3. Die dogmatischen Grundlagen für den Exorzismus
3.1 Die Frage nach dem Geheimnis des Bösen und den Ursprung des Teufels:
Zu kirchlichen Lehrentscheidungen über den Teufel und die Besessenheit
Die Frage nach dem Geheimnis des Bösen beschäftigt die Theologen schon seit vielen Jahren und im Verlauf der Jahrhunderte wurde in der Person des Teufels immer mehr eine Antwort darin gefunden, warum und wie das Böse in der Welt zu erklären ist. Doch was ist eigentlich genau mit diesem Bösen gemeint und wie entwickelte sich die kirchliche Lehre vom Teufel und der Besessenheit? Das folgende Kapitel versucht Antworten auf diese Fragen zu finden. Mit Blick auf die vielen Kriege in der Welt, die wie vieles andere Leid auf Grund von starken Aggressionen und Aversionen der Menschen untereinander entstehen, ist eine Leugnung des Bösen als bestimmender Macht des menschlichen Handelns schwer zu übersehen. Wenn wir von einer abscheulichen und entsetzlichen Tat sprechen, die vom menschlichen Intellekt rational nicht erklärt werden kann, sprechen wir vom eminenten Bösen in der Welt, das sich jedem menschlichen Verständnis entzieht. „Es ist die schlechthin sinnlose und sinnwidrige, niemals und durch nichts zu rechtfertigende zerstörerische böse Tat, die auch bei einem noch so geweiteten Blick auf das Ganze nicht erklärt und akzeptiert werden kann.“[30] Dieses unfassbare und eminente Böse, z.B. die Ermordung eines unschuldigen Kindes, ist absolut sinnlos und unerklärbar und darf nicht heruntergespielt werden. Doch wie kann es das Böse in der Welt geben, wenn es gleichzeitig einen Gott gibt, der allmächtig, gerecht und von Grund auf gut ist? Für das mythische Denken war das Böse in der Welt ein Werk böser Götter, so wie andersherum das Gute in der Welt ein Werk guter Götter war. Platon war es, der betonte, dass von Gott nur Gutes kommen könne, da Gott selbst ja das Gute ist und dem Bösen mit seiner Macht gegenübersteht. Dadurch erlangte jedoch die Frage nach der Herkunft des Bösen eine neue Brisanz. Auch das monotheistische Denken Israels befasste sich mit dem Problem, wie Gott und das Böse zusammen gedacht werden können, ohne die Souveränität Gottes in Frage zu stellen.[31] Das Christentum förderte dann das Verständnis, dass alles Gute von Gott kommt, denn Gott wird verstanden als die Liebe selbst[32], der die Schöpfung aus Liebe und freiem Willen aus dem Nichts geschaffen hat. Wie kann nun das Böse in diesen liebenden Schöpfungsplan Gottes hinein gedacht werden? Kann das Böse allein vom Menschen kommen, wenn doch der Mensch als Abbild Gottes verstanden wird?
Marion Wagner gibt auf die Frage zur Herkunft des Bösen eine annähernde Antwort, indem sie drei mögliche Denkmodelle skizziert: das monistische Denkmodell, das dualistische Denkmodell und das personale Denkmodell.[33] Im Folgenden werden die wesentlichen Inhalte dieser drei Denkmodelle vorgestellt.
Das monistische Denkmodell sieht für die Wirklichkeit des Bösen nur eine letzte Ursache, aus der alles hervorgeht. Diese letzte Ursache unterscheidet sich aber vom christlichen Glauben dadurch, dass sie sich nicht auf Gott zurückführen lässt, sondern dass die Welt als eine Erscheinungsform des Unendlichen gesehen wird. In diesem Denkmodell wird die Welt nicht von Gott in Freiheit entlassen, sondern alles, was auf Erden passiert, ob Gutes oder Böses, steht mit Gott in einer ursächlichen Verbindung und kann auf ihn zurückgeführt werden. Dadurch trägt Gott ein doppeltes Gesicht, denn in ihm verbinden sich gleichzeitig gute wie böse Charakterzüge. „Er (Gott) ist für das Böse ebenso verantwortlich wie für das Gute. Das Böse ist die andere Seite Gottes. Das widerspricht dem biblischen Gottesbild, das im Unterschied zu den heidnischen Gottesvorstellungen, die ambivalent sind, die Eindeutigkeit Gottes betont.“[34] Durch viele neutestamentliche Schriften ist überliefert worden, dass Gott die Liebe ist, durch die das Böse für immer besiegt wurde.[35] Sollte dies nicht stimmen und Gott sogar mit dem Bösen in Verbindung gebracht werden, gäbe es für den Menschen keine Möglichkeit mehr, Gott bedingungslos zu vertrauen. Denn einem Gott mit zwei Gesichtern lässt nicht aus menschlicher Sicht schwer vertrauen. „Wenn Gott am Bösen nicht schuldlos ist, dann wird aus dem Wagnis des Glaubens, das auf das Zeugnis der Heiligen Schrift vertraut, für den Christen eine schlichte Torheit. Daher sind monistische Ansätze für die Theologie kein gangbarer Weg bei der Beantwortung der Frage nach dem Ursprung des Bösen.“[36]
Das dualistische Denkmodell vertritt die Existenz eines gottgleichen und ursprünglichen bösen Prinzips, das als Ursprung allen Bösen angesehen werden kann und Gott, dem Ursprung des Guten, gegenübersteht. So kann Gott von jeder Verantwortung für das böse freigesprochen werden. Dieses Denkmodell widerspricht dem christlichen Schöpfungsglauben, „der verkündet, dass die Welt in ihrem Ursprung eine ist, dass es nur einen Schöpfer aller Dinge gibt (…).“[37]
Auch in diesem dualistischen Denkmodell lässt sich schwer eine begründete christliche Hoffnung finden, da das Böse als gleichmächtiges Prinzip neben Gott als Ursprung alles Guten nicht besiegt werden kann.
Die Antwort des christlichen personalen Denkmodells auf die Frage nach der Herkunft des Bösen weist hingegen in drei Richtungen: auf die persönliche Sünde als Freiheitstat des Menschen, auf die überpersonale Sündenmacht der Erbsünde und auf den Teufel als das personale Böse.[38] Der Teufel war ursprünglich ein von Gott geschaffenes gutes Geschöpf und hat sich im Laufe der Zeit aus freiem Entschluss gegen Gott gewandt, um die Menschen gegen ihn aufzubringen.[39] Die Vorteile dieses Denkmodells gegenüber den beiden zuerst genannten liegen darin, dass es zum einen das Böse als Freiheitstat des endlichen Menschen sieht und so die Verantwortung für das Böse in der Welt nicht direkt Gott zuerkennt. Zum anderen wird in diesem personalen Denkmodell die Möglichkeit ausgeschlossen, dass es neben Gott ein zweites gleichursprüngliches Prinzip gibt. Gott wird verstanden als der Ursprung alles Guten, der alles aus Liebe geschaffen hat und der daher nicht der Ursprung des Bösen sein kann. Freilich stellen sich auch Fragen: Ist es noch angebracht, im Zusammenhang dieses personalen Denkmodells vom Teufel zu sprechen? Was oder wer ist überhaupt gemeint, wenn vom Teufel die Rede ist? Die Antworten auf diese Fragen weisen auf eine wichtige theologische Erkenntnis hin: „Obwohl der Mensch das Böse tut und für das Böse in der Welt verantwortlich ist, ist das Böse doch zugleich größer als der Mensch, denn es gibt immer wieder abgründig böse Taten, bei denen man nicht einfach glauben kann, dass äußeres Tun und innere Absicht übereinstimmen, die auch im Hinblick auf den Täter so unmenschlich und grausam erscheinen, dass sie nur als Nachgeben gegenüber einem größeren Bösen, aber nicht als personaler Akt des Täters gewertet werden können.“[40] Wie kann jedoch diese größere Macht des Bösen gedacht werden und welche Rolle nimmt die Person des Teufels in diesem Zusammenhang ein? Ist der Teufel überhaupt eine Person oder vielleicht doch eher eine mythische Vorstellung vergangener Zeiten? In diesen Fragen drückt sich das ernsthafte Verlangen aus, eine zufriedenstellende Antwort auf die Frage nach der Herkunft des Bösen zu finden. Von Seiten des kirchlichen Lehramts wird zuerst auf der Synode von Braga (561-564) die Existenz eines personalen bösen Wesens bestätigt und dessen Verbindlichkeit hervorgehoben.[41]
Die Definition des Teufels richtet sich vor allem gegen die Lehre der Priscillianisten, die in der Tradition der Manichäer standen und alles Böse auf die Wirkung des Teufels zurückführten und den Teufel nicht als Geschöpf Gottes ansehen wollten. Der Teufel wird von der Synode als von Gott geschaffen und als selbstständiges Prinzip angesehen. Im Wortlaut der Synode heißt es: „Wer sagt, der Teufel sei nicht früher ein von Gott geschaffener guter Engel gewesen und seine Natur sei kein Werk Gottes gewesen, sondern sagt, er sei aus dem Chaos und der Finsternis aufgetaucht und habe keinen Urheber seiner selbst, sondern sei selbst das Prinzip und die Substanz des Bösen, wie Manichäus und Priscillian sagen, der sei mit dem Anathema belegt.“[42] Auf dieser lehramtlichen Äußerung baute im Jahre 1215 das IV. Laterankonzil auf, das betonte: „Denn der Teufel und die anderen bösen Geister sind ihrer Natur nach gut erschaffen, aber sie sind selbst durch sich böse geworden.“[43] Dadurch wird die Synode von Braga bestätigt, denn das IV. Laterankonzil stellt eindeutig fest, dass der Teufel von Gott geschaffen wurde und sich später aus freiem Entschluss von ihm abwandte. So werden auf dem Lateranense IV. verschiedene dualistische Vorstellungen des Mittelalters, wie die der Albigenser und Katharer, zurückgewiesen. Fraglich bleibt, ob das Konzil mit dieser Aussage die Existenz des Teufels und der bösen Geister als gewiss und verbindlich aussagen wollte oder ob es das herrschende Weltbild bestätigen wollte, das ganz selbstverständlich von der Existenz böser Geister und Dämonen überzeugt war. Sollte es also den Teufel und die...