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E-Book

Wanna Waki - Mein Leben bei den Lakota

AutorFranziska K. Müller, Isabel Stadnick
VerlagWörterseh Verlag
Erscheinungsjahr2011
Seitenanzahl248 Seiten
ISBN9783037635193
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis4,99 EUR
Als Isabel Hartmann im Sommer 1989 nach Süd-Dakota reist, ahnt sie nicht, dass sie im dortigen Pine-Ridge-Indianerreservat das Land ihrer Träume und ihre große Liebe finden wird: Bob Stadnick, einen Lakota. Die 32-Jährige entschließt sich, für immer zu bleiben, und heiratet ihn. Schnell schlägt sie Wurzeln. Sie ist glücklich, wird akzeptiert und taucht in eine Welt ein, die schöner und gegensätzlicher nicht sein könnte. Auf der einen Seite das reiche kulturelle Lakota-Erbe, die malerische Weite der Prärie, der immerwährende Duft von Salbei, auf der anderen die Hoffnungslosigkeit und Not eines vertriebenen Volkes, das um die eigene Identität ringt und nach Jahren der Unterdrückung wieder aufzustehen versucht. Isabel Stadnick kämpft auf ihre Art gegen die Chancenlosigkeit der Indianer an: Zusammen mit Lakota-Eltern eröffnet sie den ersten Waldorfkindergarten in der Geschichte der amerikanischen Urbevölkerung. Acht Jahre später nimmt ihr Schicksal eine tragische Wende. Bob stirbt. In ihrer Verzweiflung bricht sie ihre Zelte ab und reist mit den drei gemeinsamen Kindern in die Schweiz zurück. Aber das Heimweh lässt ihr und den Kindern keine Ruhe: 'Wir gehen zurück', verspricht sie eines Tages. Im Sommer 2008 macht sie dieses Versprechen wahr. Als sie ins Flugzeug steigt, denkt sie: 'Wanna waki!' - In der Sprache der Lakota bedeuten diese Worte: 'Jetzt kehre ich heim.' Wieder in Süd-Dakota, macht sie sich daran, eine Vision umzusetzen; bald soll der Kindergarten um eine Schule erweitert werden.

Isabel Stadnick-Hartmann wird 1957 als Kind von Auslandschweizern in Rio de Janeiro geboren. Sie ist zwei Jahre alt, als ihre Eltern in die Schweiz zurückkehren. Zuerst lebt die Familie in Luzern, danach in Basel, wo Isabel die Schauspielschule besucht und ein Engagement am Theater Basel erhält. 1989 reist sie ins Pine-Ridge-Indianerreservat, verliebt sich, heiratet, wird Mutter dreier Kinder und kehrt - nach dem plötzlichen Tod ihres Mannes - in die Schweiz zurück. An der Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften ZHAW studiert sie Fundraising-Management. Eine Ausbildung, die ihr nach ihrer Rückkehr ins Indianerreservat beim professionellen Vorantreiben der Lakota-Waldorfschule große Dienste leistet. lakotastiftung.ch

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Leseprobe

Das Herz der Erde


Die Black Hills sind heilig für die Lakota. Beides – die heilige Pfeife und die Black Hills – gehören in unserer Religion zusammen. Die Black Hills sind unsere Grabstätte. Die Knochen unserer Großväter liegen in diesen Hügeln. Wie könnt ihr erwarten, dass wir unsere Kirche und unsere Grabstätten für ein paar Dollar des weißen Mannes verkaufen? Wir werden sie niemals verkaufen.

Frank Fools Crow, Lakota

Die Sonne ist untergegangen, als wir beim mystischen Bear Butte ankommen, dem nördlichsten Hügel der Black Hills. Diese Gebirgsgruppe liegt im westlichsten Teil von Süd-Dakota und erstreckt sich über die Staatengrenze bis nach Wyoming. Für die Lakota und auch für verschiedene andere Stämme sind die Paha Sapa (die schwarzen Berge) ein heiliges Gebirge. Indianische Seelen traten hier vor vielen Tausend Jahren an die Erdoberfläche, so erzählt es die Geschichte.

Während Hunderten von Jahren trafen sich die Lakota, Cheyenne, Arapaho und andere Stämme, um in den Paha Sapa, den schwarzen Bergen, die rituellen Sonnentänze durchzuführen, auf Visionssuche zu gehen und in der Abgeschiedenheit zu beten. Vor allem der Bear Butte wird heute noch für die Visionssuche, die Hanbleceya, aufgesucht. Jedes Jahr im Juni findet ein fünftägiger Lauf, der »500 Miles Run«, statt. Eine Gruppe junger Lakota läuft dabei im Uhrzeigersinn – wie alle zeremoniellen Bewegungen – um die Gebirgskette: Stellvertretend für ihr Volk, ehren die Läufer so die Paha Sapa und dadurch die geistige Verbindung mit dem Herzen der Erde. Dieser Route wollen wir in den nächsten Tagen folgen.

Unser erstes Nachtlager schlagen wir neben dem Bear Butte auf. Während wir auf Birgil Kills Straight warten, der die Tipis bringen soll, spreche ich mit Bob über die Sprache der Lakota, über ihre Erziehung und ihre Spiritualität. Ich fühle mich diesem Mann auf eine seltsame Art und Weise verbunden, und bereits nach wenigen Tagen ist er mir vertraut.

Als Birgil endlich auftaucht, haben wir uns gedanklich bereits damit abgefunden, im Freien zu übernachten. Birgil ist ein sehniger Lakota, sein schwarzes Haar trägt er hüftlang und offen. Von Helen weiß ich, dass er politisch engagiert ist und ein guter Redner sein muss. Jetzt will er die Tipis aufbauen, was uns – übermüdet, wie wir zu diesem Zeitpunkt sind – nur mäßig begeistert. Die oben spitz zulaufenden Zelte, die den nomadischen Völkern als ideale Behausung dienen, da sie schnell auf- und abbaubar sind, halten aufgrund der Trichterform den stärksten Stürmen stand. Früher bestanden sie aus Büffelhäuten und langen Holzstangen. In der Mitte befand sich die wärmende Feuerstelle, der Rauch zog durch die Zeltspitze ab. Heute sind die Zelte aus Canvas, einem starken Leinengewebe.

Bob und Birgil mühen sich – unter den neugierigen Blicken einiger junger Lakota, die auch wegen des 500 Miles Run hier sind und sich wortlos zu unserer Gruppe gesellt haben – mit dem Aufbau ab. Bob fordert sie auf mitzuhelfen. Aber die jungen Nachfahren von Sitting Bull und Crazy Horse scheinen so wenig Ahnung vom traditionellen Zeltbau zu haben wie wir. Es ist spätnachts, als wir endlich in unsere Schlafsäcke kriechen.

Bei Sonnenaufgang präsentiert sich der sagenumwobene Bear Butte in goldenem Licht. Helen und ich waschen uns am Ufer des nahen Sees. Vier kleine Kinder beobachten uns dabei schweigend. Es sind Bobs Töchter und Söhne, die in der Nacht mit einem Freund von Bob angereist sind: Jessy, Constance, Logan und Robin. Sie sind zwischen sechs und zehn Jahre alt. Sie sagen nicht viel, mustern uns aber mit großen Augen.

Später frage ich die Mädchen, ob ich ein Foto von ihnen machen dürfe, worauf sie scheu nicken. Mein erstes Reisefoto. Ich besitze es noch heute: Jessy trägt das Haar offen, ein dichter Pony fällt in ihre dunklen, mandelförmigen Augen. Constance ist etwas größer, genauso feingliederig und mindestens so hübsch wie die Kleine. Ihr Haar fliegt ihr in wilden Wellen um das schmale Gesicht. Sie hat die Angewohnheit, die Augenbrauen zusammenzuziehen, was ihrem Blick einen skeptischen Ausdruck verleiht. Die Mädchen tragen viel zu große T-Shirts und billige Plastiksandalen. Einige Tage später lerne ich auch die beiden Jungen – Robin und Logan – näher kennen.

Wir dürfen bei der Eröffnungszeremonie des 500 Miles Run dabei sein. John Around Him betreut den traditionellen Anlass. Sein großes Wissen über Zeremonien, Bräuche und die gesamte Lakota-Kultur machen ihn zu einer einflussreichen Persönlichkeit im Reservat. Er diente im Vietnamkrieg und trank nach seiner Rückkehr jahrelang, bevor er keinen Tropfen mehr anrührte. Später initiierte er Reintegrationsprogramme für haftentlassene Lakota. Er besucht jeden Monat verschiedene Gefängnisse und führt dort Schwitzhütten-Zeremonien für die Insassen durch. Sein guter Ruf reicht weit über die Reservatsgrenze hinaus. John ist ein kräftig gebauter, großer Mann. Sein Blick ist freundlich, die pechschwarzen Haare trägt er sehr kurz.

Beim Start formieren sich die Teilnehmer zu Vierergruppen, einer der Läufer hält jeweils einen mit Salbei umwickelten Stock mit einem Medizinrad in der Hand, es symbolisiert die heiligen Himmelsrichtungen und den geschlossenen Lebenskreis. Bei sengender Hitze sind große Strecken zurückzulegen. Autos mit Zelten und Nahrungsmitteln begleiten den Zug, dem auch wir folgen.

Der Lauf um die Black Hills ist auch ein Versuch, die Jugend an ihre Wurzeln zurückzuführen, ihr Selbstbewusstsein zu stärken und an ihren Stolz zu appellieren. Einige Läufer machen sich über dieses Anliegen lustig, worauf sie prompt von John Around Him zurechtgewiesen werden. Der Lauf sei von größter Wichtigkeit. Es gehe darum, den heiligen Kreis zu schließen und die Kultur weiterzutragen. »Ohne unsere Zeremonien, ohne unsere Sprache und unser Land sind wir nichts, sind wir kein Volk«, sagt John. Ich werde mich noch oft an diese Worte erinnern.

John und seine Frau gehören – genau wie Bob – dem Kreis der Traditionellen an. Sie sind es, die die Spiritualität und die Kultur pflegen und an die Jungen weitergeben. Ein paar Tage später bringt John seine Frau Linda mit. Sie wirkt zerbrechlich. Langes Haar umrahmt das zarte Gesicht, schwarze Augen strahlen über hohen Wangenknochen. Sie ist eine geheimnisvolle, unnahbare Schönheit und bleibt mit den beiden Töchtern im Auto sitzen.

John und Bob erklären uns die Bedeutung der Medizinmänner. Jeder Medizinmann verfüge über geistige Helfer – die Spirits –, sagt Bob. Sie werden in den Zeremonien um Hilfe, Rat oder Heilung gebeten. Medizinmänner gehen die »red road«: Dieser rote Weg ist auch der Weg der Cannunpa, der heiligen Pfeife, die bei uns auch Friedenspfeife genannt wird. Wer die Cannunpa aufnimmt – so wie John, Birgil und Bob –, legt ein Gelübde ab und ist ab diesem Zeitpunkt entschlossen, ehrenhaft zu leben, alles Lebendige zu respektieren, Großzügigkeit zu üben und Weisheit anzustreben. Drogen und Alkohol sind tabu. Der rote Weg führt zu Wakan Tanka, dem großen Heiligen.

Während die Männer ruhig erzählen, rauschen die Pappeln im Wind, und Duft von glimmendem Salbei liegt in der Luft. Am dunklen Himmel zeichnen sich die Silhouetten der Tipis ab. Ich liebe diesen Anblick, er erfüllt mich mit Freude. Ich atme tief und langsam durch. Es gibt Momente, die einem für immer in Erinnerung bleiben.

An diesem Abend erzählt ein älterer Mann die Geschichte der White Buffalo Calf Woman, die den Lakota einst die erste heilige Pfeife brachte: Vor langer Zeit waren zwei Jäger unterwegs auf der Suche nach Wild, als sie aus der Ferne eine Gestalt auf sich zukommen sahen, die sich als eine sehr schöne Frau in einem weißen Wildlederkleid entpuppte. Der eine Jäger hatte unreine Gedanken. Sie forderte ihn auf, zu ihr zu kommen, doch als er sich ihr näherte, legte sich eine Wolke über ihn, und als sich diese verzog, blieb nur sein Gerippe übrig. Die schöne Frau im weißen Wildlederkleid sagte zum anderen Jäger, er möge seinem Volk mitteilen, dass sie kommen werde und man ein großes Zelt in der Mitte des Lagers aufstellen solle. Bei ihrem Besuch übergab sie dem Häuptling eine Pfeife und erklärte, was die Pfeife bedeutet und wie damit umzugehen sei. Daraufhin habe sie sich in ein weißes Büffelkalb verwandelt und sei weggerannt.

Seit diesem Tag wird mit der heiligen Pfeife gebetet, und sie wird geehrt, weil sie die Gebete direkt zu Tunkasila, wie das große Heilige auch genannt wird, trägt. Und auch der weiße Büffel wird geehrt. Es geschieht selten, dass ein weißes Kalb geboren wird, aber wenn, dann ist es immer ein bedeutsames Ereignis. Die allererste Cannunpa, die die mysteriöse Frau gebracht hat, existiert noch immer und wird streng gehütet. Sie kommt nur alle sieben Jahre während einer speziellen Zeremonie zum Einsatz.

Einige Tage...

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