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Das Heilsversprechen des Silicon Valley
Vor Silicon Valley galt der Begriff »Monopol« im amerikanischen Alltagslexikon als Schimpfwort. Was nichts daran ändert, dass viele danach strebten. Seit jeher versuchen Unternehmen mit aggressiven Mitteln, ihren Markt möglichst vollständig unter Kontrolle zu bekommen. Die meisten modernen Wirtschaftshandbücher beschreiben diesen Versuch als normal und gesund. Trotzdem galt das Ziel der Monopolbildung als kulturell unannehmbar und politisch gefährlich. Deshalb wagte es in den Vereinigten Staaten, die den Wettbewerb als besten Schutz gegen eine gefährliche Machtkonzentration feierten, kaum jemand, das Wort in den Mund zu nehmen. Selbst als die Regierung in den Achtzigerjahren die Verfolgung der Monopole weitgehend einstellte, hielten die Unternehmen an ihren ehrwürdigen Lippenbekenntnissen fest und feierten die Tugenden der Marktwirtschaft.
Dann kamen die neuen Technologiegiganten. Die Großkonzerne des Silicon Valley streben nicht nur aus wirtschaftlichen Gründen nach einem Monopol, und ihre Experten und Gurus sehen darin nicht einfach eine wirtschaftliche Tatsache. In den weitläufigen Büroparks im Süden von San Francisco hat das Monopol eine geradezu spirituelle Dimension erlangt und wird unverhohlen angestrebt. Die Technologiekonzerne sehen die Machtkonzentration ihrer Unternehmen (und der Netzwerke, die sie beherrschen) als notwendiges gesellschaftliches Gut und geradezu als Voraussetzung für den Weltfrieden und das Ende der menschlichen Entfremdung.
In besonders idealistischen Momenten kleiden die Konzerne ihre Ambitionen in vollmundige Verheißungen von Menschenrechten und Vernetzung. Diese erhabene Mission macht das Wachstum der Netzwerke zum Gebot und die Größe zum Selbstzweck. Sie wollen der Konkurrenz entgehen und eine Alleinstellung erreichen, um ihr schier überirdisches Potenzial zu verwirklichen. Dieser gefährliche Traum ist auch deshalb so verbreitet, weil er weit zurückreicht. Die Sehnsucht des Silicon Valley nach dem Monopol geht sonderbarerweise bis auf die Protestkultur der Sechzigerjahre zurück und entsprang poetischen Visionen von Frieden und Liebe. Genauer gesagt beginnt alles mit einem prominenten Hippie.
In den Sechzigerjahren fuhr Stewart Brand oft mit seinem Pick-up durch das neblige San Francisco. Auf der Ladeklappe prangte ein Aufkleber mit der Aufschrift »Custer starb für eure Sünden«. Über seiner nackten Brust hing eine Holzperlenkette. In der LSD-Szene, in der Brand kein Unbekannter war, galt er als »Indianer-Freak«.1 Diese Leidenschaft begann während eines Besuchs im Warm-Springs-Reservat, das er für die Broschüre eines Freundes fotografieren sollte, und sie gipfelte in seiner Heirat mit Lois Jennings vom Stamm der Odawa. Für Brand, Sohn eines Werbemanagers, waren die Ureinwohner eine Offenbarung.2 Sein Vater hatte das Drehbuch für ein angepasstes Leben in der Konsumgesellschaft der Fünfzigerjahre geschrieben, und diese Menschen waren der lebende Gegenentwurf dazu.
Wie so viele Weiße vor ihm fand Brand im Reservat eine Authentizität, die er in seinem eigenen Leben schmerzlich vermisste. Das Reservat war ein Bollwerk gegen die Zerstörung des Planeten und ein Zufluchtsort des »kosmischen Bewusstseins«.3 In einem ausgelassenen Moment witzelte Brand einmal: »Die Indianer sind so irdisch, dass sie außerirdisch sind.«4 Um die Werte zu verbreiten, die er in Warm Springs fand, gründete er eine kleine Tanztruppe und ließ sie in seiner Multimedia-Show »America Needs Indians« auftreten. Mit ihren Discostrahlern, der Musik und den projizierten Bildern war die Show »ein Peyote-Ritual ohne Peyote«,5 wie Brand meinte.
Mit diesem Spektakel gab Stewart Brand einen Vorgeschmack auf seine spätere Laufbahn als Unternehmer, der die Zukunft der Technologie mitgestalten sollte. Er hatte die Gabe, die spirituellen Sehnsüchte seiner Generation aufzugreifen und zu erklären, wie sie sich mithilfe der modernen Technik befriedigen ließen. Wie das funktionieren sollte, beschrieb er in Artikeln und Büchern, doch das waren noch seine konventionelleren Unternehmungen. Am bekanntesten wurde er als Erfinder eines neuen Genres, das gewissermaßen zu den Texten seiner Weggefährten verlinkte. Lange vor TED schuf er eine Konferenzreihe.
Brand sollte eine Revolution in der Computertechnik anstoßen. Die Ingenieure aus dem Silicon Valley verehrten den Mann, weil er ihnen die Bedeutung ihrer Arbeit auf eine Weise vor Augen führte, wie sie es selbst nicht konnten. Brand scharte eine Gruppe von Jüngern um sich, weil er die Technik in einen mitreißenden Idealismus kleidete. Wenn die Politik nicht in der Lage war, die Menschheit zu retten, dann konnten es vielleicht die Computer.
Dieser messianische Traum – die Rettung der Welt durch eine in friedlicher Zusammenarbeit geschaffene Technik – war von geradezu charmanter Unschuld. Doch im Silicon Valley lebt diese naive Vorstellung bis heute fort. Selbst die abgebrühtesten Konzerne haben sie zu ihrem Mantra gemacht. Was als Traum begann – die Vereinigung der Menschheit in einem einzigen, allumfassenden Netzwerk –, wurde zum Grundstein des Monopols. In den Händen von Facebook und Google wurde Brands Vision zum Feigenblatt der Macht.
Ehe Stewart Brand die Technologie neu erfand, drückte er den Sechzigern seinen Stempel auf. Wie so viele Geschichten aus den Jahren vor der Hippie-Ära beginnt auch diese mit einer gewissen Orientierungslosigkeit. Nach seinem Studium in Stanford meldete sich Brand zum Militärdienst. Seiner Zeit bei der Armee war kein Happy End beschieden, aber immerhin entwickelte er dort einen gewissen Organisationssinn und Führungstalent. Diese Fähigkeiten ließen ihn nie im Stich, selbst wenn er LSD eingeworfen hatte. (Er begann seine Experimente mit LSD im Jahr 1962, als man die Droge noch legal von Wissenschaftlern beziehen konnte.6) Brand hatte ein Talent, sachlich zu reden, mit dem er seine langhaarigen Freunde verblüffen und Säle füllen konnte. Als er sich mit Ken Kesey und seinen drogenseligen Schriftstellerfreunden, den Merry Pranksters, zusammentat, war er der »nüchterne, nachdenkliche Flügel«7 dieser bunten Hippietruppe – so stellt ihn zumindest Tom Wolfe in Unter Strom, seinem Reisebericht aus der jungen Gegenkultur, dar. Obwohl Brand einen Zylinder mit Blume trug und flotte Sprüche draufhatte, blieb er der Streber mit einem Zettelkasten voller Notizen.
Sein Beitrag zur Protestkultur war das Trips Festival, die größte LSD-Party, die Kesey und seine Freunde in San Francisco ausrichteten. Brand stellte ein dreitägiges Psychedelic-Programm zusammen, das die Sechziger, wie wir sie heute kennen, auf den Weg brachte. Unter anderem hatten hier die Grateful Dead ihren Durchbruch. Er versammelte sechstausend Hippies und vermittelte ihnen das Gefühl, zu einer Kultur zu gehören, und nicht zu einer Gegenkultur. Am ersten Abend brachte Brand mit seiner Tanztruppe »America Needs Indians« seine große Leidenschaft auf die Bühne.
Brands Lichteffekte und Bilder waren wie ein LSD-Trip – ein Versuch, mit künstlichen Mitteln das Bewusstsein zu erweitern. Amerika brauchte seine Ureinwohner, und Amerika brauchte LSD, um aus seiner bequemen Lethargie gerissen zu werden. Später sollte Brand den Computern dieselben bewusstseinserweiternden Eigenschaften zuschreiben. Doch zunächst war er kein Fan dieser Maschinen. Alles, was Brand und die junge Gegenkultur ablehnten – die hirnlose Anpassung an die Masse, die Diktatur der Bürokratie –, ließ sich auf ein einziges eindringliches Symbol reduzieren, nämlich den Computer. Im Rückblick auf die Sechziger sagte Brand später: »Die meisten Angehörigen meiner Generation lehnten Computer als Verkörperung der zentralistischen Kontrolle ab.«8
Auf der anderen Seite von San Francisco, an der Universität Berkeley, war die Kritik am Computer in den Anfängen der Neuen Linken zu vernehmen. Mario Savio, einer der Sprecher des Free Speech Movement, verglich die repressiven Kräfte an der Universität und in der Gesellschaft mit der Technik: »Irgendwann macht dich die Arbeit an der Maschine so krank, dass du nicht mehr mitmachen kannst. Dass du es nicht einmal mehr dulden kannst. Dass du deinen Körper in das Getriebe und in die Zahnräder werfen musst.«9 Manche von Savios Metaphern waren eindeutiger: »An der Universität bist du nicht mehr als eine IBM-Lochkarte.« Demonstrierende Studenten hängten sich Kärtchen um den Hals, in die sie das Wort »Streik« gestanzt hatten. Sie trugen ironische Transparente mit der Aufschrift: »Bitte nicht falten, biegen, rollen oder beschneiden«.10
Die Kritik war mehr als berechtigt. Angefangen bei IBM, dem undurchschaubaren Konzern, der diese Maschinen herstellte. Ende der Fünfzigerjahre kontrollierte IBM 70 Prozent des Computermarkts in den Vereinigten Staaten und hatte keinen ebenbürtigen Konkurrenten. Diese Monopolstellung verdankte der Konzern den herausragenden Leistungen seiner Ingenieure, aber auch der Unterstützung durch das Verteidigungsministerium und andere Behörden. (Dank dieser staatlichen Subventionen überflügelten die Vereinigten Staaten erstklassige europäische Unternehmen, die nicht in den Genuss staatlicher Förderung kamen.) Eines der ersten Modelle von IBM, der 701, hieß intern nach seinem...