Mehr zahlen, weniger bekommen
Warum fette Bonuszahlungen
nicht immer funktionieren
Stellen Sie sich einmal vor, Sie wären eine dicke, glückliche Laborratte. Eines Tages hebt eine behandschuhte menschliche Hand Sie vorsichtig aus der gemütlichen Kiste, die Sie Ihr Heim nennen, und setzt Sie in eine andere, weniger gemütliche Kiste, in der sich ein Labyrinth befindet. Da Sie von Natur aus neugierig sind, wandern Sie mit zuckenden Tasthaaren darin herum. Dabei stellen Sie rasch fest, dass das Labyrinth zum Teil schwarz und zum Teil weiß ist. Sie folgen Ihrer Nase in einen weißen Bereich. Nichts passiert. Dann biegen Sie nach links ab und gelangen in einen schwarzen Abschnitt. Sobald Sie eine Pfote hineinsetzen, bekommen Sie einen ganz gemeinen Stromstoß.
Eine Woche lang werden Sie nun jeden Tag in ein anderes Labyrinth gesetzt. Die gefährlichen und die ungefährlichen Bereiche sind immer woanders, und auch die Farben der Wände und die Stärke der Stromstöße wechseln täglich. Manchmal sind die Abschnitte, in denen Sie einen leichteren Schlag bekommen, rot. Andere Male haben die Teile, wo Sie ein besonders fieser Schlag trifft, ein Punktmuster. Manchmal sind die ungefährlichen Teile mit einem schwarz-weißen Schachbrettmuster versehen. Ihre tägliche Aufgabe besteht darin, zu lernen, wie Sie auf dem sichersten Weg und möglichst unter Vermeidung der Elektroschocks durch das Labyrinth kommen (Ihre Belohnung dafür besteht darin, dass Sie keine Stromstöße erhalten). Wie gut werden Sie abschneiden?
Vor über einem Jahrhundert führten Robert Yerkes und John Dodson[4] dieses grundlegende Experiment in verschiedenen Varianten durch und fanden dabei zwei Dinge über Ratten heraus: wie schnell sie lernen und, was noch wichtiger ist, bei welcher Stärke der Stromschläge sie am schnellsten lernen. Nun könnten wir vermuten, dass die Motivation zu lernen mit der Stärke der Stromschläge zunehme. Dass die Ratten bei schwachen Stromschlägen einfach dahintappten, da sie die gelegentlichen schmerzlosen Stöße nicht motivieren würden. Doch mit steigender Stromstärke und zunehmendem Unbehagen, so vermuteten die Wissenschaftler, würden sich die Ratten wie unter feindlichem Beschuss fühlen und daher motiviert sein, schneller zu lernen. Folgt man dieser Logik, würde man annehmen, dass die Ratten dann am schnellsten lernen, wenn sie wirklich den stärksten Stromschlägen entkommen wollen.
In der Regel gehen wir davon aus, dass ein Zusammenhang besteht zwischen der Stärke des Anreizes und höherer Leistung. Es scheint naheliegend, dass wir uns, je motivierter wir sind, etwas Bestimmtes zu schaffen, umso mehr Mühe geben, unser Ziel zu erreichen, und uns diese erhöhte Anstrengung schließlich unserem Ziel näher bringt. Zumindest werden damit zum Teil die schwindelerregend hohen Bonuszahlungen für Börsenmakler und Firmenmanager begründet: Geben Sie den Leuten eine sehr hohe Prämie, dann sind sie motiviert, auf sehr hohem Niveau zu arbeiten und hohe Leistungen zu erbringen.
Manchmal sind unsere intuitiven Annahmen über den Zusammenhang zwischen Motivation und Leistung (und allgemein unserem Verhalten) richtig; dann wiederum stimmen Realität und Intuition einfach nicht überein. Einige Ergebnisse der Experimente von Yerkes und Dodson bestätigten, was die meisten von uns erwarten würden, andere jedoch nicht. Bei sehr schwachen Stromschlägen waren die Ratten nicht besonders motiviert und lernten folglich nur langsam. Bei mittlerer Stärke waren die Ratten motivierter, möglichst rasch die Spielregeln herauszubekommen, und lernten schneller. Bis zu diesem Punkt stimmen die Ergebnisse mit unseren Annahmen über den Zusammenhang zwischen Motivation und Handlung überein.
Doch dann die Überraschung: Wenn der Stromschlag sehr stark war, nahm die Leistung der Ratten ab! Zugegeben, es ist schwierig, in den Kopf einer Ratte zu schauen, doch allem Anschein nach konnten sich die Ratten bei den stärksten Stromschlägen auf nichts anderes konzentrieren als auf ihre Angst vor einem neuen Schlag. Gelähmt vor Entsetzen, konnten sie sich nur schwer daran erinnern, welche Teile des Käfigs ungefährlich waren und welche nicht, und waren daher nicht in der Lage, die Strukturen ihrer Umgebung zu erkennen.
Angesichts des Experiments von Yerkes und Dobson sollten wir uns fragen, wie die Beziehung zwischen Bezahlung, Motivation und Leistung auf dem Arbeitsmarkt tatsächlich aussieht. Schließlich haben ihre Experimente deutlich gezeigt, dass Anreize eine zweischneidige Sache sein können. Bis zu einem bestimmten Punkt motivieren sie uns, zu lernen und gute Leistungen zu erbringen. Steigt der Motivationsdruck aber über diesen Punkt hinaus, kann er davon ablenken, sich auf eine Aufgabe zu konzentrieren und sie zu bewältigen – ein Ergebnis, das sich niemand wünschen wird.
Die Grafik zeigt drei mögliche Beziehungen zwischen Anreiz (Bezahlung, Elektroschocks) und Leistung. Die hellgraue Linie stellt eine einfache Beziehung dar, bei der höhere Anreize linear die Leistung steigern. Die durchbrochene graue Linie stellt eine Beziehung zwischen Anreiz und Leistung dar, bei der der »Ertragszuwachs« abnimmt.
Die durchgehende dunkelgraue Linie stellt die Ergebnisse von Yerkes und Dodson dar. Bei niedriger Motivation tragen zusätzliche Anreize zu einer Leistungssteigerung bei. Doch mit ansteigender Grundmotivation können zusätzliche Anreize kontraproduktiv sein und die Leistung vermindern. Es entsteht das, was Psychologen oft als »inversen U-Verlauf« bezeichnen.
Natürlich sind Elektroschocks in der realen Welt nicht gerade ein üblicher Anreiz, aber die Beziehung zwischen Motivation und Leistung, die bei diesem Experiment festgestellt wurde, lässt sich sicher auch auf andere Arten von Motivation übertragen, zum Beispiel auf die finanzielle Belohnung dafür, hohe Geldgewinne erzielt zu haben. Stellen wir uns einmal vor, Yerkes und Dodson hätten anstatt der Elektroschocks Geld verwendet (vorausgesetzt, dass Ratten tatsächlich scharf auf Geld wären). Bei niedrigen Bonuszahlungen würden die Ratten nicht reagieren und keine gute Leistung erbringen. Bei mittelhohen Prämien würden die Ratten stärker reagieren und mehr leisten. Doch bei sehr hohen Boni wären sie »übermotiviert«. Sie hätten Schwierigkeiten, sich zu konzentrieren, und folglich wäre ihre Leistung geringer als bei niedrigeren Prämien.
Würden wir also denselben inversen U-Verlauf im Verhältnis zwischen Motivation und Leistung bekommen, wenn wir das Experiment statt mit Ratten mit Menschen und mit Geld als Anreiz durchführen würden? Oder, um die Sache unter einem praktischen Gesichtspunkt zu betrachten, wäre es finanziell sinnvoll, Leuten sehr hohe Boni zu zahlen, um sie zu guten Leistungen anzuspornen?
Die Goldgrube der Bonuszahlungen
Im Licht der Finanzkrise von 2008 und der darauf folgenden Empörung über die Fortsetzung von Bonuszahlungen an etliche derer, die man für die Krise verantwortlich machte, fragen sich die Menschen, wie Anreize eigentlich auf Führungskräfte und Wall-Street-Manager wirken. Die Unternehmensleitungen gehen im Allgemeinen davon aus, dass sehr hohe leistungsbezogene Boni Führungskräfte zu höheren Anstrengungen motivieren und diese wiederum zu besseren Ergebnissen führen.[5] Doch ist das wirklich der Fall? Bevor Sie darüber nachdenken, schauen wir uns doch einmal an, wie die empirischen Ergebnisse aussehen.
Um die Wirksamkeit finanzieller Anreize als Mittel zur Leistungssteigerung zu prüfen, führten Nina Mazar (Professorin an der University of Toronto), Uri Gneezy (Professor an der University of California in San Diego), George Loewenstein (Professor an der Carnegie Mellon University) und ich ein Experiment durch. Wir stellten den Teilnehmern Geldprämien jeweils unterschiedlicher Höhe in Aussicht, wenn sie ihre Aufgabe gut bewältigten, und maßen dann die Wirkung der verschiedenen Anreize auf die Leistung. Insbesondere interessierte uns, ob die sehr hohen Prämien zu einer Leistungssteigerung führten, wie wir ja üblicherweise unterstellen, oder – analog zu dem Rattenversuch von Yerkes und Dodson – zu einem Leistungsabfall.
Einige Teilnehmer sollten einen relativ geringen Bonus erhalten (etwa in Höhe eines Tageslohns). Andere konnten sich einen Bonus in mittlerer Höhe (etwa der Hälfte ihres normalen Monatsgehalts entsprechend) verdienen. Die wenigen Glücklichen – und zugleich die für unsere Zwecke wichtigste Gruppe – hatten die Möglichkeit, einen sehr hohen Bonus zu erhalten, etwa das Fünffache ihres normalen Monatsgehalts. Wir hofften, durch den Vergleich der Leistungen dieser drei Gruppen eine genauere Vorstellung davon zu bekommen, wie effektiv die Boni im Hinblick auf eine bessere Leistung tatsächlich waren.
Ich kann mir vorstellen, dass Sie jetzt denken: »Wo kann ich mich für dieses Experiment anmelden?« Doch bevor Sie Spekulationen über unseren vermeintlich exorbitanten Forschungsetat anstellen, möchte ich Ihnen sagen, dass wir es genauso machten wie viele Unternehmen heutzutage – wir verlegten das ganze Projekt ins ländliche Indien, wo die Menschen im Monat durchschnittlich 500 Rupien (etwa 11 Dollar) zum Leben brauchen. Auf diese Weise konnten wir aus Sicht unserer Teilnehmer beträchtliche Boni anbieten, ohne uns den Zorn der Universitätsverwaltung zuzuziehen.
Nachdem wir den Ort für unsere Experimente festgelegt hatten, mussten wir noch die Aufgaben selbst auswählen. Zunächst dachten wir an solche, die auf purer Anstrengung basierten, wie etwa Laufen, Kniebeugen machen oder Gewichtheben, doch da Unternehmensleiter und...