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E-Book

Die Komplexität der Kriege

AutorThomas Jäger
VerlagVS Verlag für Sozialwissenschaften (GWV)
Erscheinungsjahr2010
Seitenanzahl305 Seiten
ISBN9783531924533
FormatPDF
KopierschutzDRM
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis33,26 EUR
Seit das weltumspannende Deutungsmuster des Ost-West-Konflikts für Gewaltauseinandersetzungen in und zwischen Staaten verloren ging, wurde eine intensive Diskussion um die Veränderung des Krieges geführt. Die Entwicklungen der internationalen Ordnung, die Wandlungen von Staatlichkeit, die faktische Ordnungskraft der Globalisierung, die Politisierung von ethnischen Identitäten und Religionen und andere Faktoren bildeten den Rahmen in dem die Gewaltauseinandersetzungen neu beobachtet und interpretiert wurden. Der Krieg wandelte erneut sein Gesicht. Dabei entwickelten und veränderten sich die Mittel der Gewaltanwendung ebenso drastisch wie die Zwecksetzungen der einzelnen Kriegsparteien und Gewaltakteure variierten. Die Komplexität der Kriege wurde in den unterschiedlichen Blickwinkeln auf das Kriegsgeschehen und die Gewaltverhältnisse deutlich und bildet seither die Grundlage, auf der über die neuen Aufgaben zur Herstellung und Gewährleistung von Sicherheit nachgedacht wird.

Prof. Dr. Thomas Jäger ist Inhaber des Lehrstuhls für Internationale Politik und Außenpolitik der Universität zu Köln sowie Herausgeber der Zeitschrift für Außen- und Sicherheitspolitik (ZfAS).

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Leseprobe
Gefährliche Davids: Wie schwache Staaten ihre Nachbarn bedrohen (S. 126-127)

Daniel Lambach

1 Einleitung

Dass fragile und zerfallene Staaten eine Sicherheitsbedrohung darstellen, ist inzwischen weitgehend Konsens in Wissenschaft und Politik (Lambach/Debiel i.E.; Lambach 2006).2 Die Frage, für wessen Sicherheit sie welche Bedrohung darstellen, ist jedoch bisher nur in Teilen beantwortet worden. In der einschlägigen Literatur stehen implizit oder explizit zumeist die Sicherheitsinteressen westlicher Länder bzw. der „internationalen Gemeinschaft“ im Vordergrund. Viel wurde daher über die mögliche Verbindung von fragiler Staatlichkeit und transnationalem Terrorismus geschrieben, ohne dass dabei bislang ein eindeutiges Ergebnis zustande gekommen wäre (Piazza 2007; Simons/Tucker 2007). Weiterhin wurde ausgiebig darüber diskutiert, wie die internationale Politik mit fragilen Staaten umgehen sollte (z.B. Caplan 2007, Krasner/Pascual 2005).

Während diese Beiträge die Sicherheitsproblematik staatlicher Fragilität durch die Brille des Nordens betrachten, wurde die Perspektive des Südens auf dieses Thema bislang nur selten berücksichtigt.3 Aus dieser Sichtweise schließt das Konzept des fragilen Staates an bereits vorhandene Konzepte des „schwachen Staates“ (Migdal 1988), des „weichen Staates“ (Myrdal 1968), des „lahmen Leviathan“ (Callaghy 1987) sowie von klientelistischen und neopatrimonialen Systemen (Clapham 1982) an. Diese Ansätze bezogen sich in erster Linie auf Fragen von Herrschaft und Entwicklung und besaßen keine sicherheitstheoretische Dimension.

Umso befremdlicher wirkt es im Süden, dass Probleme, die dort seit langem bestehen, nun als Sicherheitsproblem dargestellt werden. Kritikern zufolge, dient dieser Staatszerfalldiskurs lediglich zur Legitimation eines neuen Interventionismus, der sich hinter einer humanitären Maske verbirgt (Hill 2005; Bilgin/Morton 2002).

Dieser Diskurs kann, mit einer gewissen Berechtigung, als hegemonial kritisiert werden. Gleichwohl kann nicht von vornherein ausgeschlossen werden, dass der Zerfall eines Staates nicht tatsächlich ein Sicherheitsrisiko für dessen Nachbarländer darstellt. Ziel der vorliegenden Studie ist die Entwicklung forschungsleitender Hypothesen zur Beantwortung dieser Fragen. Dazu werden zunächst zwei gegensätzliche Positionen gegenübergestellt.

Die erste ist an die Sicherheitstheorie von Kenneth Waltz angelehnt und sieht in den „Davids“, also den schwachen Mitgliedern des internationalen Systems, eher Vorteile für deren stärkere Nachbarländer, da diese nichts von dem zerfallenden Staat in ihrer Mitte zu befürchten hätten. Die zweite Position hebt dagegen hervor, dass Bürgerkriege innerhalb der „Davids“ oft auf Nachbarländer übergreifen und dass dort wirtschaftliche und soziale Folgeschäden entstehen. Aus diesen beiden Perspektiven werden abschließend vier Hypothesen darüber entwickelt, wie sich Staaten angesichts des Zerfalls eines Nachbarstaats verhalten. Damit soll ein Beitrag zur mittelfristigen Entwicklung einer Forschungsagenda geleistet werden.

Das schlussendliche Ziel ist dabei nicht die Formulierung eines neuen, allumfassenden Sicherheitsbegriffs. Vielmehr folge ich einer Anregung Daases, dass sich die Staaten in den verschiedenen Gebieten der Welt ganz unterschiedlichen Gefährdungen gegenübersehen und verschiedene Funktionen als sicherheitsrelevant bestimmen (Daase 1993: 82).
Inhaltsverzeichnis
Inhaltsverzeichnis6
Vorwort8
Kriegstheoretische Analyse neuer Gewaltformen19
1 Einleitung9
2 Gedankenexperiment11
a. Modell I: „Reagenzglaskrieg“12
b. Modell II: „Politischer Krieg“14
c. Zusammenfassung des Gedankenexperiments19
3 Modell strategischen Handelns20
a. Die Basis20
b. Die Handlungsebenen und die Rahmenbedingungen21
c. Die Strategie24
d. Strategische Prinzipien29
e. Theoretische Anknüpfungspunkte bei Clausewitz zur Analyse von Strategien nicht-staatlicherAkteure: Volksbewaffnung und Kleiner Krieg30
4 Schluss32
Literaturverzeichnis34
I. Kriege im Zeichen von Ordnung und Sicherheit36
Reflexionen über den Begriff des Weltordnungskonfliktes37
1 Einleitung37
2 Neue Begriffe38
3 Re-Ideologisierung und Re-Politisierung des Krieges40
4 Zusammenbruch von Weltordnungen42
5 Ordnung und Grenzen43
6 Thomas Hobbes oder Carl Schmitt45
7 Widerstreit um Weltordnungsvorstellungen46
8 Die Abfolge von Ordnungssystemen48
Literatur50
Die Bedeutung des Militärs für die Großmächtepolitik154
1 Einleitung54
2 Zurück in die Zukunft? (Systemische) Lehren der Vergangenheit55
2.155
2.256
2.357
3 Enttäuschte Hoffnungen: Die Beständigkeit des Kriegs58
4 Back to the Present: Kriegsszenarien heute60
5 Rüsten – für welchen Krieg?65
6 Folgerungen67
Literatur67
Ein wirksames Instrument für die Zukunft? – Die ESVP als europäischer Kriseninterventionsmechanismus70
1 Einführung70
2 Praxis statt Theorie: Die Gründungsphase der ESVP71
2.1 Anlass und Ursache für eine Europäische Sicherheits- und Verteidigungspolitik71
2.2 Erste Mängel72
3 Die Entwicklung der ESVP als 4-Ebenen-Spiel73
3.1 Politisch-institutioneller Rahmen73
3.2 Instrumenteller Rahmen74
3.3 Militärischer Rahmen75
3.4 Zivile Komponente79
3.5 Die strategische Entwicklung80
4 Kernaspekte der heutigen ESVP: Bestandsaufnahme und Probleme83
4.1 EU-NATO-Kooperation83
4.2 Einsätze85
5 Zukunftsperspektiven87
5.1 Entwicklungsmöglichkeiten der ESVP durch den Vertrag von Lissabon87
5.2 Eine strategische Partnerschaft mit der NATO89
5.3 Das Projekt Europaarmee90
6 Bewertung91
Literatur92
Private Militärfirmen in der internationalen Sicherheits-politik:Ansätze einer Einordnung97
1 Einleitung97
2 Veränderungen auf der Makroebene der internationalen Sicherheitspolitik98
3 Veränderungen auf der Mikroebene der internationalen Sicherheitspolitik – Gründe für das Aufkommen der PMF99
4 Ein Modell der Typologisierung104
5 Auswirkungen der PMF auf die internationale Sicherheit108
5.1 Grundlegende Veränderungsprozesse108
5.2 Die Implikationen der Nutzungvon PMF durch Staaten109
5.3 Die Implikationen der Nutzung von PMF durch nichtstaatliche Akteure in der internationalen Politik113
6 PMF als eigenständige Akteure der internationalen Politik?114
7 Mögliche Auswirkungen auf die Gesetzmäßigkeiten der internationalen (Sicherheits-) Beziehungen und die Notwendigkeit der theoretischen Reflexion115
8 Notwendigkeit der Regulierung116
9 Schlussbetrachtung120
Literatur122
II. Kriege im Zeichen schwacher Staatlichkeit125
Gefährliche Davids: Wie schwache Staaten ihre Nachbarn bedrohen1126
1 Einleitung126
2 Traditionelle Sicherheitstheorien127
3 Die regionalen Auswirkungen von Staatszerfall129
3.1 Fragile Staatlichkeit, innere Sicherheit und Gewaltkonflikte130
3.2 Staatszerfall und die Sicherheit von Nachbarstaaten133
4 Eine Forschungsagenda137
Literatur138
Pulverfass Andenregion? – Der kolumbianische Konflikt und seine Auswirkung auf die Stabilität der Region143
1 Einleitung143
2 Analyse des kolumbianischen Konflikts143
2.1 Genese des Konflikts143
2.2 Die Dimensionen des Konflikts145
3 Die Akteure des Konflikts148
3.1 Die Regierung148
3.2 Die Guerilla149
3.3 Die Paramilitärs151
3.4 Weitere Akteure152
4 Regionale und internationale Dimension des Konflikts153
4.1 Die regionale Dimension153
4.2 Die Rolle Brasiliens156
4.3 Die internationale Dimension157
5 Schlussbemerkung158
Literatur158
Gewaltökonomien und ihre externe Eindämmung161
1 Einleitung161
2 Analyse von gewaltökonomischen Strukturen162
2.1 Charakteristika von Gewaltökonomien162
2.2 Schwache Staatlichkeit als Grundlage von Gewaltökonomien163
2.3 Rohstoffe, Drogen und Humanitäre Hilfe als Treibstoff der Gewaltökonomien164
2.4 Interne Akteure, externe Akteure und die Funktion von Gewalt166
3 Maßnahmen der externen Eindämmung von gewaltökonomischen Strukturen168
3.1 Embargo und Sanktionsmaßnahmen169
3.2 Zertifizierungssysteme am Beispiel des Kimberley-Prozesses170
3.3 Bewaffnete Eingriffe in Gewaltökonomien171
4 Fazit173
Literatur174
Irreguläre Kräfte und der Interessierte Dritte im modernen Kleinkrieg178
1 Einleitung178
2 Irreguläre Kräfte179
3 Der Interessierte Dritte179
4 Ursprung und heutige Bedeutung des Kriegsbegriffs180
5 Die systematische Einordnung der Phänomene181
6 Moderner Kleinkrieg182
7 Reaktion und Umgang mit den Akteuren183
Literatur184
Kleinkrieg in der Wüste: Nomadische Kriegsführung und die„ Kultur des Krieges“ bei den Tuareg187
1 Einleitung1187
2 Zum Begriff des Kleinkrieges oder des Krieges geringer Intensität190
2.1 Strategien im Kleinkrieg197
3 Nomadische Kriegführung200
3.1 Kriegführung der Tuareg202
3.2 Die Kultur des Krieges während der aktuellen Tuaregrebellionen208
3.3 Das Gefecht von Touksemen37212
4 Schlussfolgerungen215
Literatur218
III. Kriege im Zeichen der Globalisierung220
Die Bedrohung durch transnational organisierte Kriminalität221
1 Einleitung221
2 Organisierte Kriminalität als nicht-traditionelle Bedrohung221
2.1 Begriffsbestimmung222
2.2 Sicherheitsrelevante Auswirkungen223
3 Ursprünge der OK im ehemaligen Jugoslawien224
3.1 Der ethnisch-soziologische Ansatz224
3.2 Der historisch-empirische Ansatz225
3.3 Der ökonomische Ansatz226
3.4 Fazit: Ein holistisches Erklärungsmuster227
4 OK jugoslawischer Gruppen in Deutschland229
4.1 Analysemodell229
4.2 OK-Emtwicklung4232
5 Parallelanalyse235
6 Zusammenfassung der Ergebnisse und Suche nach unkonventionellen Präventionsalternativen240
Literatur242
Die Digitalisierung der Medien und ihre Auswirkungen auf Kriegsführung und Öffentlichkeit245
1 Nachrichten und Krieg245
2 Digitalisierung der Medien246
3 Digitalisierung des Krieges249
3.1 Veränderte Kriegsführung249
3.2 Veränderte Außendarstellung251
3.3 Auswirkungen auf die Öffentlichkeit252
3.4 Reaktionen der Politik253
4 Fazit255
Literatur255
Schutzraum, Kampfzone oder Pax Americana? – Der Weltraum und die Kriegsführung der Zukunft259
1 Einleitung: Kriegsführung und Weltraumfähigkeiten259
2 Rückblick: Von der strategischen Notwendigkeit zur universellen Norm: Der Weltraum als Friedenszone261
3 Wandel: Die Rolle orbitaler Fähigkeiten in zwei Erscheinungsformen der asymmetrischen Kriegsführung263
3.1 Der Weltraum und die Asymmetrisierung des „demokratischen Krieges“263
3.2 Der Weltraum und die asymmetrische Kriegsführung des Schwächeren267
3.3 Formen und Optionen der Weltraumkontrolle271
4 Ausblick: Die Entstehungs- und Erhaltungsbedingungen einer zukünftigen „Pax Americana“ im Weltraum276
Literatur279
Ungleichzeitige Kriege285
1 Einleitung285
1 Selbstmordattentate gegen Besetzung286
2 Krieg der Ideologien?287
3 Ungleichzeitigkeit288
4 Drei Ausgestaltungen der gegenwärtigen Kriege289
4.1 Gegenwärtige Gegenwart290
4.2 Gegenwärtige Vergangenheit291
4.3 Gegenwärtige Zukunft293
5 Akteure zwischen den Zeiten295
6 Amodern und antimodern296
7 Asymmetrische Kriege?297
8 Gewaltökonomien299
9 Anomische Staatlichkeit299
10 Privatisierung des Krieges300
11 Fazit301
Literatur301
Autorenverzeichnis304

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