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Geheimbünde - Mythos, Macht und Wirklichkeit

AutorKlaus-Rüdiger Mai
VerlagEdel Elements
Erscheinungsjahr2014
Seitenanzahl403 Seiten
ISBN9783955304744
FormatePUB
Kopierschutzkein Kopierschutz
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis5,99 EUR
Prieuré de Sion, Illuminaten, Freimaurer, Loge P2, Opus Dei, Skull and Bones und viele andere - gerade in jüngster Zeit wollen die Gerüchte um die Macht der Geheimgesellschaften nicht mehr verstummen. Diese Macht ist Realität. Doch vieles ist Mythos. Noch mehr bleibt hinter der Wirklichkeit zurück. Der renommierte Journalist Klaus-Rüdiger Mai präsentiert hier die Fakten.

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Leseprobe

WO RAUCH IST, GIBT ES AUCH EIN FEUER


Der Morgennebel hatte sich gerade über der Themse gelichtet und zerstreut, da entdeckte man unter der Brücke der Schwarzen Brüder in London einen gut gekleideten Mann, der mit einem Strick um den Hals von einem Baugerüst hing. Es war der 17. Juni 1982. Die Armbanduhr des Mannes war stehen geblieben und zeigte 1.56 Uhr an.

Die englische Polizei ging zunächst von einem Selbstmord aus, womit sie treffsicher die unwahrscheinlichste aller in Frage kommenden Hypothesen wählte – der Mann hatte Ziegelsteine in seinen Taschen und trug 15000 US-Dollar in gebrauchten Scheinen bei sich. Rasch stellte sich heraus, dass der vermeintliche Selbstmörder kein Engländer, sondern italienischer Staatsbürger war, und zudem nicht irgendein Italiener, sondern der in diesen Tagen meistgesuchte. Für ein Interview mit diesem Mann hätten Journalisten ihre Seele verkauft.

Zu spät: Unter der Blackfriars Bridge hing der Leichnam des milliardenschweren Bankrotteurs Roberto Calvi, der wegen seiner engen Beziehungen zum Vatikan den Beinamen »Bankier Gottes« trug. Beim Abschied ein paar Tage zuvor hatte er seiner Tochter angedeutet, dass ein Papst zurücktreten müsse, wenn er aussagen würde. Und damit nicht genug, ließ er sie wissen: Selbst wenn die Priester den ganzen Petersdom verkauften, würde es doch nicht reichen, um der Finanzkrise zu entkommen, die aufgrund seiner Aussage über sie hereinbräche.

Roberto Calvi, der »Bankier Gottes«, den man unter einer Brücke in London erhängt auffand.

Aus gutenglischen Gründen vermutete Scotland Yard, dass sich der italienische Signore aus Trübsal über den Zusammenbruch seines Banco Ambrosiano das Leben genommen habe. Entspräche diese Hypothese der Wahrheit, dann hätte Calvis Sekretärin ebenfalls den Freitod gewählt, als sie wenige Stunden nach dem Ableben ihres Chefs aus dem Fenster eines Bürogebäudes in Mailand stürzte – oder gestürzt wurde. Und auch der später des Mordes an Calvi verdächtigte Sergio Vaccari dürfte sich dann in seiner Londoner Wohnung den Schädel selbst eingeschlagen und die Messerstiche, die zu seinem Tod führten, eigenhändig beigebracht haben. Der zweite Tatverdächtige, Vincenzo Casillo, hätte seinen »Freitod« etwas aufwändiger inszeniert, indem er sich in Rom mittels einer Autobombe in die Luft sprengte. Nicht zu vergessen der Geldwäscher und Mafioso Michele Sindona, der in Untersuchungshaft aus purer Aussage- und Lebenslust Espresso mit Zyankali trank, um sich die Zunge zu lockern.

Die Liste der »Selbstmörder«, die mit dieser Affäre in Verbindung standen, kann beträchtlich verlängert werden, und der Skandal, der losbrach, erschütterte die italienische Politik bis in die Grundfesten. Alles, was ein Romanautor sich für eine spannende Story wünschen könnte, traf hier zusammen: der Vatikan, von jeher der Ort der Geheimnisse und undurchdringlichen Machenschaften schlechthin; der Geheimbund in Gestalt der Freimaurerloge Propaganda Due (P2), der sich anschickte, die Macht zu übernehmen, die demokratische Gesellschaft im Nachkriegsitalien bereits unterwandert und sich mit der Mafia arrangiert hatte; ein unbequemer Papst, Johannes Paul I., der unter bis heute nicht geklärten Umständen 33 Tage nach Amtsantritt starb. Dazu mysteriöse Selbstmorde und Unglücksfälle in der guten und weniger guten Gesellschaft in Hülle und Fülle ... und ein Land, das scheinbar im Terror von linken und rechten Geheimbünden zu versinken drohte.

Der rätselhafte Tod des exzentrischen Verlegers Giangiacomo Feltrinelli 1972, der sich unter einer Starkstromleitung angeblich selbst in die Luft gesprengt hatte, und die Ermordung des Christdemokraten Aldo Moro 1978 durch die Roten Brigaden spiegeln die gesellschaftlich brisante Situation im Italien der siebziger und achtziger Jahre wieder.

Das alles liegt zwar nun schon eine Weile zurück, und seither wurde viel darüber geschrieben und gemutmaßt, ohne dass wirklich etwas er-, geschweige denn geklärt werden konnte. Doch mindestens drei Ereignisse der jüngeren Zeit enthüllen, wie aktuell, wie folgenreich und wie wenig vergangen diese scheinbare Vergangenheit tatsächlich ist.

MORD UND MACHTKAMPF IM VATIKAN


Am 6. Oktober 2005 begann in Rom der Prozess gegen den Mafiaboss Pippo Calo und vier weitere Personen – darunter zwei Österreicher, man lese und staune – in der Mordsache Roberto Calvi. Über 20 Jahre waren seit dem Mord an dem »Bankier Gottes« vergangen. Die Italiener hatten sich endlich des Falles angenommen und Calvi bereits 1992 exhumiert, und die gerichtsmedizinische Analyse ließ als einzigen Schluss zu, dass der Bankier tatsächlich ermordet worden war. Dennoch dauerte es viele Jahre bis zum Prozessbeginn, weil einflussreiche Kräfte den Ermittlern immer wieder Steine in den Weg legten. Unter jenen soll kein Geringerer als der Christdemokrat Giulio Andreotti, ehemaliger italienischer Ministerpräsident und Außenminister gewesen sein.

Der Prozess gegen Pippo Calo, der – kaum eröffnet – vertagt werden musste, soll nun die Umstände klären, die zur Ermordung Calvis führten. Mit Sicherheit wird man dabei in dem Gestrüpp herumstochern, das dank der langjährigen Beziehungen zwischen dem Vatikan, der Freimaurerloge P2 und dem italienischen Geheimdienst wuchern konnte. Und zu den Mitgliedern der P2 zählte – oder zählt (?) –, wenn man den veröffentlichten Listen der Geheimloge glauben darf, ein Mann, der bis vor kurzem die Geschicke Italiens lenkte – Silvio Berlusconi. Es fragt sich, ob hinter dem Exministerpräsidenten ein Netzwerk steht, das aus der guten alten P2 hervorgegangen ist. Erinnerungen weckt darüber hinaus ein veritabler Finanzskandal: Im Januar 2006 trat der italienische Notenbankchef vorsorglich zurück, hat aber wohl aus historischer Erfahrung nicht die Absicht, nach London zu fliehen. Schließlich gab es da ein bizarres Ereignis, das mit diesen Vorgängen von vor 20 Jahren eng zusammenhängt, obwohl es kaum jemand mit der P2-Affäre und dem Mord an Calvi in Verbindung bringen würde.

Angeblich war es eine Ordensschwester, die am 4. Mai 1998 kurz nach 21 Uhr im Kasernengebäude der Schweizergarde, das sich gleich beim Sankt Anna Tor des Vatikanstaats befindet, in der Dienstwohnung des Kommandanten der Garde, Alois Estermann, diesen selbst, seine Frau und den Vizekorporal tot auffand. Alle drei waren – unschwer zu erkennen – mit einer Pistole erschossen worden.

Kurz nach Bekanntwerden des Verbrechens traf Joaquín Navarro-Valls, Pressesprecher des Vatikans und Opus-Dei-Mitglied, am Tatort ein. Gleich seine ersten Aktivitäten sorgten für Verblüffung und Irritation: Zum einen hielt er die Ermittlungsbehörden des italienischen Staates konsequent aus dem Mordfall heraus, obwohl der Vatikan über keine Kriminalisten verfügt. Zum anderen, und im gewissen Sinn folgerichtig, zauberte er noch am selben Abend die offizielle Lesart des Doppel- oder Dreifachmordes aus dem Hut: Angeblich hatte der Vizekorporal seinen Chef und dessen Frau in einer Art Wahnsinnsanfall oder Amoklauf erschossen, weil er sich von Estermann gedemütigt und zurückgesetzt fühlte, bevor er nach verübtem Doppelmord die Pistole auf sich selbst richtete und abdrückte.

Dieser offiziellen Version wurde bald darauf in einem Manifest widersprochen, das ein italienischer Verlag veröffentlichte. Verfasst hatte es eine anonyme Gruppe von Angehörigen des Vatikans, die sich in bester Geheimbundmanier »Discepoli di verità« nennen, Jünger der Wahrheit. In ihrem Manifest, das einige Zweifel aufwirft, taten sie kund, dass die Verhältnisse innerhalb der geheiligten Mauern angeblich zum Himmel stinken und dass sie die Wahrheit ans Licht der Öffentlichkeit bringen wollten. Den Aussagen der Wahrheitsjünger zufolge waren die Morde ein Unfall infolge ungezügelter Rivalitäten, ein unerwünschtes Ereignis beim rücksichtslos geführten Machtkampf im Vatikan, und zwar zwischen Anhängern der Freimaurer und Mitgliedern von Opus Dei.

Seit dem Skandal um den Bankrott des Banco Ambrosiano und dem mysteriösen Tod von Roberto Calvi gilt es als sicher, dass in den siebziger und achtziger Jahren zumindest auf wirtschaftlicher Ebene enge Beziehungen zwischen dem Vatikan und der Freimaurerloge P2 bestanden. Beschränkten sich diese Beziehungen wirklich nur auf die wirtschaftliche Ebene?

So verheerend sich der Skandal um Calvi auch in der Öffentlichkeit darstellte, im Vatikan war man sich bewusst, noch relativ glimpflich davongekommen zu sein. Man führte sich vor Augen, dass man in dieser Angelegenheit im wahrsten Sinne mehr Glück als Verstand gehabt hatte – und natürlich engagierte, verlässliche Helfer in allen Behörden des Staates, in den wichtigen Büros der Politik. Nun schlug die Stunde für einen eigenen katholischen Geheimbund, der von nun an mehr und mehr im Vatikan Fuß zu fassen begann.

Das spanische Opus Dei (Werk Gottes) verfügte über exzellente Verbindungen zur Wirtschaft und konnte daher hervorragende Dienste bei den stets heiklen Fragen der Finanzen leisten. Einen wichtigen Fürsprecher fand diese Organisation in dem neuen Papst Johannes Paul II., dem Polen Karol Wojty?a. Er begann sie in Aufsehen erregender Weise zu fördern.

Das Manifest der »Discepoli di verità« lässt darauf schließen, dass der Vatikan von zwei Geheimbünden unterwandert wird, den Freimaurern (P2) und Opus Dei. Der Machtkampf zwischen beiden Seiten ist gnadenlos, wie sich an der sogenannten Affäre Estermann, diesem »unerwünschten Unfall«,...

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