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Vom Arpanet zum Web 2.0 - Neue Kommunikationsformen und -strukturen

Neue Kommunikationsformen und -strukturen

AutorMelanie Riesen
VerlagGRIN Verlag
Erscheinungsjahr2008
Seitenanzahl58 Seiten
ISBN9783638022453
FormatPDF/ePUB
Kopierschutzkein Kopierschutz/DRM
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis4,99 EUR
Bachelorarbeit aus dem Jahr 2007 im Fachbereich Soziologie - Kommunikation, Note: 2, Universität Luzern (Sozial- und Kulturwissenschaftliche Fakultät), Veranstaltung: Bachelor Arbeit/Diplomarbeit, 47 Quellen im Literaturverzeichnis, Sprache: Deutsch, Abstract: Sprachen wir vor einigen Jahren noch vom Web, dann wohl vom Web 1.0. Seit O' Reilly das heutige Web als Web 2.0 bezeichnet hat, scheinen einige Diskussionen über die Interaktivität im Web in Gang gekommen zu sein. Heute sind wir nicht mehr nur Web-Konsumenten sondern haben uns inzwischen zu Web-Produzenten gemausert: Downloads sind zwar immer noch üblich, aber haben inzwischen nicht etwa Uploads überhand genommen? Diese Arbeit geht den Fragen nach, wie, warum und wo sich Menschen im Web 2.0 begegnen und darstellen (und Interaktion betreiben) und welche (Neben-)Wirkungen dadurch verzeichnet werden können.

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Leseprobe

3 Interaktivität im Web: Begriff, Motive und das Web

 

Hören wir heute das Wort 'Interaktivität', so denken wir sicherlich an Medien wie der Brief und das Handy, die uns dazu verhelfen, trotz fehlender räumlicher und manchmal auch zeitlicher Nähe miteinander zu kommunizieren.

 

In oralen Kulturen wurde (und wird heute noch!) über face-to-face-Interaktion kommuniziert. Hier haben wir es mit einer Form der Kommunikation zu tun, die nicht medienvermittelt stattfindet. Durch die Erfindung des Buchdrucks wurde diese Dyade der wechselseitigen Kommunikation jedoch insofern ersetzt, als nunmehr Verfasser und Rezipient sowohl räumlich wie auch zeitlich voneinander getrennt sind. Diese „separation of contexts“ – wie Thompson diese Trennung nennt – trennt jedoch nicht nur die Körper von Sender und Empfänger, sondern auch die von ihnen tradierte „multiplicity of symbolic cues“. In diesem Fall sind nonverbale Botschaften wie Gesten, Lächeln, Stirnrunzeln und Körperhaltung für den anderen nicht sichtbar, was die Einschätzung des anderen umso schwieriger gestaltet, jedoch zugleich viel mehr Möglichkeiten bietet, sich dem Ablehnungsrisiko durch den anderen zu entziehen (Thompson 1995:83).

 

Mit der Einführung der Schrift und der zunehmenden Entwicklung der Medien entfernen sich Autor und Leser immer weiter voneinander. Raum und Zeit behalten nicht länger die Macht über die Grenzen der Kommunikation, die Kommunikation sucht sich ihre Grenzen selbst. Ob das Web 2.0 als unglaublich junges Medium diesen Sachverhalt bestätigt, oder ob gerade das Gegenteil der Fall sein wird? Entfernen sich Verfasser und Rezipient noch weiter voneinander, oder wird eine neue Situation der Nähe geschaffen? Der Begriff 'Interaktivität' suggeriert eher Nähe als  Distanz, doch mehr dazu später.

 

Interaktivität wird heute als eine Art Zauberwort gehandelt: Es wird häufig davon gesprochen, dass die neuen Medien wie das Web 2.0 interaktiv seien, während beispielsweise die Massenmedien dieses Kriterium nicht erfüllten. Interaktivität ist ein relativ neuer Begriff, der gemäss Höflich eng mit der technischen Kapazität des Webs verbunden ist: „Medienrahmen im Allgemeinen  und Computerrahmen im Besonderen zeichnen sich durch die gegebenen Nutzungsoptionen  und hier wiederum besonders durch das jeweils damit verbundene Interaktionspotential aus. Mit dem Begriff der Interaktivität kommt zunächst eine Abgrenzung zu den herkömmlichen, unidirektionalen Massenmedien zum Ausdruck.“ (Höflich 2003:84).

 

Der Begriff schliesst zudem an die Webersche Theorie „sozialen Handelns“ an, die ihn näher erläutert. Weber versteht Interaktion als wechselseitiges soziales Handeln zwischen mindestens zwei Personen, das der Kommunikation bedarf. Kommunikation ist nach diesem Verständnis stets zugleich auch Interaktion. Dieses Verständnis der Interaktion ist konsens- und zielorientiert (1998: 41ff).

 

Interaktion wird von Goffman und anderen häufig mit dem Kriterium der Anwesenheit in Verbindung gebracht, was hingegen laut Weber nicht unabdingbar ist: Weber versteht auch einen brieflichen Austausch als Interaktion. Höflich teilt Webers Verständnis von Interaktion: Er ist der Überzeugung, dass nichts dafür spricht, den Begriff Interaktion für die präsenzgebundene Kommunikation zu reservieren: Vor dem Hintergrund der vielfältigen Verwendungsweisen des Begriffs Interaktion sei die wechselseitige Bezugnahme der Interaktionsteilnehmer aufeinander zu berücksichtigen, die sowohl bei Synchronizität wie auch bei zeitlicher Versetztheit gewährleistet werden könne (Höflich 2003: 90).

 

In dieser Arbeit soll deshalb darauf verzichtet werden, Interaktion an körperliche Kopräsenz zu binden. Gerade der Webchat als Kommunikationsform des Web 2.0 stellt – wie später erläutert wird – eine nahezu synchrone und doch vom gemeinsamen realen Raum abgelöste Interaktionssituation dar. Der Blog weist im Normalfall eine asynchrone Kommunikation auf, die gemäss den oben aufgeführten Aussagen trotz der räumlichen und zeitlichen Versetztheit durchaus als Interaktion verstanden werden kann. Gemäss Beisswenger ist es deshalb angemessen, chatbasierte Interaktionsstrukturen unter der Perspektive eines Vergleichs

 

 „mit den Strukturen von face-to-face- Gesprächen zu betrachten, (…) da die chatbasiertem Austausch zugrunde liegende Konstellation aus Kommunikationsinfrastrukturen, technischen Medien und prozeduralen Festlegungen als eine Kommunikationstechnologie aufgefasst werden kann, die darauf zielt, den elementaren Diskurs (also das Gespräch von Angesicht zu Angesicht) trotz fehlender Kopräsenz der Beteiligten und unter Zuhilfenahme elektronischer Medien in funktionaler Hinsicht rekonstruierbar zu machen.“ (Beisswenger 2005: 64)

 

In seinen Werken „Interaktionsrituale. Über das Verhalten in direkter Kommunikation“ und „Wir alle spielen Theater. Die Selbstdarstellung im Alltag“ bezieht sich Goffman auf menschliche Interaktion, die eine direkte Präsenz impliziert. Nur selten spricht er die medienvermittelte Kommunikation an, die sich als Telefongespräch, Briefwechsel oder auch in Form der Massenkommunikation (Luhmann spricht hierzu von Massenmedien) konstituiert. Dafür mag vor allem ein Grund ausschlaggebend gewesen sein, der allerdings heute nicht mehr auf alle medienvermittelte Kommunikationen zutrifft: Durch die technische Übertragung waren der Interaktivität (im Sinne des wechselseitigen Austausches nach Weber) bis anhin enge Grenzen gesetzt.

 

Bisher haben wir vom Web 2.0 vor allem im Zusammenhang mit Interaktion gesprochen. Nun stellt sich die Frage nach dem Grund, warum das Web 2.0 und insbesondere die zwei Kommunikationsangebote Chat und Blog genutzt werden. Warum nimmt sich der User die Zeit, im Web mit anderen Personen zu interagieren, warum publiziert er Beiträge und beantwortet bzw. kommentiert Beiträge anderer User? Um darauf antworten zu können, ist der Frage nach der Motivation zur Interaktion mit anderen nachzugehen.

 

Motivation entsteht laut Döring aus einer Wechselwirkung von Umweltmerkmalen, wie Anreizen und Normen, und Personenmerkmalen wie Bedürfnisse, Interessen und Attributionsstile. Dies ist insofern ein soziales Geschehen, als die Bedingungen für die Motivation soziokulturell geprägt sind. Diesbezüglich erwähnt Döring sowohl Anreizstrukturen als auch Normensysteme (2003:261).

 

Döring listet  verschiedenen Bedürfnisse auf: Das Bedürfnis nach Information und danach, die eigene Neugier zu befriedigen, das Bedürfnis nach Beziehung, nach Abenteuer, nach unkomplizierten Sexbeziehungen sowie das Bedürfnis nach Beratung und selbstständiger Publikation. Döring zufolge treffen diese Bedürfnisse durchaus auch auf Kommunikationsformen im Web zu.

 

Inhaltstheorien der Motivation, wie diejenige von Maslow, befassen sich mit der Bestimmung und Strukturierung von Motiven auf bestimmten abstrakten Ebenen. Die Maslowsche Bedürfnispyramide ist zwar ein kulturspezifisches Modell, doch lässt sie sich jedoch – wie Döring behauptet – mit genügend Abstand bzw. Relativierung auch auf Web(inter)aktivitäten anwenden (2003:262). So bringt Döring die dritte Ebene, welche die Bedürfnisse nach sozialer Integration behandelt, mit Chats in Verbindung, die fünfte Ebene hingegen, bei der es um intellektuelle Bedürfnisse nach Diskussionen und Interessensgemeinschaften geht, mit Blogs  (2003: 265). Die 'Reversal' -Theorie von Michael Apter beschreibt die Teilnahme an Chats mit dem metamotivationalen Zustand „Mastery“ (machtorientiert) oder „Sympathy“ (beziehungsorientiert).[8] Zuweilen wird der Netzaufenthalt auch zum Befriedigungsmoment für soziale Integrationsbedürfnisse und für Selbstwert- und Prestigemotive genutzt.

 

Wie wir später sehen werden, wird die Möglichkeit zur Anonymität oft als Voraussetzung und als Motiv einer Teilnahme an Chats angegeben. Warum stimuliert Anonymität die Teilnahme an webspezifischen Kommunikationsformen? Der positive Aspekt der Anonymität besteht in der Senkung der Kontaktschwelle, die gemäss Thimm sogar noch tiefer liegt als bei der telefonischen Interaktion. Im Gegensatz zum Telefonat ist es beim Chat so, dass wir uns meistens mit vielen (im realen Leben) uns unbekannten Personen austauschen, wobei bestimmte physische Merkmale wie das Geschlecht, Rasse, Attraktivität, Alter sowie psychische Zustände der Wahrnehmung des anderen entfallen, wohingegen das Telefonat „im persönlichen Leben eher dazu eingesetzt wird, eine relativ geringe Anzahl von Kontakten mit bereits bekannten Personen zu pflegen, ist im Netz die Kontaktaufnahme zu Fremden geradezu Beziehungsstandard.“ (Thimm 2002:263). Bei Blogs ist Anonymität je nach Bedürfnis eher zweitrangig, teilweise kennen sich Blogger aus dem realen Leben.

 

Wenn von Anonymität die Rede ist, wird oft angenommen, es handle sich hier um vollständige Anonymität. Ein Fehlschluss! Fakt ist, dass der Chatter zwar nicht durch äussere Merkmale identifizierbar ist, wie das bei einer face-to-face-Interaktion der Fall ist. Doch ist eine Re-Identifikation des Chatters durchaus möglich – wie Thimm ausführt –, sei es anhand der Themenpräferenz oder der Auswahl von Gesprächspartnern, aber auch nach dem Nicknamen oder weiteren für den Chatter typischen Merkmalen. Eine Senkung des Anonymitätsgrades wird zudem dann erreicht, wenn ein Chatter sich über...

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