VORWORT
»Veränderungen sind schwer!«
Dieses Gefühl haben wir so verinnerlicht, dass wir uns gar nicht erst fragen, ob es berechtigt ist oder nicht. Es gibt ja auch gute Gründe dafür, warum viele von uns den Wandel als steilen Gipfel betrachten, den wir mühsam erklimmen müssen. Denken Sie nur einmal an all die Neujahrsvorsätze, die so gut wie immer scheitern. Durchschnittlich nimmt sich jemand zehn Jahre hintereinander stets genau dasselbe vor – ohne Erfolg. Innerhalb von vier Monaten werden 25 Prozent der Vorsätze aufgegeben. Und wem es tatsächlich gelingt, einen guten Vorsatz umzusetzen, der hat sich damit schon die letzten fünf oder sechs Jahre gequält.
Ebenso wird die Veränderung der Organisationsstruktur von Unternehmen meist als schwierig wahrgenommen. Die gängigen Managementratgeber empfehlen Haurucklösungen, wie Führungskräfte ihre lahme Belegschaft wieder motivieren können. Meist erzählen solche Bücher simple Fabeln, illustriert mit sympathischen Tierfiguren, die die Botschaft besser rüberbringen sollen. Einige dieser Bücher werden Bestseller wie zum Beispiel John Kotters Das Pinguin-Prinzip, das seine Weisheiten in mundgerechten Portionen serviert: Man müsse seine Mitarbeiter davon überzeugen, dass eine Katastrophe – oder eine Bedrohung – unmittelbar bevorsteht. Nur dann seien sie motiviert genug, sich für Veränderungen zu öffnen.
Doch im Gegensatz zur vorherrschenden Meinung müssen Veränderungen, ob nun im Geschäfts- oder im Privatleben, weder schmerzlich sein, noch muss ihre Notwendigkeit durch Panikmache vermittelt werden, um uns selbst oder unsere Kollegen zu sinnvollem Handeln anzutreiben. Was Sie auf den folgenden Seiten lesen werden, räumt mit dem Mythos vom schwierigen Wandel ein für alle Mal auf. Sie werden all die Hindernisse beseitigen, die Einzelpersonen und Arbeitsgruppen davon abhalten, die gewünschten Ergebnisse zu erzielen. Sie werden herausfinden, dass Veränderungen nicht nur das letzte verzweifelte Mittel sind, um auf eine bedrohliche Situation zu reagieren.
Dieses Buch wird Ihnen zeigen, wie Sie die Kraft des Kaizen für sich nutzen können: kleine Schritte zum Erreichen großer Ziele. Kaizen ist ein uralter philosophischer Weg, der sich am besten mit einer Aussage aus dem Dao De Jing illustrieren lässt: »Eine Reise von tausend Meilen beginnt mit dem ersten Schritt.« Obwohl der Kaizen-Weg in einer altehrwürdigen Tradition verwurzelt ist, liefert er auch für unser hektisches modernes Leben praktische und effektive Problemlösungen.
Kaizen definiert sich auf zweierlei Weise.
Man nutzt kleine Schritte, um eine Gewohnheit, einen Prozess oder ein Produkt zu verändern.
Man nutzt kleine Momente, um Inspiration für neue Produkte und Inventionen zu finden.
Ich werde Ihnen zeigen, wie leicht der Wandel wird, wenn Sie von der Neigung Ihres Gehirns zur Veränderung richtigen Gebrauch machen. Sie werden hier viele Beispiele entdecken, die Ihnen zeigen, wie Sie mit kleinen Schritten Ihre größten Träume Wirklichkeit werden lassen. Mit Kaizen können Sie schädliche Gewohnheiten wie Rauchen oder falsches Essverhalten ablegen. Und Sie können positive, neue Gewohnheiten herausbilden, wie zum Beispiel Sport zu treiben oder Ihre Kreativität zu steigern. Auf das Geschäftsleben angewandt, lernen Sie mit Kaizen, wie Sie Ihre Mitarbeiter auf inspirierende Weise motivieren und fördern. Doch zu Beginn möchte ich mit Ihnen einige weitverbreitete Mythen über Veränderungen im Allgemeinen betrachten und Ihnen zeigen, wie Kaizen dazu beiträgt, alle Hindernisse aus dem Weg zu räumen, mit denen Sie sich in den letzten Jahren selbst blockiert haben.
Mythos Nr. 1: Veränderungen sind schwer
Sehen wir uns ein Beispiel an, das zeigt, wie einfach der Wandel sein kann beziehungsweise wie wenig Zeit, Selbstkontrolle und Disziplin er von uns fordert. Jüngere wissenschaftliche Untersuchungen zeigen, dass Menschen, die einen Großteil Ihres Lebens im Sitzen verbringen, ein erhöhtes Risiko haben, Herzkrankheiten zu entwickeln und eines frühen Todes zu sterben. Paradoxerweise zeigt eine Studie der Mayo-Klinik, dass eine Stunde Fitnessstudio täglich das Risiko von sechs oder mehr Stunden Sitzen nicht wesentlich senkt.
Das scheint im ersten Moment widersinnig, nach allem, was wir über Sport wissen. Doch hier geht es nun mal nicht um Sport, sondern um die langen Stunden, die wir im Sitzen verbringen. Wenn wir sitzen, verabschieden sich unsere Muskeln sozusagen in den Winterschlaf. Unser Körper hört dann auf, das Enzym KK1 zu produzieren, das die Blutfette aufschlüsselt. Außerdem sinken im Sitzen unser Grundumsatz, also der tägliche Kalorienverbrauch, der nötig ist, um die Vitalfunktionen des Körpers aufrechtzuerhalten, sowie die Produktion des schützenden HDL-Cholesterins. Diese dramatischen Resultate lassen sich durch die Tatsache erklären, dass der Körper die Schwerkraft braucht. Fehlt ihre abwärts gerichtete Wirkung, wird das Herz in Mitleidenschaft gezogen, das Blutvolumen nimmt ab, und der Muskelabbau beginnt – sogar die Knochendichte wird negativ beeinflusst.
Die Lösung für dieses erschreckende Problem ist Kaizen. Schon wenn Sie sich nur von Ihrem Stuhl erheben, verdoppelt sich Ihr Grundumsatz. Ein kurzer Spaziergang, und Sie haben ihn noch mal verdoppelt. Und die Moral von der Geschichte: Sich gegen Gesundheitsrisiken durch langes Sitzen zu schützen ist nicht anstrengend – wie eine Stunde im Fitnessstudio – oder nicht praktikabel. Ganz im Gegenteil. Stehen Sie jede Stunde einmal kurz auf, vertreten Sie sich die Beine, und schon helfen Sie Ihrem Körper, gut zu funktionieren.
In unserer größen- und masseverliebten Kultur der XXL-Kinos, der Supersize-Burger und der vollkommenen Runderneuerung fällt es uns schwer zu glauben, dass kleine Schritte große Veränderungen bewirken können. Aber die wunderbare Wirklichkeit ist: Genau so ist es!
Mythos Nr. 2: Nicht kleckern, sondern klotzen – oder: große Resultate erfordern große Schritte
In vielen Wirtschaftsartikeln wird die Weisheit verbreitet, dass Sie entweder klein denken (und winzige Veränderungen bewerkstelligen können wie beim Kaizen-Weg) oder groß denken (und innovativ sein) können. Und natürlich ist Innovation dann der Weg zu Überleben, Wachstum und Kreativität. Sogar im persönlichen Leben setzen wir manchmal alles, was wir haben, auf eine einzige sprunghafte Verbesserung, eine Innovation – zum Beispiel eine Crash-Diät oder ein neues Work-out – in der Hoffnung, so durchschlagende Resultate zu erzielen. Aber extreme Diäten und anstrengende Work-outs schlagen häufig fehl, weil dazu Unmengen Willenskraft erforderlich sind. Und diese können wir nun mal nicht konstant aufbringen. Die American Heart Association empfahl viele Jahre lang 30 Minuten Sport an mindestens fünf Tagen in der Woche. Niemand, den ich kenne, hat so viel Zeit (oder so großzügige Arbeitgeber), um diese Empfehlung befolgen zu können. Wer hat schon Zeit, an einem stressigen Arbeitstag ins Fitnessstudio zu fahren, sich umzuziehen, 30 Minuten zu trainieren, unter die Dusche zu springen, sich wieder anzuziehen und zurück ins Büro zu hetzen?
Und wieder sind es die Forschungsarbeiten der Mayo-Klinik, die zeigen, dass gleichmäßig über den Tag verteilte Bewegung enorme Resultate bringt. Man rüstete die Versuchspersonen mit Schrittzählern aus und fand heraus, dass Menschen, die schlank waren, aber nie einen Fuß in ein Fitnessstudio setzten, sich tagsüber einfach mehr bewegten. Diese Leute gingen beim Telefonieren auf und ab, parkten ihr Auto in einiger Entfernung vom Arbeitsplatz und standen tagsüber auch öfter als ihre übergewichtigen Kollegen. Insgesamt verbrauchten sie auf diese Weise gut 300 Kilokalorien mehr pro Tag. Aufs Jahr umgerechnet ergibt dies 30 Pfund Fett weniger.
Der Kernpunkt beim Kaizen? Natürlich ist mehr Bewegung besser als weniger, doch kleine Schritte machen hier den Unterschied. Eine wissenschaftliche Untersuchung aus Taiwan an 416 000 Erwachsenen belegt, dass Menschen, die nur 15 Minuten pro Tag Sport trieben, drei Jahre länger lebten als jene, die weniger Sport machten. Und es müssen noch nicht mal 15 Minuten am Stück sein! Jeweils 3 Minuten Bewegung, fünf Mal am Tag, ergeben auch 15 Minuten – und diese 15 Minuten verbessern die Gesundheit ganz beträchtlich. Für solche Strategien brauchen Sie weder viel Zeit noch Energie, weder eiserne Willenskraft noch übermenschliche Disziplin. Blättern Sie ruhig mal vor auf Seite 22. Dort lesen Sie die Geschichte von Julie, einer alleinerziehenden Mutter mit enormer Verantwortung, die trotzdem eine Möglichkeit fand, in ihren Tagesablauf ein wenig Sport aufzunehmen. Ihr Zugang zum Work-out gestaltete sich so locker und schmerzlos, dass Julie gar nicht scheitern konnte. Das ist Kaizen in Aktion!
Mythos Nr. 3: Kaizen ist langsam, Innovationen gehen...