Einleitung
Brasilien ist kein asiatischer Tigerstaat, sondern das Land des südamerikanischen Jaguars: schön, exotisch, gefährlich, scheinbar faul, aber immer auf dem Sprung, wenn es gilt, schnell wie der Blitz eine Beute zu packen. Brasilien hört sich nach Abenteuer und Tropenurwald an, aber auch nach Samba, Karneval und Fußball, und natürlich nach Kaffee, heiß und schwarz.
Ich freue mich auch nach 30 Jahren immer wieder über die Begeisterung der Zuhörer, wenn ich auf meinen Vortrags- und Beratungsreisen erzähle, dass ich in Brasilien wohne. Diese Begeisterung ist nicht immer sachlich gerechtfertigt, doch weil in Deutschland leider auch nicht alles zum Besten steht, suchen Unzufriedene gern ihr Eldorado in weit entfernten sonnigen Ländern, über deren grauen Alltag sie wenig wissen. Der kann einem das Leben allerdings auch in Brasilien schwer machen.
Aber heute kennen viele Menschen Brasilien aus eigener Anschauung, sei es geschäftlich oder privat. Über 1.200 deutsche Firmen haben sich in Brasilien niedergelassen, einige davon schon vor über 100 Jahren, und entsprechend viele deutsche Fach- und Führungskräfte sind nach Brasilien gereist. Nicht wenige davon wollten für drei Jahre dort arbeiten – und sind heute wie ich nach 30 Jahren immer noch da.
So grau kann der Alltag also doch nicht sein. Und wer den schönen Spruch kennt »10 Millionen Bild-Leser können nicht irren«, der schließt zu Recht schnell: »1.200 deutsche Firmen können auch nicht irren«, denn wer wie Bayer oder Siemens rund ein Jahrhundert in Brasilien ausgeharrt hat, hat sicher à la longue kein Geld dabei verloren. Nicht zu vergessen die vielen Urlauber, die trotz der nicht gerade billigen und durchaus beschwerlichen zwölfstündigen Anreise den Weg nach Brasilien nicht scheuen, um Verwandte und Freunde zu besuchen oder das Land und seine Bewohner kennenzulernen.
Nach dem Zweiten Weltkrieg war Brasilien ein begehrtes Ziel für deutsche Unternehmer. Ich kam 1978 als Produktionsvorstand der Amortex SA nach Brasilien. Diese Firma im Süden São Paulos stellte zuerst Stoßdämpfer, dann auch Kupplungen her und gehörte seit 1959 zur damaligen Fichtel & Sachs AG. Heutiger Firmensitz ist São Bernado do Campo. Lange nahm Deutschland hinter den USA den zweiten Platz unter den ausländischen Investoren in Brasilien ein. Das änderte sich mit der Privatisierung der brasilianischen Staatsbetriebe, an der sich deutsche Firmen nicht beteiligten und wodurch es von Ländern wie Spanien schnell auf hintere Plätze verdrängt wurde.
Die Wiedervereinigung Deutschlands lenkte das Interesse deutscher Unternehmer dann für mehr als ein Jahrzehnt zunächst nach Osteuropa, ehe es sich auf Russland und China sowie heute verstärkt auf Indien verlagerte. Ich merke das deutlich an der Anzahl meiner Beratungsgespräche, die ich seit 1997 jedes Jahr in Industrie- und Handelskammern in Nordrhein-Westfalen im Rahmen der NRW-Firmenpooltage halte. Anfänglich hatte ich an einem einzigen Tag über 20 Interessenten zu beraten, dann ging die Zahl der täglichen Gespräche auf sechs zurück, während meine Poolmanagerkollegen aus China auf einmal alle Hände voll zu tun hatten.
Seit einiger Zeit hat das Interesse an Brasilien wieder deutlich zugenommen. Auch Dr. Acker, der hiesige Chef der BASF und Präsident der AHK São Paulo, sprach auf dem Deutsch-Brasilianischen Unternehmertreffen 2007 in Blumenau von einer Trendwende. So haben Firmen aus der Europäischen Union 2006 immerhin 5,3 Milliarden Euro in Brasilien investiert und »nur« 4,3 Milliarden Euro in Russland, 3,7 Milliarden Euro in China und 1,6 Milliarden Euro in Indien. Wenn Brasilien also bei einer Diskussion über die BRIC-Staaten nicht gebührend berücksichtigt wird, sollte man diese Zahlen im Auge haben und auch vermerken, dass 2005 und 2006 von spanischen Unternehmen 3,6 Milliarden Euro in Brasilien investiert wurden, die damit zu den größten Einzelinvestoren aus der Europäischen Union wurden. Im ersten Halbjahr 2007 investierten ausländische Firmen 24,3 Milliarden Dollar in Brasilien, alleine im Juni 2007 waren es über 10 Milliarden Dollar wegen der Übernahme der brasilianischen Arcelor-Tochter durch Mittal, den Kauf des Finanzvermittlers Serasa durch Experian und der Übernahme einer zur Unibanco gehörenden Immobilienfirma durch die Deutsche Bank. So viel investierten ausländische Unternehmen 2003 insgesamt in Brasilien – 2007 reichte dafür ein einziger Monat!
Weiter unten werde ich Ihnen zeigen, wohin diese Investitionen gehen. Hier sei aber schon vermerkt, dass der weitgehend brasilianisch beherrschte Rohstoffsektor eine wichtige Rolle dabei spielt und die relevanten Investitionen 2007 in die Branchen Stahl, Chemie, Bergbau und Agrobusiness mit Schwerpunkt Ethanol gehen, also in die Bereiche, die Brasiliens Exportrückgrat bilden. Das ist verständlich, denn der Export wächst nach wie vor, trotz des starken Wertzuwachses des Real in den letzten zwei Jahren. Mit einem allgemeinen Rückgang der Rohstoffpreise rechnet niemand, obwohl in Einzelfällen – siehe Kupfer und Nickel – die Preise durchaus fallen können.
Also fehlt zum Glück der brasilianischen Exporteure nur noch ein Rückgang der Bürokratie bei der Abwicklung ihrer Auslandsaufträge. Wobei der Binnenmarkt von den Investoren durchaus nicht vernachlässigt wird, denn die Bauwirtschaft, die Nahrungsmittel- und Getränkeindustrie und der Kraftfahrzeugbereich wachsen stark und ziehen neues Kapital an, auch wenn im zweiten Halbjahr 2007 zum Beispiel die Zucker- und Ethanolpreise stark nachgegeben haben. Dieses Kapital kommt nicht mehr nur aus der alten Welt oder den USA, sondern vermehrt aus anderen Schwellenländern. Das ist eine ganz junge Tendenz, denn 2000 kamen weniger als 1 Prozent der ausländischen Investitionen aus Schwellenländern, 2006 waren es schon 10 Prozent mit starker Beteiligung Lateinamerikas, allen anderen voran Mexiko, Chile und Kolumbien.
Während Brasilien für viele Deutsche in erster Linie exotisch und erst in zweiter Linie ein Ort für Geschäftspartnersuche ist, gehen die Brasilianer zunehmend selbst ins Ausland – als Investoren und nicht nur als Touristen! Ausländische Konzerne investierten 2006 in Brasilien 18 Milliarden Dollar, brasilianische Multis investierten im Gegenzug 26 Milliarden Dollar außerhalb der Grenzen Brasiliens und stärkten damit ihre globale Wettbewerbsfähigkeit. Und um auf den starken Real zurückzukommen: Ohne dieses Engagement hätten einige Branchen zurzeit schlechte Karten, unter anderem der Textilbereich.
Von Januar 2004 bis Februar 2007 konnte Brasilien dank des starken Real und der dadurch ermöglichten Importe, die auf die Preise drückten, bei einigen Produkten eine kräftige Deflation verzeichnen:
– 43 % DVD-Spieler | – 28 % Reis | – 27 % Fernsehapparate |
– 24 % PCs | – 14 % Sojaöl | – 13 % Margarine |
– 11 % Telefonapparate | – 8 % Seife | – 7 % Nudeln |
Das bedeutet nicht notwendigerweise, dass wir jetzt in Brasilien nur noch importierte Ware kaufen, sondern in vielen Fällen auch, dass sich die einheimische Industrie der Konkurrenz gestellt hat, durch Rationalisierung und Innovation wettbewerbsfähig wurde und damit ihr Überleben sicherte. Es gibt natürlich auch Fälle wie die Spielzeugindustrie, die viele einheimische Produkte durch (selbst) importierte ersetzte, was bedeutet, dass die Fabrikation zugunsten des Handels mit Importware zurückgefahren oder eingestellt wurde. Eine Firma fit für den globalen Wettbewerb zu machen ist natürlich anstrengender, als Händler zu werden. Besonders, wenn es unter anderem auch gegen chinesische Konkurrenten geht und wenn die eigene Regierung einem nur Knüppel zwischen die Beine wirft.
Es gibt Grenzen für das »Fitwerden«, vor allem, wenn unlauterer Wettbewerb im Spiel ist – dann kann manchmal eine Industrie nicht mithalten und verschwindet. Im Fall der brasilianischen Textilindustrie raffte sich selbst eine Regierung Lula zu Maßnahmen auf, um den Konkurs eines ganzen Sektors zu vermeiden. Einem Vertreter der Textilindustrie – der Cia. Hering – ist ein eigenes Kapitel dieses Buches gewidmet, weil...