Au revoir Paris,
bonjour Hambourg
Sommer 1992, an einem französischen Strand an der Atlantikküste.
Eine blonde Demoiselle im weißen Bikini liegt allein auf ihrem Badehandtuch, samt Buch, Tasche und Flasche Mineralwasser. Sie speichert Sonne womöglich für das ganze Jahr und lässt sich den Rücken bräunen. Der langsam rot wird. Immerhin hat sie einen Hut, der ihren Kopf schützt und ihrem Gesicht etwas Schatten spendet.
Jef und ich kennen uns seit der Schule und sind enge Freunde. Wir sind Anfang zwanzig und verbringen unseren Urlaub am Meer. Mit Sturm und Drang jagen wir die Schönheiten, die sich am Strand dehnen. Die blonden Ausländerinnen sind unsere Lieblingsbeute. Sprich, hauptsächlich Holländerinnen, Schwedinnen und Deutsche. Man könnte denken, die Hürden der Sprache hinderten uns daran, Kontakt aufzunehmen. Mitnichten. Sie ermöglichen im Gegenteil alle Missverständnisse, welche das Anbaggern vereinfachen. Ein gebrochenes Englisch mit französischem Akzent, begleitet von vielen Gesten und Gesichtsausdrücken, ist eine sehr erfolgreiche Eintrittskarte, um mit ausländischen Demoiselles ins Gespräch zu kommen.
Die unbekannte Sylphide bemerken wir sofort. Sie ist ungefähr in unserem Alter.
«Mademoiselle?»
Mademoiselle dreht sich um. Oh, la, la! Der Fang des Tages. Eine wahre Beauty sitzt uns gegenüber, die wir offensichtlich aus ihrem Halbschlaf geweckt haben.
«Vous êtes toute rouge dans le dos – Ihr Rücken ist ganz schön rot.»
In ihrem Fall stimmt es. Wir haben natürlich Creme dabei. Den Trick haben wir schon fünfzigmal geübt, und die Dame hat es bestimmt schon hundertmal gehört.
Sie zeigt mit eindeutiger Körpersprache, dass sie uns nicht versteht.
«You spik änglisch?», fragen wir in möglichst schlechtem Englisch. Der Franzose muss sich dafür nicht mal verstellen.
«Yes.»
«Whäre are you … euh … coming fromm?»
«Germany.»
«Ah! Dötschland! Euh … wir spräschön ein bischön dötsch! Gutön Tak!»
Wie gut, dass wir Deutsch in der Schule gelernt haben. Eine kleine Rechnung zeigt, wie effizient wir sind: Von der siebten Klasse bis zum Abitur sind es fünf Jahre. In einem französischen Schuljahr gibt es ungefähr zweiunddreißig Wochen. Pro Woche hatten wir drei Stunden Deutschunterricht. Pro Stunde sprachen wir höchstens zwei Minuten aktiv deutsch. Pro Jahr haben wir also drei Stunden und zwölf Minuten gesprochen. Auf fünf Jahren hochgerechnet sind das sechzehn Stunden. Anders gesagt: null. Dafür sind wir aber im Fachbereich Körpersprache zweisprachig.
Die junge Dame scheint ihrerseits der französischen Sprache auch nicht besonders mächtig zu sein.
«Je ne parle pas français», sagt sie.
«C’est pas grave! – Das ist nicht schlimm!», antworten wir. «Du bringst uns Dötsch bei, wir dir Französisch! Tu t’appelles comment? – Wie heißt du?»
«Franziska.»
«Francesca?!»
«No! Franziska!», und betont dabei das «zis».
«Ah, Franzoseschka?!»
Sie guckt uns von unten an. Sie findet uns schon amüsant, aber sie hätte gern ihre Ruhe, das ist spürbar. Wir labern sie trotzdem weiter an, in einer komischen Mischung aus Französisch, Englisch und Deutsch.
«Dein Rückön sehr rot! Wir cremön dir!«
«Non, non!», antwortet die Demoiselle. «I’ve sun lotion – ich habe Creme.» Sie sucht die Creme in ihrer Tasche. Wir knien uns jetzt neben sie, Jef links, ich rechts von ihr. Wir tragen beide Sonnenbrillen und sehen wie Mafiosi-Azubis aus.
Sie holt die Creme hervor, wie eine Trophäe. Sonnenschutz 12.
«Du brauchst aber französische Creme für französische Sonne!»
Sie macht einen Gesichtsausdruck, den ich erst in fünfzehn Jahren identifizieren werde. Nämlich: «Häh?» Zu diesem unsäglichen «Häh» werde ich mich später äußern. Kehren wir erst mal zurück in die frühen Neunziger.
«Yes, very good lotion», sagt sie. Als ob uns die Sonnencreme interessieren würde.
Ihr Tonfall ist nicht wirklich einladend. Sie lächelt nur halbherzig. Um uns abzukühlen, müsste sie sich jedoch mehr bemühen, so einfach lassen wir unser Jagdobjekt nicht entkommen.
Jef steigert das Spiel und deutet auf ihr Dekolleté.
«Oh, la, la! Et ici aussi!– Und hier auch!» An dieser Stelle ist sie weiß wie Schnee.
«Very dangerous!», sage ich. «You need help! Don’t worry, we are professionals!»
«I will do it myself.»
Denkt sie wirklich, wir würden ihre Brust anfassen, einfach so?
Franziska findet unsere kleine Szene nicht mehr so lustig. Sie guckt nach rechts und nach links und fühlt sich offensichtlich von diesen zwei aufdringlichen Franzosen belästigt.
«Do you want to drink something with us?» Jef weist auf die kleine Hütte am Strand. «A coca-cola?! With lemon and ice?!»
«And a good crêpe!», füge ich hinzu. «Crêpe schmäckt gutt!»
«Thank you.» Sie zeigt ihre Mineralwasserflasche.
Bon. Franziska macht nicht mit, trotz unseres ganzen Guignol-Theaters. Dann halt Pech für sie. Es gibt viel zu viele Demoiselles an diesem Strand, die auf unser Eincremen warten, als dass wir mit dieser Walküre unsere Zeit verschwenden. Wir geben Franziska eine letzte Chance und weisen abermals auf die kleine Hütte: «Okay! We will be there at seven o’clock, if you want to join us. Salut!»
Wir warten heute noch auf Franziska. Einen Tag nach dieser Szene sind wir zwei blonden Schwedinnen begegnet. Vielleicht lag es daran, dass sie auch zu zweit waren? Auf jeden Fall haben wir uns den Rücken gegenseitig eingecremt, und sie lachten über unsere Duo-Nummer. Jef war im Vorteil, er konnte Gitarre spielen – der Klassiker. Aber Klassiker funktionieren immer gut. Sonst wären sie ja keine Klassiker. Rachel schrieb ihren Namen auf meine Haut, als ich sie fragte, wie sie hieß. Rachel und Jessica. Jef hat mit Jessica noch lange Zeit korrespondiert.
Nicht alle Blonden sind gleich.
Ich werde Franziska nie vergessen. Sie war meine erste Erfahrung mit einer deutschen Frau. Nein, eigentlich die zweite. Es gab bereits ein Fräulein vor ihr, noch schöner, dafür genauso humorlos: Claudia Schiffer.
Für die Franzosen meiner Generation war Claudia Schiffer zehn Jahre lang der Inbegriff der Versuchung. Als ich zwanzig war, bin ich ihr täglich in den Straßen von Paris begegnet. Sie stand in Übergröße auf jedem zweiten Werbeplakat der Stadt, und jede Woche posierte sie auf dem Cover eines französischen Frauenmagazins.
Sie repräsentierte die deutsche Frau schlechthin, indem sie alle Klischees erfüllte, welche wir in Frankreich von den deutschen Frauen haben: groß, blond, schön. Würde man eine Umfrage unter Franzosen machen, welche deutsche Frau sie spontan nennen könnten, wäre es sicherlich Claudia Schiffer.
Claudia Schiffer verdankt ihren Erfolg allerdings nicht nur ihrer Schönheit, sondern auch ihrer Ähnlichkeit mit Brigitte Bardot. Damit hören die Gemeinsamkeiten aber auch schon auf. Claudia Schiffer blieb immer nur eine Erscheinung auf Hochglanzpapier, gewissermaßen abstrakt. Sie war zwar eine perfekte Plastik, wirkte aber kühl und reserviert. Ihr fehlten im Unterschied zur Bardot die Lebendigkeit und das Verführerische, welche die Schönheit ins Umwerfende verwandeln. Mit diesen Eigenschaften bestätigte sie auch ein weiteres Klischee der Franzosen über die deutschen Blondinen: schön und diszipliniert. Und null Sex-Appeal.
Die Presse berichtete kaum über Claudia Schiffers Liebesleben – ob sie überhaupt Affären hatte? Der Terminkalender eines Topmodels lässt ja bekanntermaßen wenig Freiraum fürs Private. Eines Tages erfuhr man, dass sie mit dem amerikanischen Zauberer David Copperfield liiert war. David Copperfield war eine Art Siegfried und Roy in einer Person, nur ohne Tiger. Die komische Paarung war weit von dem entfernt, was die Öffentlichkeit an Phantasien über ein Supermodel hegt. Als ob Brigitte Bardot mit Eduard Zimmermann geflirtet hätte. Es erwies sich später tatsächlich als PR-Coup, was die ganze Sache recht peinlich machte.
Dagegen war die Liaison von Brigitte Bardot und Gunter Sachs eine legendäre Geschichte, ein romantisches Abenteuer. Legendär ist vor allem die Art und Weise, wie unser Freund Gunter die schöne Brigitte verführte. Aus einem Hubschrauber streute er Hunderte von roten Rosen auf die Madrague, Bardots Villa an der Côte d’Azur. Liebeserklärung im großen Stil. Und zu diesem Zeitpunkt waren sie bereits verheiratet! Aber wer glaubt, man bräuchte seine Frau nicht mehr zu erobern, nur weil man sie geheiratet hat, wird eines Tages böse Überraschungen erleben.
Das Leben von Gunter Sachs beweist, dass auch deutsche Männer Don Juans sein können. Wobei Gunter Sachs ein Komet im männlichen deutschen Himmel war. Nach ihm gab es niemanden dieses Kalibers mehr – nur noch Schlagerkönige von Mallorca. Die deutschen Männer haben inzwischen offenbar verlernt, wie man Frauen verführt. Heute leiden sie unter akutem Werther-Syndrom oder pflegen ein Arschlochdasein. Mit dieser Problematik werden wir uns später ausführlich beschäftigen.
Kaum war der Stern von Claudia Schiffer am Erblassen, rollte schon die zweite Welle der deutschen Blondinen auf Frankreich zu: Heidi Klum, die Mitte der Neunziger Furore machte. Ihre Karriere als Model dauerte nicht so lang wie jene ihrer Vorgängerin, doch hielt sie sich sorgfältig an das Klischee der blonden deutschen Schönheit. Solange die Deutschen...