Vorwort
Neulich beim Kickern in der Kneipe oder wie Gesellschaft und Politik ein Problem konstruieren, das gar keines ist
Ja, ich kann ohne Tränen in den Augen an einem Laden vorbeigehen, in dem entzückende Kleidchen und Hemdchen und Bärchen mit Knopfaugen an mein Mutterherz appellieren, um den tiefen Wunsch nach höchster Erfüllung meiner Weiblichkeit postwendend in einen Kaufimpuls umzuwandeln. Und ja, ich bin Mitte dreißig, kinderlos und habe eine akademische Ausbildung. Ich bin also eine jener ichbezogenen, kinderfeindlichen, egoistischen und hedonistischen Frauen, die seit einiger Zeit gegen Mütter in Stellung gebracht werden. Eine Latte-macchiato-Kinderlose sozusagen.
So weit, so erwartbar. Doch ich muss Sie enttäuschen. Ich finde Kinder nämlich wunderbar. Ich höre ihnen gerne dabei zu, wie sie mir die Welt erklären, tolle mit ihnen durch die Gegend oder bleibe eine gefühlte Ewigkeit fasziniert vor einer Blume, einem Bagger, einem … Nichts stehen. Ihre Lautstärke nervt mich meistens ebenso wenig wie die Rigorosität, mit der sie Aufmerksamkeit einfordern, oder ihre trotzphasengesteuerten Allmachtphantasien, die nicht nur Eltern auf eine harte Probe stellen. Ich habe auch kein Problem mit Müttern, die verklärt von der Einzigartigkeit ihres Nachwuchses überzeugt sind und nur noch ein Thema zu haben scheinen. Aber was mich angeht, kann ich nur sagen: Mir liegt nichts ferner als der Gedanke, selbst Mutter zu werden. Wie fern, das ist mir allerdings erst kürzlich aufgefallen – beim Kickern in der Kneipe. Freitagabend, Feierabendbier mit Freundinnen. Ein buntgemischter Haufen zwischen dreißig und vierzig, wir unterhielten uns über alles Mögliche, bis wir irgendwann bei der Politik landeten, genauer: bei der Familienpolitik und den zahllosen Medienberichten und Debatten über rückläufige Geburtenraten, besonders unter Akademikerinnen. Die Zukunftsszenarien sind düster: »Wo früher Kinder tobten, werden Alzheimer-Patienten in Rollstühlen sitzen. Nur schieben wird sie keiner mehr«, prophezeit der Stern. »Baby-Schock! In zwölf Generationen sind wir ausgestorben«, hat die Bild errechnet, die Süddeutsche Zeitung und der Spiegel sehen Deutschland »vergreisen« und zu einem »Land ohne Lachen« werden. Politik und Kirche gemahnen an staatsbürgerliche und christliche Pflichten, »Geburtsverweigerer« sollten stärker zur Kasse gebeten werden, eine Art Ablass der »Selbstverliebten«, die sich ihrer Verantwortung entziehen und »vor dem Leben versagen« würden (Welt am Sonntag). Die Kinderlosen sind es, die angeblich vor dem Leben versagen, nur ihrem Selbstoptimierungswahn frönen, vom Topjob zum Yoga eilen und über all dem ihre eigentliche Aufgabe aus den Augen verlieren: Kinder in die Welt zu setzen. Die grassierende Gebärunwilligkeit gilt als Grund für die demographische Schieflage im Land, und das, obwohl der Staat doch angeblich alles unternimmt, die Frauen zu locken: mit dem Ausbau von Krippenplätzen, mit finanziellen Anreizen, Modellen zur Teilzeitarbeit und besserer Vereinbarkeit von Beruf und Familie, steuerlichen Subventionen und so weiter. Wenn man Antonia Baum Glauben schenkt, ist die »tollste Sache der Welt« für viele dennoch ein »Albtraum«: »Man muss wahnsinnig sein, heute ein Kind zu kriegen«, es sei »furchteinflößend«, eine »Katastrophe«, schreibt sie in einem Artikel in der FAS. Die Antworten folgten prompt: »Ihr wollt Kinder? Dann kriegt sie doch!« Oder: »Ruhe, ihr Jammerfrauen! Eure Ausreden sind nazistisch und absurd«, war ebenfalls in der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung zu lesen.
Es ist nicht weiter überraschend, gegen wen sich die Kritik vornehmlich richtet: gegen Frauen, ganz egal, welche Entscheidung sie treffen. Sind sie »nur Mutter«, passt es nicht, klagen sie über Vereinbarkeitsprobleme, ist es auch nicht recht, und haben sie gar keine Kinder, ist sowieso alles verloren. Das Image der kinderlosen Frau ist miserabel und überfrachtet mit unzähligen Klischees – so weit, so bekannt. Aber warum ändert sich das nicht? Schließlich ist das beim kinderlosen Mann ganz anders: Er hatte nie ein Image, höchstens das des attraktiven Abenteurers, das des einsamen Wolfs, den es zu zähmen gilt. Warum ist das bis heute so? Tatsächlich liegt der Anteil der Männer ohne Nachwuchs bei den Dreißig- bis Vierunddreißigjährigen um zwanzig Prozent höher als bei den gleichaltrigen Frauen. Unter den Endvierzigern sind ein Viertel der Männer ohne Kinder, aber nur knapp sechzehn Prozent der Frauen.[1] Dennoch wird die Verantwortung für die Fortpflanzung weiterhin ganz selbstverständlich an die Frauen delegiert. Und das liegt unter anderem an der unseligen Gleichsetzung von Mutterschaft und Weiblichkeit und dem gesellschaftlich vorgegebenen Modell von Familie (Mutter-Vater-Kind) als Lebenskonzept.
Das ultimative Druckmittel, Frauen an ihre Aufgabe zu erinnern, ist dabei der Verweis auf das Ticken der biologischen Uhr. Während ich am Kicker stand, fiel mir spontan eine Szene aus dem Spielfilm Harry und Sally ein, den ich als Jugendliche einmal gesehen hatte. Sally saß mit ein paar Freundinnen um einen Kaffeetisch herum, die Frauen sprachen darüber, dass die Zeit nun wirklich dränge. Schon damals habe ich mich darüber geärgert, dass keine aus der Runde widersprach und ein anderes Lebenskonzept aufzeigte; die Angst vor der Endlichkeit der eigenen Gebärfähigkeit wurde als kollektive weibliche Erfahrung dargestellt, als wäre sie zwangsläufig an die Identität einer Frau geknüpft. Nun könnte man sagen: Das waren die Achtziger, das ist schon eine Weile her. Doch tatsächlich ist Mutterschaft vor allem in Deutschland noch immer kaum mit dem Bild einer selbstbewussten autonomen Frau zu vereinbaren. Mädchen und Frauen erkennen in unserer Gesellschaft früh, dass Kinderkriegen gegen die Gefahren von Selbstaufgabe und Mehrfachbelastung abgewogen werden muss. Nach wie vor gibt es zu wenige Strukturen, um Erziehungsarbeit zwischen den Geschlechtern und Institutionen gerecht umzuverteilen, nach wie vor müssen viele Frauen mit ihrem Partner darüber diskutieren, wer die Hausarbeit übernimmt, nach wie vor wird von Frauen erwartet, sich der Mutterrolle ganz hinzugeben, ihr zumindest eine Zeitlang oberste Priorität einzuräumen. Kinderlosigkeit mag somit für manche eine Art Selbstschutz sein, denn die herrschenden Geschlechterbilder drängen Frauen in eine Rolle, die ihre Handlungsfähigkeit massiv einschränkt.
Die »Reformen«, die am Mutterbild vorgenommen wurden, entpuppen sich als zweischneidig: Frauen wird heutzutage ein »You can have it all«-Versprechen gemacht, das die Belastung, den Druck, auch das noch hinzubekommen, nur erhöht. Doch auch angesichts der hohen Scheidungsraten und der zunehmenden Zahl Alleinerziehender erscheint das Leben als berufstätige wie auch als Vollzeitmutter eher als »Lifestyle-Angebot« denn als lebbare Realität. Immer noch stoßen Frauen an die gläserne Decke, der sogenannte gender pay gap ist groß, es drohen Karriereknick und/oder Doppelbelastung, (Alters-)Armut und soziale Isolation. Es gibt zu wenige Versorgungseinrichtungen für Kinder, steuerlich subventionierte Familienmodelle ignorieren oder benachteiligen andere Formen des Zusammenlebens, Erziehungsaufgaben und Pflegearbeit bleiben die kaum gewürdigten, geschweige denn bezahlten Domänen der Frauen. Wenn man sich diese Fakten vor Augen führt, ist Kinderlosigkeit auch eine Anpassung an die Verhältnisse. Das Sein bestimmt das Bewusstsein. Zumindest bei jenen Frauen, die einen Kinderwunsch verspüren und befürchten, an den gesellschaftlichen Gegebenheiten zu scheitern. Doch Kinderlosigkeit ist nicht zwangsläufig nur die Folge schwieriger Rahmenbedingungen – an diesen Stellschrauben könnte man ja durchaus drehen (was auch getan wird). Die Gründe, warum Frauen kein Kind bekommen, sind vielfältig und sehr individuell. Ein entscheidender – und in der Debatte gerne vernachlässigter – ist, dass einige den Wunsch nach einem Kind schlicht nicht verspüren. Obwohl Frauen (zumindest theoretisch) heute frei zwischen verschiedenen Lebensmodellen wählen können, dominiert noch immer die Vorstellung, dass potentiell alle einen Kinderwunsch hegen. Eigentlich eine zutiefst private Entscheidung, wird Mutterschaft so zum öffentlichen Gut, und »der weibliche Lebensentwurf ohne Kinder bedarf auch im 21. Jahrhundert immer wieder der Legitimierung«[2], so die Marburger Soziologin Lena Correll. In den Medien gibt es kaum positive Vorbilder kinderloser Frauen, die über vierzig sind. Stattdessen wird das Bild der verhärmten Karrierefrau bedient, die ihre Entscheidung bitter bereut, wenn es zu spät ist. Der Blick des Bedauerns, des Zweifelns, der Kritik ist so gut wie jeder kinderlosen Frau sicher, die sich dem Ende ihrer Gebärfähigkeit nähert. Vor allem dann, wenn sie in fester Partnerschaft lebt, und das womöglich noch glücklich, und wenn »Entschuldigungen« wie: »Ich habe den Richtigen noch nicht gefunden« nicht greifen. Auch medizinische Gründe für Kinderlosigkeit sind angesichts der Fortschritte in der Reproduktionsmedizin nicht mehr ohne weiteres zu vermitteln. Die Möglichkeit, dass sich Frauen bewusst gegen Kinder entscheiden oder nie einen Kinderwunsch verspürt haben, ist nicht akzeptabel. Ein Kind gehört zum Leben einer Frau einfach dazu, es ist ein wesentlicher Faktor für ein erfülltes und glückliches Leben.
Worauf sich dieser vermeintliche Grundsatz stützt – davon handelt ein Kapitel in diesem Buch. Ich behaupte: Menschen ohne Kinder fehlt nichts, sie sind weder glücklicher noch unglücklicher, sie...