Porno in der Pause* (Reportage)
Begegnung mit Schülern
Wenn der Mann den Esel begattet, muss Murat immer lachen. Der Mann steht hinter dem Tier und stößt ihm in den Hinterleib, als hätte er nie etwas anderes getan. Es ist kein verschämtes Lachen bei Murat, sondern es gleicht der schrillen Klingel, die die große Pause einläutet.
Das passt auch: Denn in der morgendlichen großen Pause schaut der 13-Jährige mit seinen Kumpels Handy-Filmchen an. Neben dem Track mit dem Esel mag Murat gerade das Video, in dem die Frau nacheinander mehrere Tischtennis-Bälle aus ihrem After drückt, natürlich mit Zoom auf den Po. Die Backen hält sie mit ihren Händen auseinander. Immer, wenn man denkt, jetzt war’s das aber, kommt noch ein Ball heraus. Es sind genau sieben am Ende.
Das Video, bei dem eine andere Frau dem Mann in den Mund kotet, mag Murat nicht so gern. Das sei ihm zu eklig. Anschauen muss er es trotzdem manchmal.
»Ist doch alles nur im Spaß«, sagt Murat, wenn man ihn fragt, ob er glaubt, dass diese Filme ihm und seinen Freunden gut tun. Und ob seine Eltern, Geschwister und Lehrer davon wüssten.
Winter in der Stadt
Es ist ein Tag mit diesigem Wetter in einer deutschen Metropole. Heute Morgen lag Raureif auf den Fenstersimsen, die Leute auf Murats Schulweg machten grimmige Gesichter in der U-Bahn. Wenn das Licht fehlt, ist der Mensch für gewöhnlich ein verstörtes Wesen.
Ersetzt man das Wort Licht mit dem Wort Aufklärung, gilt das ebenso. Junge Menschen haben keine Porno-Kompetenz. Lange bevor ihr Biologie-Lehrer oder die Eltern sie aufklären, sehen sie heute sexuelle Darstellungen, die sie nicht einordnen können. Und je jünger sie sind, desto weniger gelingt es ihnen, das Gesehene zu verarbeiten.
Für Jugendliche wie Murat ist das Smartphone eine Erfindung, die keinen Segen bringt. Wie Irrlichter im dunklen Wald suchen sie nach dem rechten Weg, einem Weg, die eigene Sexualität irgendwie natürlich zu entdecken. Ohne Erwachsene werden sie den kaum finden können. Aber wer denkt in diesem Alter schon an die Erwachsenen. Sie könnten nicht weiter weg sein.
Die Gesamtschule, an der Murat lernt, hat klare Regeln, was Handys angeht. Im Unterricht und in den kleinen Pausen dürfen sie nicht genutzt werden, eigentlich auch nicht in den großen Pausen, filmen und fotografieren ist verboten, Gewalt- und Pornovideos sowieso. Wenn ein Schüler gegen die Regeln verstößt, ziehen die Lehrer das Handy ein. Nur die Eltern können es dann ab dem folgenden Tag wieder beim Direktor abholen.
Einmal kurz blankgezogen
An einer Berliner Schule, dem Thomas-Mann-Gymnasium im Märkischen Viertel, dem Stadtteil, in dem auch der Rapper Sido, also der mit dem Arschficksong, aufwuchs, beschlossen die Verantwortlichen zwischenzeitig auch ein absolutes Handyverbot. Grund für die Strenge: Ein Schüler hatte blankgezogen und sich dabei von Klassenkameraden mit dem Handy filmen lassen, wie er durchs Schulhaus rannte. Mitschüler hatten ihm Geld für die Aktion geboten. Und der Film tauchte danach im Internet auf. Die Berliner Zeitung berichtete später darüber. Dass die Schule gerade so von sich reden machte – darauf hätte der Schulleiter sicher gerne verzichtet. Glanzleistungen bei den Bundesjugendspielen oder bei »Jugend forscht« wären ihm wohl lieber gewesen.
Pornos statt Paninis
»An unserer Schule können die Lehrer das mit den Handys eh nicht kontrollieren«, sagt Murat und fährt sich durch den Bürstenschnitt. Bei einer Schülerzahl, die über 1000 liegt, hat er damit wohl recht. Zumindest bestätigt das ein junger Lehrer der Schule, der darauf besteht, dass weder sein Name noch der Name der Schule in diesem Text genannt werden. »Wir sind uns des Problems bewusst. Aber es ist schwer bis unmöglich, alle Schüler im Blick zu behalten. Da bräuchten wir ja eine Hundertschaft als Pausenaufsicht.«
Dann verweist er drauf, dass es kontraproduktiv und zudem illegal sei, wenn Journalisten an Schulen gingen, um dort zu recherchieren. Die Schüler seien doch selbst überfordert mit dem, was sie da im Internet fänden.
Man merkt Murat nicht an, ob er überfordert ist. Er und seine Freunde tauschen ihre Porno-Filmchen gerne in der großen Pause, während andere Mitschüler schwatzen und ins Pausenbrot beißen. Murat und Co. haben dabei eine Routine wie ein Weinbauer beim Ernten seiner Trauben. Gibst du mir das Esel-Video, kriegst du die Anal-Orgie. In früheren Zeiten tauschte man an der Schule Murmeln, später Briefmarken, dann Panini-Bilder und Sticker. Heute sind es Online-Pornos.
»Gangbang ist immer gut. Wenn die Frau von mehreren Männern gefickt wird. Das schau ich gern«, sagt Murat. Die anderen in der Runde pflichten ihm wie selbstverständlich bei, als hätte er gerade einen Satz ausgesprochen wie »Der FC Bayern hat die besten Spieler«. Ob er das mit dem Gangbang selbst auch gerne einmal ausprobieren würde? »Ja, na klar. Aber da muss man schon aufpassen, vor allem wegen Aids und den ganzen Geschlechtskrankheiten.« Immerhin.
Murat, der die Songs einschlägiger Porno-Rapper weder hört noch mag, sagt, er habe selbst noch nie Sex gehabt. Ein bisschen knutschen sei aber schon mal vorgekommen. Im Aufklärungsunterricht habe er gar nicht richtig aufgepasst, weil er sowieso schon alles wisse, was mit dem Thema Sex zusammenhänge. »Ich schaue seit Jahren Pornos. Da brauche ich doch keinen Lehrer, der mir das erklärt!«
»Meine Mutter ist nicht kompliziert«
Heute geht Murats Unterricht nur bis zum Mittag, die Doppelstunde Sport am Nachmittag fällt aus, der Lehrer ist krank.
Murat fährt mit der U-Bahn nach Hause, wie jeden Tag. Sechs Stationen, dann raus aus dem Tunnel, einmal über die Kreuzung und schon ist er da. Die alte Mietskaserne hat im Sommer einen neuen Anstrich bekommen. Auf den ersten Blick wirkt alles sauber und adrett. Innen sieht es nicht ganz so gut aus; dem Geländer im Treppenhaus fehlen viele Streben. Es riecht nach Putzmittel, die Reinemacherin war heute Morgen da. Vielleicht ist dieses Haus wie ein Sinnbild für unsere Jugend-Gesellschaft: Außen alles schick, alles sauber. Aber im Inneren fehlt es an Stabilität.
»Meine Mutter ist nicht so kompliziert. Du kannst über alles mit ihr reden«, sagt Murat, bevor er die Wohnungstür öffnet, die etwas klemmt und mit Kraft aufgestoßen werden muss.
Der Händedruck von Frau E. ist beherzt, ihre aschblonden Haare sind nass und sie wundert sich nicht darüber, dass ihr Sohn einfach einen Fremden mit nach Hause bringt. »Kein Problem. Murat hat oft Besuch. Setzen Sie sich«, sagt die 34-jährige Mutter.
Unter der Dunstabzugshaube köchelt die Carbonara-Sauce in einem Topf vor sich hin. Es gibt Bandnudeln heute und Frau E. lässt sich auch nicht beunruhigen, als sie erfährt, worüber gesprochen werden soll.
Sie wohnt hier mit Murat und dessen drei Jahre jüngerem Bruder Selcuk. Der Vater der beiden stammt aus der Türkei und ist vor zwei Jahren ausgezogen. »Das ging einfach nicht mehr. Wir hatten so unterschiedliche Vorstellungen von allem. Ich bin so ein Multikulti-Beispiel, bei dem es nicht geklappt hat«, sagt Frau E., die im Moment von Arbeitslosengeld lebt, nachdem ihr vor ein paar Monaten der Job als Verkäuferin in einer Tankstelle gekündigt wurde. Zwar sei es hart, finanziell über die Runden zu kommen, aber mit dem Unterhalt von Murats Vater kämen sie schon klar. Sie hoffe, dass sie bald wieder einen Job finde und nicht in Hartz IV abrutsche. »Ich habe Floristin gelernt, aber damit wirst du auch nicht reich.«
Murats Vater hat ein Reisebüro, er sieht seine Söhne regelmäßig. Es scheint, als funktioniere der Zusammenhalt in dieser Familie, auch wenn sie längst zerbrochen ist. Murat sagt, er müsse seinen Vater nicht vermissen, denn er sei ja immer da, wenn er ihn brauche. Da reiche ein Anruf.
Beim Essen dann das Thema Porno. Frau E. sagt, ihr Sohn sei schließlich 13, er müsse schon selbst wissen, was er mit seinem Handy alles mache. Aber Esel-Sex und Gangbang? »Ich glaube, das sind halt neue Sachen heute. Wir haben doch auch Praline-Hefte angeschaut früher.« Und das Internet? »Da vertraue ich Murat. Natürlich kann er da Schweinkram anschauen, aber wenn ich’s verbieten würde, wäre der Reiz nur größer.« Außerdem müsse jeder selbst seinen Weg finden, sie habe früher mit ihrem Mann auch Pornos geschaut, als die Partnerschaft noch hielt.
Sie sei froh, dass sie ihre Söhne nicht habe selbst aufklären müssen. »Ich will Kinder haben, die stark sind und wissen, was sie wollen und brauchen. Ich mische mich nicht ein«, sagt Frau E. mit einem entschiedenen Blick, der jedes Widerwort erstickt.
Murats Zimmer ist ein wenig unaufgeräumt. Bravo-Hefte, Schulsachen, ein Lineal und zwei Tennisbälle liegen neben dem Laptop auf dem Tisch. An der Wand hängt ein Poster von Cristiano Ronaldo, nicht Bushido, daneben ein Wimpel von Hertha BSC. »Was glaubst du? Wer ist der beste Spieler der Welt?«, fragt Murat.
Ob er selbst manchmal auf Youporn und ähnlichen Seiten surft? »Ja, klar. Aber nicht jeden Tag. Ich mache das eher, wenn mir langweilig ist.« Ihm sind die Handy-Filmchen lieber, weil sie so kurz sind und auch »interessanter«. Murat und seine Freunde sind da findig: Einer gräbt immer was im Netz aus und schickt es herum. Während des Gesprächs summt Murats Handy mehrmals wie eine Biene, bei jeder Vibration erhellt sich sein Gesicht und er schielt aufs Display. Heute Abend trifft er seine Kumpels im Fußball-Training. »Denk jetzt nicht von mir, dass...