Wir hören heute viele neue Glaubensbekenntnisse
Seit einigen Jahrzehnten beobachten wir eine in der Kirchengeschichte neue Entwicklung: Überall entstehen neue Texte, die einem Glaubensbekenntnis ähnlich sind und manchmal das alte kirchliche Glaubensbekenntnis ersetzen sollen. Sie werden in einzelnen Gemeinden formuliert, sie gehen aus Gesprächen in Jugendgruppen hervor, oder Einzelne schreiben in der Stille einsamer Stunden nieder, was ihren Glauben ausmacht und was sie gegenüber anderen vertreten wollen. In der lebendigsten Zeit der Kirchen seit dem Krieg – in den 1960er Jahren – entstanden so hunderte neuer Glaubensbekenntnisse, und diese Versuche setzen sich bis heute sehr kreativ fort.
Die Blickrichtungen sind dabei ganz verschieden: Die einen wollen ihrer persönlichen Frömmigkeit Ausdruck geben, andere versuchen abzulegen, was nach ihrer Meinung nicht mehr geglaubt werden kann, wieder andere möchten der politischen Apathie in den Kirchen entgegentreten, und so fallen ihre Versuche sehr unterschiedlich aus.
Zunächst griffen die neuen Glaubensbekenntnisse vor allem das Thema »Gerechtigkeit« in leidenschaftlichen Worten auf, denn seit wir Europäer den Menschen der Länder, die wir die Dritte Welt nennen, immer näher begegneten, wuchs auch das Bewusstsein für die grundlegende Ungerechtigkeit der Verhältnisse zwischen ihnen und uns.
Später entstanden im Rahmen der ökologischen Bewegung Bekenntnisse, die deutlicher als der erste Glaubensartikel des Apostolikums davon reden, die Welt sei Eigentum Gottes und nicht des Menschen. Der Mensch sei nicht der Herr der Schöpfung, sondern Teil von ihr, und er trage Verantwortung für sein Handeln.
In den Camps der Friedensbewegung der 1980er Jahre entstanden schließlich Bekenntnisse, die den von Jesus gemeinten Frieden zum Thema hatten. Neu war an ihnen, dass man erkannte, Bekennen bringe ein Risiko mit sich: Es erfordere Mut auch gegenüber einer überlegenen Staatsmacht, und das Nachsprechen von Glaubensbekenntnissen habe überzugehen in praktisches Handeln, wo immer der Wille Gottes erkennbar wird.
So erwuchsen Glaubensbekenntnisse aus unterschiedlichsten Situationen, und es ist heute fast schon üblich, sie zum Beispiel bei Taufen anstelle des Apostolikums zu sprechen, bei Abendmahlsfeiern, in Sonntagsgottesdiensten, auf Freizeiten oder auf Großveranstaltungen wie Kirchentagen. Ihr Sinn ist immer, zu zeigen, was in unserer Zeit gesagt werden müsse, wenn es darum geht, einen eigenen heutigen Glauben zu bekennen und nicht Worte von Menschen einer früheren Epoche zu wiederholen.
Manche dieser Bekenntnisse können nur in ihrer Entstehungssituation und innerhalb der Gruppe überzeugen, die sie formulierte. Andere aber – von katholischen Autoren geschriebene ebenso wie von evangelischen – reden gültig und ausdrucksstark und sagen ungleich deutlicher aus, was christlicher Glaube sei, als die überlieferten altkirchlichen Worte, sie deuten konkreter, genauer und hilfreicher, was Glauben für heutige Christen bedeutet. Dennoch beobachten wir auch, dass keines der neuen Glaubensbekenntnisse sich allgemein durchsetzen konnte. Alle galten und gelten sie für einen kleinen Kreis in der Christenheit, alle galten und gelten sie für kurze Zeit, eine einmalige Gelegenheit oder für seltene Wiederholungen. Keines ist von einer einzelnen Kirche als ähnlich verbindlich wie das Apostolikum anerkannt worden.
Hinter all diesen Versuchen steht aber ein tiefes Unbehagen am apostolischen Glaubensbekenntnis – ein Unbehagen, das auch mich erfasst, wenn Familien, die vom christlichen Glauben wenig wissen, ihre Kinder zur Taufe bringen und dort Worte hören oder mitsprechen sollen, die zu erklären ich eigentlich einige Stunden brauchte. Ein Unbehagen, das mich erfüllt, wenn in Gottesdiensten das Apostolikum gesprochen wird und die Sprechenden mit ihren sehr unterschiedlichen Glaubensvorstellungen regelmäßig im Unklaren darüber bleiben, ob nur zur christlichen Kirche gehört, wer alle Aussagen nachvollzieht und bejaht. Ob also das, was die Einzelnen glauben, ausreicht, um als redliche Christen zu gelten, oder umgekehrt, ob das Apostolikum wiedergibt, was am christlichen Glauben zum Leben und Sterben nötig ist. Dieses Unbehagen reicht tief in den inneren Kreis der Gemeinden hinein, in die engagierten Gruppen, auch in das Nachdenken zahlreicher Pfarrer, die ihren Gemeinden die alten Worte vorsagen oder sie mit ihnen gemeinsam sprechen sollen.
Da sagen wir also:
Ich glaube an Gott,
den Vater, den Allmächtigen,
den Schöpfer des Himmels und der Erde,
und an Jesus Christus,
seinen eingeborenen Sohn,
unsern Herrn,
empfangen durch den Heiligen Geist,
geboren von der Jungfrau Maria,
gelitten unter Pontius Pilatus,
gekreuzigt, gestorben und begraben,
hinabgestiegen in das Reich des Todes,
am dritten Tage auferstanden von den Toten,
aufgefahren in den Himmel;
er sitzt zur Rechten Gottes,
des allmächtigen Vaters,
von dort wird er kommen,
zu richten die Lebenden und die Toten.
Ich glaube an den Heiligen Geist,
die heilige christliche Kirche,
Gemeinschaft der Heiligen,
Vergebung der Sünden,
Auferstehung der Toten
und das ewige Leben.
Martin Luther hat dazu vor 500 Jahren
seine unvergleichliche Erklärung geschrieben:
»Ich glaube,
dass mich Gott geschaffen hat
samt allen Kreaturen,
mir Leib und Seele, Augen, Ohren
und alle Glieder,
Vernunft und alle Sinne gegeben hat
und noch erhält;
dazu Kleider und Schuh, Essen und Trinken, Haus und Hof,
Weib und Kind, Äcker, Vieh und alle Güter bescheret,
mich mit aller Notdurft und Nahrung
dieses Leibes und Lebens
reichlich und täglich versorget,
wider alle Fährlichkeit beschirmet
und vor allem Übel behütet und bewahret;
und das alles
aus lauter väterlicher, göttlicher Güte
und Barmherzigkeit,
ohn all mein Verdienst und Würdigkeit;
des alles ich ihm zu danken und zu loben
und dafür zu dienen und gehorsam zu sein schuldig bin.
Das ist gewisslich wahr.
Ich glaube,
dass Jesus Christus, wahrhaftiger Gott
vom Vater in Ewigkeit geboren
und auch wahrhaftiger Mensch
von der Jungfrau Maria geboren,
sei mein Herr,
der mich verlorenen und verdammten
Menschen erlöset hat,
erworben, gewonnen von allen Sünden,
vom Tode und von der Gewalt des Teufels;
nicht mit Gold und Silber,
sondern mit seinem heiligen, teuren Blut
und mit seinem unschuldigen Leiden und Sterben;
auf dass ich sein eigen sei
und in seinem Reich unter ihm lebe
und ihm diene
in ewiger Gerechtigkeit, Unschuld
und Seligkeit,
gleichwie er ist auferstanden vom Tode,
lebet und regieret in Ewigkeit.
Das ist gewisslich wahr.
Ich glaube,
dass ich nicht aus eigener Vernunft noch Kraft
an Jesum Christum, meinen Herrn, glauben
oder zu ihm kommen kann;
sondern der Heilige Geist
hat mich durch das Evangelium berufen,
mit seinen Gaben erleuchtet,
im rechten Glauben geheiliget und erhalten;
gleichwie er die ganze Christenheit auf Erden
beruft, sammelt, erleuchtet, heiliget
und bei Jesu Christo erhält
im rechten einigen Glauben;
in welcher Christenheit er mir
und allen Gläubigen
täglich alle Sünden reichlich vergibt
und am Jüngsten Tage
mich und alle Toten auferwecken wird
und mir samt allen Gläubigen in Christo
ein ewiges Leben geben wird.
Das ist gewisslich wahr.«
Ich weiß, dass dieses Bekenntnis für viele kostbar ist, ein wertvolles Gut unserer Kultur und der kirchlichen Tradition, für viele noch immer ein Ausdruck ihres Glaubens. Es gibt gute Gründe, geschichtliche Güter wie dieses sehr sorgsam zu schützen. Wegwerfen ist schnell getan, etwas Neues an seine Stelle setzen ist schwierig und vielleicht gar nicht zu leisten.
Wenn wir allerdings heute empfinden, wir könnten nicht nur nachsprechen, was Frühere glaubten, sonst sei, was wir sagen, nicht unser Bekenntnis, sondern nur die Wiederholung eines früheren und es könnte sein, dass die alten Worte nicht mehr verstanden werden, dass sich der Reichtum der ursprünglich in ihnen verborgenen Gedanken nicht mehr öffnet und die Bilder und Symbole, die sie bewahren, den Geist und die Seele heutiger Menschen nicht mehr erreichen. Wenn sie ihre ursprüngliche Kraft und Aussage nicht mehr vermitteln, wird in veränderte, neue Bilder und Worte zu fassen sein, was missverständlich und fremd geworden ist, und wird für unsere Zeit ein neuer dem Verstehen heutiger Menschen zugänglicher Wortlaut zu formulieren sein.
Dabei gehöre ich durchaus nicht zu den Leuten, die sagen: Dieses Glaubensbekenntnis ist doch eine einzige Märchenstunde! Weder ist Christus durch den Geist Gottes empfangen noch von der Jungfrau geboren worden, noch ist er ins Totenreich abgestiegen, noch auferstanden, noch zum Himmel gefahren, noch sitzt er zur Rechten Gottes, noch wird er wiederkommen, zu richten die Lebenden und die Toten. Natürlich ist auch die Kirche nicht heilig, und natürlich ist mit dem Tod alles aus. Was sich...