1 Vatersein heute – Hintergründe und Fakten
Michael Matzner
Zur Bedeutung von Vätern für die Entwicklung von Kindern
Väter sind wichtige Bezugs- und Bindungspersonen ihrer Kinder
Die Bindungsforschung (Grossmann u. Grossmann 2008a) zeigt auf, dass schon Babys Beziehungen aktiv gestalten und frühzeitig, ungefähr gegen Ende des ersten Lebensjahres, zu mehreren Personen Bindungen mit differenten und spezifischen Qualitäten entwickeln können. Der Vater ist somit eine alternative und gleichwertige Bezugsund Bindungsperson für das Kind. Außerdem ermöglicht er dem Kind ergänzend zur Mutter-Kind-Dyade die Konstruktion eines weiteren psychischen Systems in Form der Mutter-Vater-Kind-Triade, womit er auch die Individuation des Kindes fördert. Väter zeigen Neugeborenen gegenüber ebenfalls ein »intuitives Elternverhalten« und sind
»gleichermaßen in der Lage, ein Kind von Geburt an mit der notwendigen Sensitivität angemessen zu betreuen und zu versorgen, sein Bedürfnis nach Kommunikation zu stillen und seine Entwicklung entsprechend zu fördern. Beide Eltern entwickeln unter entsprechenden Bedingungen enge emotionale Beziehungen zum Kind, und das Kind seinerseits entwickelt enge emotionale Beziehungen zu beiden Elternteilen, und zwar individuelle Beziehungen, die eigenständig zu sehen sind« (Fthenakis 1988, S. 283).
Außerdem können zwei elterliche Bezugspersonen Einseitigkeiten in der Erziehung vermeiden und einer symbiotischen Beziehung zwischen dem Kind und einem Elternteil – zumeist der Mutter – vorbeugen.
Väter besitzen »distinktive Charakteristiken«
Väter erfüllen spezifische Funktionen und haben deswegen eine besondere Bedeutung für die Entwicklung ihrer Kinder. Man spricht von den »distinktiven Charakteristiken« des Vaters (Seiffge-Krenke 2004, 2009). Viele Väter gehen mit Kindern anders um als Mütter und ermöglichen ihnen damit wichtige Erfahrungen. Die Betonung spielerischer Aktivitäten fördert die Motorik und die körperliche Entwicklung des Kindes. Väter stimulieren Kinder visuell und akustisch stärker und haben mit ihnen einen aufregenden Körperkontakt. Sie sind eher taktil und kinästhetisch orientiert, während Mütter eher emotional interagieren und auf Nähe bedacht sind. Das Toben und Kämpfen mit dem Vater ist gerade für Jungen sehr wichtig. Es fördert die Übung des Umgangs mit Konfrontationen, Mut und Selbstbehauptung, die Beherrschung der Emotionen, den Respekt vor dem Gegner, das Deuten seiner Körpersprache, das Aneignen von Regeln und nicht zuletzt das konstruktive Kanalisieren von körperlichen Aggressionen und Kräften (Le Camus 2001; Pollack 1998). Dabei sind Väter mit Söhnen tendenziell strenger, wilder und direktiver im Spiel und mit ihren Töchtern eher weicher, vorsichtiger und unterstützender. Interessanterweise sprechen Väter auch anders als Mütter mit ihren Kleinkindern. Ihr Vokabular ist oft präziser und umfassender, sodass die Kinder ihren Wortschatz erweitern können (Seiffge-Krenke 2004; Grossmann u. Grossmann 2008a; Le Camus 2006). Darüber hinaus lenken Väter Lernvorgänge ihrer Kinder oft anders. Sie sind herausfordernder, erschließen ihren Kindern die Umwelt, konfrontieren sie mit Risiken und Gefahren, belassen ihnen größere Freiräume und fördern damit ihre Selbstständigkeit (Seiffge-Krenke 2004, 2009; Ahnert 2010). Ballnik, Martinetz und Ballnik (2005) sprechen in diesem Zusammenhang von der »Weltöffnungsfunktion« des Vaters. Die distinktiven Charakteristiken von Müttern und Vätern sind »zumindest partiell von ihrem biologischen Geschlecht bestimmt« (Le Camus 2006, S. 124). Wenn es also um die optimale Förderung von Jungen und Mädchen geht, sind Väter und Mütter nicht austauschbar. Le Camus (2006) betont wie die Mehrzahl der Experten die große Bedeutung von Elternschaft im Sinne des doppelten Unterschieds der Generationen und der Geschlechter. Infolgedessen favorisiert er einen engagierten Vater, der sich dennoch von der Mutter unterscheidet, indem er sich bewusst zur Ungleichheit der Geschlechter und Generationen bekennt. Dem widerspricht nicht, dass Väter manchmal »mütterlich« bzw. Mütter »väterlich« mit ihren Kindern umgehen:
»Erst die ausgewogene Mischung beider Erfahrungen, ›mütterlicher‹ und ›väterlicher‹ Anteile, ermöglicht den für jedes Kind und jeden Jugendlichen so wichtigen Entwicklungsprozess von Loslösung und Individuation« (Seiffge-Krenke 2004, S. 208 f.).
Präsente Väter sind für Jungen die wichtigsten Identifikationsobjekte und Rollenmodelle und fördern das emotionale Wohlbefinden und die Beziehungsfähigkeit ihrer Söhne
Als Mann in der Familie und Liebespartner der Mutter fungiert der Vater als männliches Rollenmodell und Identifikationsobjekt, womit er eine selbstbewusste und stabile sexuelle Identität des Sohnes fördert. Bereits im zweiten Lebensjahr entdecken Jungen ihre Männlichkeit und entwickeln sie in Interaktion mit ihrer sozialen Umwelt (Le Camus 2006). Dabei geht es für sie darum, Geschlechtsidentität und -sicherheit zu erwerben, indem sie sich als Jungen zunehmend männlich bzw. jungenhaft verhalten, was immer man sich darunter auch vorstellt. Diese Entwicklung der männlichen Identität geschieht einerseits über eine gewisse Abgrenzung von Weiblichkeit, Mädchen und Frauen und andererseits über die Orientierung an realen Jungen und an Männern im sozialen Nahbereich bzw. an männlichen Protagonisten in den Medien. Allerdings garantiert die Präsenz und Anwesenheit eines Vaters oder anderen Mannes allein noch nicht die Entwicklung einer positiven männlichen Identität und Persönlichkeit. Die Art und Weise, wie sich Väter als »leitendes männliches Modell« (Schon 2000) verhalten und welche geschlechtsspezifischen Erwartungen sie an Jungen haben, kann ja sehr verschieden sein. Präsente, liebevolle, Schutz gewährende und Grenzen setzende Väter, die ihre alltäglichen Schwächen und Probleme durchaus nicht verbergen sollten, leisten für die Entwicklung der männlichen Identität der Söhne einen entscheidenden Beitrag (ebd.). In der Zeit der Pubertät kann ein präsenter Vater als Reibungsfläche für die Auseinandersetzung mit männlicher Autorität und Macht dienen und bei der Suche des Sohnes nach Identität, Selbstständigkeit, Sicherheit, Werten, Normen und Zielen eine größere Bedeutung haben als der mütterliche Elternteil. Die Resilienzforschung zeigt ebenfalls die große Bedeutung von Vätern als Identifikationsmodell ihrer Söhne auf. Eine Erkenntnis der bekannten Kauai-Studie von Emmy Werner (1999, S. 29) bestand darin, dass
»widerstandsfähige Jungen […] oft aus Haushalten mit klaren Strukturen und Regeln (kommen), in denen ein männliches Familienmitglied (Vater, Großvater, älterer Bruder oder Onkel) als Identifikationsmodell dient und in denen Gefühle nicht unterdrückt werden.«
Väter und Töchter
Dass Väter auch eine besondere Bedeutung für die Entwicklung von Mädchen haben, wird oft übersehen. Die Vater-Tochter-Beziehung zeichnet sich im Unterschied zur Mutter-Tochter-Beziehung durch Differenz und Verschiedenheit aus. So sind Väter für ihre Töchter die ersten erwachsenen Vertreter des männlichen Geschlechts. Das Mädchen nimmt den einzigen Mann in der Familie nicht nur als Vater, sondern auch als Mann und Partner der Mutter wahr, was sich auf ihre späteren Vorstellungen von Männlichkeit, Weiblichkeit und Partnerschaft auswirkt. In Untersuchungen wurde festgestellt, dass Väter mit Töchtern oft anders umgehen als mit Jungen. Sie behandeln sie sanfter und fördern ihr weibliches Verhalten. Damit stärken Väter die Herausbildung einer stabilen weiblichen Identität. Die gewisse, zumal körperliche Distanz, die Töchter und Väter ab der Pubertät oft zueinander entwickeln, fördert eine konstruktive und instrumentelle Vater-Tochter-Beziehung, während sich innerhalb der Familie das expressive Mutter-Tochter-Verhältnis nicht selten als am konfliktreichsten darstellt. Darüber hinaus leisten Väter oft wichtige Beiträge zur beruflichen Entwicklung ihrer Töchter (Seiffge-Krenke 2004).
Väter und Vaterschaft in Deutschland: Daten und Fakten
Verbreitung von Kinderwunsch und Kinderlosigkeit bei Männern
Knapp zwei Drittel der jungen Männer und drei Viertel der jungen Frauen geben in Befragungen einen positiven Kinderwunsch an. Junge Frauen wünschen sich durchschnittlich 1,74 und junge Männer 1,57 Kinder (Bayerisches Staatsministerium 2006). In einer aktuellen Studie mit 1133 kinderlosen Männern und 670 Vätern wurde als optimales Alter für die erste Vaterschaft die Zeit zwischen dem 25. und dem 32. Lebensjahr mit 79,3 % am häufigsten genannt. 11,1 % sprachen sich für die Phase zwischen 18 und 24 aus, und 9,5 % nannten 33 Jahre und älter. Als die wichtigsten persönlichen Voraussetzungen für die Umsetzung eines Kinderwunsches nannten junge Männer: eine gefestigte Partnerschaft (66,1 %), ein für die Ernährung der Familie ausreichendes Einkommen (58,9 %) sowie einen sicheren Arbeitsplatz (56,6 %) (Zerle u. Krok 2009). Damit bestätigt sich, dass eine stabile Partnerschaft sowie die berufliche Entwicklung und Situation für die männliche Familienplanung zentral ist (Hofmeister, Baur u. Röhler 2009; Schmitt 2004).
Werte aus dem Jahr 2001 weisen daraufhin, dass Männer häufiger als Frauen kinderlos sind bzw. auch bleiben und dass sie ihre Elternschaft länger hinausschieben. Letzteres hängt vor allem mit ihrer längeren biologischen Fruchtbarkeit sowie mit dem Altersunterschied in Paarbeziehungen zusammen. Außerdem ist zu beachten, dass...