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E-Book

Verhaltensanalyse

Ein Praxisleitfaden

AutorHans Reinecker
VerlagHogrefe Verlag GmbH & Co. KG
Erscheinungsjahr2015
Seitenanzahl117 Seiten
ISBN9783844426649
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis21,99 EUR
Menschen wenden sich wegen unterschiedlicher Beschwerden an einen Psychotherapeuten. Sie leiden unter einem Problem, welches sie oft am Beginn einer Therapie gar nicht präzise beschreiben können, und haben bestimmte Zielvorstellungen im Hinblick auf erwünschte Veränderungen bzw. auf die Lösung ihres Problems. Die funktionale Verhaltens- und Problemanalyse ist ein wichtiges diagnostisches Verfahren der Verhaltenstherapie. Sie ist die Grundvoraussetzung dafür, geeignete klinisch-psychologische Interventionen auswählen zu können. Der Band informiert über die Grundlagen der Verhaltensdiagnostik und beschreibt praxisorientiert das Vorgehen bei der Verhaltensanalyse. Bei der Verhaltensanalyse geht es darum, die Reaktionsweisen einer Person in verschiedenen Situationen auf unterschiedlichen Ebenen zu erfassen. Ziel ist es, zu erheben, unter welchen Bedingungen ein Verhalten erworben wurde und welche Faktoren es derzeit aufrechterhalten (Bedingungsanalyse). Weiterhin soll erfasst werden, welche spezifischen Verhaltensmuster einer Veränderung bedürfen (Zielbestimmung) und mit welchen geeigneten Methoden die angestrebte Veränderung erzielt werden kann (Behandlungsauswahl). Durch die problemorientierte Analyse können Therapieziele erarbeitet und die einzelnen Schritte und Elemente der Behandlung fortlaufend geplant werden.

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Leseprobe

|24|2 Verhaltensdiagnostik


Personen wenden sich aufgrund unterschiedlicher Beschwerden an Psychotherapeuten. Ein gemeinsames Merkmal ist, dass die Person mit ihrem bisherigen Repertoire an Lösungen an ihre Grenzen stößt: „Ich kann so nicht weiterleben … Ich weine nur noch und kann mich zu nichts mehr aufraffen!“, oder: „Seit mich meine Partnerin verlassen hat, sehe ich keinen Sinn mehr im Leben …!“

Wichtig ist es, zu Beginn der therapeutischen Interaktion die Beschwerden möglichst genau und konkret zu erfassen. Dabei sind diese Beschwerden selbst noch keineswegs Gegenstand der Analyse: Beschwerden sind Schwierigkeiten der Person, formuliert in seiner (Alltags-)Sprache. Therapeuten versuchen eine Beschreibung der Beschwerden „in psychologischer Sprache“, erst dann ist es sinnvoll, von einem Problem zu sprechen (vgl. Abbildung 6).

Abbildung 6: Beschwerden von Patienten und die Formulierung als Probleme

Aufgabe der Verhaltensdiagnostik ist es dann, diejenigen Bedingungen zu erfassen, die gemeinsam mit dem Problem auftreten. Aus lerntheoretischer Sicht sind die Probleme eingebettet in vorausgehende, begleitende und nachfolgende Bedingungen (vgl. S. 30 ff.). Das Ziel der Verhaltensdiagnostik ist die Erstellung eines funktionalen Bedingungsmodells (vgl. Kapitel 2.3). Hier sind diejenigen Faktoren aufgeführt, von denen man auf der Grundlage der Analyse annimmt, dass sie in besonderer Weise zur Aufrechterhaltung der Probleme beitragen. Kon|25|sequenterweise geht es dann darum, genau an diesen Bedingungen des Problems anzusetzen, um zu dessen Veränderung beizutragen.

Schritte auf dem Weg zur Therapie (vgl. Kanfer et al., 2012, S. 102 ff.):

  1. Die Person nimmt ein Problem wahr.

  2. Die Person bewertet das Problem.

  3. Die Person entscheidet sich Hilfe zu suchen.

Eine Beschwerde selbst bedeutet für die Person noch nicht unbedingt ein Problem: Zum Problem wird die Beschwerde, wenn sich durch die Wahrnehmung und Bewertung eine prinzipielle Perspektive einer Veränderung ergibt.

2.1 Analyse des Verhaltens


Es ist gar nicht einfach anzugeben, was genau mit Verhalten gemeint ist. Anführen kann man eine Spannbreite von Reflexen, über aktive Bewegungsmuster bis hin zu absichtsvollen und zielgerichteten Aktivitäten. Für Letzteres wird vielfach auch der Begriff der Handlung verwendet. Hat man in der klassischen Verhaltenstherapie in erster Linie auf das Kriterium der Beobachtbarkeit von Verhalten besonderen Wert gelegt, ist mittlerweile klar, dass der Begriff des Verhaltens sehr viele Bereiche umfasst. Hier hat sich eine Differenzierung durchgesetzt, die erstmals von P. Lang (1971) vorgeschlagen wurde. Demnach sollten Merkmale beobachtbaren Verhaltens ebenso erfasst werden wie kognitive Aspekte und Charakteristika der physiologisch-/biologischen Abläufe (vgl. Kasten).

Ebenen des Verhaltens (nach Lang, 1971):

α Konkrete, beobachtbare Verhaltensweisen (z. B.: Flucht- und Vermeidungsverhalten; aggressives Verhalten, soziales Verhalten, Zuwendung etc.).

β Kognitionen, im Wesentlichen kognitive Ereignisse, Prozesse und Strukturen (z. B.: Zwangsgedanken; Erwartungen, Befürchtungen, Ziele, Pläne etc.), dazu gehören aber auch kognitive Muster, Schemata, implizite Regeln usw.

γ Physiologische und biologische Ereignisse und Prozesse (z. B.: hormonelle Bedingungen, Aspekte des Alterns, Verletzungen, aber auch aktuelle Einflüsse durch Medikamente/Drogen usw.).

Die angeführte Differenzierung in die unterschiedlichen Ebenen des Verhaltens hat sich in den letzten Jahrzehnten als sehr sinnvoll erwiesen. Unbestritten ist dabei, dass diese angeführte Trennung lediglich den Sinn hat, die Komplexität menschlichen Verhaltens erfassbar und analysierbar zu gestalten. Zu beachten sind folgende Punkte:

  • |26|Die einzelnen Ebenen sind in sich selbst als sehr komplex und heterogen anzusehen,

  • die Trennung der einzelnen Ebenen ist bis zu einem gewissen Grad willkürlich und

  • die einzelnen Ebenen stehen miteinander in enger Interaktion und beeinflussen einander.

    Abbildung 7: Interaktion von einzelnen Ebenen des Verhaltens

Diese Analyse von Verhalten auf den verschiedenen Ebenen bildet auch eine sehr fundierte Möglichkeit der Beschreibung von Emotionen: Emotionen sind als Konstrukte aufzufassen, die einer Beobachtung nicht direkt zugänglich sind. Was wir aber beobachten können, sind verschiedene Merkmale von Emotionen, z. B. Veränderungen in Mimik und Gestik, im verbalen Ausdruck (α-Ebene). Des Weiteren sind Merkmale der Emotion von der Person selbst erlebbar, aber nur zum Teil sprachlich mitteilbar (β-Ebene). Darüber hinaus sind somatisch-physiologische Prozesse wesentliche Bestandteile von Emotionen, etwa Veränderungen des Blutdrucks, der Herztätigkeit usw. (γ-Ebene). Gerade die letztgenannten Merkmale sind für Emotionen zwar hoch bedeutsam, allerdings vielfach unspezifisch, d. h. nicht charakteristisch für nur eine einzelne Emotion. So sind beispielsweise emotionale Parameter bei Freude, Angst, Trauer usw. auf der Ebene der Physiologie nicht spezifisch trennbar. Versuche zur Trennung von Emotionen auf rein somatischer Ebene laufen darauf hinaus, dass die Differenzierung im Wesentlichen durch einen Prozess der Attribution erfolgt. Diese passiert in der Regel automatisch, u. a. durch den Kontext, in dem sich die Person befindet. Damit ist aber auch klar, dass Kognitionen bei der Erfassung und gegebenenfalls Veränderung von Emotionen eine zentrale Bedeutung zukommt. Besonders relevant wird dies bei Ansätzen der kognitiven Therapie, wenn es nicht so sehr darum geht, konkretes Verhalten zu verändern, sondern die Bewertung externer und interner Ereignisse und Prozesse.

|27|Beachte:

Verschiedene neuere Emotionstheorien leisten natürlich eine bedeutend differenziertere Analyse von Gefühlen als dies hier möglich (und auch notwendig) ist. Gerade im Kontext der Praxis wird es vielfach als wichtig angesehen, zusätzlich zu den drei genannten Ebenen des Verhaltens, der Kognitionen und der physiologischen Prozesse auch noch die Ebene der Emotionen als eigene Kategorie anzuführen (z. B. Merkmale von Scham, Wut, Ärger, Enttäuschung usw.). In der vorliegenden Darstellung wird dies aus folgendem Grund nicht als sinnvoll angesehen: Der Begriff der Emotion ist als theoretisches Konstrukt anzusehen, das auf den Ebenen des Verhaltens, der Kognitionen und der physiologischen Merkmale eine Präzisierung bzw. Operationalisierung erfährt. Mit anderen Worten: Natürlich sind die Emotionen eines Patienten die entscheidenden Bestandteile der Problematik, es ist allerdings nicht möglich, das Konstrukt der Emotion als Ganzes zu erfassen – wir versuchen vielmehr, uns dem Konstrukt durch eine Verankerung in konkreten Merkmalen zu nähern. Dazu haben sich die genannten Ebenen als besonders brauchbar herausgestellt.

2.2 Therapie als Problemlösen


Bereits in den 1970er Jahren wurde Problemlösen als ein wichtiges gemeinsames Merkmal von verschiedenen Ansätzen der Psychotherapie betrachtet. Damals standen auch in der kognitiven Psychologie Merkmale des Problemlösens im Zentrum des wissenschaftlichen Interesses. Erste Ansätze zum Problemlösen gibt es in der Psychologie bereits seit mindestens 100 Jahren.

Betrachtet man die Situation von Patienten, so lassen sich wiederum ganz allgemein die in Abbildung 8 dargestellten Merkmale als charakteristisch ansehen.

Abbildung 8: Modell des Problemlösens für den Prozess der Psychotherapie

|28|Personen leiden unter einem unerwünschten Problemzustand, sie möchten diesen in Richtung des Zieles verändern. Dies ist durch den Umstand einer Barriere nicht möglich, sodass verschiedene Methoden der Transformation...

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