Einleitung
Wie geht es dir? »Ich bin zufrieden.«
Kaum jemand antwortet in dieser Schlichtheit auf die gängige Frage nach dem aktuellen Wohlbefinden. Und wenn doch, dann ist dies meist keine besonders erfreuliche Äußerung. Sorgenfalten könnten sich bei dem, der gefragt hat, auf der Stirn breitmachen: Schließlich ist »Ich bin zufrieden« meist mit einem »Na ja« konnotiert. Och, es geht schon irgendwie, heißt das. Ich pass mich an. Zufrieden zu sein, sich zufriedenzugeben, das gilt weithin als eine Kapitulation vor den Ansprüchen des Lebens.
Dabei ist der Zustand der Zufriedenheit doch der beste, den man erlangen kann. Ob es einem nun, von außen betrachtet, gut geht oder schlecht: Das ist wohl nebensächlich, wenn man – ehrlich und wahrhaftig – mit dem eigenen Sein zufrieden ist. Was bedeuten die Eckdaten schon, die mit den Messinstrumenten des Erfolgs, des Finanzwesens, der ärztlichen Diagnostik bestimmt werden, wenn man sich trotz negativer Ergebnisse und gegen alle Prognosen wohlfühlt in der eigenen Haut; wenn man es sich innerhalb der äußeren Grenzen, die etwa durch spärliche Einkünfte oder eine chronische Krankheit gesteckt werden, ganz behaglich in seinem Leben einrichten kann und die Vorzüge seines Daseins erkennt und schätzt, statt den verpassten Chancen nachzutrauern und nach einem noch angenehmeren Leben mit noch besseren Möglichkeiten zu lechzen.
Unser Alltag ist geprägt davon, dass wir das Beste aus ihm und aus uns herausholen wollen. Produkte zur Selbstoptimierung finden reißenden Absatz. Ständig plagen wir uns mit dem Gedanken, wo wir noch präziser, effektiver, effizienter mit unseren Ressourcen umgehen können. Wo es noch mehr fürs Geld gibt oder mehr Glück zu finden ist. Glücksratgeber boomen seit Jahren, Apps auf dem Smartphone erinnern uns mit einiger Penetranz an unsere Vorhaben, damit wir das Streben nach Perfektion beim Sporttreiben, bei der Nahrungsaufnahme und selbst beim Kinderkriegen bloß nicht zwischendurch vergessen. Und immer mehr Arbeitnehmer greifen schon zu Neurostimulanzien, um ihre Gehirne nicht mehr nur mit Hilfe von Sudokus oder Softwareprogrammen zu trimmen, sondern auch auf chemischem Wege.
Leider ist das Ergebnis oft gar nicht so gut wie erhofft. Zwischen Ideal und Realität tut sich am Ende eine Kluft auf. Die Karriere verharrt trotz allen Einsatzes und trotz akribischer Pläne auf der gleichen Stufe; das Gewicht will nicht weniger werden – oder zumindest nicht auf die Tiefstmarke absinken, die man sich vorgenommen hat. Nicht einmal das Wohlbefinden wächst.
Das Streben nach Glück, es kann paradoxerweise ganz schön unglücklich machen.
Zeit also, sich auf das Wesentliche zu besinnen: sich über das zu freuen, was das Leben einem bietet, statt ihm ständig mehr und mehr abtrotzen zu wollen. Pläne zu schmieden, die ohne zerstörerischen Ehrgeiz realisierbar sind und die deshalb am Ende wirklich ein Erfolgsgefühl bescheren und das Selbstbewusstsein stärken. Nicht immer die ganz großen Träume zu träumen, die letztlich wie Seifenblasen zerplatzen, sondern solche, die sich erfüllen lassen – und an denen man sich dann unbeschwert freuen kann. Realistische Pläne, lebbare Träume – sie machen nicht nur zufrieden, sondern in der Folge auch stark. Stark, um neue Pläne zu entwerfen und umzusetzen.
Zufriedenheit mag auf den ersten Blick die weniger attraktive, die weniger glamouröse Stiefschwester des Glücks sein. Aber sie ist verlässlich und auf Dauer erfüllend: Im Gegensatz zum großen Glück ist Zufriedenheit ein lang anhaltendes Gefühl, weniger aufjauchzend, weniger euphorisierend, aber ruhig und stabil. Anders als das stolze, sich stets nach vorne drängelnde Glücksgefühl wirkt die Zufriedenheit eher im Hintergrund. Dabei ist sie ein Quell der Kreativität. Sie basiert auf einer positiven Grundstimmung, auf einer grundlegenden Lebensbejahung – und sie ist weniger vom Herzen oder, wissenschaftlicher ausgedrückt, von den für die Gefühle zuständigen Regionen im Gehirn gesteuert und dafür umso mehr vom Verstand. »Zufriedenheit ist das Ergebnis von Denkprozessen«, sagt der Psychologe Philipp Mayring von der Alpen-Adria-Universität in Klagenfurt. Daraus ergibt sich ein unschlagbarer Vorteil: Jeder Mensch kann seine Zufriedenheit erheblich stärker beeinflussen als das flüchtige Glück.
Wie zufrieden ein Mensch ist, hängt im Großen und Ganzen davon ab, in welchem Maße seine Ansprüche an sich selbst und an das eigene Leben erfüllt werden. Zufriedenheit ist also das Ergebnis eines Vergleichs: Wir setzen unsere tatsächliche Situation in Beziehung zu unserer Idealvorstellung von unserem Leben. »Je kleiner die Kluft ist, desto zufriedener sind wir«, sagt Jochen Brandtstädter, emeritierter Professor für Psychologie an der Universität Trier.
Das bedeutet aber auch, dass es zwei Stellschrauben für die Zufriedenheit gibt: Man kann versuchen, einen größeren Teil der eigenen Ansprüche zu erfüllen. Man kann aber auch seine Ansprüche herunterschrauben und lernen, sich stärker mit den Gegebenheiten abzufinden, damit im positiven Sinne zufrieden zu sein und das Dürsten nach dem immer Besseren, Höheren, Weiteren zu beenden.
Der erste Weg ist der offensive Weg zur Zufriedenheit, für den wir uns anstrengen müssen und an dessen Ende die Belohnung lockt. Der zweite Weg ist eher defensiv: Wir stecken zurück, wir lassen Dinge geschehen, wir passen unsere Vorstellungen der Wirklichkeit an. Dieser defensive Weg fällt den meisten Menschen schwerer. In unserer Biologie, unserem Menschsein sind wir so angelegt, dass wir stets auf Anerkennung und neue Errungenschaften abzielen und auch bereit sind, uns dafür zu engagieren. Schließlich haben im Laufe der Evolution nur jene biologischen Arten überlebt, die etwas dafür getan haben, genügend zu fressen zu finden, und die trotz aller Mühen Nachkommen großgezogen haben. Uns Ziele zu setzen, gehört für uns zum Alltag. Der defensive Weg erscheint uns deshalb häufig als Niederlage.
Zweifellos ist der offensive Weg in vielen Lebenssituationen der richtige. Er treibt uns dazu an, Höchstleistungen zu bringen, am Ende Erfolge einzufahren und uns darüber zu freuen. Allerdings ist die Freude oft nur kurzlebig, bald schon bemühen wir uns um das nächste Projekt. Dauerhaftes Glück erreichen wir auf diese Weise nicht.
Das unaufhaltsame Streben nach Mehr kann sogar zu einer schlechten Strategie werden, wenn wir ständig an unseren Vorstellungen scheitern. Dann ist quälende Unzufriedenheit das Ergebnis. Das Selbstwertgefühl wird in Mitleidenschaft gezogen. Unsere Optimierungsphantasien ziehen uns in einen Strudel, der immer weiter abwärtsführt. Burn-out und Depressionen drohen.
Dabei brachte schon in der Antike die philosophische Schule der Stoa den Menschen bei: Besitz ist wertlos; der Königsweg zur stoischen Weisheit besteht darin, jene Dinge, die nicht der eigenen Verfügung unterliegen, so sein zu lassen, wie sie sind. Gelassenheit und Seelenruhe – sie sind die wichtigsten Eigenschaften, die sich ein Stoiker erarbeiten sollte. Ganz ähnliche Ziele verfolgen vor allem östliche Religionen und Meditationslehren, die helfen, Ruhe zu finden in einer gehetzten Welt.
Darum geht es auch bei der Zufriedenheit: Gelassenheit üben, Loslassen lernen, Wünsche und Träume kommen und einfach wieder ziehen lassen, sich Fehler und Unvollkommenheit verzeihen – das sind die Schlüsselstrategien. Dazu gehört es, nicht über ungenutzte Möglichkeiten zu klagen, sondern zu akzeptieren, dass diese Vergangenheit sind: In dem Moment, in dem sie sich boten, sprachen ganz offensichtlich Gründe dafür, diese Möglichkeiten nicht als Chancen zu sehen oder sie trotz ihrer Attraktivität eben nicht zu ergreifen. Zufriedenheit bedeutet schließlich auch, Frieden zu schließen mit sich, den eigenen Versäumnissen und selbst mit unangenehmen Personen und Situationen, mit denen jeder Mensch in seinem Leben immer wieder konfrontiert ist und vor denen es kein Ausreißen gibt.
Zufriedenheit meint hingegen nicht, den Kopf in den Sand zu stecken, sich zu bescheiden, zu resignieren oder gar antriebslos zu sein. Um sie zu erlangen, muss man durchaus etwas tun. Auch kann sich, wer nach Zufriedenheit strebt, weiterhin für eine bessere Welt engagieren, sich für Menschen in Not einsetzen und Karriere machen. Es geht um die eigene Lebenswirklichkeit und um eine Lebenseinstellung, die zu einem besseren Umgang mit Problemen und dadurch auch zu mehr Gesundheit beiträgt.
Das Schöne daran ist: Zufriedenheit kann man lernen. Letztlich geht es darum, das Machbare vom Nichtmachbaren zu unterscheiden. Es gilt, seine Vorhaben immer wieder kritisch zu überprüfen und in der Folge auch einmal ein Ziel aufzugeben oder nach den gerade aktuellen, ganz persönlichen Vorlieben abzuändern: Was ist mir jetzt eigentlich wichtig? Wie man das herausfinden und an der eigenen Zufriedenheit arbeiten kann, davon erzählen die folgenden Seiten.
Um die eigenen Wege zur Zufriedenheit zu erkennen und umzusetzen, ist der Blick auf die Erfahrungen anderer Menschen hilfreich. Deshalb sind neun wahre Geschichten in dieses Buch eingestreut. Die Beispiele veranschaulichen, wie zerstörerisch eine andauernde Unzufriedenheit und stetes Dürsten nach noch mehr Glück sind – gleich, ob man dieses Glück im beruflichen Erfolg, in finanzieller Optimierung, beim perfekten Partner oder im Alltag seiner Familie erwartet. Und sie zeigen, wie Menschen, die sich in einer solchen zermürbenden Situation befanden, für sich eine Lösung gefunden haben: wie sie, ohne gleich sämtliche Vorstellungen und Ziele über den Haufen zu werfen, zufrieden geworden...