Vorwort
Dieser blaue Planet am Rand der Milchstraße, er ist perfekt geschaffen fürs Leben. Es gibt Luft zum Atmen, Wasser zum Trinken, an den Bäumen wachsen Früchte, in den Meeren schwimmen Fische, und in den Wäldern tiriliert ein buntes Vogelvolk, und die Böcke suchen in jedem Herbst ihr scheues Reh. Es gibt einen Nord- und einen Südpol. Die Himmelsrichtungen sind also klar vorgegeben, man kann sich nicht verlieren. Alles in allem eigentlich ein Paradies, eine Welt, in der wir leben wollen.
Ein Jahr auf diesem Planeten zählt 365 Tage. Fantastisch, Zeit genug für vier Jahreszeiten! Es gibt einen Mond. Als Sichel oder vollständig rund leuchtet er am Nachthimmel zwischen Milliarden funkelnder Sterne. Tagsüber scheint die Sonne, wenn es nicht regnet, und passiert beides zugleich, gibt es einen Regenbogen. Und da, wo dieser mit seinem in allen Spektralfarben leuchtenden himmlischen fast Halbrund den Boden berührt, da, so heißt es, liegt ein Schatz begraben.
Und damit sind wir bei dem Problem dieses Planeten am Rand der Milchstraße angekommen. Diese Legende vom Regenbogen und dem Schatz stammt nicht von einem Reh, Fisch oder Vogel, nein, geboren wurde sie in der Fantasie eines Homo sapiens – eine intelligente, von Affen abstammende Lebensform.
Diese Intelligenzbestien – vielleicht weil sie mehr der inneren Bestie als der gemeinsamen Intelligenz gefolgt sind – strengen sich seit den letzten 150 Jahren ihrer immerhin schon 150 000 Jahre währenden Existenz auf diesem Planeten mächtig an, sich selbst abzuschaffen.
Im Jahr 2016 der menschlichen Zeitrechnung ist ein Buch erschienen, dessen Titel (»Die Menschheit schafft sich ab«) diese Tendenz der Menschheit, sich selbst abzuschaffen – trotz Beginn des postfaktischen Zeitalters –, mit wissenschaftlichen Fakten belegt hat. Obwohl besagtes Buch über eine Bestandsaufnahme des Zustandes unseres Planeten hinausgeht und Lösungsansätze beschreibt, glauben die Autoren, dass sie den Lesern und vielen anderen (auch sich selbst) Antworten auf eine immer wieder gestellte Frage schulden:
»Was sollen wir tun?«
»Was sollen wir denn verdammt noch mal tun?«
In diesem Buch wird es daher vor allem um Antworten auf diese Frage gehen, um Wege aus der Handlungskrise, um Visionen für eine gedeihliche Gesellschaft.
Harald Lesch und Klaus Kamphausen sagen:
»Wenn nicht jetzt, wann dann? Handeln wir für eine Welt, in der wir leben wollen!«
Wenn nicht jetzt …
Die ökologische Ausbeutung des Planeten, gnadenloser Neoliberalismus, digitale Kontrollgesellschaft, naturwissenschaftlicher Machbarkeitswahn, die Entsolidarisierung der Gesellschaft, der dramatische Klimawandel und seine Folgen – das alles lässt uns an Grenzen stoßen. Überall spielt Geld die Rolle des Ziels. Möglichst mit allem muss Geld verdient werden, auch mit der Pflege der Alten und Kranken, der Betreuung unserer Kinder, mit Gemeineigentum. Fast immer zählen nur noch wirtschaftliche Argumente. Der stärkste Minister ist der Finanzminister. Als ob ein Kassenwart bestimmen könnte, wohin die Reise geht. Die Durchökonomisierung sämtlicher Lebensbereiche beraubt uns mehr und mehr unserer demokratischen Freiheiten. Wir erleben eine elementare Krise unserer Gesellschaft. Sie scheint durch die schiere Zahl und Komplexität der Herausforderungen ebenso gelähmt wie der Einzelne.
… wann dann?
Was können wir, was kann der Einzelne tun gegen Hunger, Krieg, Umweltzerstörung, Armut, Ungerechtigkeit, Machtmissbrauch – für eine zukunftsfähige, vermögende, gedeihliche Gesellschaft, für eine Welt, in der wir leben wollen?
Wie lassen sich die ökologischen, ökonomischen, politischen, sozialen Probleme konstruktiv, nachhaltig, lokal und global lösen?
Unser letztes Buch schloss mit einem Zitat von Albert Camus:
»Der Mensch ist nichts an sich.
Er ist nur eine grenzenlose Chance.
Aber er ist der grenzenlos Verantwortliche für diese Chance.«
Zeigen wir also die grenzenlosen Chancen auf! Und beginnen wir endlich, die grenzenlose Verantwortung für diese Chancen wahrzunehmen, denn viel Zeit haben wir nicht mehr, wir müssen uns beeilen. Wir müssen uns entscheiden, wir müssen handeln.
In der Entscheidung – und wir können uns jeden Tag neu entscheiden – , in der Tat des Einzelnen liegt das reine Vermögen, die Lösung.
Um dieses Entscheiden für jeden von uns zu erleichtern, brauchen wir nicht nur stabile und sozial gerechte Gesellschaften, sondern auch entsprechende politische Rahmenbedingungen und Strukturen. Wir brauchen eine neue Erzählung, die uns auch emotional erreicht und die neue Werte vermittelt. Anders gesagt: Wie können wir uns und die anderen inspirieren, motivieren, uns Tag für Tag für ein nachhaltiges Handeln zu entscheiden, ohne dass wir lange darüber nachdenken müssen? Wie können wir den Menschen Lust machen, ihr Leben umzukrempeln?
Wir können Lösungsansätze aufzeigen! Interessante und spannende! Durch die Summe von Lösungen entsteht nach und nach, wie bei einem Puzzle, ein immer deutlicheres, klareres Bild einer Welt, die noch nicht existiert, das Bild einer anderen Zukunft. Das Bild einer lebenswerten Zukunft.
Schütten wir diese Puzzleteilchen also auf den Tisch – oder auf die folgenden Seiten dieses Buches –, damit ein Bild entstehen kann.
Puzzles mit 10 000 Teilchen kennen Sie? Das ist doch eine Herausforderung, wenn man diese Teilchen auf den Tisch schüttet, und ein großartiges Erlebnis, wenn man die ersten beiden Puzzlestückchen zusammensteckt, jetzt geht es nämlich los, da passt was zusammen. Mal sehen, welche Teile noch passen. Ja, ja, ja!
Natürlich gibt es beim Puzzle auch Phasen, in denen nichts richtig vorwärtsgeht. Man sucht und sucht, und nichts passt, bis, ja bis dann doch wieder ein passendes Teilchen das Bild ergänzt. So entsteht allmählich ein Bild. Hier und da fehlt vielleicht noch was, aber wir wissen, wie es aussehen soll. Und genau darum geht es in diesem Buch, Teilchen für Teilchen zu einem Bild zusammenzusetzen.
Natürlich, wir basteln hier an einem Zehntausenderpuzzle, das ist ein komplexes Ding, da heißt es, mit Demut, Geduld und mit Spaß bei der Sache bleiben.
Ernährung und Landwirtschaft, Energie, Mobilität, Städte, Klima, Industrie, Konsum, Finanzwesen, soziale Gerechtigkeit, Big Data und künstliche Intelligenz (als ob wir sicher sein könnten, dass wir über natürliche Intelligenz verfügen!), Macht, Bildung, Biodiversität, Krieg und Frieden und last, but not least die Ethik einer Transformation zu einer ökologischen Welt – das ist der bunte Teilchenhaufen dieses Buchs. Fangen wir an und schauen, welche passen, aber Sie werden im Laufe des Buches erkennen, es hängt sowieso alles zusammen.
Handeln für eine Welt, in der wir leben wollen
Der Untertitel unseres Buchs sagt es ja, dieses Buch versucht, von den guten Dingen zu erzählen, von den Dingen, die richtig laufen, und es will Lösungen zeigen für so vieles, das unserer Meinung nach falsch läuft. Natürlich muss man dazu wissen, was richtig laufen soll. Man muss eine Ahnung haben, was das bedeutet, »richtig«. Und dafür brauchen wir die Wissenschaft.
Die Wissenschaft kann uns Erklärungen liefern und Wege aufzeigen bei Fragen zum Klimawandel, zur Energiewende, globaler Gerechtigkeit und zu vielem mehr. Sie kann Lösungen vorschlagen, wie wir Ressourcen und Gelder, Chancen und Möglichkeiten besser verteilen. Anders gesagt, wie wir aus der Welt eine bessere Welt machen, in der wir leben wollen und können.
Die Wissenschaft wäre ein wichtiger Partner. Verfolgt man jedoch die aktuellen Nachrichten aus der Wissenschaft, dann ist man oft ratlos, so wenig kann man damit anfangen, weil man so wenig versteht, was Wissenschaftler da eigentlich treiben.
So gab es jüngst immer wieder sensationelle Neuigkeiten über die Gravitationswellen. Die Astronomie ist – für mich als Astrophysiker sowieso – eine wunderbare Wissenschaft. Sie erzählt viel darüber, was am Himmel über uns passiert, dem Himmel, von dem Kant sagte, zwei Dinge erschütterten sein Gemüt immer wieder: »der bestirnte Himmel über mir und das moralische Gesetz in mir«.
Über diesen bestirnten Himmel wissen wir heute unglaublich viel. Die Entdeckung der Gravitationswellen ist dabei schon etwas Besonderes. Hut ab und Gratulation an alle, die daran beteiligt sind. Aber zugleich sind es unvorstellbare Zahlen, mit denen die Wissenschaftler hantieren, da sagt man sich als normaler Mensch, du lieber Gott, was ist das für eine Präzision!
Eine Gravitationswelle, die durch die Verschmelzung von zwei schwarzen Löchern in einer Entfernung von 1,3 Milliarden Lichtjahren verursacht worden ist, bewirkt bei uns eine Längenänderung von einem Tausendstel Protonenradius. Solche allerkleinsten Längen, präzise ein Trillionstel Meter, werden mithilfe kilometerlanger Laserinterferometer auf der Erde gemessen. So genau können inzwischen wissenschaftliche Instrumente Wirkungen messen. Hier trifft sozusagen das fast Allerkleinste auf das fast Allergrößte.
Ein Tausendstel Protonenradius oder ein Trillionstel Meter. Das ist so gut wie nichts, unter uns gesagt. Und auf der anderen Seite steht die Entfernung dieser schwarzen Löcher: 1,3 Milliarden Lichtjahre. Wie weit das ist, kann man sich genauso wenig vorstellen. Das heißt, die Wissenschaft präsentiert uns fundamentale Erkenntnisse über die Welt aus dem Allerkleinsten und dem Allergrößten. Aber anfangen können wir damit wenig.
Genauso aber erhalten wir ständig...