Grundsätzlich ist der Kassenwettbewerb stark reguliert, was KKn nur geringen Handlungsspielraum im Wettbewerb lässt. (vgl. Straub/ Pütz 2004: 12) Diese Regulierungen und ihre Auswirkungen sollen in diesem Kapitel näher erläutert werden. Zuvor ist es jedoch notwendig, den Begriff des Wettbewerbs zunächst theoretisch zu erörtern und eine Übertragung auf die GKV vorzunehmen.
Im folgenden Abschnitt soll zunächst der Wettbewerbsbegriff im wirtschaftlichen Sinn kurz erläutert werden, bevor dieses Konstrukt dann auf die GKV übertragen wird. Dabei soll auch auf die politischen und wissenschaftlichen Motive für die Einführung des Kassenwettbewerbs eingegangen werden. Zum Abschluss sollen darüber hinaus die Auswirkungen des Wettbewerbs auf die KKn diskutiert werden.
Grundsätzlich wird Wettbewerb[1] im wirtschaftlichen Sinn durch folgende Merkmale charakterisiert. Es muss ein Markt mit mindestens zwei Anbietern oder Nachfragern, die sich antagonistisch verhalten, vorliegen, damit eine Komplementarität der Anreiz- und Ordnungsfunktion gegeben ist. (vgl. o.V. 2000: 3477-3478) Außerdem erfordert ein funktionsfähiger Wettbewerb einen funktionierenden Preiswettbewerb, die Möglichkeit eines leichten Wechsels des Anbieters als auch die Möglichkeit des Zusammenschlusses und der erneuten Trennung der beteiligten Marktparteien, solange dadurch keine marktbeherrschende Stellung entsteht. (vgl. Breyer et al. 2006a: 8)
Dabei hat der Wettbewerb eine Vielzahl von Funktionen, die sich grundsätzlich in die Kategorien der gesellschaftspolitischen Funktionen und ökonomischen Funktionen aufteilen lassen. Zu den ökonomischen Funktionen zählt dabei die Verteilungsfunktion, die eine Verteilung von Gewinnen und Einkommen der Marktteilnehmer nach ihrer Marktleistung sicherstellen soll. Ein Unternehmen, das eine relativ hohe Leistung erbringt, soll entsprechend hohe Gewinne erwirtschaften können. (vgl. o.V. 2000: 3478) Des Weiteren ist die Steuerungsfunktion (auch Konsumentensouveränität genannt) des Wettbewerbs zu nennen. Sie stellt sicher, dass sich das Angebot an den Konsumentenpräferenzen orientiert. (vgl. o.V. 2000: 3478) Die Anpassungsfunktion stellt darauf aufbauend sicher, dass Angebote schnellstmöglich an veränderte Markt- und Wettbewerbsbedingungen (z.B. Veränderung der Konsumentenpräferenzen) angepasst werden. (vgl. o.V. 2000: 3478-3479) Eine möglichst effiziente Ressourcenverwendung wird durch die Allokationsfunktion des Wettbewerbs sicherstellt. (vgl. o.V. 2000: 3478; Neumann 2000: 1) Auch birgt der Wettbewerb eine Innovationsfunktion, die technischen Fortschritt und Innovationen in Form neuer Produkte oder Produktionsmethoden forciert und rasch realisiert. (vgl. o.V. 2000: 3479) Als letzte ökonomische Wettbewerbsfunktion soll hier die Kontrollfunktion erwähnt sein, die im Wettbewerb Vormachts- und Monopolstellungen vermeidet. (vgl. Reiners 1987: 111)
Neben den ökonomischen Funktionen erfüllt der Wettbewerb auch eine so genannte gesell-schaftspolitische Wettbewerbsfunktion. Diese liegt vor allem in der Gewährleistung von wirtschaftlichen Handlungs- und Entschließungsfreiheiten. Für die Anbieter bedeutet das die eigenverantwortliche Disposition der zur Verfügung stehenden Ressourcen, während es für die Konsumenten eine Wahlmöglichkeit zwischen alternativen Angeboten sichert. (vgl. o.V. 2000: 3479) Dadurch werden den Marktteilnehmern Freiheitsspielräume gewährt. (vgl. Mühlhausen 2002: 27)
Bei Übertragung des Wettbewerbskonzepts auf die GKV ist zunächst festzustellen, dass die Voraussetzungen für einen funktionsfähigen Wettbewerb nur eingeschränkt erfüllt sind. Außer Frage steht die Pluralität der Anbieter und Nachfrager angesichts der Tatsache, dass es derzeit über 70 Mio. GKV-Versicherte (vgl. o.V. 2006b: 2) und über 250 KKn in der GKV gibt (vgl. o.V. 2006a: 77) sowie eine Komplementarität der Interessen vorliegt. Weiter ist unbestritten, dass es eine einheitliche Ordnungsfunktion gibt, die grundlegend vom Gesetzgeber in den Sozialgesetzbüchern für alle KKn einheitlich geregelt ist. Auch die Möglichkeit eines Kassenwechsels ist in Deutschland seit 1996 gegeben sowie die Möglichkeit des Zusammenschlusses von Anbietern, d.h. von KKn in Form von Fusionen oder Zusammenarbeit auf Verbandsebene. Allerdings ist die Möglichkeit einer erneuten Trennung nach einer Fusion nicht mehr gegeben. Auch der Preiswettbewerb ist nicht vollkommen frei funktionsfähig, wie in diesem und dem dritten Kapitel noch gezeigt wird. Auf anderen Ebenen, wie z.B. der Produkt- und Distributionsebene, ist der Wettbewerb durch staatliche Regulierungen stark eingeschränkt. Dies wird mit dem Solidarziel des Kassenwettbewerbs begründet, der den gleichberechtigten Zugang aller Versicherten zur Gesundheitsversorgung sicherstellen soll. (vgl. Greß 2002: 491-492) Daher spricht man beim Kassenwettbewerb in der GKV auch von einem solidarischen Wettbewerb.
Bei der Diskussion um Funktion und Ziele des Kassenwettbewerbs stehen vor allem die Steuerungs-, Anpassungs-, Allokations- und Innovationsfunktion im Vordergrund. Dabei wird häufig argumentiert, dass eine stärkere Orientierung an den Präferenzen der Versicherten Ziel des Kassenwettbewerbs wäre. (vgl. Greß 2002: 491-492) Wie im Unterkapitel dieses Kapitels zum einheitlichen Leistungskatalog aber noch näher erläutert wird, besteht dazu nur stark eingeschränkt die Möglichkeit, da KKn lediglich ein minimaler Spielraum gegeben ist, um die individuellen Versichertenpräferenzen zu berücksichtigen. (vgl. Mühlhausen 2002: 34) Daher können Versicherte ihre Präferenzen allein durch Wahl bzw. Wechsel einer KK zum Ausdruck bringen. (vgl. Wüstrich 1994: 80) Ganz ähnlich verhält es sich bei der Anpassung an veränderte Präferenzen der Versicherten (Anpassungsfunktion). Auch hier liegt eine Veränderung des Leistungsspektrums, d.h. des Leistungskataloges, nicht in den Händen der einzelnen KKn. Allein in Randbereichen wie Satzungs- und Ermessensleistungen können einzelne KKn die Präferenzen ihrer Versicherten berücksichtigen. (vgl. Mühlhausen 2002: 34) Das wichtigste Ziel des Kassenwettbewerbs wird indes in der Allokationsfunktion gesehen. Die effiziente Verwendung der zur Verfügung stehenden Ressourcen steht dabei im Vordergrund und soll zu weit reichenden Einsparungen im Gesundheitswesen führen. (vgl. Erbe 2006: 339) Meist erhofft man sich durch Einsparungen auf Grund von Effizienzverbesserung im Gesundheitswesen bei gleich bleibendem Leistungsspektrum ein verbessertes Preis-Leistungsverhältnis. (vgl. Graf von der Schulenburg 1996: 27) Zusätzlich werden eine Verbesserung der Versorgung durch Suchprozesse nach Innovationen, d.h. im Gesundheitswesen neue Therapiemethoden, Einsatz von neuster Medizintechnik sowie neuer Versorgungsformen, sowie deren schnellstmögliche Einführung als Ziele des Kassenwettbewerbs genannt. (vgl. Wille 1999: 120) Aber auch hier ist kritisch anzumerken, dass Krankenkassen nur minimalen Spielraum zur Umsetzung dieses Ziels haben. Der einheitlich geregelte Leistungskatalog beschränkt die KKn ebenfalls auf Randgebiete wie z.B. innovativer Versorgungsformen. (vgl. Mühlhausen 2002: 38)
Neben diesen ökonomischen Zielen des Kassenwettbewerbs sollen außerdem die gesell-schaftspolitischen Auswirkungen kurz diskutiert werden. Dabei handelt es sich um die Gewährung einer Wahlfreiheit für den Versicherten zwischen den wählbaren KKn. (vgl. Mühlhausen 2002: 29-30) Diese Wahlfreiheit wird allerdings im Grunde wiederum von der mangelnden Produktdiversifizierungsmöglichkeit der KKn bedingt durch den Leistungskatalog eingeschränkt.
Es bleibt zu klären, welche Auswirkungen der solidarische Wettbewerb für die einzelnen KKn hat. Der Kassenwettbewerb äußert sich durch einen Mitgliederwettbewerb, der 1996 durch die Einführung der Kassenwahlfreiheit eingeläutet wurde. Entweder ist eine KK also durch ihr Angebot oder durch den Preis erfolgreich. Entscheidender scheint aber derzeit der Preis, d.h. der Versicherungsbeitrag zu sein. (vgl. Haenecke 2001: 24) Fest steht, dass im Wettbewerb nur leistungsfähige KKn bestehen können und dass Kassen, die diesem Wettbewerb nicht standhalten können und deren Leistungsfähigkeit auf Dauer nicht mehr sichergestellt ist, geschlossen werden (vgl. Pester 2005: 20)
Der Kontrahierungszwang der KKn ergibt sich aus § 175 Abs. 1 Satz 2 Sozialgesetzbuch Fünftes Buch (SGB V). (vgl. o.V. 2006c: 133) Darin ist festgelegt, dass eine KK, die von einer wahlberechtigten Person gewählt wird, die Mitgliedschaft nicht verweigern darf, sondern dem Versicherten die Mitgliedschaft anbieten muss. (vgl. Resch 2004: 39) Verbunden ist dieser Kontrahierungszwang mit einem Diskriminierungsverbot unerwünschter Versicherter, welches verhindern soll, dass i.d.R. schlechten Risiken, d.h. morbiden Menschen oder Personen mit geringem Einkommen, eine Mitgliedschaft auf Grund drohender hoher Ausgaben oder niedriger Einnahmen der KK verweigert wird. (vgl. Binder 1999: 84-85) Somit wird eine Selektion guter Risiken durch das...