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E-Book

Wenn missbrauchte Frauen Mutter werden

Die Folgen früher sexueller Gewalt und therapeutische Hilfen

AutorPenny Simkin, Phyllis Klaus
VerlagKlett-Cotta
Erscheinungsjahr2015
Seitenanzahl324 Seiten
ISBN9783608107890
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis41,99 EUR
Während der Schwangerschaft und der Geburt leben viele der Ängste und Selbstschutzreaktionen, die mit einem frühen sexuellen Missbrauch zusammenhängen, wieder auf. Eine kompetente Schwangerenbetreuung und Geburtsbegleitung erleichtern es, den erlittenen Missbrauch auf psychisch gesunde Weise zu verarbeiten. Neuere Untersuchungen gehen davon aus, dass 10 bis 15 % aller Mädchen im Alter bis 14 Jahren Opfer eines sexuellen Übergriffs werden. Den meisten ist nicht bewusst, welche Folgen ein früherer Missbrauch für die Schwangerschaft, Geburt und Mutter-Kind-Beziehung haben kann. Traumatisierte Frauen erleben die Schwangerschaft oft als eine Wiederholung der Gewalterfahrung. Sie nehmen u. U. das eigene Baby als Bedrohung wahr, sind außerstande, für sich selbst und für das Kind zu sorgen, haben kein Zutrauen in ihre Fähigkeit, eine gute Mutter zu werden und sind ohnehin häufig von ihren Familien entfremdet. Im Extremfall erscheint eine Kindstötung als letzter Ausweg. Die Autorinnen zeigen, wie eine Retraumatisierung der betroffenen Frauen verhindert werden kann und wie im besten Falle sogar alte Wunden heilen können. »Sexuell traumatisierte Frauen können durch Schwangerschaft und Geburt sehr leiden und ihr Stress kann auf das Baby übergehen. Leider verfügen Fachleute der Geburtshilfe bisher über wenig bis gar keine Fachkompetenz in diesem Bereich. Penny Simkin und Phyllis Klaus sind seit Jahrzehnten erfahrene Begleiterinnen von traumatisierten Schwangeren und Gebärenden und geben in diesem Buch ihr reiches Wissen und ihre Erfahrungen weiter. Dieses Buch ist ein Muss für alle, die in der Geburtshilfe und der Begleitung von Schwangeren tätig sind. Es hilft, mitfühlend und achtsam mit den betroffenen Frauen umzugehen und ihnen Retraumatisierungen durch unangemessene Interventionen zu ersparen. Versteht man diese oft als schwierig angesehenen Gebärenden besser, kann man ihnen besser beistehen und damit Mutter und Kind schützen. Das Buch bietet dazu reichhaltige Anregungen.« Luise Reddemann »Das Buch ist ein Ratgeber und zugleich viel mehr, nämlich ein Grundlagenwerk zu einem Thema, das in seinen Weiterungen und Implikationen für entscheidende Lebensbereiche noch längst nicht angemessen erforscht wurde.« AKJP über die Originalausgabe »Simkin und Klaus haben ein Buch verfasst, das Betroffene und professionelle Helfer gleichermaßen anspricht und trotz seines schwierigen Gegenstands durchgängig verständlich geschrieben ist. Ihr Buch ist ein Ratgeber und zugleich viel mehr, nämlich ein Grundlagenwerk zu einem Thema, das in seinen Weiterungen und Implikationen für entscheidende Lebensbereiche noch längst nicht angemessen erforscht wurde.« AKJP, Heft 152 / 2011 »Ein beeindruckendes Buch, das dringend gebraucht wird, weil es sonst nichts gibt, das missbrauchten Frauen und ihren Vertrauten in der so wichtigen Spanne der Geburt / Niederkunft hilft. Geschrieben mit Wärme und Mitgefühl, mit Tiefblick und immer klare Worte findend.« Sheila Kitzinger, Anthropologin und erfolgreiche Buchautorin »Kein Tag vergeht, an dem ich nicht etwas anwende, das ich aus diesem Buch gelernt habe. Es ist eine ganz wichtige Lektüre für jeden, der mit schwangeren Frauen arbeitet.« Kathryn McGrath, Schwangerschaftsberaterin, Sozialarbeiterin, Doula und Doula-Ausbilderin Dieses Buch richtet sich an: - KinderpsychologInnen und -psychiaterInnen - Hebammen, GeburtshelferInnen, GeburtsvorbereiterInnen - Kinderkrankenschwestern, KinderärztInnen - GynäkologInnen und StillberaterInnen

Penny Simkin, Physiotherapeutin, Geburtsvorbereiterin, Doula und Counselor sowie Buchautorin.

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Leseprobe

1. KAPITEL


Sexueller Kindesmissbrauch und wie die Gesellschaft ihn wahrnimmt

  • »Ich habe versucht, mit meiner Mutter darüber zu sprechen, dass mein Bruder mich belästigte, aber sie wollte mir nicht glauben. Es wurde immer schlimmer, manchmal konnte ich vor Schmerzen kaum laufen. Als meine Lehrerin mich fragte, was los sei, habe ich es ihr erzählt. Ich bin dann zu Pflegeeltern gekommen, und meine Mutter hat mir nie verziehen, dass ich die Familie zerstört habe.«
  • »Am vierten Geburtstag meiner Tochter bekam ich plötzlich Panikattacken. Ich hatte Flashbacks und erinnerte mich an den Missbrauch durch meinen Onkel. Damals war ich vier und mit meinen Eltern bei ihm zu Besuch.«
  • »Ich habe am eigenen Leib erfahren, dass man sich lächerlich macht und es peinlich ist, wenn man die Kontrolle verliert. Als die Wehen anfingen, habe ich deshalb um eine Periduralanästhesie gebeten. Mich nicht mehr unter Kontrolle zu haben wäre für mich die schlimmste Demütigung gewesen.«

Was ist sexueller Kindesmissbrauch?


Unter sexuellem Missbrauch oder sexueller Gewalt gegen Kinder versteht man jede sexuelle Handlung, die durch Erwachsene oder Jugendliche an, mit, oder/und vor einem Kind vorgenommen wird. Der Täter bzw. die Täterin nutzt die körperliche, psychische, kognitive und sprachliche Unterlegenheit des Kindes aus, um ihre oder seine Bedürfnisse auf Kosten des Kindes zu befriedigen.

Alle körperlichen Handlungen sowie psychische oder verbale Verhaltensweisen, die den Täter selbst oder Dritte sexuell erregen, sind sexueller Kindesmissbrauch. Zu körperlichem sexuellem Missbrauch zählen Geschlechtsverkehr, vaginale oder anale Penetration mit den Fingern oder mit Gegenständen, Oralsex sowie Berührungen der Genitalien des Kindes oder der Genitalien des Täters durch das Kind. Körperlicher sexueller Missbrauch kann mit physischer Gewalt einhergehen oder mit Freundlichkeit, Bevorzugung des Kindes vor anderen Kindern, Belohnungen oder Schmeichelei.

Zu psychischem sexuellem Missbrauch zählen die Exposition der Genitalien, Voyeurismus und zudringliches Interesse an der sexuellen Entwicklung des Kindes. Ein Kind zu zwingen, pornographisches Material zu betrachten oder sexuellen Handlungen zuzusehen, ist ebenfalls psychischer sexueller Missbrauch.

Als verbaler sexueller Missbrauch werden sexuelle Anspielungen gegenüber Kindern bezeichnet, Fragen und Bemerkungen, die ihre sexuelle Entwicklung oder ihren Intimbereich betreffen, sowie gegen das Kind gerichtete Vorwürfe, dass es »sexy« sei oder sich »freizügig« oder »nuttenhaft« verhalte.

Viele dieser Aktivitäten verletzen das Kind, ängstigen oder verwirren es. Das kleine Mädchen hat das Gefühl, dass irgendetwas mit ihm nicht in Ordnung sei oder dass es etwas falsch gemacht habe. Es weiß nicht einmal, wie oder ob es sich dem Verhalten des erwachsenen Täters entziehen kann. Diese Gefühle werden noch verstärkt, wenn es sich um jemanden handelt, dem es nicht aus dem Weg gehen kann, den es liebt oder von dem es abhängig ist. Sexuelle Gewalt wird zumeist von Erwachsenen verübt, denen das Kind vertraut (Väter, Stiefväter, Großväter oder andere Verwandte). Auch Babysitter, Freunde der Mutter, Autoritätspersonen, Nachbarn, Mitschüler, Geistliche, Brüder, Cousins, gleichaltrige Jugendliche, die das Mädchen auf einer Party kennenlernt, und völlig Fremde können zu Tätern werden.

Ritueller oder kultischer Missbrauch findet in einer geschlossenen sozialen Gruppe statt. Charakteristisch für die Tätergruppe sind mannigfaltige, extrem zerstörerische Formen sexueller, körperlicher und seelischer Gewalt, Gehirnwäsche, erzwungene Geheimhaltung und die Isolation von der Außenwelt.

Häufigkeit von sexuellem Kindesmissbrauch und typische Tätereigenschaften


Wie häufig Kinder in den USA sexuell missbraucht werden, ist nicht gesichert belegt. Schätzungen auf der Grundlage mehrerer Studien und Umfragen besagen, dass zwischen 25 % und 40 % der Mädchen und 20 % bis 25 % der Jungen sexuelle Gewalt erleben. Ähnliche Zahlen werden aus Kanada, Schweden und Großbritannien berichtet. Über die Häufigkeit von rituellem Missbrauch ist nichts bekannt.

Die meisten Täter sind männlich; das Verhältnis zwischen Männern und Frauen, die sich der sexuellen Gewalt gegen Kinder schuldig machen, beträgt 10 : 1. In über 80 % der Fälle ist der Täter dem Kind persönlich bekannt.

Die folgenden Geschichten illustrieren die drei Formen sexueller Gewalt und ihre Folgen für das spätere Leben der Opfer.

Brandy

Brandy erlitt körperlichen sexuellen Missbrauch.

Als Kind wurde Brandy von einem Babysitter betreut, der sie anfasste. Brandy blieb stets vollständig bekleidet, hatte aber das Gefühl, dass irgendetwas nicht stimmte. Sie wusste, dass die Art und Weise, wie er sie streichelte, nicht richtig war. Niemand sonst hatte sie je zuvor auf diese Art berührt. Hinzu kam die Heimlichtuerei – er verbot ihr, mit irgendjemandem darüber zu sprechen. Der merkwürdige Gesichtsausdruck, den er bekam, wenn er sie anfasste und massierte, bereitete ihr größtes Unbehagen.

Mehrmals wöchentlich wachte Brandy des Nachts schreiend aus dem immer gleichen Albtraum auf. Eines Nachts lief sie ins Schlafzimmer ihrer Eltern und legte sich zu ihnen in das sichere, warme Bett. Nun erzählte sie ihnen, was sie mit dem Babysitter erlebte. Die Eltern sorgten dafür, dass sie ihn nie wiedersah. Niemand hat sie je wieder so angefasst wie er. Sie fühlte sich sicher.

Ihrem Ehemann hatte sie von dem Babysitter erzählt. Er begriff, dass sie es nicht mochte, beim Sex massiert zu werden. Noch als verheiratete Frau wurde sie dadurch an die sexuelle Gewalterfahrung und die damit verbundenen Gefühle erinnert. Als sie später, in der Schwangerschaft mit ihrem ersten Kind, zusammen mit ihrem Mann an einem Geburtsvorbereitungskurs teilnahm, beschlossen sie, die ausgiebige Streichelmassage ausfallen zu lassen. Sie wussten, was für sie beide das Beste war, und entschieden sich für andere Entspannungsmethoden.

Trudy

Trudys Geschichte ist ein Beispiel für seelischen Missbrauch.

Trudys Vater wollte sichergehen, dass seine Tochter ein »unbescholtenes Leben« führte und kein »Flittchen« würde. Keinesfalls sollte sie sich sexuell aufreizend verhalten oder promiskuitiv werden. Als Trudy in die Pubertät kam, begann er, sie streng zu überwachen. Wenn sie einen Jungen interessiert anblickte, sich auf bestimmte Weise setzte oder Kleidung trug, die ihrem Vater missfiel, wurde sie bestraft.

Die Bestrafung bestand darin, dass sie sich vor ihrem Vater ausziehen musste. Auf sein Kommando hin legte sie langsam ein Kleidungsstück nach dem anderen ab. Sobald sie nackt dastand, spazierte ihr Vater mehrmals um sie herum, setzte sich dann auf einen Stuhl und starrte sie an. Nach dieser Maßregelung befahl er ihr, sich nicht wie eine Hure zu benehmen – andernfalls würde er sie als solche behandeln.

Auf diese Weise angestarrt zu werden war für Trudy demütigend und zutiefst verletzend. Sie glaubte, sich schuldig gemacht zu haben, hatte aber auch das Gefühl, dass es ihren Vater befriedigte, sie zu bestrafen. Noch Jahre nach dieser Erfahrung sexueller Gewalt wurde sie von Scham- und Angstgefühlen heimgesucht, wenn sie sich auszog und zufällig von Familienangehörigen oder Freunden gesehen wurde.

Dass sie sich schließlich in Beratung begab, verdankte sie ihrem Hausarzt, den sie seit Jahren kannte und dem sie vertraute. Sie hatte ihn aufgesucht, weil sie glaubte, einen Knoten in ihrer Brust entdeckt zu haben. Während der Untersuchung bat er sie, sich aufrecht, mit freiem Oberkörper, vor ihn hinzusetzen, damit er die Brüste auf ihre Symmetrie untersuchen konnte. Als er seinen forschenden Blick auf sie richtete, brach sie in Tränen aus. Der Arzt wollte sie mit Informationen über Brustkrebserkrankungen beruhigen. Er ahnte nicht, dass das Angestarrt-Werden und nicht die Angst vor Brustkrebs ihren Zusammenbruch verursacht hatte.

Rebecca

Rebeccas Kindheit und Jugend waren von verbalem sexuellem Missbrauch überschattet.

Rebecca erinnert sich, dass ihre Eltern ihr schon, als sie erst vier Jahre alt war, eintrichterten, dass sie später einmal gut aussehen müsse. Sie steckten sie in provozierend wirkende Kleidchen und Blüschen und schminkten sie. Jahrelang predigten sie ihr, dass sie »sexy aussehen« müsse, dann würden die Männer sie geradezu »fressen«. Wenn sie attraktiv sei, würde sie sich die Männer »nicht vom Leib halten« können.

Als Rebecca vierzehn Jahre alt wurde, hatte sie 40 kg Übergewicht und nicht die geringste Ahnung, weshalb. Im College wandte sie sich schließlich an eine Beraterin, die ihr half, den Zusammenhang zwischen ihrem Übergewicht und dem, was ihre Eltern ihr von Kindheit an eingeredet hatten, zu erkennen. Rebecca wollte nicht »sexy« sein. Sie wollte nicht von Männern »gefressen« werden. Sie wollte sich die Männer vom Leib halten und versteckte sich hinter ihrem Übergewicht. In der Beratung bearbeitete sie zahlreiche Konflikte und Schwierigkeiten und schaffte es, ihre Extrakilos loszuwerden. Doch auch als normalgewichtige junge Frau legte sie keinen Wert darauf, sexy zu wirken. Sie ließ niemanden, den sie kennenlernte, darüber im Zweifel, dass sie kein Sexualobjekt war.

Ein Jahr nach ihrem Collegeabschluss...

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