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E-Book

Warum Einstein niemals Socken trug

Wie scheinbar Nebensächliches unser Denken beeinflusst

AutorChristian Ankowitsch
VerlagRowohlt Verlag GmbH
Erscheinungsjahr2015
Seitenanzahl304 Seiten
ISBN9783644118713
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis9,99 EUR
Wer spazieren geht, denkt kreativer. Wer einen Laborkittel überzieht, agiert aufmerksamer. Und wer hart sitzt, urteilt sachlicher. Wie wir denken, hängt von jeder Menge kleiner Details ab. Denn wir denken nicht mit dem Kopf allein - sondern mit dem ganzen Körper. Christian Ankowitsch, Erfolgsautor und Spezialist für die Prüfungen des Alltags, erklärt uns die Wechselwirkungen zwischen Körper und Gehirn, die wir sonst nicht wahrnehmen oder unterschätzen: Wer hätte beispielsweise vermutet, dass man etwas besser versteht, wenn man eine dazu passende Bewegung macht? Dass wir unsere Mitmenschen positiver beurteilen, sobald wir eine wärmende Tasse in den Händen halten? Und manche Probleme löst man, indem man nur Kleinigkeiten ändert: die Arme ausbreitet, die Faust ballt, die Hände wäscht. Unterhaltsam und lebensklug führt Christian Ankowitsch uns vor Augen, auf welch überraschende Weise Umgebung und Körpergefühl unser Denken beeinflussen - und verrät so verblüffende wie praktikable Tricks, wie wir dieses Zusammenspiel zu unserem Vorteil nutzen können. Ein unverzichtbares Buch für alle, die verstehen wollen, was wirklich vor sich geht, wenn wir denken, urteilen und handeln.

Christian Ankowitsch, geboren 1959 in Klosterneuburg bei Wien, war von 1993 bis 2001 Redakteur der «Zeit» und lebt heute als freier Journalist und Autor mit seiner Familie in Berlin. Zahlreiche Buchveröffentlichungen, u.a. «Dr. Ankowitschs Kleines Konversationslexikon» (2004), «Dr. Ankowitschs Kleiner Seelenklempner» (2009), «Mach's falsch, und du machst es richtig» (2011) und «Warum Einstein niemals Socken trug» (2015). Seit 2011 moderiert Christian Ankowitsch das Literaturmagazin «lesArt» im ORF, seit 2013 den Wettbewerb um den Ingeborg-Bachmann-Preis.

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Leseprobe

I. Teil Grundsätzliches über Kopf und Körper


In dem es um die Frage geht, warum wir mit dem linken Knie denken – warum wir alles gleichzeitig machen und das sehr in Ordnung ist – welche Vermutungen Philosophen über Geist und Körper angestellt haben – warum es sinnvoll ist, ein wenig Karussell zu fahren – und wie es sein kann, dass wir deutlich mehr Möglichkeiten haben, an unserem Leben etwas zu ändern, als wir gemeinhin glauben.

Was man findet, wenn man einem Genie den Kopf aufsägt


Ein Gehirn, was sonst. Dieses Gehirn mag es in sich gehabt haben, aber von außen betrachtet ist es – nun ja, ein wenig … Aber lesen Sie selbst.

Wenige Stunden nachdem Albert Einstein gestorben war, begann Dr. Thomas Harvey sein blutiges Werk. Er setzte einen Schnitt über Einsteins Stirn, zog die Kopfhaut nach hinten, nahm eine Säge und öffnete den Schädel. Das Ziel seines fieberhaften Tuns: Er wollte das Gehirn des Genies in seinen Besitz bringen. Jenes Organ also, dem die revolutionärste Entdeckung seiner Zeit entsprungen war: die Relativitätstheorie.

Der Pathologe musste heimlich zu Werk gehen, denn Einstein hatte verfügt, dass er unmittelbar nach seinem Tod verbrannt und seine Asche an einem geheimen Ort verstreut werden sollte. Vielleicht hatte er schon geahnt, dass jemand auf die Idee kommen könnte, in ihm herumzustochern und nach den Ursachen seines Genies zu forschen. Und nun stand da, an diesem Morgen des 18. April 1955, ein Herr im weißen Kittel – und tat genau das: Er stocherte in Einsteins Gehirn herum.

Wie Thomas Harvey genau vorgegangen ist, kann niemand sagen: Er war allein[1], und befragen lässt er sich auch nicht mehr, da er 2007 gestorben ist. Doch allzu lange kann es nicht gedauert haben, bis er Einsteins Gehirn erbeutet hatte. Es ist eine Sache von Minuten, den Schädel eines Menschen aufzusägen, die Hirnbasis, an der das Rückgrat anschließt, zu durchtrennen und den grauen Zellklumpen aus dem Schädel zu nehmen.

Diese wenigen Schritte haben dazu geführt, dass wir noch heute auf die Überbleibsel des wohl berühmtesten Gehirns der Welt starren können. Sie drehen und wenden und untersuchen, nochmals untersuchen und nochmals. Genau das war der Wunsch von Thomas Harvey: Er wollte dem Geheimnis von Einsteins Genie auf die Spur kommen. Und das konnte doch nur in seinem Gehirn stecken: in dessen Aufbau, vertrackter Konstruktion und gigantischer Leistungsfähigkeit.

Ich kann mir vorstellen, wie Thomas Harvey an jenem Morgen von einem Hochgefühl durchflutet war, elektrisiert von der Aussicht, Antworten auf eine Menge entscheidender Fragen zu bekommen: Wie würde es aussehen, das Gehirn eines Genies? Wie würde es konstruiert sein? Was ließe sich daraus für die Erklärung menschlicher Intelligenz ableiten? Und was würde die Welt wohl zu seiner, Harveys, Entdeckung sagen?

Und tatsächlich: Kaum hatte Thomas Harvey das Gehirn des Genies auf eine Waage gelegt, zeigte sich etwas Sensationelles: Einsteins Gehirn wog nicht, was vergleichbare Männergehirne wiegen, sondern es war rund 145 Gramm – leichter! Nicht ganz das, was Dr. Harvey erwartet hatte. Und es sollte nicht die einzige Enttäuschung bleiben, denn schon ein flüchtiger Blick auf Einsteins Gehirn ergab – wieder nichts Außergewöhnliches. Vielmehr sah es aus wie alle anderen menschlichen Gehirne auch. Im Kopf des Genies steckte ganz offensichtlich Konfektionsware!

Doch so leicht ließ sich der Pathologe nicht entmutigen. Was sagt schon das Äußere! Sicher enthüllte sich des Hirns Geheimnis erst, wenn er tiefer vordrang. Dr. Harvey nahm also das Organ, legte es in eine Formalinlösung und fotografierte es aus allen möglichen Perspektiven. Dann begann er damit, es in 240 je ein Kubikzentimeter große Stücke zu zerschneiden; diese Stücke wiederum filetierte er und fixierte die dünnen Streifen auf Glasplatten, damit er sie unter dem Mikroskop untersuchen konnte. Ganze zwölf Wochen lang war er damit beschäftigt. Dann nahm er die Glasplatten und schickte sie an Kollegen, um deren Expertise einzuholen; einen kleinen Teil der Präparate behielt Harvey für sich. Doch was sich beim ersten Blick auf das Einstein’sche Denkorgan angekündigt hatte, setzte sich fort: nirgendwo etwas Besonderes.

Die Kollegen entdeckten nichts, was den Weg in die Öffentlichkeit gelohnt hätte, und so geriet Einsteins Hirn in Vergessenheit und Dr. Harvey, der räuberische Pathologe, wandte sich anderem zu. Bis er 23 Jahre später von dem Journalisten Steven Levy wieder aufgestöbert wurde. Prompt schrieb der einen Artikel über seine Entdeckung. Der wenig überraschende Titel: «Ich fand Einsteins Gehirn».[2] Das war aber schon das Aufregendste an der Sache, denn der alte Pathologe, der seinen Teil des Einstein’schen Gehirns im Büro aufbewahrte, gut versteckt in zwei großen Einweckgläsern, räumte gegenüber dem Journalisten ein: «Ich habe nichts Spezielles an dem Gehirn entdecken können.»

Erst vor kurzem tauchten weitere Teile des über alle Welt verstreuten Organs wieder auf; berichtenswert wären allein die abenteuerlichen Wege, die sie genommen hatten. Ein Bericht jüngeren Datums spricht zwar von vergrößerten Arealen im präfrontalen Cortex, relativiert die Feststellung aber durch jede Menge Wenns und Abers.[3] Faktum: Bis heute gibt es keine stichhaltigen Beweise für die These, dass sich die Genialität von Albert Einstein an dessen Gehirn ablesen ließe. Es gibt keinen Genieknubbel, kein Nobelpreiszentrum, kein Princetonareal. Nichts. Vor den Fachleuten lagen und liegen bis heute die verstreuten Teile eines ziemlich normalen Gehirns eines überhaupt nicht normalen Mannes.

Wie kam es also, dass Einstein so revolutionäre Ideen hatte? So anders dachte? So klug? In schwierigen Fällen ist es ratsam, ein paar Schritte zurückzutreten, den Blick vom (scheinbar) Wichtigen ab- und dem (scheinbar) Nebensächlichen zuzuwenden. Nur so, als Versuch. Weiter ratlos Einsteins Gehirn anstarren, das können wir später immer noch. Gut? Gut.

Und? Was entdecken wir? Erst mal die Lebensgeschichte eines sehr interessanten, liebenswerten Menschen, der allerhand erlebt hat, vor den Nazis aus Deutschland fliehen musste, in Amerika eine neue Heimat fand und als ziemlich eigenwillig galt. Typ verschrobener Wissenschaftler. Trivial, aber wahr. So war Einstein dafür bekannt, wann immer es ging, nein, nicht nachzudenken, sondern zu schlafen. «Ich gehöre zu den Leuten, die – vor die Alternative gebracht: gut essen oder gut schlafen – sich für das gut schlafen entscheiden.»[4] Weiterhin war Einstein, obwohl an Sport ansonsten nicht interessiert, ein begeisterter Segler. Mit der Besonderheit, dass er seinen Gästen schon mal von seinen aktuellsten Theorien erzählte, während er die Ruderpinne hielt. Ein Zeitgenosse schilderte das später so: «Während seine Hand das Ruder hält, erläutert Einstein mit Freude seinen anwesenden Freunden seine neuesten wissenschaftlichen Ideen. Er führt das Boot mit der Geschicklichkeit und Furchtlosigkeit eines Knaben. Er hisst die Segel selbst, klettert im Boot herum, um die Taue und Leinen zu straffen, und hantiert mit Stangen und Haken, um das Boot vom Ufer abzulegen. Das Vergnügen an dieser Beschäftigung spiegelt sein Antlitz, es klingt in seinen Worten und in seinem glücklichen Lachen wieder.»[5]

Eine weitere Tätigkeit, der Einstein mit Leidenschaft nachging, war das Geigenspiel. Seine Begeisterung stand in einem gewissen Missverhältnis zu seiner Virtuosität, was ihn nicht daran hinderte, auf Reisen für Bekannte kleine Konzerte zu geben. Es gibt viele Schilderungen seiner Auftritte, bei denen er mit Hingabe, aber nicht ganz taktsicher spielte. Der Pianist Arthur Schnabel soll sogar, nachdem Einstein mehrfach seinen Einsatz verpasst hatte, gestöhnt haben: «Um Himmels Willen, Albert, kannst du nicht zählen?»[6] Einsteins erwähnte Vorliebe fürs Schlafen harmonierte aufs beste mit seiner Gewohnheit, ausgedehnte Spaziergänge zu unternehmen und eher bescheiden zu essen: «So lebe ich fettlos, fleischlos, fischlos dahin, fühle mich aber ganz wohl dabei. Fast scheint mir, dass der Mensch gar nicht als Raubtier geboren ist.»[7]

Auch der Augenblick seiner bahnbrechenden Entdeckung zeichnet sich durch große Beiläufigkeit aus. Weder brütete Einstein über komplexen Formeln, noch tigerte er im Labor auf und ab. Vielmehr tat er – nichts Besonderes: «Ich saß auf meinem Stuhl im Patentamt in Bern.» Das war’s auch schon. Ruhig dürfte es dort im schweizerischen Patentamt zugegangen sein, wo Einstein als technischer Experte erst dritter, dann zweiter Klasse arbeitete. Und eher entspannt. Und dann geschah es, wie Einstein in einem Vortrag erzählte, den er 1922 im japanischen Kioto hielt: «Plötzlich hatte ich einen Einfall: Wenn sich eine Person im freien Fall befindet, wird sie ihr eigenes Gewicht nicht spüren. Mir ging ein Licht auf. Dieser einfache Gedanke beeindruckte mich nachhaltig. Die Begeisterung, die ich da empfand, trieb mich dann zur Gravitationstheorie.»[8]

Und schließlich war da Albert Einsteins vielzitierte Angewohnheit, sich nachlässig zu kleiden, sein Haar von seiner Frau Elsa Löwenthal schneiden zu lassen und – meist keine Socken zu tragen. «Wozu Socken?», antwortete er, fragte man ihn danach: «Sie schaffen nur Löcher!» Womit wir endgültig bei jenen Anekdoten gelandet wären, die nur dann...

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