Warum Sie verhandeln müssen!
Was Sie in diesem Kapitel erwartet:
Sie erfahren, warum Sie verhandeln müssen und was unter neurowissenschaftlichen Gesichtspunkten eine Verhandlung ausmacht. Sie werden außerdem sehen, warum es so wichtig ist, etwas haben zu wollen, um es auch zu bekommen. Schließlich geht es um die Frage, warum viele Menschen nicht gern verhandeln und wie man seine Einstellung dem Verhandeln gegenüber ändern kann.
Fallbeispiel:
Wahrscheinlich kennen Sie alle den von der Werbeagentur BBDO Düsseldorf entwickelten TV-Werbespot für die Puddingcreme Wölkchen von Dr. Oetker:
Ein junger Mann sitzt neben seinem Auto und löffelt einen Pudding. Da nähert sich eine Politesse. Der junge Mann begrüßt sie: »Oh, hallöchen!« Sie fragt: »Ist das Ihr Wägelchen?« Er: »Ja, ich hatte gerade ein Hüngerchen.« Daraufhin sie: »Dann hab ich hier ein Knöllchen«.
Was kann der junge Mann jetzt tun? In den Wagen springen und sofort wegfahren oder bleiben und das Knöllchen zähneknirschend akzeptieren? Er entscheidet sich für eine dritte Lösung, nämlich zu verhandeln:
»Wie lösen wir denn das Problemchen? Vielleicht mit einem Becherchen?«
Das war offensichtlich der richtige Vorschlag. Denn anschließend sehen wir beide einvernehmlich nebeneinander sitzen und einen Pudding löffeln. »Und alles ist Wölkchen.«
Ich habe bereits in der Einleitung dargestellt, dass es nur zwei Formen der interessenorientierten Kommunikation gibt. Die eine besteht in der Anordnung, die das Gegenüber befolgt, und die zweite bildet die Verhandlung, in der beide Interessenparteien gemeinsam eine möglichst einvernehmliche Lösung finden.
Im Wölkchen-Beispiel ist es so, dass sich beide Verhandlungspartner auf einen Kompromiss einigen, indem sie die endgültige Entscheidung einfach etwas hinausschieben. Beide können ihren Pudding genießen, danach kann der junge Mann seinen Wagen fortfahren, während die Politesse mit großer Wahrscheinlichkeit auf die Erteilung des Knöllchens verzichtet.
Praxistipp:
In dem Wölkchen-Beispiel lernen wir ein wichtiges Element der Verhandlungen kennen: die Zeit! Wahrscheinlich kennen Sie alle den alten Bürospruch »Nichts ist so wichtig, als dass es durch Aufschieben nicht noch wichtiger werden würde. Und manches erledigt sich dann auch von selbst.« Genau das passiert in diesem Beispiel.
Die Verhandlung dient nicht dazu, eine Entscheidung herbeizuführen, so dass eine von beiden Seiten nachgeben muss. Das Verhandlungsergebnis besteht vielmehr darin, dass sich beide Partner darüber geeinigt haben, die Entscheidung zu vertagen, weil sich das Problem dann, zumindest in diesem Fall, mit sehr großer Wahrscheinlichkeit in Luft auflösen wird.
Natürlich kann man damit in der Praxis keineswegs immer rechnen. Aber der Faktor Zeit wird gerade bei der Lösung von Problemen häufig unterschätzt. Preise können manchmal schon in wenigen Tagen oder Wochen fallen oder steigen, so dass man durch eine Vertagung zu einer ganz anderen Verhandlungsgrundlage kommen kann. Oder man kann die gewonnene Zeit nutzen, einen anderen Anbieter oder Käufer zu finden.
Natürlich ist es auch möglich, durch die knapper werdende Zeit bis zur Fertigstellung eines Projekts einen Verhandlungspartner zu mehr Leistung oder einen anderen zu finanziellen Zugeständnissen zu veranlassen. Wer den Faktor Zeit in seine Verhandlungsführung mit einkalkuliert, kommt oft zu anderen strategischen Entscheidungen. Allerdings kann der Faktor Zeit in manchen Fällen auch bedeuten: Jetzt oder nie.
Viele werden jetzt einwenden, dass dieses »Wölkchen-Beispiel« nur eine Fiktion aus der Werbung ist und man in Wirklichkeit überhaupt nicht mit der staatlichen Autorität verhandeln kann. Doch für diese Annahme gibt es zwei Gegenbeispiele aus meiner eigenen Familie:
In der Praxis ist es tatsächlich so, dass der Staat ein Gewaltmonopol hat und dem Bürger diktieren kann, was dieser zu tun und zu lassen hat. Das Thema »Verhandeln mit einem Monopolisten« wird in diesem Buch noch häufiger auftauchen. Die nun folgenden Beispiele geben schon einen Hinweis darauf, wie man mit Monopolisten umgehen kann, ohne Druck zu erzeugen.
Gerade bei Behörden und Ämtern zeigt die Erfahrung, dass Druck im Zweifelsfall nur Gegendruck erzeugen würde. Aber zum Glück haben wir es bei staatlichen Organen ja nicht mit seelenlosen Institutionen zu tun, sondern mit Menschen, und dies sollte man bei Verhandlungen, besonders wenn man sich dafür eine Strategie bereitlegt, nie aus den Augen verlieren.
Fallbeispiel:
Es ist schon etwas her, dass meine Mutter einen Lada Niva fuhr, ein Auto in klassischer Ponton-Bauweise, das von vorne und von hinten fast gleich aussah. Mit diesem Wagen ist meine Schwester bei Rot über eine Ampel gefahren und wurde dabei geblitzt. Meine Mutter als Halterin des Fahrzeugs wurde daraufhin zur Polizei eingeladen, um den Fahrer zu identifizieren.
Dummer- beziehungsweise glücklicherweise hatte sie ihre Brille zu Hause vergessen. Als der Polizist ihr das Foto vorlegte, damit sie den Fahrer identifizierte, war die erste Frage meiner Mutter, ob das Bild von vorne oder von hinten aufgenommen worden sei. Der Polizist blickte verdutzt, dann sah er, dass diese Frage ganz ehrlich gemeint war. Daraufhin schrieb er: »Die Fahrzeughalterin konnte den Fahrer des Fahrzeugs nicht identifizieren« und klappte die Akte zu. Der Fall war erledigt.
Viele werden mich jetzt fragen wollen, ob das denn überhaupt schon eine Verhandlung war. Hier wurden doch gar keine Argumente ausgetauscht oder irgendwelche Ausreden gesucht. Trotzdem war es eine Verhandlung. Meine Mutter hatte durch ihre Ehrlichkeit überzeugt, denn dem Beamten war klar, dass sie das Bild wirklich nicht genau erkennen konnte.
Viele Menschen glauben, dass man Verhandlungen nur durch raffinierte Argumente gewinnt und sich nur so gegen einen vermeintlich stärkeren Gegner durchsetzen kann. Doch das ist auch im nächsten Beispiel nicht der Fall:
Fallbeispiel:
Hier war es meine Frau, die einen Strafzettel für zu schnelles Fahren bekommen sollte und deshalb einen sogenannten Anhörungsbogen zugeschickt bekam. Ich selbst zermartere mir in einem solchem Fall oft den Kopf, um zu erklären, warum ich eigentlich nicht schuldhaft gehandelt habe. Meine Frau ist da anders. Sie schrieb als Erklärung, dass sie es leider eilig hatte, weil sie unsere Tochter noch rechtzeitig in den Kindergarten bringen musste.
Offensichtlich hat sie damit genau die Erfahrungen getroffen, die die bearbeitenden Beamten oder Beamtinnen schon selbst gemacht hatten. Wir haben von der Angelegenheit nichts mehr gehört. Sie sehen also, man kann auch schriftlich verhandeln, und manchmal ist es wirklich besser, bei der schlichten Wahrheit zu bleiben, um beim Verhandlungspartner die gewünschten Reaktionen auszulösen.
Frage an Professor Neuro: Was ist eigentlich eine Verhandlung unter neurowissenschaftlichen Gesichtspunkten?
Eine Verhandlung ist eine ganz bestimmte Form der Kommunikation, und sie bildet aus wissenschaftlicher Sicht eine Kette von vielen einzelnen Entscheidungen, die am Ende als Verhandlungsergebnis in eine große Entscheidung münden. Doch bevor man dieses Ergebnis hat, werden von den Verhandlungspartnern Schritt für Schritt viele kleine Entscheidungen, die dann in Reaktionen und Argumenten ihren Ausdruck finden, getroffen.
Im Grunde geht es aus wissenschaftlicher Sicht bei Verhandlungen ganz grundsätzlich um das Verhalten von Menschen in bestimmten Situationen. Das hört sich zunächst sehr abstrakt an. Doch was die Neurowissenschaften brennend interessiert, ist ganz simpel: »Was passiert im Gehirn eines Menschen, wenn er sich in einer bestimmten Weise verhält oder wenn er auf einen ganz bestimmten Reiz reagiert?«
Die funktionelle Magnetresonanztomografie macht es seit etwas mehr als fünfzehn Jahren möglich, den Menschen beim Denken zuzuschauen und zu sehen, welche Gehirnregionen in welcher Situation aktiv werden oder nicht. Da man eine recht gute Vorstellung davon hat, wofür bestimmte Hirnregionen zuständig sind, kann man also auch recht aussagefähige Annahmen darüber treffen, was tatsächlich im Kopf passiert. Es lässt sich beispielsweise ablesen, ob es sich eher um eine rational oder um eine emotional bestimmte Entscheidung handelt.
Und man kann sehen, ob sich in Experimenten bestimmte theoretische Annahmen bestätigen lassen oder nicht. Das hat zum Beispiel dazu geführt, dass wir die Vorstellung vom Homo oeconomicus weitgehend fallen lassen mussten. Der Mensch handelt nämlich weitaus weniger zweckrational und nutzenorientiert, als es in den ökonomischen Theorien angenommen wurde.
Wenn es aber nun nicht die Vernunft ist, die uns zu bestimmten Verhaltensweisen und Entscheidungen führt, was ist es dann? Ganz sicher spielt hier das sogenannte Belohnungssystem eine große Rolle. Doch wofür belohnt es uns? Die einfache Antwort lautet: dafür, dass wir Dinge tun, die von uns ganz subjektiv als positiv und erfolgreich erlebt werden.
Wenn man einen Menschen fragt, warum er in einer Verhandlung eine ganz bestimmte Entscheidung getroffen hat, wird er uns mit großer Sicherheit eine Reihe vernünftiger Argumente dafür anbieten. Doch wahrscheinlich handelt es sich dabei nur um eine Art »Bedeutungssoße«, mit der die eigentlichen Gründe übergossen werden, um sie für andere Menschen nachvollziehbar und akzeptabel zu machen. In Wirklichkeit weiß er es gar nicht so genau, denn die meisten Vorgänge und Abläufe im Gehirn erfolgen unbewusst, und zum Unbewussten...