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E-Book

Zukunft machen wir später

Meine Deutschstunden mit Geflüchteten

AutorChristiane Rösinger
VerlagS. Fischer Verlag GmbH
Erscheinungsjahr2017
Seitenanzahl224 Seiten
ISBN9783104903538
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis9,99 EUR
Seit September 2015 gibt die Berliner Musikerin und Autorin Christiane Rösinger Deutschunterricht für Geflüchtete. Ihr Kreuzberger Anfänger-Kurs ist Teil einer freien Deutschkurs-Initiative für Menschen, die oft keine anderen Angebote zum Spracherwerb bekommen und die, wie es im Behördenjargon heißt, »keine gute Bleibeperspektive« haben. Aber nicht nur die Kursteilnehmer kämpfen mit trennbaren Verben und »den verdammten drei ?sie?« der deutschen Sprache, auch Christiane Rösinger hat alle Mühe, das »Lernziel« zu erreichen und sich selbst zu integrieren. Bis das gelingt, schlägt sie sich mit den beiden größten Hindernissen für eine gelingende Integration herum - der deutschen Gesellschaft und der deutschen Grammatik.

Christiane Rösinger war Mitgründerin, Sängerin und Texterin der Berliner Bands »Lassie Singers« und »Britta«. In den 90er Jahren war sie eine der Betreiberinnen der legendären Flittchenbar am Berliner Ostbahnhof, die sie 2010 zu neuem Leben erweckte. Seitdem führt sie einmal im Monat durch eine musikalische Gala-Show im Kreuzberger Club Südblock. Neben ihrer Arbeit als Musikerin (?Songs Of L. And Hate?, ?Lieder ohne Leiden?) schreibt sie für verschiedene Zeitungen und Magazine. Christiane Rösinger veröffentlichte 2008 ihr erstes Buch ?Das schöne Leben?, es folgten ?Liebe wird oft überbewertet?, ein humorvolles Plädoyer für das Alleinleben, und ?Berlin-Baku?, der Bericht ihrer Reise zum Eurovision Song Contest nach Baku.

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Leseprobe

Willkommen im DaZ


In der ersten Anfangseuphorie erzählte ich allen in den höchsten Flötentönen von meiner neuen Tätigkeit. Wie toll das Unterrichten ist! Wie einfach es geht, trotz aller Verständigungsprobleme! Was für eine angenehme, schöne Tätigkeit das Deutschlehren doch ist! Viel besser und erfüllender als das ewige Um-sich-selbst-Drehen beim Lieder- und Texteschreiben. Die Leute schütteln den Kopf, weil sie sich den Umgang mit geflüchteten Menschen als sehr schwierig und belastend vorstellen, das Leben als Musikerin und Gelegenheitsautorin hingegen als glanzvoll und mühelos.

Eva, seit etwa zwanzig Jahren DaF-Lehrerin (›Deutsch als Fremdsprache‹) in Heidelberg, antwortete auf meine euphorischen Mailberichte: »Mach du mal ein halbes Jahr mit Adjektivendungen rum, dann bist du froh, wenn du wieder eine Platte machen kannst!«

»Das mach ich ja so oder so«, schrieb ich zurück. Aber auch wenn es keiner glaubt, das Unterrichten macht mir mehr Spaß als alles andere.

Es ist tatsächlich soweit: Die Sehnsucht nach einer regelmäßigen Arbeit, einer normalen, »nichtkreativen« Arbeit – sie hat endlich zu einer sinnvollen, wenn auch unbezahlten Beschäftigung geführt. Schon seit Jahren hatte ich mich mit diesem leichten Unwohlsein in der freiberuflichen »Boheme« herumgeschlagen. Ich beneidete Bekannte, die bei einem Verlag, einer Produktionsfirma, in einer Buchhandlung arbeiteten, sah aber keine Chance für mich, in einem solchen Metier Fuß zu fassen. Manchmal träumte ich von einer relativ stumpfen, vielleicht leicht ordnenden oder überwachenden Tätigkeit als Erholung von der ständigen Zwangskreativität.

 

Seit meiner Jugend, seit der Lehre zur Buchhändlerin, war ich dem Irrglauben anheimgefallen, das Schreckgespenst entfremdete Arbeit geißle den Menschen und es gäbe nichts Schlimmeres, als den ganzen Tag im Büro zu sitzen. Dabei war ich damals natürlich mit achtzehn Jahren zu jung, um die Vorzüge von festen Arbeitszeiten zu schätzen. Ich litt unter den langen Öffnungszeiten der Buchhandlung, unter den immer gleichen Verrichtungen im Sortimentsbuchhandel. In meiner damaligen neuen Clique, alle zwei, drei Jahre älter als ich, überlegte man zur selben Zeit, was man denn so studieren könnte. Eine meiner Hauptmotivationen, Musikerin zu werden, war ja auch, der geregelten Arbeit zu entgehen. Aber als dann die stressigen Jahre – allein mit Kind, Studium, Job und Band – vorbei waren, änderte sich das langsam. Manchmal erträumte ich mir in den Jahren, in denen keine Platte, keine Tour und kein Buch anstand und kaum Geld ins Haus kam, eine von außen aufgezwungene Struktur. Einen Grund, morgens aufzustehen, und regelmäßige Überweisungen auf mein Konto. Die Idee, der freie Journalismus sollte mein Musikerinnenleben finanzieren, erwies sich bald als totale Schnapsidee. Die wenigsten Menschen haben eine Vorstellung davon, wie wenig man mit Musik tatsächlich verdient. Fast gar nichts, so lange man nicht sehr bekannt ist, mindestens zwanzigtausend CDs verkauft und ständig auf Tour ist. Als freie Autorin in Berlin zu überleben ist auch fast unmöglich. Man müsste jeden Tag einen Artikel schreiben und zusätzlich immer neue Aufträge an Land ziehen, Vorschläge machen, recherchieren. Eigentlich geht es nur, wenn man sonstige Einkünfte hat und das Schreiben als schickes Hobby betreibt. Einen bezahlten Job hatte ich jetzt mit dem Deutschunterricht zwar auch nicht, aber eine neue Aufgabe; ein neues Projekt. Und so unkreativ ist das Unterrichten gar nicht. Man muss sich ständig etwas Neues einfallen lassen. Trotzdem versteht keiner meine Begeisterung.

»Es ist wie ein Auftritt!«, erkläre ich. Man muss die Leute in der Klasse letztendlich ja auch unterhalten, man muss schauen, dass sie sich nicht langweilen! Zum Glück habe ich eine kräftige Stimme und keine Angst vor Menschen, das ist schon die halbe Miete.

Am Anfang war es wie auf der Bühne: Je mehr Leute da waren, desto wohler fühlte ich mich. Manchmal war ich richtiggehend enttäuscht, wenn statt dreißig nur zehn TN kamen. Während man an den mauen Abenden auf der Bühne, während des Sprechens und Singens, manchmal schon taxiert, wie viele wohl da sein mögen – wie viel Zahlende im Fachjargon – und sich bei Besuchermangel die zu erwartende mickrige Gage ausrechnet, ist es auch im Unterricht enttäuschend, wenn nur wenige TN kommen. Ein Kurs mit fünfundzwanzig Leuten ist zwar total anstrengend, vor allem wenn auch nach einer Stunde Unterrichtsbeginn die Tür immer wieder aufgeht und ständig Neue dazu kommen, aber es ist fordernder, es ist mehr Energie im Raum, die TN trauen sich in einer großen Gruppe mehr zu.

Jemandem Deutsch beizubringen, mit dem man keine gemeinsame Sprache für Erklärungen hat, geht nur mit Gesten und Pantomime, mit Zeichnungen und Bildern, und das schlaucht. Nach meinen ersten Stunden war ich total fertig und musste mich manchmal sogar hinlegen. Und nach zwei Wochen wurde mir klar, dass man an das Unterrichten doch anders herangehen muss, vielleicht doch mit einem Plan und einem System.

 

Das Internet ist voll von Hinweisen und Links für ehrenamtliche Deutschlehrer. Man soll nur zehn bis fünfzehn neue Worte pro Stunde einführen, und ein neues Wort muss vierundvierzig Mal wiederholt werden, bis es wirklich im Gedächtnis bleibt – wie soll man das schaffen? Manchmal klappt das alles nicht, was ich mir für die Stunde vorgenommen hatte. Ich kann mich nicht verständlich machen, und alle sind ratlos. Manche schauen in ihren Smartphones nach, die Übersetzungen sind meistens nutzlos. Unser Kurs bekommt kein Geld und keinerlei finanzielle Unterstützung, wir haben keine Bücher und machen für jede Stunde Kopien. Man schreibt viel an die Tafel, fordert die TN zum Sprechen auf, teilt Arbeitsblätter aus. Dann rumgehen, erklären, was zu tun ist, und die Lösungen zusammen besprechen – fertig. Das scheint einfach. Aber dann sind die Arbeitsblätter viel schneller bearbeitet als geplant und dann sitzt man da. Ohne Buch, ohne Struktur, ohne Ahnung. Zur beliebten »Schwellendidaktik« – an der Schwelle zum Klassenzimmer überlegen, was man heute macht – braucht es etwas mehr Erfahrung, als ich sie habe. Schließlich kam, fast fünfundzwanzig Jahre nach dem Studium, dann doch die Germanistin in mir raus und die wollte der Sache mit der Sprachvermittlung und dem Zweitspracherwerb auf den Grund gehen.

 

Was ist eigentlich der Unterschied zwischen DaF und DaZ? Ich schlug bei Wikipedia nach.

›Deutsch als Fremdsprache‹ (DaF) ist zu unterscheiden von ›Deutsch als Zweitsprache‹ (DaZ).

Von ›Deutsch als Zweitsprache‹ spricht man, wenn die deutsche Sprache in einem deutschsprachigen Land erworben wird und zum alltäglichen Gebrauch notwendig ist. Der Erwerb erfolgt dabei weitgehend im Alltag, am Arbeitsplatz, im Schulalltag und in der Freizeit, aber auch in speziellen DaZ-Kursen. ›Deutsch als Fremdsprache‹ (DaF) hingegen lernt man eher im eigenen Land an der Schule oder Universität, eher im Rahmen von Fremdsprachenunterricht. Ich würde also DAZ-Fachkraft werden. Aha. Und was heißt A1, A2? Und A1.1? Ein völlig neues Forschungsfeld tut sich auf. Man spricht also gar nicht mehr von »Grundkenntnissen«, sondern man sagt jetzt A1, und das heißt dann:

»Kann vertraute, alltägliche Ausdrücke und ganz einfache Sätze verstehen und verwenden, die auf die Befriedigung konkreter Bedürfnisse zielen.«

Bei A2 kann man ein bisschen mehr. Aber zu der elementaren Sprachanwendung zur selbständigen Sprachanwendung kommt es erst bei B1. Ich gehe in die Bibliothek, vergleiche die Lehrwerke, die aber alle nicht so richtig für unsere TN passen. Es geht um schicke junge Leute, die sich über Designercouchs austauschen. Ihr Leben ist ein einziger Flirt, ein Ins-Kino-Gehen, Party machen, Einkaufen gehen, Sehenswürdigkeiten bei Städtefahrten besichtigen, Urlaub planen, Sonnenbrille und Sonnencreme nicht vergessen! Ich halte mich an die Lehrwerke, die für Integrationskurse konzipiert sind, die in der DaZ-Sprache eine flache Progression haben und für lernungewohnte TN gedacht sind. Am besten geeignet für unseren Unterricht sind die Lehrwerke, in denen man bei null anfängt, bei A1.1. Also bei dem berühmten »Ich heiße«, »Ich komme aus«. Der Wortschatz wird über kurze Bildgeschichten zu den Alltagsthemen, Einkauf, Familie, Wohnen, Gesundheit, Arbeit usw., erschlossen, die Grammatik wird eher nebenbei vermittelt, es geht um das Sprechen in Alltagssituationen. Das ist es ja auch, was unsere TN brauchen.

Ich leihe mir alles aus, kopiere Arbeitsblätter, ich lade mir die »Handreichungen für den Lehrer« von den Seiten der Schulbuchverlage herunter, ich forsche nach. Es ist toll. Manchmal aber auch ein bisschen beschämend. Da hat man sechzehn Semester Germanistik studiert, ist Magistra und muss trotzdem kurz überlegen, was jetzt noch mal Akkusativ ist, was Modalverben und trennbare Verben sind. Aber man kann sich das alles auch schnell draufschaffen.

 

Was habe ich während des Studiums an der FU eigentlich gemacht, fragte ich mich in diesen ersten Wochen. Hatte ich im Grundstudium nicht auch mal Linguistik? Ich hatte. Ich hatte aber auch meine Anwesenheit in diesem Fach auf das Allernotwendigste begrenzt. Innerhalb des Faches Germanistik hatte ich im Grundstudium die Schwerpunkte Literaturwissenschaft und Mediävistik gewählt. Mediävistik...

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