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Wer bin ich? Frag doch die anderen!

Wie Identität entsteht und wie sie sich verändert

AutorEva Jaeggi
VerlagHogrefe AG
Erscheinungsjahr2014
Seitenanzahl207 Seiten
ISBN9783456953113
FormatPDF
KopierschutzWasserzeichen/DRM
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis16,99 EUR
«Die eigene berufliche Position unter dem Gesichtspunkt der Identitätsbildung anzusehen, denselben Prozess auch bei Patienten zu analysieren und – last not least – sich als Laie ebenfalls zu fragen, aus welch oft widersprüchlichen Teilen man denn «zusammengesetzt» sei und welche Möglichkeiten man habe, dies zu reflektieren – das erscheint mir für die meisten wichtiger als die Auseinandersetzung mit Theorien.» Eva Jaeggi im Vorwort

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Kapitelübersicht
  1. Inhaltsverzeichnis
  2. 1 Vorwort
  3. 2 Nu¨tzliche Theorien zur Identität
  4. 3 Singles: Pioniere der Moderne?
  5. 4 Wir kennen uns – wirklich?: Partnerschaften und Identität
  6. 5 In voller Blu¨te? – Identitätsprobleme in den mittleren Lebensjahren
  7. 6 Altwerden gegen alle Vorurteile: Die «jungen Alten»
  8. 7 Die verwirrende Identität der Frauen
  9. 8 Selbsttäuschung alsBeruf: Die Identität des Psychotherapeuten
  10. 9 Wer bin ich? Der Gang zum Psychotherapeuten
  11. 10 Die Suche nach Sinn
  12. 11 «Mach dir ein Bildnis» – Liebe und Identität
  13. 12 Identität im Roman
  14. 13 Zusammenfassende Bemerkungen
  15. 14 Anhang
Leseprobe
Wenn man die Relevanz von Institutionen, von bisher üblichen Traditionen des Verhaltens und der damit oft verbundenen Normen durch eben diese Reflexion immer in Zweifel zieht, dann bleibt es nicht aus, dass man auch die eigene Person, die ja inmitten all dieser institutionellen Verflechtungen steckt, befragt, wie sie denn zu all dem Neuen stehe, welche Position sie einnehmen müsse oder könne. Genau das aber ist die Position des «modernen Menschen», der nicht genau weiß, wie er sich selbst sehen kann, welche Identität ihm eigentlich zukommt.

Die traditionelle Identität, so meint Giddens, besteht in der Übereinstimmung der Person mit sich selbst, sie hat gültige Zuordnungen und eine «typische» Biografie. Moderne Identität aber ist ein «reflexives Projekt», das immer wieder anders aussehen kann. Es ist ein – wie Giddens das nennt – «Kunstprodukt». Das klingt gut, scheint aber eben doch auch recht anstrengend, wenn man es mit den sozusagen «konfektionierten» Identitäten einer vormodernen Zeit vergleicht. Man mag diese Anstrengung mit Bedauern zur Kenntnis nehmen oder als eine Befreiung empfinden wie Welsch, ebenfalls ein wichtiger Theoretiker der Moderne.

Jede moderne Identitätstheorie muss sich auch auf George Herbert Mead beziehen, einen bedeutenden amerikanischen Soziologen, der besonders klar formulierte, dass der Ursprung von Identität auch als eine soziale Interaktion zu verstehen ist. Seine berühmt gewordene Zweiteilung des Selbst in das «I» (Ich) und «Me» (Mich) bestimmt fortan jede anschließende Theorie und kann nicht mehr ignoriert werden. Das «I» als der unreflektierte Akteur steht, wie Honneth13 es formuliert, einem «Me» gegenüber, das sich auf die Kommentare der «anderen» bezieht. «Zwischen ‹Ich› und ‹Mich› besteht in der Persönlichkeit des Einzelnen mithin eine dem Verhältnis zwischen Dialogpartnern vergleichbare Beziehung.»14 Der darauf begründete sogenannte «Symbolische Interaktionismus»15 zeigt in noch schärferen Konturen auf, wie Beziehungen, soziale Gegebenheiten und Gegenstände im Dialog symbolisch Realität konstruieren. Natürlich hatte das für Identitätstheorien wichtige Folgen, denn auch Identität kann, so lässt sich schlussfolgern, auf diese Weise als eine «konstruierte» angesehen werden.

Habermas hat in seinen vielfältigen Identitätstheorien als ein wichtiges Element dieses Dialoges über die Identität noch die Sprachebene eingeführt, ein Element, das in den meisten psychologischen Identitätstheorien merkwürdigerweise fehlt, obwohl es von größter Bedeutung ist. Die Sprache ist nach Habermas das Medium, in der sich die individuelle Geschichte artikuliert, und sie ist das Medium der Kommunikation. Identität entsteht daher am Schnittpunkt des Sprechens mit sich selbst und der Verständigung mit anderen.

Die meisten modernen psychologischen Identitätstheorien betonen außerdem den Aspekt der jeweils individuellen und fortdauernden Neugestaltung der Individualität, wobei «die anderen» in wesentlichem Maße dazugehören. Zirfas18 bringt dies auf den Punkt mit der Feststellung, dass zur Frage «Wer bin ich?» immer auch die Frage «Wer bist du?» dazugehört. Bei den meisten Identitätstheoretikern wird angenommen, dass die Identitätsentwicklung nie zu einem endgültigen Abschluss kommt, sondern ein Prozessgeschehen ist.

Kontinuität versus Diskontinuität

Dieser Ansatz wird bereits vom Psychoanalytiker Erik Erikson skizziert; trotzdem lässt Erikson sich nicht unbedingt als ein «moderner» Identitätsdenker ansehen. Zwar zeigt er eine «Entwicklung» der Identität auf, diese aber unterliege einer gewissen Normierung, so seine Meinung. Hält man die postulierten Entwicklungsschritte vom Urvertrauen zur integrierten Identität nicht ein, dann kann man von einer fehlgeleiteten Entwicklung sprechen. Es gibt zwar, laut Erikson, – phasengerecht – Identitätskrisen, aber diese sind notwendig, um ein jeweils «höheres» Niveau der Identitätsbildung zu erreichen. Es gibt von Erikson den Ausspruch, dass der Mensch ein «proteisches» Wesen sei, aber dies bezieht sich auf eine vorgegebene Richtung, in die jede Entwicklung einmünden sollte.

Erikson hat nicht nur für die allgemeine Psychologie, sondern speziell auch für die Psychoanalyse große Bedeutung erlangt. Insbesondere hat er die Ich-Psychologie bereichert und damit eine gute Verbindung zwischen allgemeiner und psychoanalytischer Entwicklungspsychologie geschaffen. Dies allerdings hat ihm von Psychoanalytikern einer traditionell Freudschen Schule auch viel Kritik eingebracht. Natürlich kann kein Beobachter des menschlichen Lebens ignorieren, dass es nicht nur spezifische vorgegebene Entwicklungen des Einzelnen in bestimmten «Phasen» gibt, sondern dass auch die jeweils spezifische Umwelt an der Entfaltung der Individualität beteiligt ist. Es macht aber doch einen wichtigen Unterschied aus, ob man davon ausgeht, dass sich diese Entwicklung – im Normalfall – kontinuierlich vollzieht oder ob es eine «Normbiografie» gar nicht mehr gibt. Es ist die von Giddens so stark betonte Diskontinuität der Entwicklung, die eben nicht nur für historische Epochen und gesellschaftliche Umbrüche gilt, sondern auch für Individuen.

Es macht außerdem einen großen Unterschied aus, ob ein Theoretiker so etwas wie einen «inneren Kern» der Person annimmt oder ob er dieses Konstrukt gänzlich verwirft. Je stärker Diskontinuität und Prozessgeschehen betont werden, desto weniger Platz erhält natürlich der «Wesenskern» eines Menschen bei der Frage nach der Identität.

Beim humanistischen Psychologen Carl Rogers sehen wir diese essentialistische Sicht auf den Menschen noch in ausgeprägter Form, wenngleich nicht alle seine Aussagen darüber sehr klar sind. Für Rogers ist der «Organismus» der zentrale Ort der Auseinandersetzung zwischen Kräften des Selbst und den wichtigen Anderen. Das schwierige Konzept der «Selbstaktualisierung» allerdings verweist letztlich doch auf ein eigenes «Gestaltungsprinzip» jedes Menschen, das ähnlich wie jeder Organismus seine eigene Form schon im Keim in sich trägt. Bommert20 sieht dieses Konzept kritisch. Es enthält seiner Meinung nach eindeutig eine Entität des «Innen», was sich in Zitaten von Rogers wie «Werde, der du bist» aufzeigen lässt. Eckert und Biermann-Ratje21 hingegen wollen dies nicht so sehen, sie verteidigen das Roger’sche Konzept als eines, in dem sehr wohl der Dialog berücksichtigt ist. Es ist allerdings wohl nicht zu leugnen, dass die «Selbstaktualisierung» ein Normbegriff ist, der zwar nicht eindeutig zu definieren ist, aber eben deshalb schon vermuten lässt, dass jeder sein eigenes «Selbst» (seine Entwicklungstendenz) in sich trägt.
Inhaltsverzeichnis
Wer bin ich? Frag doch die anderen!1
Inhaltsverzeichnis3
1 Vorwort7
2 Nu?tzliche Theorien zur Identität17
3 Singles: Pioniere der Moderne?29
4 Wir kennen uns – wirklich?: Partnerschaften und Identität49
5 In voller Blu?te? – Identitätsprobleme in den mittleren Lebensjahren65
6 Altwerden gegen alle Vorurteile: Die «jungen Alten»81
7 Die verwirrende Identität der Frauen101
8 Selbsttäuschung alsBeruf: Die Identität des Psychotherapeuten127
9 Wer bin ich? Der Gang zum Psychotherapeuten143
10 Die Suche nach Sinn157
11 «Mach dir ein Bildnis» – Liebe und Identität175
12 Identität im Roman189
13 Zusammenfassende Bemerkungen199
14 Anhang201

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