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E-Book

Wir sind das Klima!

Wie wir unseren Planeten schon beim Frühstück retten können

AutorJonathan Safran Foer
VerlagVerlag Kiepenheuer & Witsch GmbH
Erscheinungsjahr2019
Seitenanzahl336 Seiten
ISBN9783462320213
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis9,99 EUR
Jonathan Safran Foer schafft es erneut, uns ein komplexes Thema wie die Klimakrise so nahe zu bringen wie niemand sonst. Und das Beste: Einen Lösungsansatz liefert er gleich mit. Mit seinem Bestseller »Tiere essen« hat Jonathan Safran Foer weltweit Furore gemacht: Viele seiner Leser wurden nach der Lektüre Vegetarier oder haben zumindest ihre Ernährung überdacht. Nun nimmt Foer sich des größten Themas unserer Zeit an: dem Klimawandel. Der Klimawandel ist zu abstrakt, deshalb lässt er uns kalt. Foer erinnert an die Kraft und Notwendigkeit gemeinsamen Handelns und führt dazu anschaulich viele gelungene Beispiele an, die uns als Ansporn dienen sollen. Wir können die Welt nicht retten, ohne einem der größten CO2- und Methangas-Produzenten zu Leibe zu rücken, der Massentierhaltung. Foer zeigt einen Lösungsansatz auf, der niemandem viel abverlangt, aber extrem wirkungsvoll ist: tierische Produkte nur einmal täglich zur Hauptmahlzeit. Foer nähert sich diesem wichtigen Thema eloquent, überzeugend, sehr persönlich und mit wachem Blick und großem Herz für die menschliche Unzulänglichkeit. Und das Beste: Seinen Lösungsansatz können Sie gleich in die Tat umsetzen.

Jonathan Safran Foer gehört zu den profiliertesten amerikanischen Autoren der Gegenwart. Seine Romane »Alles ist erleuchtet«, »Extrem laut und unglaublich nah« und »Hier bin ich« wurden mehrfach ausgezeichnet und in 36 Sprachen übersetzt. Sein Sachbuch »Tiere essen« war ebenfalls ein internationaler Bestseller. Foer lebt in Brooklyn, New York.

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Leseprobe

Wo fangen Wellen an?


»Wenn wir am Ende dieses großen Kampfes unsere freiheitliche Art zu leben gerettet haben, wird all das kein ›Opfer‹ gewesen sein.« Geisterhaft erreichten diese Worte die Amerikaner durch das Radio; Roosevelt sprach sie in einem Rollstuhl. Der berühmteste Polio-Patient der Geschichte war zugleich auch der geheimniskrämerischste. Er stritt nie ab[72], dass er seine Beine nicht bewegen konnte, inszenierte aber sorgfältig sein Bild in der Öffentlichkeit: Fotografen, die ihn im Rollstuhl knipsten, verloren ihre Akkreditierung für das Weiße Haus; nur selten stieg der Präsident in der Öffentlichkeit in ein oder aus einem Auto; er trug Stahlschienen, die seine Beine stützten. Falls Sie je ein Video von Roosevelt bei einer Rede gesehen haben – seine Pearl-Harbor-Rede vor dem Kongress zum Beispiel –, ist Ihnen wahrscheinlich aufgefallen, wie beinahe spastisch er mit dem Kopf gestikuliert. Sein Kinn ersetzt die Hände, mit denen er sich am Podium festhält.

Trotz dieser Heimlichkeiten war Roosevelts Unterstützung entscheidend für die Entwicklung eines Impfstoffs gegen Polio. 1938 half er bei der Gründung der später als March of Dimes bekannten National Foundation for Infantile Paralysis mit, die zur wichtigsten Geldquelle der Polio-Forschung wurde. Von diesen Geldern profitierte unter anderem Jonas Salk. Nachdem er 1952[73] erfolgreich Tausende Affen mit seinem unorthodoxen »Killervirus«-Impfstoff geimpft hatte, begann Salk mit Tests an Menschen[74] – seine ersten Patienten waren er selbst, seine Frau und ihre drei gemeinsamen Söhne. Zwei Jahre später folgte die klinische Studie, eine der größten ihrer Art in der Geschichte der USA. Obwohl es keine Garantie für die Sicherheit des Impfstoffs gab, nahmen fast zwei Millionen »Polio-Pioniere« an der Erprobung teil. Am 12. April 1955 – exakt ein Jahrzehnt nach Roosevelts Tod – wurden die Ergebnisse veröffentlicht. Der Impfstoff war »sicher, effektiv und wirkstark«. Jonas Salk hatte Polio besiegt.

 

Wenn eine soziale Norm sich plötzlich ändert, erlaubt das den Menschen zu handeln, gibt sie frei. Wie bei der Welle im Stadion muss gemeinsames Handeln allerdings erst angestoßen werden – selbst wenn die Leute gern mitmachen wollen. Nach dem ersten Thanksgiving gedachten verschiedene Kolonien und Bundesstaaten über zweihundert Jahre hinweg auf ganz unterschiedliche Weisen dieses Ereignisses. Man feierte an unterschiedlichen Tagen (oft sogar zu verschiedenen Jahreszeiten), manche schlemmten regionale Spezialitäten, andere fasteten. George Washington rief im Februar 1795 ein landesweites Thanksgiving aus, John Adams ein erstes 1798 und ein zweites 1799, Thomas Jefferson gar keins. Erst 1863 – auf dem Höhepunkt des Bürgerkriegs – erklärte Abraham Lincoln den letzten Donnerstag im November zum landesweiten Feiertag, um die gespaltene Nation zu einen. Der Feiertag, den wir heutzutage begehen[75], soll an das gemeinsame Mahl der Kolonisten in Plymouth und der Wampanoag im Jahre 1621 erinnern, doch als Lincoln ihn erstmals in einer Rede anregte, sprach er vor allem über generelle Dankbarkeit dafür, dass »die Harmonie überall den Sieg davongetragen hat, außer auf dem Schlachtfeld«. Doch was seine Gründe auch gewesen sein mögen, indem Lincoln den Feiertag institutionalisierte und damit leichter zu begehen machte, hat er eine neue Norm geschaffen.

Die meisten kleineren Kinder bekamen Salks Impfstoff innerhalb von Monaten nach der Zulassung, und die Poliofälle nahmen rapide ab. Die ebenfalls anfälligen Teenager wurden allerdings nur selten geimpft – da Polio auch als »Kinderlähmung« bekannt war, nahm man fälschlicherweise an, ab einem gewissen Alter könne man sie nicht mehr bekommen. Dann, 1956, ließ Elvis Presley sich vor einem Auftritt in der Ed Sullivan Show impfen und dabei fotografieren. Die Fotos waren landesweit in allen Zeitungen zu sehen. Dieser Moment wird immer wieder im Zusammenhang mit einem sprunghaften Anstieg der Impfungen angeführt – laut einer viel zitierten, wenn auch zweifelhaften Statistik stieg die Immunisierungsquote in den USA »in nur sechs Monaten von 0,6 % auf 80 %!«. Man könnte also meinen, Elvis habe Polio in Amerika ausgerottet.

 

Als ich klein war, durfte man im Flugzeug rauchen. Heute ist das derart unvorstellbar, dass ich erst nachsehen musste, ob mir meine Erinnerung da nicht einen Streich spielte. Was denken wir heute darüber, wie verbreitet das Rauchen noch vor Kurzem war? Was halten wir von jener Norm, die für fast alle Bevölkerungsgruppen – inklusive Kinder und Schwangere – galt? Vermutlich dasselbe, was Menschen aus umweltbewussteren Ländern über Amerikaner denken. Dasselbe, was unsere Nachfahren über uns denken werden.

Im Laufe der vergangenen Jahrzehnte änderten sich die Normen rund ums Rauchen: wie viele Menschen rauchen, wie oft und wo sie es tun. Was früher akzeptabel und sogar attraktiv war, gilt heute als Tabu – oder wenigstens als unschön. Sogenannte Sündensteuern und entsprechende Gesetze waren sicher hilfreich – und der Widerstand der Tabaklobby hinderlich –, aber die größten Veränderungen bewirkte Basisarbeit in Sachen Aufklärung und Suchtprävention. Solange es sie selbst nichts kostet, wollen die meisten Menschen das Beste für alle. Rauchen ist eine körperlich süchtig machende Angewohnheit, deren externe Auswirkungen (Passivrauchen, Belastung des Gesundheitssystems durch Krebserkrankungen) weit entfernt scheinen. Dennoch hat sich die Zahl der Raucher[76] in Amerika zu meinen Lebzeiten halbiert, größtenteils dank Kampagnen aus der Mitte der Gesellschaft. Was wie ein Triumph klingt, ist jedoch ein Fehlschlag,

Warum nur halbiert? Und wieso hat das so lang gedauert? Bereits 1949[77] hielten sechzig Prozent der Amerikaner Zigarettenrauch für gesundheitsschädlich. An Aufklärung hat es schon damals nicht gemangelt, heute mangelt es daran erst recht nicht. Wie lässt sich erklären, dass inzwischen zwar jeder weiß, dass Rauchen tötet, es in Amerika aber immer noch mehr Raucher gibt (fast 38 Millionen) als Kanada Einwohner[78] hat? Warum gibt ein kluger, willensstarker Mann[79] wie Barack Obama noch immer hin und wieder einer Sucht nach, die das Leben durchschnittlich um zwanzig Jahre verkürzt? Vermutlich aus demselben Grund, aus dem ein kluger, willensstarker Mann wie Obama sich nicht ausreichend um den Klimawandel gekümmert hat. Viele andere Einflüsse sind eben deutlich stärker als eine bloß abstrakte Gefahr.

Die Tabakindustrie hat Zigaretten genetisch so verändert, dass sie doppelt so süchtig machen wie noch vor fünfzig Jahren, und sie hat sie unverhältnismäßig stark in ärmeren Umgebungen angepriesen, oft in der Nähe von Schulen. Gratiszigaretten wurden vor Sozialwohnungen verteilt, Tabak-Coupons zusammen mit Essensmarken ausgegeben. Obwohl Zigaretten immer teurer werden[80], leben fast drei Viertel aller Raucher in einkommensschwachen Gegenden.

Genau wie Bewegungen wie die zur Polio-Impfung oder gegen das Rauchen, wie #MeToo oder Umweltschutz von verschiedensten Kräften vorangebracht werden, werden sie auch von verschiedensten Kräften gebremst.

 

Elvis’ öffentliche Impfung mag zum dramatischen Anstieg der Immunisierungsquote beigetragen haben, ausgelöst hat sie ihn aber nicht. Der Historiker Stephen Mawdsley[81] bemerkt:

»Freilich war das eine Hilfe dabei, Teenager von der Impfung zu überzeugen, seltsamerweise aber keine riesengroße. Die eigentliche Wende ging von den Teenagern selbst aus. Mithilfe der National Foundation for Infantile Paralysis gründeten sie eine Gruppe namens Teens Against Polio, gingen von Tür zu Tür und organisierten Tanzveranstaltungen, an denen nur Geimpfte teilnehmen durften. Fast zum ersten Mal konnte man dabei miterleben, wie gut Teenager einander verstehen und beeinflussen können.«

Ganz ähnlich wie der Klimawandel wird auch sozialer Wandel von einer ganzen Reihe Kettenreaktionen ausgelöst. Beide verursachen Rückkopplungseffekte – und werden von ihnen verursacht. Weder Hurrikans, Dürren oder Waldbrände noch die schwindende Zahl von Rauchern lassen sich auf einen einzelnen Faktor zurückführen – aber jeder Faktor zählt. Ist radikaler Wandel gefragt, behaupten viele, man könne ihn als Einzelner ja sowieso nicht herbeiführen, brauche es also gar nicht erst zu versuchen. Das genaue Gegenteil trifft zu: Die Ohnmacht des Einzelnen ist der Grund, aus dem alle es versuchen müssen.

Am 1. November 2018 beteiligten sich schätzungsweise 20000 Google-Mitarbeiter an einer weltweiten Streikwelle, vor allem, um gegen den Umgang mit sexuellem Fehlverhalten zu protestieren. Organisiert wurde das in weniger als einer Woche, mehr als 60 Prozent der weltweiten Google-Zweigstellen auf der ganzen Welt nahmen teil. Diese kollektive Reaktion war besonders bedeutsam, weil sie dem Individualismus widersprach, der das Silicon Valley sonst beherrscht. In einer Presseerklärung[82] verkündeten die Organisatoren: »Wir sind Teil einer wachsenden Bewegung, nicht nur in der IT-Branche, sondern im ganzen Land. Auch Lehrer, Fast-Food-Ketten-Angestellte und andere sind gemeinsam stark, um echten Wandel zu bewirken.« Eine Woche später erfüllte Google die erste Forderung: Verpflichtende Schiedsgerichtsverfahren bei...

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