2. Update für unsere Politik
Wäre die Demokratie in Deutschland ein Computer, dann bräuchten wir ganz schnell eine Aktualisierung unserer Sicherheitssoftware, um die schlimmsten Gefahren zumindest etwas einzugrenzen. Alle Vorschläge dafür liegen seit Langem auf dem Tisch. Sie wurden zum Teil vom Bundestagsabgeordneten Marco Bülow in seinem Buch beschrieben59 und werden ganz selbstverständlich in anderen westlichen Demokratien praktiziert. Die folgenden Sofortmaßnahmen könnten die Lücke in der Sicherheit bereits heute schließen.
Regulierung von Parteispenden
Unternehmensspenden sollten genau wie in Frankreich komplett verboten werden. Denn eine Spende sollte immer ohne Erwartung an eine konkrete Gegenleistung gezahlt werden. Unternehmen ist es aber immanent, dass sie einen Zweck verfolgen, der handfesten finanziellen Zielen unterliegt; zudem sind sie ihren Eignern gegenüber verpflichtet. Wichtig dabei ist, dass Unternehmen ein Spendenverbot nicht dadurch umgehen, dass sie Parteien über andere Wege sponsern, wie z.B. über das beschriebene Schalten von überteuerten Anzeigen in Parteimagazinen oder die Buchung teurer Messestände auf Parteitagen. Parteien sollten sich dagegen ausschließlich aus Mitgliedsbeiträgen, Einzelspenden von Bürgerinnen und Bürgern bis zu einer festgelegten Höchstgrenze pro Person und Jahr finanzieren sowie durch die staatliche Parteienfinanzierung.
Verbot von Nebeneinkünften
Meiner Meinung nach sollten Nebeneinkünfte für alle Berufspolitiker ebenfalls verboten werden. Denn schließlich erhalten die Abgeordneten auf Bundesebene und auch in den meisten Landtagen ein volles Gehalt. Vor allem einige Vertreter der größten im Bundestag vertretenen Berufsgruppe, der Juristen, betonen die Bedeutung der Nebeneinkünfte: Abgeordnete blieben so eng an die Berufswelt angebunden und verringerten ihre finanzielle Abhängigkeit von der Politik. Aber gerade Anwälte arbeiten im Bundestag nicht in sachfremden Gebieten. Statt Gesetze anzuwenden, sind sie als Gesetzgeber tätig und bleiben daher in »Übung«. Jede bezahlte Nebentätigkeit zwingt den Abgeordneten aber, sein Mandat zu vernachlässigen. Erhalten die Abgeordneten ihre Nebeneinkünfte ganz ohne eine Arbeitsleistung, mehrt das den Vorwurf der Korruption. Auch wenn die große Mehrzahl der Abgeordneten keine Nebeneinkünfte erhält, scheint es geradezu aussichtslos zu sein, dass die Parlamentarier ein Gesetz erlassen, das diese einschränkt oder verbietet. Mit einer entsprechenden Gesetzesvorlage würde man sich ganz konkret gegen den eigenen Berufsstand stellen. Die Vermutung liegt nahe, dass viele Abgeordnete, die bisher noch keine Nebeneinkünfte erzielen, sich diese Option zumindest offenhalten wollen.
Strafbarkeit der Abgeordnetenbestechung
Wir müssen endlich die Strafbarkeit der Abgeordnetenbestechung auch in Deutschland wirksam regeln. Deutschland hat sich mit Unterzeichnung der UN-Konvention gegen Korruption im Jahr 2003 verpflichtet, genau dies zu tun. Doch seit mehr als zehn Jahren findet sich in unserem Parlament keine Mehrheit dafür, die Bestechung von Abgeordneten wirksam unter Strafe zu stellen. Mit abgeordnetenwatch.de starteten wir im August 2012 eine Kampagne, um das Thema wieder ins Bewusstsein zu rufen und den Druck auf die Abgeordneten zu erhöhen. Wir haben einen Gesetzentwurf ausgearbeitet, den damaligen CDU-Rechtsausschussvorsitzenden Siegfried Kauder überzeugen können und einen weiterentwickelten Entwurf mit Hilfe des NRW-Justizminister Thomas Kutschaty in den Bundesrat eingebracht. Dort wurde er als Bundesratsinitiative auch beschlossen und an den Bundestag weitergeleitet. Doch die letzte schwarz-gelbe Koalition verhinderte die Verschärfung der Strafbarkeit der Abgeordnetenbestechung in der letzten Bundestagssitzungswoche vor den Neuwahlen im September 2013 mit ihrer Mehrheit. Immerhin hat die Große Koalition im Februar 2014 den entsprechenden Paragrafen im Strafgesetzbuch überarbeitet. Doch leider hat auch die neue Regelung große Lücken und fällt weit hinter die strengen Antikorruptionsregeln für Beamte zurück. Denn um sich strafbar zu machen, reicht es nicht aus, einem Abgeordneten Geld für ein bestimmtes Verhalten anzubieten. Nein, man muss dem Abgeordneten darüber hinaus auch noch einen Auftrag oder eine Weisung erteilen. Niemand wird so dumm sein, genau das zu tun.60
Karenzzeit und Lobbyregister
Um den am Beispiel von Hildegard Müller, Ronald Pofalla und Eckard von Klaeden erwähnten direkten Wechsel von der Politik in den Lobbyismus einzudämmen, braucht es eine gesetzlich vorgeschriebene »Abkühlzeit«, eine sogenannte Karenzzeit. Mindestens drei Jahre nach Ausscheiden aus Regierungsämtern sollten ehemalige Minister, Staatssekretäre oder hohe Beamte keine Tätigkeit in der Wirtschaft annehmen dürfen, die ihr früheres Themengebiet in der Politik berüht. Nur so ist sichergestellt, dass sie ihre Netzwerke oder ihren Einfluss zugunsten ihres späteren Arbeitgebers in der freien Wirtschaft oder deren Lobbyorganisationen nicht missbrauchen. Eine wie aktuell von der Großen Koalition geplante Karenzzeit von zwölf Monaten reicht nicht aus. Darüber hinaus brauchen wir ein verpflichtendes Lobbyregister, das alle Lobbyisten registriert und ihre Tätigkeiten offenlegt. Dazu gehören Angaben über ihre Auftraggeber und die von ihnen eingesetzten Mittel. Und schließlich dürfen bezahlte Lobbyisten nicht mehr in Ministerien mitarbeiten.
Ein Update für die Politik
Doch um das Vertrauen in die Demokratie dauerhaft wiederherzustellen und Politik transparent und bürgernah zu machen, braucht es größere, tiefer gehende Veränderungen. Unsere Politik braucht ein Update. Dieses Update besteht aus meiner Sicht aus drei wesentlichen Elementen: Transparenz, Volksentscheiden und einem personalisierten Wahlrecht.
Zuerst brauchen wir mehr Transparenz. Denn nur wenn alle Fakten auf dem Tisch liegen, können politische Entscheidungen nachvollzogen werden. Das bedeutet nicht, dass immer alle Menschen sämtliche Informationen wahrnehmen sollen. Die meisten werden diese allein ohnehin nicht bewerten wollen. Aber im Zweifel müssen die entscheidenden Informationen jedem zugänglich und für interessierte Bürgerinnen und Bürger nachvollziehbar sein. Dabei kann das Argument, Vorgänge seien zu komplex, als dass sie von Bürgerinnen und Bürgern nachvollzogen werden könnten, nicht gelten. Olof Palme, der ehemalige schwedische Ministerpräsident, sollte recht behalten, als er sagte: »Es ist eine Irrlehre, dass es Fragen gibt, die für normale Menschen zu groß und zu kompliziert seien. Akzeptiert man einen solchen Gedanken, so hat man einen ersten Schritt in Richtung Technokratie, Expertenherrschaft, Oligarchie getan. […] Die Politik ist zugänglich, beeinflussbar für jeden. Das ist der zentrale Punkt der Demokratie.«61
Für viele Menschen – auch für mich – ist Politik allzu oft eine Blackbox. Niemand weiß, wer zu welchem Zeitpunkt an welchen Gesetzen mitgewirkt hat. Politik findet oft – die ganz wichtigen Entscheidungen fast nur – hinter verschlossenen Türen statt. Transparenz bei der Entstehung und Verabschiedung von Gesetzen wäre der erste Schritt zu mehr Vertrauen. Wer die Entscheidungsgrundlage der Politiker nachvollziehen und gegebenenfalls selbst überprüfen kann, fängt an, »denen da oben« wieder zu vertrauen.
Zum Zweiten brauchen wir mehr direkte Demokratie in Form von Volksinitiativen und Volksabstimmungen. Denn wenn unsere Parlamente in wichtigen Fragen nicht mehr die gesellschaftlichen Mehrheiten abbilden, dann müssen wir eben selbst aktiv werden. Ein passendes Instrument dafür sind Volksentscheide, denn schon die Möglichkeit, dass jede parlamentarische Entscheidung per Volksentscheid zu Fall gebracht werden kann, oder aber jederzeit neue Themen auf die politische Agenda gesetzt werden könnten, würde die Abgeordneten dazu zwingen, sich stärker am Mehrheitswillen zu orientieren. Übrigens wäre es ein Leichtes, die Macht der Lobbyisten per Volksentscheid zu begrenzen. Denn natürlich ist es viel schwerer, die Mehrheit des Volkes zu beeinflussen als nur wenige entscheidende Politiker.
Schließlich brauchen wir ein neues Wahlrecht. Und das nicht nur, weil das jetzige Bundestagswahlrecht den Bundestag durch die zahlreichen Ausgleichsmandate selbst bei wenigen Überhangmandaten stark vergrößert. Sondern weil wir aktuell so gut wie keinen Einfluss auf die personelle Zusammensetzung des Bundestags haben. Denn selbst wenn wir Abgeordnete nicht direkt wiederwählen, sind manche von ihnen über die Landesliste abgesichert. Auch ewige Verlierer ihres Wahlkreises schaffen es somit immer wieder in den Bundestag. Logisch, dass so mancher Abgeordnete den Wählerwillen nicht mehr fürchten muss.
Die Forderung nach einem Politik-Update bezieht sich nicht nur auf Deutschland, sondern auch auf die Europäische Union. Denn die europäischen Institutionen, von der EU-Kommission bis zum EU-Parlament, leiden ebenso wie die deutschen Institutionen unter einem Vertrauensverlust. Gleichzeitig ist die Europäische Union für unsere Demokratie von enormer Bedeutung, weil sie in einer globalisierten Welt ein Gegengewicht zu multinationalen Konzernen bildet. Wenn multinationale Konzerne mit der Verlagerung ihrer Produktionsstätten ins Ausland drohen oder Staaten gegeneinander ausspielen, um ihre Interessen durchzusetzen, ist das nur auf nationalstaatlicher Ebene eine Bedrohung. Denn wenn die EU, immerhin der größte Binnenmarkt der Welt, mit einer Stimme spricht, beeindruckt das jeden Weltkonzern. Daher ist es für die Rettung unserer Demokratie umso wichtiger, auch das Vertrauen in die EU...