehen bereits unter Stress. Ob Ozeane, Wälder, Böden oder die Atmosphäre, die demografische und wirtschaftliche Dynamik der vergangenen 200 Jahre hat sie bereits aus ihrer natürlichen Balance geworfen. Wir nutzen die Natur schneller, als sie sich regenerieren kann. Das kann eine Weile gut gehen, aber irgendwann ist der Bogen überspannt.

Das ist auch der Grund, warum die Entwicklungsländer in den nächsten 30 Jahren einen anderen Weg in Richtung Industrialisierung, Wohlstand und Entwicklung einer modernen Infrastruktur einschlagen müssen als die alten »Vorbilder«, also anders, als Deutschland, Japan oder die USA es getan haben. Noch immer hat die Hälfte der Menschen auf der Erde keinen Zugang zu Energie – der Grundlage für Wachstum, Entwicklung und Wohlstand. Ein Energiewachstum für Entwicklungs- und Schwellenländer auf der Basis von fossilen Brennstoffen, Kohle, Öl und Gas, wäre allerdings eine globale Bedrohung für das Klima und den gesamten Planeten. Deshalb bedarf es neuer, leistungsfähiger und klimafreundlicher Energiesysteme. Erforderlich ist ein Quantensprung bei der Nutzung erneuerbarer Energien. Auch dies liegt in unserer Verantwortung und unserem Interesse.

Die Demografie ist wohl die einzige Wissenschaft, die uns einigermaßen verlässliche Zahlen über unsere Zukunft liefern kann. Die mittleren Projektionen der Vereinten Nationen sagen für das Jahr 2050 eine Weltbevölkerung von 9,7 Milliarden und für 2100 von 11,2 Milliarden Menschen voraus. Es können aber durchaus auch mehr sein. Allein in China und Indien werden um 2050 je annähernd 1,5 Milliarden Menschen leben. Während die Bevölkerung in China dann langsam abnehmen wird, wächst die Zahl in Indien weiter. Afrika wird die Region mit dem höchsten Zuwachs sein. Die Zahl der Einwohner des Kontinents wird sich bis 2050 verdoppeln und bis 2100 verdreifachen, vielleicht vervierfachen. Insgesamt könnte sich die Weltbevölkerung Ende des 21. Jahrhunderts stabilisieren. Die Unterschiede zwischen den Kontinenten werden dabei immer gravierender: In europäischen und zunehmend auch in asiatischen Ländern sinkt die durchschnittliche Anzahl der Kinder pro Frau, teilweise unter das Reproduktionsniveau von etwa 2,1 Kindern im Mittel pro Frau. In ärmeren Ländern ist dieser Trend aber längst nicht sicher. Wie sich die Zahlen in Staaten mit sehr hohem Bevölkerungswachstum – etwa in Äthiopien, Tansania und Kongo – entwickeln werden, ist kaum vorhersehbar. Im Moment haben dort viele junge Familien immer noch fünf und mehr Kinder.

Die bevölkerungsreichsten Länder im Jahr 2050 werden wahrscheinlich sein: Indien mit 1,7 Milliarden, China mit 1,4 Milliarden, Nigeria mit 400 Millionen, die USA mit 390 Millionen, Indonesien mit 320 Millionen, Pakistan mit 310 Millionen, Brasilien mit 240 Millionen und Bangladesch mit 200 Millionen.

Die Demografie zeigt uns die Zukunft wie eine Landkarte. Sie kann ungefähr sagen, wo wie viele Menschen leben werden. Was sie uns nicht sagen kann, ist, wie diese Menschen leben werden. Was wir ebenfalls nicht wissen, ist, ob diese Menschen in Frieden leben werden – oder ob es kriegerische Konflikte unter ihnen geben wird.

Ziemlich sicher kann man aber sagen, dass Europa im Verhältnis zu anderen Regionen (zahlenmäßig) an Bedeutung...

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