Es begann mit kleinen Rissen,
Unstimmigkeiten, einem mikroskopischen
Abstand zwischen der Welt, von der man redete,
und der Welt, die tatsächlich da war
Lars Gustafson
„Die Bedeutung einer symbolischen Revolution, die darauf zielt, die fundamentalen Prinzipien der männlichen Weltsicht in den Köpfen wie in der Wirklichkeit umzustürzen, sollte man nicht unterschätzen; denn die männliche Herrschaft ist das Paradigma (und oft das Modell und der Gegenstand) aller Herrschaft“[4].
Männlichkeit und Herrschaft sind zwei Begriffe, die, wie in dem Zitat von Bourdieu deutlich wird, eng miteinander verwoben sind. Herrschaft als ungerechten Zugriff und Männlichkeit als Zumutung - so mein Verständnis - ist aber nicht unveränderbar und starr. Im Gegenteil, es ist sogar nötig, Herrschaft und Männlichkeit zu verändern, denn Herrschaft verhindert die Entwicklungsmöglichkeiten der Einzelnen und steht damit auch einer pädagogischen Vorstellung im Wege, die ihre Arbeit in der Unterstützung zu Selbstbefähigung und zum Abbau von Chancenungleichheiten sieht.
Das Thema Männlichkeit beschäftigt mich seit langer Zeit, zuerst auto-biographisch, später wissenschaftlich und seit Jahren in der Auseinandersetzung mit Jugendlichen/jungen Männern im Kontext meiner Arbeit in der Jugendhilfe. Dabei existiert meiner Erfahrung nach inzwischen in verschiedenen Bereichen der Pädagogik sowohl auf der theoretischen, als auch auf der praktischen, handlungsorientierten Ebene ein Alltagsverständnis von Geschlecht als wichtige Strukturkategorie. Dies wird kaum mehr infrage gestellt, auch wenn es nicht für alle pädagogischen Einrichtungen, für alle unterschiedlichen Disziplinen und wissenschaftliche Diskurse in gleicher Weise gilt. Problematisch erscheint mir eher, dass sich das Verständnis auf eben der alltagstheoretischen Grundlage bildet und kaum in der Lage ist, über schematische Antworten hinwegzukommen[5]. Zusätzlich werden klassische Bestandteile von Männlichkeit unhinterfragt reproduziert: Heterosexualität, vermeintlich unterschiedliche Geschlechtercharaktere, bestimmte Rollenmodelle.
Dabei ist Geschlecht eine vertrackte Angelegenheit. Ein Modell von Macht, Zustimmung, Dominanz, Aus- und Einschluss, ein Modell der Zweigeschlechtlichkeit, der Natürlichkeit, der abendländischen Vernunft.
Dabei ist mein Verständnis von Männlichkeit kein ontologisches - Geschlecht und Männlichkeit werden in dieser Arbeit als soziale Konstruktionen[6] begriffen. Das bedeutet nun aber gerade nicht, dass die materielle Seite, die Körper[7], deswegen bedeutungslos seien. Verschiedene wissenschaftliche Arbeiten, angefangen von der Transsexuellenforschung von Kessler/McKenna bis hin zum linguistic turn[8] zeigen, dass Geschlechter hergestellt, inszeniert, reproduziert und ausgerichtet werden. Die feministische Bewegung hat hier einen entscheidenden Beitrag zur Erhellung des Prozesses geleistet.
Im Zuge der Anfechtungen der Geschlechterwahrheiten durch den Feminismus und veränderte Arbeitsmarktbedingungen gerät auch die Kategorie Mann zunehmend in die Auseinandersetzung. Männlichkeit ist nicht mehr selbstverständlich, sondern erklärungsbedürftig. Dabei etabliert sich eine Sicht, die aufgrund der Veränderungen, die mit der ‚zweiten Moderne‘, der ‚Postmoderne‘, der ‚Risikogesellschaft‘, der ‚Globalisierung‘[9] einhergehen, von einer „Krise der Männlichkeit”[10] spricht. Männlichkeit könne sich aufweichen, wird irgendwie weniger gewaltförmig. Durch den zunehmenden Erklärungsnotstand tradierter Männlichkeit[11] gäbe es die Möglichkeit, Alternativen zu entwickeln, sozialere, verantwortungsvollere. Es gibt die Hoffnung auf eine Art Enthierarchisierung von Männlichkeit[12]. Gleichzeit lassen sich Stimmen finden, die in einer solchen Modernisierung eher eine Verschärfung von männlicher Herrschaft erkennen. Ob sich Männlichkeiten nun verändern, soll in der Arbeit untersucht werden. Wie sind diese Veränderungen zu bewerten? Bildet sich eine mögliche Alternative heraus? Erweitern nicht Männer einfach nur ihre Handlungsoptionen, um ihre Dominanz unter veränderten Vorzeichen aufrecht erhalten zu können? Ein Anliegen meiner sowohl persönlichen als auch pädagogischen Auseinandersetzung mit dem Thema ist die Suche nach Alternativen, Veränderungen, Brüchen, um die dem Konzept von Männlichkeit innewohnende strukturelle und persönliche Macht und Gewalt zu verringern, zu verändern, zu beseitigen, eine Suche nach Möglichkeiten zur Enthierarchisierung von Männlichkeit.
Fernsehen hingegen hat mein Interesse eigentlich so recht noch nie zu fesseln vermocht. Im Gegenteil, meistens langweile ich mich dabei, kann der Handlung oft nicht konzentriert folgen und widme mich nach einigen Minuten anderer Tätigkeiten. Dann kam Big Brother. 10 KandidantInnen, so die Idee des Formats, leben für 100 Tage in einem Container zusammen, ständig von mehreren Kameras gefilmt. Zusammen mit dem Ende des Studiums machte ich mir verschiedene Gedanken über ein Thema für meine Diplomarbeit. Seitdem die Serie „Dallas“ nicht mehr im deutschen Fernsehen lief, hat mich keine Sendung so interessiert wie Big Brother. Ich sage nicht ‚begeistert‘. Ich stehe der Idee, Menschen ständiger Überwachung auszusetzen, kritisch gegenüber, die Freiwilligkeit der KandidatInnen macht das nicht besser. Verwiesen sei hierzu auf den Diskurs über Sicherheit, Ordnung und Überwachung, in dem der öffentliche Raum zunehmend gesteuert und parzelliert wird, der Zugang unterliegt einer ausgefeilten Regulierung und Kontrolle[13]. Herrschaft – hier durch die ständige Überwachung manifestiert – funktioniert reibungsloser in Zustimmung als in Repression[14]. Fasziniert hat mich Big Brother trotzdem. Gesellschaftliche Tabus wie Privatsphäre, Überwachung und Kontrolle sowie die Grenzen von Fernsehunterhaltung wurden gebrochen, das Verhältnis von Realität und Simulation auf eine harte Probe gestellt, die Fähigkeit, aus scheinbar Nichts - außer dem höchst langweiligen, zeitweiligen Zusammenleben von zehn Menschen, zu Kultstatus und Marktsegment gebracht – Wert und Ideologie zu produzieren, wurde eindrücklich demonstriert. Erst einmal kein Thema für Männlichkeit?
Die dieser Arbeit zugrunde liegende These ist, dass die gesellschaftlich dargebotenen Inszenierungsmöglichkeiten von Männlichkeit[15] trotz gesellschaftlicher Veränderungen, auf ein tradiertes Bild hegemonialer Männlichkeit rekurrieren. Männlichkeiten verändern sich der These zufolge nicht in dem Maße, wie es die vielfache Rede um die Krise von Männlichkeit möglicherweise nahelegt. In vielen gesellschaftlichen Bereichen existiert eine traditionelle Vorstellung von Männlichkeit weiter, die mit Veränderung, Aufweichung, Vervielfältigung und Flexibilisierung nicht viel zu tun hat und haben will. Meiner Einschätzung nach haben die tradierten Bilder von Männlichkeit eine große Beharrungstendenz.
Ich verwende, entgegen der Ansicht von Connell und Meuser, den Begriff Männlichkeit in der Arbeit zumeist im Singular. Zwar ist es richtig, zu betonen, dass Männlichkeiten unterschiedlich sind, uneindeutig und widersprüchlich, ich glaube aber, dass der Begriff im Plural verwandt zu viel an Veränderung, Aufweichung und Flexibilisierung suggeriert. Er erweckt den Eindruck, Männlichkeiten sei brüchig. Die Ansicht habe ich lange Zeit geteilt, stelle sie jedoch mittlerweile wieder in Frage. An den Stellen, an denen die Binnendifferenzierungen bedeutsam sind, wird aber auch von Männlichkeiten die Rede sein. Aus dem gleichen Grund verwende ich die Begriffe Männlichkeit und Weiblichkeit, bzw. Mann und Frau, nicht in Anführungszeichen. Diese Arbeit vertritt eindeutig die These, dass die Begriffe Konstruktionen sind, keine Wahrheiten. Sehr wohl aber Wirklichkeiten. Männer und Frauen sind gesellschaftlich vorfindbar, durch die „heterosexuelle Matrix”[16] aufeinander bezogen und machtvoll normierend. Und, wenn ich Anführungszeichen im Bezug auf die Kategorie Geschlecht verwendete, um deren Konstruktionscharakter hervorzuheben, so müßten bei einer akribischen Vorgehensweise noch viel mehr Begriffe durch dieses Merkmal gekennzeichnet werden. Ich will aber gerade mit aufrufen, dass die Kategorie Geschlecht trotz aller Veränderungen bedeutenden Einfluss auf die Strukturierung von Gesellschaft und Individuen hat.
Gerade in seinem hochgradigen Inszenierungscharakter scheint mir Big Brother - als Untersuchungsgegenstand dieser Arbeit - eine gelungene Porträtaufnahme dessen zu sein, was für Männlichkeiten im Moment gesellschaftlich inszenierbar bzw. marktkompatibel sind. Wenn Geschlecht und Männlichkeit eine Verhandlungssache sind, die in alltäglichen Praxen hergestellt und abgesichert werden, immer in Tateinheit mit geschlechtlich konnotierten Strukturen, dann stellt Big Brother eine besondere Schnittstelle dar, in der Privates exemplarisch im öffentlichen Raum dargestellt wird. Die immense gesellschaftliche Beachtung, die Big Brother erfahren hat, weist der...