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'Uns kommt nur noch die Komödie bei' - Eine Untersuchung zu Friedrich Dürrenmatts 'Meteor' und seiner Dramaturgie des Einfalls

Eine Untersuchung zu Friedrich Dürrenmatts 'Meteor' und seiner Dramaturgie des Einfalls

AutorSusanne Zolke
VerlagGRIN Verlag
Erscheinungsjahr2006
Seitenanzahl85 Seiten
ISBN9783638469265
FormatPDF/ePUB
Kopierschutzkein Kopierschutz
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis10,99 EUR
Magisterarbeit aus dem Jahr 2005 im Fachbereich Germanistik - Neuere Deutsche Literatur, Note: 1,4, Gottfried Wilhelm Leibniz Universität Hannover, 47 Quellen im Literaturverzeichnis, Sprache: Deutsch, Abstract: 1. EINLEITUNG In selbstironischer Manier gesteht Friedrich Dürrenmatt ein, dass er die von Kritikern häufig gestellte Frage, ob er 'sich denn bei seinen Komödien etwas denke, und wenn ja, was?', nicht beantworten könne. Obwohl diese Äußerung aus dem fiktiven Gespräch 'Friedrich Dürrenmatt über F.D.'1 schlicht als beiläufige Provokation in Richtung seiner Kritiker zu verstehen ist, klingt auch hier seine beharrliche Weigerung an, in seinen Stücken irgendeine bewusste moralische oder didaktische Absicht zu verfolgen. Darüber hinaus fällt es schwer, dieses Bekenntnis ernst zu nehmen, denn sowohl seine Dramen, die er immer wieder umschrieb und neu 'komponierte' wie er es nannte, als auch seine zahlreichen theoretischen Abhandlungen über das Theater, lassen erkennen, dass er sich durchaus Einiges 'dabei gedacht' zu haben schien. Der Schweizer Schriftsteller Friedrich Dürrenmatt - als Dichter wollte er nie bezeichnet werden - ist inzwischen das, was er nie sein wollte: ein moderner Klassiker. Seine Werke finden sich in Literaturkanons, sind Standardwerke bei der Schullektüre und seine Dramen, vor allem sein erfolgreichstes und bekanntestes Stück Der Besuch der alten Dame (1956) erfreuen sich weltweiter Aufführungen. Dennoch - oder ist dies gerade eine Besonderheit einflussreicher Autoren? - war der Querdenker Dürrenmatt nie unumstritten. Weil er empfindliche Themen wie Verrat, Korruption, Macht und Mord mit scharfer Ironie und schwarzem Humor behandelte, erregte er nicht selten 'Theaterskandale' und Empörung unter den Zuschauern und Kritikern. Die Ansicht über seine Zeit, sein Gesellschafts- und Menschenbild, kurz sein Weltbild spiegelt sich, sei es auch in verschlüsselter Form, in seinen Werken wider. Neben seinen Hörspielen und Kriminalromanen trifft dies im Besonderen auf seine Komödien zu, nach Dürrenmatt ohnehin die einzige Dramenform, die 'uns noch beikommt'2. Ziel dieser Arbeit ist es, zu durchleuchten, warum ausschließlich die Komödie im Stande ist, der Welt auf dem Theater entgegen zu treten. Friedrich Dürrenmatts aus der Auseinandersetzung mit der Welt entstandene Poetik der Komödie und die daraus hervorgehende Dramaturgie soll durch eine genaue Analyse seines Stücks Der Meteor (1966) veranschaulicht werden. Weiterhin soll gezeigt werden, wie das Drama als Zeitstück wahrgenommen und über dessen Inhalt hinaus interpretiert worden ist.

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Leseprobe

3.   DÜRRENMATTS EINFALL: DER METEOR

 

„Stürbe ein Mensch an der Verzweiflung, so wie man an einer Krankheit stirbt, so müßte das Ewige in ihm, das Selbst, in demselben Sinne sterben können, wie der Leib an einer Krankheit stirbt. Das aber ist eine Unmöglichkeit; das Sterben der Verzweiflung setzt sich ständig in Leben um.“[62]                Sören Kierkegaard

 

Im Hinblick auf Dürrenmatts zehntes Bühnenstück, Der Meteor[63], äußert Durzak, nirgendwo habe der Schweizer Schriftsteller seine Dramaturgie des Einfalls klarer demonstriert als an diesem Stück. Schon im allegorischen Titel erscheine „ein geradezu synonymes Wort für die Bedeutung des Einfalls“[64].

 

Ein Meteor bricht überraschend, unvorhersehbar und damit zufällig als Stück fremder Materie in eine Welt ein, reißt sie aus einer gewohnten Ordnung heraus und kann vernichtende Wirkung haben. Der Meteor, der plötzlich in die Welt einbricht, besitzt genau jene Eigenschaften des    aristophanischen Einfalls auf der Bühne.

 

Dürrenmatt bemerkt, der Titel sei das erste gewesen, was er vom Stück gehabt habe. „Es ist ein symbolischer Titel“[65] und als solcher der erste seiner Art im Dürrenmattschen Bühnenwerk.

 

Der alle Naturgesetze außer Kraft setzende Meteor als Inbegriff der Zufälligkeit steht als Symbol für ein Wunder, dass sich an dem betagten Schriftsteller und Nobelpreisträger Wolfgang Schwitter vollzieht. Ein Wunder, das unglaublicher und unwahrscheinlicher nicht sein könnte: die Auferstehung vom Tode.

 

Durch diese Unglaublichkeit wird Schwitter aber auch selber zu einem Geschoß, der Titel symbolisiert ebenso ihn: „Ein Meteor ist ein elementares Naturereignis, wie Schwitter, der sich ja selbst als Fallenden sieht. Ein Meteor ist etwas, das einfällt, ein Ein-Fall – wie ein Theaterstück.“[66]

 

Schwitter ist der Meteor, der als Stück schon erkalteter Materie bei Berührung mit der Erdatmosphäre erneut zu glühen beginnt, und dadurch erst seine ganze zerstörerische Wirkung entfaltet. Das erneute ‚Aufleuchten’ Schwitters hat ebenso fatale Folgen für die Menschen, die in seine Bahn geraten, wie ein brennender Meteor, der auf sie einschlägt. 

 

Der Nobelpreisträger gleicht einem modernern Lazarus[67], der nicht von Jesus erweckt wurde, sondern nach seinem eindeutig festgestellten Tod zufällig wieder zum Leben erwacht ist. Dies ist das unwahrscheinliche Ereignis, das sich innerhalb der Bühnenwirklichkeit ereignet und erscheint es noch so unglaublich: Es ist etwas müßig, darüber zu spekulieren, ob Dürrenmatts Protagonist vielleicht doch nur scheintot war, seinen Tod simuliert hat, überhaupt nicht gestorben ist, alles nur eine Verschwörung war, oder was auch immer als mögliche ‚logische’ Erklärung für das Wunder herhalten könnte. Einer der abenteuerlichsten aller Erklärungsversuche über Schwitters unerklärliche Unsterblichkeit: „Schwitter kann nicht sterben, weil er schon tot ist.“[68] Solche übersteigerten Theorien sind als Ausgangspunkt für eine Analyse wenig hilfreich. Die Spielwirklichkeit, die hier hingenommen werden muss, lautet: Schwitter ist einfach gestorben, war eine Zeitlang tatsächlich tot und wurde wenig später ohne großes Pathos wieder lebendig, auch wenn der Auferstandene selber das alles nicht glaubt und laut protestiert.

 

Der reine physische Vorgang verwahrt sich also gegen Deutelei, dessen Bedeutung dagegen entzieht sich nicht der Interpretation. Die Auferstehung ist ohne Zweifel ein Wunder, aber keines im theologischen Sinn. Es bedarf keinerlei weiterer Zeichen und Mysterien, es vollzieht sich als  menschliches Naturereignis und unter alltäglichen Begleitumständen – es entzaubert sich selber durch die triviale Erscheinung.

 

Gerade weil es sich so unspektakulär ereignet, ist es ein ‚echtes’ Wunder. Lessings Worte passen gewissermaßen:

 

 „ […] Der Wunder höchstes ist,

dass uns die wahren, echten Wunder so

alltäglich werden können, werden sollen.“[69]    

 

3.1.      Struktur

 

„Für gewöhnlich“, so Dürrenmatt, „stehen die Toten im Theater erst auf, wenn der Vorhang gefallen ist; Schwitter aufersteht, als sich der Vorhang hebt: das ist der entscheidende Einfall“[70]

 

Der Meteor scheint sich auf den ersten Blick in seiner Struktur von vorherigen Stücken, vor allem von dem zur gleichen Zeit konzipierten Physiker-Drama, nicht zu unterscheiden. Wieder setzt Dürrenmatt auf eine Zweiteilung des Stücks, in dem die äußere Einhaltung der klassischen drei Einheiten von Ort, Zeit und Handlung gegeben ist. Alles spielt sich am längsten Tag des Jahres ab, an einem drückend schwülen Nachmittag, in einem einzigen Raum. Zentrum der Handlung ist von Anfang bis Ende Wolfgang Schwitter, der gestorbene Unsterbliche. Dennoch wird die Wahrung der Einheiten im Verlauf des Stücks auf inhaltlicher Ebene eingeschränkt.

 

Auch die formale Trennung des Handlungsgefüges muss relativiert werden. Sind die beiden Akte in früheren Stücken, wie den schon genannten Physikern, der alten Dame oder dem Romulus eher Gegensatzpaare, die gezielte „Verrätselung“[71] der Handlung und Irreführung des Zuschauers im ersten, weitere Verwicklung und unerwarteten Handlungsumschwung im zweiten Akt enthalten, ist eine inhaltliche Kontrastwirkung der Meteor-Akte nicht auszumachen. Der Protagonist erfährt keine Entwicklung, die beiden Akte spiegeln sich geradezu: Am Anfang des Stücks ist Schwitter ein frisch Auferstandener, der sterben will, zu Beginn des zweiten Akts befindet er sich in der gleichen Situation.

 

3.2.      Inhalt  

 

Wolfgang Schwitter, bekleidet mit einem kostbaren Pelzmantel, bepackt mit Koffern und zwei mächtigen Kerzen, betritt plötzlich das Atelier des Malers Hugo Nyffenschwander, der gerade damit beschäftigt ist, einen Akt von seiner Frau Auguste anzufertigen. Die Nachricht vom Tod des Nobelpreisträgers wird im Radio verkündet, und auf ein erstauntes „Aber - Sie - Sie sind doch -“ entgegnet er lakonisch: „Ich bin’s, Wolfgang Schwitter.“[72]

 

Er erklärt, er habe sich, schon mit Kränzen bedeckt, aus der Klinik gestohlen, den öffentlichen Autobus bestiegen und sei in dieses Atelier geflüchtet. Vor vierzig Jahren hat Schwitter hier, zusammen mit seiner ersten Frau, als Maler gelebt, bis er seine Bilder verbrannte und Schriftsteller wurde. Inzwischen ist er zum vierten Mal verheiratet.

 

Das Atelier wolle er nun für eine kurze Zeit mieten, um hier endlich in Ruhe sterben zu können.

 

Er verbrennt seine letzten Manuskripte und sein Geld im Wert von anderthalb Millionen Mark, um ehrlich und ohne Fiktion und Literatur abzudanken, was ihm allerdings bis zum Ende nicht vergönnt sein wird. Zwar stirbt er einen zweiten Tod, doch auch dieser wird durch eine erneute Auferstehung seiner Ewigkeit beraubt.

 

Durch regelmäßiges Kommen und Gehen verschiedener Personen, die ihn aufsuchen, wird er ständig mit seinem früheren Leben konfrontiert und am Sterben gehindert.

 

In der Erwartung seines nahen Todes entpuppt sich Schwitter als ein erbarmungslos ehrlicher Anarchist, der im Umgang mit anderen Menschen alle üblichen sozialen Konventionen fallen lässt und zum absoluten Individuum wird. An seiner grausamen Ehrlichkeit gepaart mit seiner unumstößlichen Egozentrik gehen die Menschen, die ihm begegnen, größtenteils zu Grunde. Im Gegensatz zu seinen Besuchern, die der Reihe nach dahinscheiden, gewinnt Schwitter immer mehr an körperlicher Vitalität, was ihm absolut zuwider ist.

 

Der Meteor verbreitet bei seinem ständigen Wiederaufflammen eine tödliche Hitze, in der fast jeder, der sich ihr nähert, verbrennt. Was der Zufall ihm beschert hat ist nicht das ewige Leben – es ist das ewige Nicht-Sterben-Können.

 

Im verzweifelten Ausruf „Wann krepiere ich denn endlich!“ (95) finden sich auch seine letzen Worte, die allerdings im „Halleluja“ eines hypnotischen Heilsarmeechors untergehen.

 

3.3.      Die Idee des Stücks

 

Schon 1963 erteilt Dürrenmatt Auskunft über seine Intention den Meteor betreffend: „Ich werde ein neues Stück schreiben. Das...

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