Vorwort
Glauben ist ein existenzieller Akt. Er umfasst das Ganze eines Individuums und bezieht es auf das Ganze einer Handlungs- oder Lebenslage. Den Glauben in dieser Leistung so zu beschreiben, dass seine Bedeutung für den Menschen kenntlich wird, ist die leitende Absicht des Buches. Es soll zeigen, dass wir vom Glauben nicht loskommen, solange wir noch etwas zu wissen glauben; es führt die Verschränkung von Wissen und Glauben vor und macht deutlich, mit welchen Erwartungen dies geschieht. Dabei vermag es aufzuweisen, dass sowohl mit der ansteigenden Reichweite des Wissens wie auch mit der anwachsenden Macht des technischen Könnens die Defizite größer werden, die dem Menschen scheinbar nur noch die Alternative zwischen Achselzucken und Glauben offenlassen. Ein verantwortlicher, ein dem Selbstverständnis des Menschen einzig angemessener Umgang mit der sich an den Grenzen von Wissenschaft und Technik zunehmend auftuenden Ratlosigkeit ist nur im Glauben möglich.
Damit soll nicht behauptet werden, dass jeder an Gott glauben muss. Zunächst ist nur gesagt, dass jede und jeder irgendetwas immer glaubt, sobald er ernsthaft etwas tut oder lässt. Das gilt selbst für den Schauspieler, der zwar nicht das glauben muss, was er auf der Bühne zu sagen hat, wohl aber, dass es für ihn gute Gründe gibt, Schauspieler zu sein und an Aufführungen mitzuwirken. Bei diesem alltäglichen Glauben setzt die Analyse an. Sie fragt, unter welchen Bedingungen sie steht und was ihr letztlich Sinn verleiht. Angenommen, der Künstler beruft sich nicht allein auf die Sorge um seinen Lebensunterhalt, sondern auch auf die Notwendigkeit der Kunst, ist er augenblicklich bei einem Sinn, der jede ernste Absicht eines Menschen auch dort zu begründen vermag, wo sein Wissen definitiv an eine Grenze stößt.
In diesem die Grenze des Wissens überschreitenden Sinn aber wird das Wissen nicht bedeutungslos. Vielmehr wird es im Ganzen des menschlichen Lebens überhaupt erst gewahrt und gesichert. Folglich ist der Glauben nicht das, was sich vom Wissen löst; schon gar nicht das, was ihm widerspricht, sondern das, was (in seinem stets gegebenen Ausgangspunkt im Wissen) den Zusammenhang zwischen Wissen und bewusster Lebensführung sichert. Glauben ist das Bewusstsein der Überschreitung des Wissens im Vertrauen auf ein Ganzes, zu dem (unter Einschluss des Wissens) nicht nur einfach «alles», sondern insbesondere das Individuum gehört, das den Glauben benötigt.
Früher hätte man eine Untersuchung der vorliegenden Art wohl eine «natürliche» oder «rationale Theologie» genannt. Dagegen hätte ich auch heute nichts einzuwenden, solange klar bliebe, dass diese Art der Theologie seit ältesten Zeiten zur Philosophie gehört. Angesichts der Tatsache, dass eine solche Einbindung gegenwärtig eher Befremden auslösen dürfte, werden Anlage und Vorgehen der Untersuchung mehrfach erläutert, um die systematisch zwingenden Übergänge zwischen der Analyse empirischer, epistemischer und theologischer Begriffe deutlich zu machen. Nach der ausdrücklich so benannten Einleitung bieten auch die ersten beiden Kapitel Hinführungen begrifflicher und historischer Art, die alle das Ziel verfolgen, die dreifache Ganzheit aus Selbst, Welt und Gott zu erläutern, um die es im religiösen Glauben geht.
Das Pathos der nachfolgenden Untersuchung ist darauf gerichtet, die Rationalität des Glaubens auszuweisen. Glauben ist nicht nur auf Wissen gegründet, sondern auch auf die Sicherung des Wissens bezogen. Was ihm in religiöser Erwartung vorschwebt, kann nur durch die Vernunft ermittelt und angemessen nur durch Vernunft verteidigt werden. Weil das so ist, treten Religionen seit Jahrtausenden mit Lehren auf, die, seit es sie gibt, umstritten sind. Auch wenn die Machthaber des Glaubens – und gewiss auch mancher Gläubige – es gern anders hätten: Ihr Glauben schützt sie nicht vor Kritik. Das ist ein Indiz für die innere Rationalität des Glaubens. Sie schließt aber das Gefühl nicht aus. Solange die Vernunft auf das Interesse an ihr und solange das Wissen auf Neugier angewiesen sind, wird auch der Glauben mit Hoffnung, Vertrauen und Liebe einhergehen. Deshalb verteidige ich den Glauben als amor Dei, scheue den Zusatz intellectualis nicht und stelle mich ausdrücklich in die Tradition der rationalen Theologie.
Das geschieht auch deshalb mit besonderem Nachdruck, weil es wesentlich philosophische Gründe sind, die mir die vorliegende Arbeit zu einem Anliegen gemacht haben. Ich stamme nicht aus einem Pfarrhaus, habe zu keiner Zeit mit dem Gedanken gespielt, Theologie zu studieren, und habe es tatsächlich auch nie getan. Stattdessen bin ich gleich zu Beginn meiner wissenschaftlichen Laufbahn gänzlich unspektakulär, ohne das Bewusstsein eines Bruchs und ohne die Absicht, jemanden zu empören oder zu beschämen, aus der Kirche ausgetreten. Fünfundzwanzig Jahre später habe ich diese Entscheidung revidiert – ohne Not und ohne äußeren Anlass, mit dem Glück eines Menschen, der etwas Verlorenes wiedergefunden hat.
Die bis dahin gewachsene Einsicht, dass eine systematisch verfahrende Philosophie das Problem des Göttlichen nicht umgehen kann, war daran nicht unbeteiligt. Mir war deutlich geworden, dass eine Erörterung von Zweifeln und Einwänden nicht genügt. Denn das Göttliche ist eine Macht im menschlichen Leben. Man muss fragen, was sie bedeutet, auch wenn man beste Gründe dafür hat, Gott nicht für einen wie auch immer beschaffenen Gegenstand zu halten. Wäre Gott ein Ding unter Dingen, ein «Etwas» (nur größer, mächtiger und klüger als alles, was uns sonst auf der Erde begegnet), wäre wohl kein Philosoph jemals auf die Idee verfallen, dieses Etwas als «Gott» anzusehen. Umso mehr ist die Philosophie seit mehr als zweieinhalbtausend Jahren darum bemüht, die Wirklichkeit und Wirksamkeit des Göttlichen angemessen zu erfassen. Dabei hat sie beachtliche Einsichten gewonnen. Doch die leuchten vielen heute offenbar nicht mehr ein. Deshalb kommt es darauf an, sie auf neue Weise verständlich zu machen.
Mit dieser gleichermaßen historischen wie systematischen Absicht unterbreite ich einen Vorschlag, der jüngste Einsichten aufnimmt, ohne damit ältesten Erkenntnissen zu widersprechen. Der historische Aspekt wird dabei nur beiläufig illustriert. Alle Anstrengung ist auf die sachliche Erörterung konzentriert, die zeigen soll, wie sehr das Göttliche zu der Welt gehört, in der wir uns als Menschen zu begreifen suchen. Der Schwierigkeit, das Neue verständlich zu machen, suche ich durch Anschaulichkeit und exemplarische Erläuterungen sowie durch eine einführende Einleitung Rechnung zu tragen.
Erneut schulde ich Vielen Dank. Aus dem großen Kreis derer, die mir Anregungen gegeben und mich oft schon durch ihr Interesse an meinen Überlegungen gefördert haben, möchte ich namentlich meine theologischen Kolleginnen und Kollegen erwähnen. Es sind Christine Axt-Piscalar, Helge Adolphsen, Jörg Dierken, Christof Gestrich, Wilhelm Gräb, Dietrich Korsch, Rudolf Langthaler, Eckart Reinmuth, Johannes Röser, Richard Schröder und Martina Trauschke. Mit ihrem Interesse haben sie keineswegs schon ihre Zustimmung zum Ausdruck gebracht; aber sie haben mir Zuversicht gegeben.
Aus der Philosophie hat mich vor allem der Gegenwind der Argumente von Birgit Recki, Marcus Willaschek und Héctor Wittwer gestärkt. Ähnlichen Gewinn habe ich aus dem «frommen» Atheismus Herbert Schnädelbachs gezogen. Martin Rosie hat durch aufmerksame Lektüre wesentlich zur Verbesserung des Textes beigetragen. Besonders geholfen haben mir die kritischen Nachfragen aus platonischer Sicht, denen mich Bettina Fröhlich ausgesetzt hat. Jonathan Beere danke ich für seine minutiöse Rekonstruktion des Gottesbegriffs bei Aristoteles.
Christian Polke, dem ich eine hilfreiche Aufklärung über Jacobi und gelehrte Urteile über Theologien und Religionsphilosophien der Gegenwart verdanke, war so freundlich, eine ältere Fassung des Manuskripts zu lesen. Die Menge der von ihm gestellten Nachfragen hätte mich zur Aufgabe meines Vorhabens genötigt, wenn nicht am Ende sein freundlicher Zuspruch überwogen hätte. Ich bin ihm für beides, Kritik und Ermunterung, verpflichtet und gestehe ihm zu, dass ich im Interesse der Schule die Parallelen zum amerikanischen Pragmatismus, zu den modernen Klassikern der Soziologie und zu manchem Theologen des 20. Jahrhunderts hätte ausziehen müssen. Aber wem schmerzlich bewusst ist, dass er Aristoteles und Cicero, Plotin, Augustinus und Nikolaus von Kues, Erasmus, Montaigne und Pascal, Spinoza, Leibniz und Rousseau, Spalding, Schleiermacher und Hegel einfach überspringt, auch Karl Jaspers und Dieter Henrich, denen er viel verdankt, kaum Erwähnung tat, der muss auf Verständnis rechnen können, wenn er einige ihm und seinen Lesern zeitlich näher stehende Autoren als weitgehend bekannt voraussetzt. Wenn von den Neueren etwas direkt aufgenommen wird, ist ein Nachweis hinzugefügt.
Schließlich habe ich den Zuhörern meiner beiden Berliner Vorlesungen zum Gottesproblem zu danken. Ihr Interesse, das sie trotz größter Skepsis nicht verloren haben, hat mir nicht nur manche...