1 Zum Verhältnis von Natur und Gesellschaft: Was heißt Anpassung an den Klimawandel?
Sebastian Wessels
Die Fähigkeit zur Anpassung an verschiedenste ökologische und soziale Lebensbedingungen ist ein herausragendes Merkmal der menschlichen Natur. Während Tiere und Pflanzen immer zum Überleben in einer ganz bestimmten Umwelt ausgestattet sind – ihrer sogenannten ökologischen Nische –, fehlt eine solche spezielle Ausstattung und Festgelegtheit beim Menschen. Menschen leben in tropischen Wäldern, in Eis und Schnee, in der Wüste, am Meer und auf Bergen. Überall haben sie im Lauf der Entwicklung ihrer Gesellschaften spezielle Kulturtechniken entwickelt, die es ihnen ermöglichen, den ökologischen Bedingungen, in denen sie sich befinden, ein Leben abzutrotzen. Während Tiere und Pflanzen biologisch auf das Leben in bestimmten Umweltbedingungen abgestimmt sind, bringt die menschliche Biologie eine Flexibilität und Erfahrungsoffenheit mit sich, die unter anderen Lebensformen ohne Beispiel ist. Auf bestimmte Umweltbedingungen spezialisiert und mehr oder weniger festgelegt sind Menschen letztlich auch, doch bei ihnen erfolgt die Festlegung nicht biologisch durch genetische Vererbung, sondern sozial durch Erfahrung, Lernen und Tradition. Ihre ökologische Nische ist, wenn man so will, vor allem die Gesellschaft, weil es die besondere Sozialität der Menschen ist, die ihre herausragende Anpassungsflexibilität ermöglicht.
Vor diesem Hintergrund ist auffällig, dass im Zusammenhang mit dem Klimawandel erst in jüngster Vergangenheit das Thema Anpassung als praktisches und politisches Problem breit diskutiert wird. Wenn doch Menschen sich schon immer dadurch auszeichnen, dass sie sich höchst flexibel an verschiedenste Umweltbedingungen anpassen können, wieso wird dann heute Anpassung zum Thema und Problem? Was genau ist eigentlich unter »Anpassung« zu verstehen?
Schaut man sich die gesellschaftliche Entwicklung vom Zusammenleben in relativ einfach strukturierten, kleinen Sippen und Stämmen bis zu den komplexen, hochtechnisierten Millionengesellschaften der Gegenwart an, dann wird deutlich, dass Menschen sich nicht nur an die ökologischen Bedingungen anpassen, die sie vorfinden, sondern auch umgekehrt ihre Umgebung an sich anpassen. Wenn Menschen etwa anfangen, Ackerbau und Viehzucht zu betreiben, sind sie nicht mehr wie Jäger und Sammler davon abhängig, verwertbare Pflanzen und Tiere zu suchen und zu finden, sondern sie kontrollieren nun das Vorkommen von bestimmten Pflanzen und Tieren an bestimmten Orten für ihre eigenen Zwecke. Acker und Viehherden sind ein Stück Natur, das von Menschen so geformt wurde, dass es der Befriedigung menschlicher Bedürfnisse dient. Indem sie Häuser bauen und Tierfelle oder Kleidung tragen, machen sich Menschen unabhängiger vom Wetter. Heute ermöglichen uns Kühl- und Gefrierschränke sowie Konservierungsstoffe, Lebensmittel länger zu lagern, was die Taktung unseres Verbrauchs unabhängiger von ökologisch bedingten Produktionszyklen macht. Wasserversorgungssysteme machen uns unabhängiger von Niederschlag und Flussverläufen; die Techniken der Energiegewinnung und -verteilung machen uns unabhängiger von den Jahreszeiten (oder der Verfügbarkeit von Brennholz); moderne Verkehrsmittel machen uns unabhängiger von den Orten, an denen wir uns befinden.
An dieser Reihe von Beispielen, die sich beliebig fortsetzen ließe, wird bereits deutlich, dass »Anpassung« im ökologischen Sinn nie eine Einbahnstraße ist. Alle Organismen, und besonders die Menschen, verändern nicht nur sich selbst, sondern auch ihre Umgebung, und müssen sich immer gleichzeitig wieder mit der veränderten Umgebung arrangieren (Lewontin 2002: 53ff.). Die Wechselseitigkeit von ökologischen und sozialen Anpassungsvorgängen wird oft übersehen, lässt sich aber an vielen Beispielen leicht verdeutlichen. So ließe sich etwa das Tragen von Kleidung als Anpassung an ein kälteres Klima beschreiben, denn das Klima selbst wird davon nicht beeinflusst. Die Herstellung dieser Kleidung ist jedoch ein Vorgang, in dem natürliche Rohstoffe so verformt werden, dass sie bestimmte menschliche Bedürfnisse befriedigen, indem etwa Jagd-, Zucht- und Verarbeitungspraktiken entwickelt und etabliert werden, durch die sich Menschen auf vielfältige Weise zur Natur ins Verhältnis setzen und Aspekte davon für ihre Zwecke umformen und kontrollieren. Auch Werkzeuge machen die Wechselseitigkeit von Anpassung anschaulich. Indem man ein Werkzeug so formt, wie man es braucht, passt man dieses Stück Natur – sei es aus Holz, Stein oder Metall – an sich an; zum Beispiel an die Form und Motorik der Hände. Indem man aber den Umgang mit diesem Werkzeug lernt, passt man sich an das Werkzeug an. Man bildet Gehirnstrukturen und Muskeln aus, die mit der Benutzung dieses Werkzeugs korrespondieren. Das Werkzeug ist seinerseits an die ökologischen Bedingungen angepasst, in denen es funktionieren soll – etwa an die Beschaffenheit eines Baumes, wenn es sich um eine Axt handelt. Ob man nun sagt, mit unseren modernen Wohnanlagen passen wir uns an die Natur oder die Natur an uns an, hängt einfach davon ab, wo man jeweils die Grenze zwischen Natur und Gesellschaft zieht. Fasst man nur Regen und Witterung als Natur auf, passen wir uns durch den Bau von Häusern an die Natur an; zieht man jedoch in Betracht, dass dieser Bau umfangreiche Bearbeitungen von Naturressourcen einschließt und das Haus aus solchen besteht, kann man den Vorgang ebenso als Anpassung der Natur an unsere Bedürfnisse beschreiben.
Man kann diese letztlich nicht auflösbaren Definitionsprobleme vermeiden, indem man sich den Gesamtzusammenhang von Menschen und ökologischen Bedingungen als komplexes und mehr oder weniger stabiles Gesamtsystem von Kreisläufen vorstellt. »Komplexität« kann man definieren als Vielfalt an Systemelementen und Beziehungen zwischen ihnen. Der Begriff »Anpassung« bezieht sich dann auf den Grad, zu dem die Systemelemente aufeinander abgestimmt sind und eine Reproduktion des Systems ermöglichen.
Hiermit eng verbunden ist die Vorstellung eines Gleichgewichts zwischen gegensätzlichen Kräften und Funktionen, die sich gegenseitig die Waage halten. Für ein solches Gleichgewicht wird zuweilen der Begriff der »Homöostase« verwendet, der ursprünglich die Aufrechterhaltung von bestimmten Sollwerten innerhalb von Organismen bezeichnet. Eine klassische Illustration dafür ist der Thermostat, den wir von unseren Zentralheizungen kennen. Wenn der Thermostat eine Abweichung vom eingestellten Sollwert registriert, sorgt er dafür, dass die Heizung anspringt oder ausgeht, um die Raumtemperatur wieder diesem Sollwert anzunähern. Vergleichbare Mechanismen bei Lebewesen sind zum Beispiel Durst- und Hungergefühle, wenn Flüssigkeit fehlt oder der Blutzuckerspiegel sinkt, oder das Schwitzen, das bei Hitze dazu dient, die Körpertemperatur zu senken. Auf der Ebene von Ökosystemen kann die Nahrungspyramide als Beispiel für homöostatische Kreisläufe dienen. Pflanzen erzeugen mit Hilfe der Photosynthese organisches Material, von dem sich direkt oder indirekt alle tierischen Organismen des Systems ernähren. Der Kreislauf schließt sich durch die Nährstoffe, die in den Ausscheidungen und sterblichen Überresten der Organismen enthalten sind, welche in den Boden übergehen und damit weiteres Pflanzenwachstum ermöglichen.
Nun könnte das Gleichgewicht eines Ökosystems etwa dadurch gestört sein, dass ein Raubtier ausstirbt, das sich bislang von kleineren Pflanzenfressern ernährt hat. Ohne seinen Fressfeind könnte sich dieser Pflanzenfresser nun verstärkt vermehren, wodurch die Pflanzen, von denen er sich ernährt, vergleichsweise dezimiert würden. Nun kann es sein, dass in der Folge die Zahl dieser Pflanzenfresser durch den von ihnen selbst geschaffenen Nahrungsmangel wieder abnimmt, die Vegetation sich erholt und sich ein neuer Gleichgewichtszustand etabliert. Die Komplexität solcher Kreisläufe kommt aber immer wieder darin zum Ausdruck, dass sich dies nicht mit Gewissheit vorhersagen lässt. Durch das verstärkte Grasen könnte es – etwa durch starken Wind und Niederschlag im betreffenden Jahr – auch zu einer Bodenerosion kommen, so dass dann selbst im Fall eines völligen Verschwindens der Pflanzenfresser die Vegetation nicht mehr in dem Maß nachwachsen könnte, wie sie zuvor bestanden hatte. Ebenso könnte der Pflanzenfresser in seinem Blütejahr andere Tiere verdrängen, die mit ihm um Nahrung konkurrieren. Das intensive Grasen könnte außerdem dazu führen, dass schnell nachwachsende Pflanzenarten sowie diejenigen, die unser Pflanzenfresser meidet, begünstigt würden, was das Spektrum vorhandener und vorherrschender Pflanzen in diesem Ökosystem verschieben würde. Das könnte sich wiederum negativ auf die Lebenschancen des Tieres auswirken. Dieses Phänomen, dass Veränderungen von Teilsystemen (Ausbreitung der Pflanzenfresser) zu Reaktionen in anderen Teilsystemen führen (gemindertes Nahrungsangebot für diese Pflanzenfresser), die das System zu einem neuen Gleichgewicht hinstreben lassen (weniger Pflanzenfresser infolge des Nahrungsmangels), ist der Grund dafür, dass man auch von selbstorganisierenden Systemen spricht. Was Selbstorganisation auf elementarer Ebene ermöglicht, sind die Reaktionen, die auf die ursprüngliche Veränderung folgen und in der Kybernetik als »Feedback« oder »Rückkopplung« bezeichnet werden. Ein anschauliches Beispiel für eine homöostatische Reaktion in gesellschaftlichem Zusammenhang stammt von Gregory Bateson:
»Unter dem Einfluss der Prohibition reagierte das amerikanische Sozialsystem homöostatisch, um die Konstanz der Alkoholversorgung aufrechtzuerhalten. Es entstand ein...