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Yes, Sir!

Aus dem Blickwinkel eines englischen Gastarbeiters

AutorChris Howland
VerlagRowohlt Verlag GmbH
Erscheinungsjahr2009
Seitenanzahl320 Seiten
ISBN9783644301412
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis9,99 EUR
Chris Howland kam 1946 als Soldat ins zerstörte Hamburg, um als Sprecher für den britischen Armeesender BFN zu arbeiten - und er blieb. Seine saloppe Art und sein Tonfall machten ihn im Nu zum beliebtesten Engländer der Nation. Im Radio und im Fernsehen feierte er große Erfolge, und seine Lieder «Das hab' ich in Paris gelernt» oder «Hämmerchen-Polka» waren auf den ersten Plätzen der Charts zu finden. Sein schauspielerisches Talent stellte er in über 30 Kinofilmen unter Beweis. Nun blickt Chris Howland zurück auf sein Leben im Showbusiness und gewährt spannende Einblicke in die Medienwelt der vergangenen 60 Jahre - anrührend, prägnant und komisch.

Chris Howland, geboren 1928 in London, ist Radio- und Fernsehmoderator, Schauspieler und Sänger. Seit den fünfziger Jahren begeistert er seine Fans, zunächst im Radio, später mit legendären Fernsehshows, Kinofilmen und Schlagererfolgen. Howland lebt in der Nähe von Köln und moderiert bis heute im WDR eine regelmäßige Sendung, 'Spielereien mit Schallplatten'.

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Leseprobe

Gerda


Eines der ersten Dinge, die ich in meiner neuen Schule Fonthill lernte, war die Bedeutung der Schwerkraft. Da offenbar keines der anderen Kinder normal gehen wollte, musste man eben auch rennen, wenn man mit jemandem kommunizieren wollte. Und bei einer dieser mobilen Unterhaltungen stolperte ich und fiel hin. Unglücklicherweise überquerten wir gerade den asphaltierten Spielplatz, und dort, wo mein Knie auf dem Boden aufschlug, muss wohl eine Glasscherbe gelegen haben. Ich war es zu dieser Zeit eigentlich gewohnt hinzufallen, aber diesmal war es doch etwas Besonderes, denn ich musste die Blutung mit einem Taschentuch stillen, während ich zur Krankenstation der Schule humpelte. Blutverschmiert klopfte ich an die Tür, und Gerda, eine der Schwestern, öffnete mir. Gerda kam aus Deutschland; sie war ausgebildete Krankenschwester und war nach England gekommen, um Medizin zu studieren. Den Job in Fonthill hatte sie angenommen, um die Wartezeit zu überbrücken, bis sie einen Studienplatz an der Londoner Universität bekam. Gerda war jung und attraktiv, ziemlich groß, mit langen dunklen Haaren, die sie oben auf ihrem Kopf zu einem Knoten zusammengesteckt hatte. Sie hatte immer ein süßes Lächeln für jedermann übrig, doch davon war nichts zu sehen, als sie mich vor der Tür der Krankenstation erblickte.

«Du liebe Zeit, was ist denn passiert?», rief sie aus, nahm sanft meinen Arm und führte mich zu einem Stuhl. «Ich hab mir am Knie weh getan», sagte ich und zog mein blutgetränktes Hosenbein hoch, um ihr die Wunde zu zeigen. Sie kniete sich hin und betrachtete sie genauer. «Hat dich jemand gestoßen, oder bist du hingefallen?», fragte sie.

«Ich bin hingefallen», sagte ich und versuchte männlich zu klingen, obwohl ich mich nicht so fühlte. Ich hatte den Anblick von Blut immer schon gehasst, besonders, wenn es mein eigenes war. «Ist es schlimm?», fragte ich.

Sie stand auf und lief zum Waschbecken hinüber. «Zuerst müssen wir es saubermachen, dann werden wir sehen. Es wird ein bisschen weh tun, das weißt du, nicht wahr?»

Ich nickte. Was hätte ich auch sonst tun sollen?

Sie füllte eine Schale mit Wasser, goss etwas hinein, von dem ich annahm, dass es sich um Desinfektionsmittel handelte, nahm einen großen Wattebausch und kniete sich vor mich. «Tief Luft holen», sagte sie und fing an, die Wunde abzutupfen.

Seltsamerweise tat es fast überhaupt nicht weh, abgesehen von einem leichten Stechen, das wahrscheinlich von dem Desinfektionsmittel herrührte. Ich fand sogar die Zeit, ihr Gesicht zu studieren, während sie sorgfältig mein Bein säuberte. Sie sah wirklich gut aus, auch wenn sie nicht lächelte.

Es dauerte etwa zehn Minuten, bis sie fertig war, dann schaute sie zu mir hoch. Jetzt lächelte sie wieder. «Ich glaube, das sieht ganz gut aus», sagte sie, «und das Bluten scheint auch aufgehört zu haben.»

«Ist das schlimm?», fragte ich. «Ist mein Blut ausgelaufen?» Das war nicht als Witz gemeint, ich war wirklich besorgt.

Sie lachte. «Keine Spur», sagte sie. «Du hast noch jede Menge Blut in dir, aber ich werde ein sehr strammes Pflaster draufmachen, damit es auch drinbleibt. Das ist besser als Nähen, meinst du nicht auch?»

Das Pflaster war so straff, dass ich kaum mein Knie beugen konnte, als ich aufstand, aber ich war Gerda dankbar dafür, dass sie so eine charmante Helferin war. «Wie heißt ‹danke› auf Deutsch?», fragte ich sie, als ich in Richtung Tür humpelte.

«Danke schön», sagte sie und lächelte wieder.

«Dank- wie war das nochmal?»

Sie schrieb etwas auf ein Stück Papier und gab es mir. «Das ist nicht, wie es geschrieben wird, aber so spricht man es aus», sagte sie.

Auf dem Zettel stand: DANKER SHERN.

«Danker shern?», sagte ich.

Sie war so hübsch, wenn sie lachte. «Sehr gut», sagte sie. «Komm morgen wieder, und ich bringe dir noch mehr bei.»

Das war eine Verabredung, die ich sicher nicht versäumen würde.

Am nächsten Tag dauerte es nicht lange, bis ich an ihre Tür klopfte. «Wie war es?», fragte sie, als ich mich wieder hinsetzte. «Hat es heute Nacht weh getan? Wir müssen darauf achten, dass es sich nicht entzündet, weißt du?»

«Hat fast nicht weh getan», sagte ich.

«Gut. Dann will ich es mir noch einmal ansehen.» Sanft zog sie das Pflaster von meinem Knie. Der Schmerz trieb mir die Tränen in die Augen, aber ich weinte nicht. Sie betrachtete die Wunde aufmerksam und nickte dann, wobei ihr Haar auf und ab hüpfte. «Das sieht wirklich gut aus», sagte sie, und ich sah, dass sie froh war.

«Also wird mein Bein nicht abfallen?», fragte ich. Diesmal war es ein Witz, aber sie schaute mich erst an, um sicherzugehen, bevor sie lachte.

Ein paar Minuten später war ich frisch verbunden und bereit zu gehen. «Sie sagten, Sie würden mir heute noch mehr Deutsch beibringen», erinnerte ich sie.

Ihre Hand flog zum Mund. «Das tut mir leid», entschuldigte sie sich und meinte es wirklich ernst. «Wie wäre es mit ‹Auf Wiedersehen›?»

Ich versuchte nicht, es nachzusprechen. «Was heißt das?», fragte ich.

Sie hatte schon angefangen, es aufzuschreiben. «Es bedeutet ‹Bis wir uns wieder sehen›.»

Sie gab mir das Papier. «OWF VEEDER ZAIN», las ich langsam.

Gerda klatschte in die Hände. «Perfekt», sagte sie. «Und das Wort von gestern?»

Ich holte tief Luft. Ich hatte die ganze Nacht geübt. «Danker shern!», sagte ich stolz.

Sie schenkte mir wieder ihr Lächeln. «Deine nächste Stunde ist morgen», sagte sie. «Sei pünktlich.»

Am nächsten Morgen war ich zu früh. Sie hatte wohl geahnt, dass ich es war, denn direkt beim Öffnen der Tür forderte sie mich auf, die gestrige Lektion zu wiederholen.

«Owf veeder zain!», sagte ich stolz.

«Komm rein, setz dich hin und lass mich noch einmal schauen», sagte sie.

Durch das ganze Aufkleben und Wieder-Abreißen der Pflaster war mein Knie inzwischen ziemlich empfindlich geworden, aber ich spürte keinen Schmerz, weil ich zu sehr damit beschäftigt war, Gerda zu betrachten. Hübsche, sanfte Hände, kein Nagellack, winzige Diamantohrringe, jede Menge braunes Haar, das immer noch oben zusammengebunden war. Heute trug sie eine grüne Schleife, gestern war sie gelb gewesen. O ja, und sie hatte blaue Augen – das hätte ich fast vergessen.

«Wie ich sehe, hast du noch eine Menge andere Narben auf Armen und Beinen», sagte sie.

«Ich bin von allem Möglichen runtergefallen», sagte ich. «Meine Mama sagt immer, ich soll nicht so schnell machen, und wenn sie nach Hause kommt, schaut sie immer nach, ob ich neue Narben habe.»

«Was macht deine Mutter?»

«Ich glaube, sie ist Fotografin.»

Das schien Gerda zu verwirren. «Wie kommt es, dass du nicht sicher bist?»

«Na ja, sie nimmt jeden Morgen den Zug nach London und kommt abends zurück, aber ich weiß nicht, wohin sie geht und was sie tut. Ich glaube, dass sie Leute fotografiert.»

Ich hoffte, dass sie mich nicht nach meinem Vater fragen würde, weil ich über ihn noch weniger wusste. Sie tat es nicht.

 

Wenn ich auf diese Jahre in Fonthill zurückblicke, wird mir klar, dass ich als Kind sehr vernachlässigt gewesen sein muss. Natürlich liebte ich meine Mama, und ich bin sicher, dass sie mich auch liebte – aber woher soll man die Streicheleinheiten bekommen, die jedes Kind braucht, wenn man den größten Teil des Jahres weit weg von zu Hause in einer Schule verbringt und die Mutter während der Ferien den ganzen Tag arbeitet? Und hier war Gerda und schenkte mir etwas, das mütterlicher Liebe näher kam als alles, was ich bis dahin gekannt hatte. Kein Wunder, dass ich in sie verschossen war. Lassen Sie mich gleich klarstellen, dass diese Anziehung nichts Sexuelles hatte. Ich war schließlich erst zehn, und in den Zeiten vor Fernsehen oder Internet war man in diesem Alter noch völlig ahnungslos. Alles, was ich in diesem Moment wollte, war, dass meine Kniebehandlung ewig weitergehen möge, damit ich Gerda jeden Tag besuchen und Deutsch lernen konnte.

«Es tut immer noch ein bisschen weh», sagte ich. Das stimmte nur teilweise, aber ich bereitete schon den Boden für eine ganze Reihe weiterer Besuche. Ich erwog sogar, noch einmal hinzufallen, gab aber den Gedanken schnell wieder auf. Das wäre nicht ehrlich gewesen.

«Es wird einige Zeit dauern, bis es völlig geheilt ist», sagte Gerda, während sie das alte Pflaster aufhob und in den Müll warf, «aber wir werden es sorgfältig behandeln, damit du nicht jeden Tag extra herkommen musst, um es verbinden zu lassen.»

Ich war mir sicher, dass sie den dumpfen Aufprall meines Herzens auf dem Fußboden gehört haben musste. Doch als ich zu ihr hinüberschaute, stand sie da und schaute aus dem Fenster. Plötzlich schnippte sie mit den Fingern und drehte sich zu mir um. «Ich weiß, was du heute lernst», sagte sie, während sie zum Schreibtisch ging und einen Bleistift in die Hand nahm.

Ich schaute auf das Stück Papier. «DEE SONNER SHINE-T», las ich vor.

Sie sprang in die Luft, schlug in die Hände über dem Kopf zusammen und rief: «Die Sonne scheint, die Sonne scheint! Schau aus dem Fenster. Siehst du es?»

Ich glaubte, sie sei verrückt geworden, und traute mich nicht zu wiederholen, was ich gerade vorgelesen hatte, aus Angst, sie könnte ausrutschen und sich das Knie aufschlagen, wie ich es getan hatte, aber es war aufregend, sie so ausgelassen zu sehen. Als sie sich wieder beruhigt hatte, kam sie zu mir herüber und zauste mir immer noch lachend die Haare, von hinten nach vorn und dann von einer Seite zur anderen. «Du bist ein guter Junge», sagte sie. «Verstehst du, was du gerade gesagt...

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