2: Ein Hack des Systems – Warum wir die Geschlechterquote brauchen
»Homosoziale Kooptation«,[5] dieser schicke Fachbegriff beschreibt die Neigung, dass in ein bereits bestehendes Netzwerk vor allem Mitglieder aufgenommen werden, die als »ähnlich« gelten. Das ist quasi wie früher im Sportunterricht: Das Kind, das sein eigenes Team wählen darf, wird erst mal die eigenen Freund_innen an Bord holen, egal, wie gut oder schlecht sie im Ballspielen eigentlich sind. Dann kommen die mittelcoolen Kids und zum Schluss die eh schon ausgegrenzten Kinder dran – weil sie halt noch übrig sind (und die Lehrerin sonst wieder böse guckt).
Wenn die Personalabteilung also vor allem aus weißen, mittelalten Männern besteht, werden diese beim nächsten Bewerbungsgespräch wen bevorzugen? Richtig! Wer ebenfalls weiß, mittelalt und männlich ist, hat in einem solchen Gespräch die besten Chancen und das ziemlich unabhängig von der Qualifikation. Gleich und Gleich gesellt sich eben gern. Bestens zu erkennen ist das z.B. auf dem tumblr-Blog 100 per cent men[6]: Dort werden Screenshots und Fotos von Vorständen, Diskussionsrunden, Veranstaltungsprogrammen etc. gesammelt, die es noch nicht mal geschafft haben, eine einzige Alibi-Frau unterzubringen, und eben zu 100 Prozent männlich sind. Und wie sieht das im Fall Deutschland aus? Nun, kein anderes Wirtschaftsland hat so wenige Frauen in Führungspositionen wie wir. Kein. Anderes. Land. Nur in jedem dritten Unternehmen sind Frauen im Vorstand, im Aufsichtsrat oder in der Geschäftsführung.[7]
In uns allen schlummern Vorurteile, und wenn es darum geht, jemanden in unser Team zu wählen, wählen diese Stereotypen eifrig mit. Deswegen entscheiden wir uns eher für eine Person, die uns ähnelt, da wir sie vermeintlich am besten einschätzen können. Da wir aber nicht einfach nur alle Leute aufteilen müssen, die sich bewerben (wie im Sportunterricht), nehmen wir ausschließlich die uns ähnlichen, und somit fallen eine ganze Reihe Menschen einfach durchs Raster, die durchaus besser qualifiziert sein könnten. Das ist ein bisschen so, als würde jemand beim Online-Dating ausschließlich auf zwei Aspekte achten: »Hey, du magst Pizza und im Bett rumgammeln? ICH AUCH! Lass uns den Rest unseres Lebens miteinander verbringen!«
Okay, das Beispiel hinkt ein bisschen, denn Pizza und im Bett rumgammeln sind natürlich immer eine gute Basis! Dann nehme ich vielleicht doch eher das Bild aus Jaclyn Friedmans Talk »The Woman Solution: Diversity As Your Secret Weapon«: Wer Vielfalt nicht ernst nimmt, puzzelt nur, obwohl er_sie schon längst mit Lego viel tollere Sachen bauen könnte.[8]
Unsere unbewussten Vorurteile und dadurch entstehende Ausgrenzungen sind jedenfalls wissenschaftlich erforscht und auch kein Geheimnis mehr.[9] Wir Menschen tragen sie alle in uns, und so bildet die Personalauswahl da nun mal keine Ausnahme. Wenn dann aber gemeinhin so getan wird, als wäre das kein Problem oder würde sich irgendwann von selbst erledigen, ist das mehr als naiv. Das ändert sich nicht von selbst – alle, die mal versucht haben, sich das Nägelkauen abzugewöhnen, wissen das. Unbewusste Verhaltensweisen müssen bewusst angegangen werden, um sie abzulegen. Wir müssen sie sozusagen »austricksen«. Menschen mit anderen Lebenshintergründen in Betracht zu ziehen heißt schließlich nicht, dass diese weniger kompetent sind, um den Job gut zu erledigen – auch wenn dies immer wieder unterstellt wird und als vermeintliches Gegenargument für eine Quote herhalten muss.
Der ständige Hinweis darauf, dass Vielfalt echt ’ne gute Idee ist, insbesondere an Orten, wo wichtige Entscheidungen getroffen werden und unser gesamtgesellschaftliches Bild geprägt wird, hat ja mittlerweile schon was von Eltern, die ihren Kindern sagen, dass sie doch bitte ihren Spinat aufessen mögen. Ihr wisst doch, dass der gut für euch ist, warum sträubt ihr euch dann nur so dagegen?!? Unternehmen finden Diversity »ja schon wichtig und so« und trotzdem ist immer wieder die Rede davon, dass sie sich »aufraffen«, »durchringen« oder »in die Pflicht genommen werden« müssen, um diese Vielfalt herzustellen.
Nun, Gerechtigkeit zu schaffen heißt eben auch: Macht abgeben. Insofern verwundert es leider auch nicht, dass die Debatte um die Geschlechterquote so leidenschaftlich wie starrsinnig geführt wird. Immer wieder wird der Eindruck erweckt, dass Männer aufgrund der Quote um ihre rechtmäßigen Posten betrogen würden und Frauen lediglich da oben landen, weil ihre Hauptqualifikation das Frausein ist. Als ob Frauen durch die Quote in Berufszweige gebracht würden, von denen sie ohnehin keine Ahnung haben.
Soviel zu: Wir haben kein Sexismus-Problem
Die derzeitige Penis… – Verzeihung! –, die derzeitige Männerquote zeigt dagegen natürlich eindeutig, dass sonst ausschließlich die qualifiziertesten Männer in hohen Positionen landen. Solch unfehlbare Helden wie z.B. Hartmut Mehdorn, Karl-Theodor zu Guttenberg, Wolfgang Schäuble …
Juliane Leopold fasst zu dieser Argumentation in ihrem kleinerdrei-Artikel »Wenn keiner was sieht, wird keiner böse – Warum die Quote kommen muss« sehr schön zusammen:
Nur, weil eine Frau aufgrund einer Quote befördert wird, bedeutet das nicht, dass sie nicht qualifiziert ist. Man kann es nicht oft genug sagen: Quote und Qualifikation schließen einander nicht aus. Etwas anderes ist wahr: Quote und Qualifikation ergänzen sich. Denn die Quote setzt erst nach der Qualifikation an. Kein Befürworter einer Frauenquote in Aufsichtsräten oder in Medienjobs will wahllos auf die Straße gehen, eine Frau auswählen und ihr einen Job geben, nur weil sie […] zufällig des Weges kommt.[10]
Frauen wird im selben Atemzug eingeredet, dass sie ja bloß nicht die »Quotilde« sein möchten, sondern es lieber »von ganz allein« schaffen sollten. Erst im Januar 2013 war sich der »Focus« nicht zu doof für eine komplette Titelstory zum Thema. »Wir wollen keine Frauenquote!« riefen da lauter prominente Frauen und brachten es zu echten Wortperlen:
»Eine Quote verletzt die Würde der Frau. Denn jede Frau in einer Leitungsposition würde zur Quotenfrau«, sagte Nobelpreisträgerin Christiane Nüsslein-Volhard. »Das ist ein Stigma, das sich durch hervorragende Leistungen nicht tilgen lässt.« Die CSU-Politikerin Dagmar Wöhrl bekräftigte: »Eine fähige Frau braucht die Quote wie ein Walfisch die Kapuze. […]« »Die Quote diskriminiert Männer und würde uns Frauen eher schaden als nutzen«, sagte Veronica Ferres. […] Und »Tatort«-Kommissarin Simone Thomalla sagte: »Die Quote beschneidet die Freiheit der Firmen, Mitarbeiter einzustellen, die kompetent sind.«[11]
Davon abgesehen, dass ich das Bild eines Wals im Kapuzenpulli eigentlich ganz cool finde, fehlt hier ja echt nur noch die mit wild fuchtelnden Armen vorgetragene Drohung: Uaaar, die Quote wird euch Pickel und Stinkefüße machen und euer Erstgeborenes verspeisen!
Nur zur Erinnerung: Die derzeitige Quotenforderung liegt bei 30 Prozent. Bleiben also noch beachtliche 70 Prozent der Posten für Männer übrig. Wir reden also noch nicht mal über eine Verteilung à la 50:50, was eigentlich gerecht wäre. Komischerweise wird das aber weder als unfair empfunden, noch tauchen Fragen auf, ob diese Männer überhaupt qualifiziert genug seien, solche Posten auszufüllen. Männer bekommen das Ansehen, qualifiziert zu sein, inklusive. Das gilt für unsere gesamte Gesellschaft und wird nicht hinterfragt. (So viel zur Diskriminierung, liebe Frau Ferres.) Hinzu kommt: Erst ab einem Anteil von 30 Prozent werden Frauen in männerdominierten Runden auch wirklich gehört, und es wird nicht mehr nur männliches Verhalten zugelassen – jede Quote unter 30 Prozent ist also eher als Feigenblatt zu verstehen und wird die Unternehmenskultur nicht verändern.[12]
Dass es für Frauen ein größeres Stigma sein soll, Quotenfrau zu sein, als es für uns alle in dieser Gesellschaft ist, wirtschaftliche und politische Teilhabe nicht gerecht zu verteilen, erschließt sich mir jedenfalls nicht. Aber hey! Lieber noch mal mit High Heels nach den Frauen treten, die sich den Kopf an der gläsernen Decke stoßen und im mittleren Management rumdümpeln, während ihren männlichen Kollegen bis in die oberste Führungsebene die Hand gereicht wird. Pffft, ist doch egal, dass die Qualifikationen dieser Frauen für etwas Höheres geeignet sind. Dann hätten sie das sogenannte gebärfähige Alter eben niemals erreichen dürfen.
»Selbst schuld!«, das ist der immer wiederkehrende Tenor. Fast wöchentlich erscheint irgendein ein Artikel (vorzugsweise in der »FAZ«), dessen Inhalt sich übersetzt ungefähr so anhört: »Orrr Ladys, jetzt habt euch mal nicht so und hört auf zu stressen! Wir haben schließlich ’ne Bundeskanzlerin, Frauen dürfen echt alles, und Mädchen sind in der Schule eh erfolgreicher als Jungs – und an der Uni erst! Aber ihr beschwert euch immer noch, dass ihr es nicht allein nach oben schafft?! Wenn ihr es bis jetzt nicht gepackt habt, dann seid ihr wohl leider wirklich zu doof. Schiebt also bitte nicht den Männern die Schuld in die Schuhe. Apropos Schuhe! Hier ist noch ein Bild von Frauenbeinen in hochhackigen Schuhen zwischen...