2. Zentrale Positionen zum Leib-Seele-Problem
2.1 Theorien des Dualismus
Die These des Dualismus haben wir wie folgt festgehalten: Mentale Phänomene sind nicht-physische Phänomene, d.h. Mentales ist prinzipiell von allem Körperlichen unabhängig. Diese These kann auf zwei Weisen aufgefasst werden, als Dualismus der Substanzen (mit der Unterscheidung von körperlichen und geistigen Substanzen) oder als Dualismus von Eigenschaften.
Der Interaktionismus von Popper und Eccles:
Ein Substanz-Dualismus
Karl Popper hat einen Dualismus vertreten, der bewusst die These 3 der physikalischen Geschlossenheit aufgibt. Popper und Eccles (1989) unterscheiden drei eigenständig existierende Bereiche, nämlich die Welt der physikalischen Körper (Welt 1), die Welt der mentalen Zustände und Prozesse (Welt 2) sowie die Welt der objektiven Gedankeninhalte, der Institutionen und der Kultur (Welt 3). Die Hauptthese von Popper und Eccles besteht darin, dass die Welt 1 der physikalischen Körper kausal nicht abgeschlossen bzw. vollständig ist, weil die Welten 2 und 3 mit ihr in kausaler Interaktion stehen; damit wird die These 3 der physikalischen Geschlossenheit aufgegeben. Konzentrieren wir uns hierbei auf die Beziehung von Welt 2 zu Welt 1: Der Ärger einer Person als mentales Phänomen kann ihre physische Handlung, einen Beschwerdebrief zu schreiben, verursachen. Für die dualistische Position ist es wesentlich, dass mentale Phänomene rein geistig (völlig unabhängig vom Körper) vorgestellt sind.
Dann aber stellt sich die Frage: Wie kann ein rein geistiges Phänomen körperliche Bewegungen, die für das Briefeschreiben erforderlich sind, verursachen? Hier spekulierte Eccles, dass der reine Geist quantenmechanische Prozesse im Gehirn beeinflussen kann, so dass dann die notwendigen Hirnaktivierungen in Gang gesetzt werden können. Der rein geistige Wille steuere über die Beeinflussung sogenannter Wahrscheinlichkeitsfelder die Transmitterausschüttung an Synapsen, insbesondere im supplementär-motorischen Areal, und darüber indirekt unsere Handlungen (Eccles 1994, Kap. 10.4, Schlicht 2007, Kap. III). Diese Überlegungen sind aber nicht mehr als Spekulationen geblieben, denn es gibt kein Prinzip, das es ermöglicht, eine Wirkung von rein geistigen Prozessen irgendwie näher zu bestimmen, warum sie so und nicht anders wirken bzw. wie sie überhaupt quantenmechanische Wirkungen erzeugen könnten. Man muss dies als ein spekulatives Grundprinzip setzen. Da ist es viel überzeugender anzunehmen, dass auch ein Wille schon neuronal in einem Menschen realisiert ist und nur so kausal wirksam werden kann. Wir können allgemein die Grundprobleme eines Dualismus festhalten, der eine Interaktion, dabei insbesondere eine Wirkung von Mentalem auf Physisches, annimmt (vgl. Beckermann 1999, 56):
• Warum sind die Wirkungen des (reinen) Geistes so minimal, nur auf bestimmte Bereiche des Gehirns beschränkt?
• Wie ist das Wirken des Geistes mit den Erhaltungssätzen der Physik vereinbar?
• Warum bedarf der Geist überhaupt eines komplexen und funktionsfähigen Gehirns?
• Wie sieht die kausale Beziehung zwischen Geist und Körper aus?
• Warum kann mein Geist nur auf mein Gehirn, aber auf kein anderes Gehirn einwirken?
Um diese Fragen zu beantworten, muss man mit einem interaktionistischen Dualismus ad hoc-Prinzipien einführen, die jedoch keine wissenschaftliche Verankerung haben. Daher erweist sich ein Dualismus als eine spekulative Position, die mit vielen offenen Fragen belastet ist. Auch wenn unsere Alltagsintuition in der westlichen Kultur immer noch stark dualistisch geprägt ist, so wenden sich die philosophischen und wissenschaftlichen Positionen zur Beziehung von mentalen und körperlichen Phänomenen zunehmend von einem solchen interaktionistischen Dualismus ab. Gibt es noch andere Varianten des Dualismus?
Ein epiphänomenalistischer Dualismus von Eigenschaften
Eine Alternative besteht darin, an der physikalischen Geschlossenheit (These 3) festzuhalten und damit die Probleme einer spekulativen Annahme der Wirkung eines reinen Geistes auf den Körper zu umgehen: Jedes physische Ereignis hat (wenn es eine Ursache hat) eine physische Ursache. Wenn man mit diesem Prinzip einen Dualismus der radikalen Trennung von Körper und Geist aufrecht erhalten möchte, dann muss man allerdings die These der mentalen Verursachung (These 2) aufgeben. Damit vertritt man die Position, dass mentale Phänomene nie eine kausale Rolle spielen. Mentale Phänomene sind zwar als eigenständige, nichtkörperliche Phänomene vorgestellt – ein Schmerz, eine Wahrnehmung, eine Hoffnung sind solche nichtkörperlichen Phänomene –, aber diese mentalen Phänomene verändern den Lauf der Welt nicht, weil sie keinen kausalen Einfluss haben. Aufgrund dieser Einflusslosigkeit spricht man auch davon, dass mentale Phänomene gemäß einer solchen Auffassung «Epiphänomene» (also keine wirksamen Phänomene, sondern bloß Begleitphänomene) sind. Ein solcher Dualismus hat natürlich keine Probleme damit, den kausalen Gang der Welt zu beschreiben, weil alle Kausalität physikalische Kausalbeziehungen sind. Zugleich wird eben am Dualismus festgehalten, demgemäß mentale Phänomene nicht physisch sind (These 1).
Der Preis für diese Position eines epiphänomenalistischen Dualismus ist sehr hoch: Man muss dann akzeptieren, dass die mentale Welt des Menschen keinen kausalen Einfluss hat. Hier sperren sich mehrere Intuitionen und Alltagsbeobachtungen: Ein Mensch würde demgemäß niemals aufgrund von Wünschen und Überzeugungen handeln, sondern nur aufgrund von neuronalen Körperzuständen, die bestenfalls zufällig zu diesen mentalen Phänomenen parallel verlaufen. Damit verweist diese Position auf die klassische Grundidee bei G. W. Leibniz, der genau einen solchen psychophysischen Parallelismus angenommen hat: Gott hat gemäß Leibniz die Welt so eingerichtet, dass die getrennten Sphären von Körper und Geist in einer geordneten Weise zeitlich parallel verlaufen, so dass es uns so erscheint, als ob ein körperlicher Zustand einen mentalen Zustand verursachen könne und umgekehrt. In der modernen Version (Chalmers 1996) wird der zufällige Parallelismus nicht mehr Gott zugeschrieben, sondern einer anonymen Ordnung der Welt, die sich nun mal so eingestellt hat: Dabei nimmt Chalmers an, dass Personen in der Welt zweierlei Eigenschaften haben, nämlich mentale Eigenschaften, z.B. fröhlich zu sein, und physische Eigenschaften, z.B. einen bestimmten Hirnzustand zu haben.
Zurück zu den Einwänden: Wir haben eine starke Intuition, dass wir zumindest manchmal aufgrund von Wünschen und Überzeugungen handeln, dass wir manchmal aufgrund von Emotionen handeln, d.h. aber aufgrund von mentalen Phänomenen als Ursachen. Ebenso machen wir die Erfahrung, dass, wenn ein Mensch Schmerzen bewusst erleidet, er sich anders verhält, als wenn er keine solchen mentalen Phänomene erlebt. Wenn wir an der Intuition festhalten möchten, dass unsere Gefühle, bewussten Wahrnehmungen und bewussten Entscheidungen zumindest manchmal den Gang der Natur kausal beeinflussen, dann müssen wir den Epiphänomenalismus aufgeben. Wie aber kann dann dieser kausale Einfluss des Mentalen stattfinden, wenn wir nicht wieder in eine dualistische Spekulation zurückfallen wollen? Dann bleibt nur noch übrig anzunehmen, dass mentale Phänomene letztlich doch nichts anderes sind als besonders komplexe physische Phänomene. Genau das ist die Grundannahme des Naturalismus. (Ich verwende Naturalismus und Physikalismus austauschbar für diese These). Für physische Phänomene liegt es nahe, dass sie aufgrund ihrer physischen Natur auch eine kausale Rolle spielen können.
2.2 Formen des Naturalismus
Ryles Dispositionstheorie des Geistes:
Mentale Phänomene sind Dispositionen
Gilbert Ryle vertritt in seinem Buch «The concept of mind» (1949, dt. Übers.: «Der Begriff des Geistes») die These, dass mentale Phänomene Dispositionen sind und als solche keine kausale Rolle für physische Phänomene spielen. Diese These wird nun ausführlich erläutert.
Dispositionen sind Fähigkeiten, Verhaltensneigungen oder Verhaltenstendenzen, z.B. hilfsbereit sein oder wasserlöslich sein. Das Gegenstück zu Dispositionen sind manifeste Eigenschaften, z.B. die Eigenschaft, einem Freund Geld geliehen zu haben, oder die Eigenschaft, in Wasser aufgelöst zu sein. Demgegenüber ist die Unterscheidung in materielle und physische Phänomene unbedeutend. Manifeste Eigenschaften werden mit kategorischen Aussagen beschrieben, z.B. wird die Tatsache, dass Thomas die manifeste Eigenschaft hat, zwei Meter groß zu sein, schlicht mit dem Satz «Thomas ist zwei Meter groß» beschrieben. Dispositionen erläutern wir mit Wenn-Dann-Sätzen bzw. hypothetischen Aussagen. Ein Beispiel für eine Disposition ist die Zerbrechlichkeit von Glasscheiben. Ausführlich wird sie durch den folgenden Wenn-Dann-Satz erläutert:
Wenn ein schwerer, harter Gegenstand auf eine Glasscheibe treffen würde, dann würde sie zerbrechen.
Für Dispositionsaussagen, wie z.B. «Glasscheiben sind zerbrechlich», ist es...