Arbeitswelt von morgen – digitale Kompetenz für alle Fachkräfte sichern
Die technologischen Veränderungen durch die Digitalisierung führen zu einer komplett neuen Arbeitswelt. Unternehmen müssen ihre Aktivitäten, wie Personal angeworben, eingestellt und in der Organisation gehalten wird, anpassen. Qualifizierte Mitarbeiter können sich in einer immer stärker globalisierten Welt den Arbeitsplatz und damit den Lebensort selbst auswählen.
Der Wirtschaftswissenschaftler Richard Florida hat die drei Faktoren – Talent, Technologie und Toleranz – herausgestellt, die die Entwicklung von Regionen und damit von Unternehmen beeinflussen. Räume mit hohen Werten in diesen Bereichen ziehen kreative Menschen an und lösen einen verstärkenden Wachstumsprozess aus. Klassische Arbeitsmarktmodelle gingen bisher davon aus, dass die Arbeitskräfte dorthin wandern, wo Arbeit nachgefragt wird. Hochqualifizierte Arbeitskräfte und Unternehmen suchen ihre Arbeitsorte bzw. ihren Unternehmenssitz neuerdings nach Lebensqualität, attraktiven Wohnbedingungen, Bildungs- und Betreuungseinrichtungen sowie Freizeitangebot aus. Deutschland hat in vielen Regionen, und nicht zuletzt durch gute Bildungsstätten, ideale Voraussetzungen als attraktiver Standort. Allerdings steht die restriktive Arbeitsgesetzgebung in vielen Bereichen der Arbeitswelt von morgen im Wege.
Politik und nationale Unternehmen, die international agieren, müssen daher Hand in Hand für attraktive Arbeits- und Lebensbedingungen für hochqualifiziertes Personal sorgen. Dazu gehört eine kulturelle Offenheit und eine vernünftige soziale Infrastruktur in der Region, die den vielfältigeren Lebensmodellen Rechnung tragen. Politik kann nur zusammen mit Unternehmen für diese Herausforderungen Lösungen finden. Auch dies wird darüber entscheiden, wo sich Unternehmen niederlassen und wo Fachkräfte arbeiten werden. Dabei muss das eigene Potenzial bei der Ausbildung von qualifiziertem Personal genutzt werden: Die Bildungseinrichtungen müssen Kinder und Jugendliche frühzeitig für die Digitalisierung fit machen. Und nur durch Weiterbildungen und Qualifizierungen im Berufsleben kann die digitale Transformation gelingen. Dafür müssen Mitarbeiter, Unternehmen und Politik offen sein.
»Die neue Attraktivität Berlins für Fachkräfte in Start-up-Unternehmen«
Von Christoph Gerlinger, unter Mitwirkung von Marcel Doeppes und Theo Bonick
Hätte man vor zehn Jahren eine Umfrage unter Wirtschaftsstudenten nach deren Berufswunsch gemacht, wären wohl Jobs wie Banker und Unternehmensberater auf den vordersten Plätzen gelandet. Hört man sich heute in den entsprechenden Fakultäten um, wird immer häufiger ein anderes berufliches Ziel genannt: Gründer – mit dem Ziel Internetmillionär.
Also macht man sich dorthin auf, wo man Gleichgesinnte findet, die Lebensbedingungen trotz der anfänglichen Dürrephase nach einer Gründung gut sind und wo man gute Voraussetzungen vorfindet, ein später erfolgreiches Geschäft aufzubauen. So konnte sich Berlin trotz oder vielleicht gerade wegen der besonderen Ausgangslage nach dem Fall der Mauer als Epizentrum europäischer Start-ups etablieren – sowohl innerhalb Deutschlands als auch international. An Europas früher führendem Standort London ist Berlin, was das Volumen von Investitionen betrifft, bereits vorbeigezogen – und das, obwohl es in Berlin in jüngerer Geschichte keinerlei Industrie- oder Finanztradition gab und die Stadt nach der einstigen Insellage erst wieder zu neuem Selbstbewusstsein finden musste. Dies wirft die Frage auf, nach welchen Kriterien heutige Arbeitskräfte ihre Wirkungsstätten auswählen.
Berlin zieht heute mehr hochqualifiziertes, internationales Personal denn je an, von denen viele in Start-ups oder Venture-Capital-Gesellschaften arbeiten. Ohne die Start-upSzene wäre Berlins Arbeitsmarktbilanz tief rot; ca. 163.000 Jobs stammen dabei allein von Start-ups und jährlich könnten knapp 50.000 neue geschaffen werden. Somit werden auch Steuer- und Sozialversicherungseinnahmen und Wohlstand geschaffen. Natürlich ist dies nur ein Nebeneffekt der eigentlich ausschlaggebenden Faktoren. Denn Berlin besitzt sowohl für Gründer als auch Mitarbeiter einzigartige und für den Markt wichtige Qualitätsmerkmale, die es zur Wahlheimat vieler junger Gründer machen. Hier finden sich moderate Kosten – einschließlich günstiger Mieten, günstiger Lebenshaltungskosten und einem folglich moderaten Gehaltsniveau –, kulturelle und städtebauliche Anziehungskraft inklusive verfügbaren Wohnraums in direktem Umkreis des jeweiligen Unternehmens, eine starke Infrastruktur für Bahn, Bus oder Rad sowie ein unkomplizierter Arbeitserlaubnisprozess. Hinzu kommen die Verfügbarkeit von sonstigen angrenzenden Dienstleistungsressourcen, sprich Agenturen, Anwälten, Presse, Steuerberatern, freien Mitarbeitern etc., eine hohe Rechtssicherheit sowie natürlich die Anwesenheit von Kapitalgebern wie unserer German Startups Group, dem aktivsten privaten Venture-Capital-Investor (kurz VC) – denn ohne Kapital können Unternehmen nicht starten und wachsen.
Ähnlich den etablierteren Start-up-Hotspots wie dem Silicon Valley, das bereits wesentlich länger als Tech-Ökosystem besteht, hat Berlin mittlerweile nämlich einen Reifegrad erreicht, in dem substanzielle Verkaufserlöse durch den Unternehmensverkauf oder einen Börsengang erzielt werden; einige erfahrene Start-up-Akteure in Berlin können so bereits einen zweiten oder sogar dritten nennenswerten Exit vorweisen. Dies führt oft zu einem Zyklus, dass ein Seriengründer zunächst bei einem kleineren Projekt sein Können unter Beweis stellt und in Folge mit einem Vertrauensvorschuss vonseiten der Investoren mit mehr Venture Capital bedacht wird, um von Beginn an stark zu skalieren und künftig einen höheren Exiterlös zu erzielen.
Dieses so zyklisch wachsende Ökosystem bringt eine wachsende Anzahl an Entrepreneuren hervor, die nicht nur ihr Wissen und ihre Erfahrung weitergeben, sondern selbst auf die Seite der Investoren wechseln und Ideen nachrückender Gründer finanzieren. Viele erfolgreiche Gründer, die zu Internetmillionären geworden sind, betätigen sich als Business Angels, wodurch ebenfalls ein großer Teil der Veräußerungserlöse ihrer Start-ups in die Berliner Start-up-Szene zurückfließt.
Venture Capital basiert in Ermangelung von Patenten, Maschinen, Immobilien, Vorräten usw. auf Vertrauen und persönlichem Kontakt, sprich Nähe. Das erleben wir als aktivster privater VC tagtäglich. Seien es die Gründer, die auf der Suche nach Kapital den direkten Kontakt zu Investoren suchen, um sie von ihrem Geschäftsmodell begeistern und überzeugen zu können, oder auf der anderen Seite die Investoren, denen es nur durch kontinuierliche Kommunikation mit Gründern, Ko-Investoren oder sonstigen Key Influencern möglich ist, neue Trends, bestimmte Eigenschaften und Talente erkennen, beurteilen und schließlich nutzen zu können. Und um dieses Talent richtig einschätzen zu können, bedarf es im Voraus persönlichen Kontakts, Tipps und Empfehlungen; vor allem wenn man es mit Erstgründern zu tun hat. Deshalb lebt ein solches System, das entscheidend von Zu- und Vertrauen abhängig ist, vom konstanten persönlichen Austausch auf geografisch »engem« Raum.
Das erklärt auch, warum das Silicon Valley für die Tech- und Start-up-Branche das werden konnte, was es heute ist. Hier spielt sich die gesamte Szene im Umkreis weniger Meilen ab. Man kennt sich, man hilft sich und baut Vertrauen auf. Dort gibt es viele Beispiele für den gelebten Traum als Gründer und Internetmillionär, die man dort auf der Straße treffen, sie jedoch nicht anhand äußerlicher Statussymbole als solche identifizieren kann. Und Neuankömmlinge, die diesem Traum nacheifern, erhoffen sich natürlich, etwas vom Wissen und den Erfahrungen ihrer Vorbilder erlangen zu können, die ja auch nur »mit Wasser kochen«. Das oftmals offene und unprätentiöse Verhalten (abgesehen vom wohlbekannten Hang zum übermäßigen Gebrauch denglischer Begriffe) der bereits in der Start-up-Welt tätigen Gründer und Mitarbeiter gibt neuen gründungswilligen Talenten das Gefühl, dass vergleichbare Erfolge unter dem Einsatz von genügend Fleiß und Schweiß von jedem zu erreichen sind. Deshalb entscheiden sich immer öfter hochqualifizierte Individuen mit sehr einträglichen Berufen wie etwa Unternehmensberater oder Banker gegen hohe Gehälter und für lange Arbeitszeiten, um erst einmal ein paar Jahre in einem Start-up zu lernen, bevor sie dann letztendlich selbst gründen. Das ist inzwischen auch in Berlin der Fall. Hier gibt es ebenfalls genügend solcher Erfolgsbeispiele, sogenannte Serial Entrepreneurs.
Damit dieser Trend weiter anhält und das Potenzial weiter gefördert werden kann, bedarf es an vielerlei Stellen jedoch stärkerer Zusammenarbeit und weiteren Engagements. Für die Arbeitskräfte von morgen müssen klare und einheitliche Voraussetzungen geschaffen werden, um dem künftigen, globalisierten Arbeitsmarkt gerecht zu werden und einen bestimmten Standort wie Berlin nicht zu benachteiligen. So sollte die Politik in Bezug auf die Digitalisierung für Netzneutralität sorgen, um Start-ups gleiche Chancen zu geben. Außerdem sollten Start-ups vom Mindestlohn für Praktikanten befreit werden, da diese auf junge Akademiker wie Praktikanten angewiesen sind, jedoch anfangs nicht über genügend Kapital verfügen, um dem Mindestlohn gerecht zu werden, sodass zwangsläufig die Anzahl an Praktikumsstellen stark reduziert werden muss, was ein Erfolgs- und Wachstumshemmnis darstellt.
In Bezug auf Venture Capital ist es vor allem die Umsatzsteuer auf Management Fees und Carries, die Deutschland als einziges...