Intro
Wenn Musik die Nahrung der Liebe ist …
Play on. Spiel weiter. Zwei Wörter nur, aber die sagten mir alles.
Im Laufe der Zeit waren diese zwei Wörter für mich mal schlichte Aufforderung, mal Anfeuerung, mal Mantra und mal das tröstende Versprechen von Erneuerung gewesen. Zum ersten Mal begegnete ich ihnen in dem schönsten und romantischsten Couplet in Was ihr wollt, meinem Lieblingswerk von Shakespeare. Ich habe es nie vergessen, im Gegenteil, ich verinnerlichte es sofort, weil es mich ansprach. Wenn mich in meinem Leben etwas so tief berührt, seien es Menschen, Orte oder Dinge, dann werden sie für immer ein Teil von mir. Ich habe unzählige Autogramme mit Play On signiert. Ich habe es in vielen Situationen und zu vielen Menschen gesagt. Diese Worte haben mich immer begleitet, während ich mir einen Weg durch mein oft schweres und kompliziertes, aber auch ekstatisches und manchmal allzu ausschweifendes Leben bahnte. Mittlerweile sind sie für mich der Anker, an den ich mich klammere, wenn mir alles andere zu entgleiten droht.
Das vollständige Couplet inspirierte Fleetwood Mac zum Titel des vierten Studioalbums Then Play On, das 1969 veröffentlicht wurde und bis heute zu meinen Lieblingsalben gehört. Direkt danach kommt für mich Tusk, das zehn Jahre später von einem ganz anderen Line-up der Band herausgebracht wurde. Für die vielen Fans, die Fleetwood Mac nur in dieser Besetzung kennen, ist dieses Buch besonders aufschlussreich, denn sie werden erfahren, wie viele Wege Fleetwood Mac zurücklegen musste, um ihnen schließlich zu begegnen.
Auf den ersten Blick haben Then Play On und Tusk vom Musikalischen her wenig gemeinsam, aber wenn man genauer hinhört, wird man beide Male mit einer Band konfrontiert, die kreativ und existenziell mit dem Rücken zur Wand steht und Musik einspielt, als gälte es ihr Leben. Beide Alben entstanden zu einem Zeitpunkt, wo es hieß »Spiel oder stirb« und wir uns nur retten konnten, indem wir uns neu erschufen. Ich kann nicht behaupten, dass ich das damals als ideale Lösung betrachtete, doch tief in meinem Innern glaubte ich an uns und predigte meinen Mitmusikern, weiterzuspielen. Und genau das taten wir.
Ich bin immer noch da und schätze mich glücklich, mit den großartigsten Gefährten, die man sich nur erträumen kann, Musik zu machen. Wir haben so viele Höhen und Tiefen durchlebt, und obwohl ich es jahrelang abgestritten habe – vor allem gegenüber denen, die ich liebe –, weiß ich jetzt, dass ich mein ganzes Dasein dieser Band gewidmet habe, und zwar von Anfang an. In jeder Formation hat Fleetwood Mac mir so viel Freude bereitet, dass ich hoffe, was auch immer unsere Fans aus der Musik gezogen haben, möge zumindest ein Bruchteil von dem sein, was sie mir gegeben hat. Erkannt habe ich aber auch, und zwar durch viele Krisen und Fehler und dadurch, dass ich älter und hoffentlich weiser geworden bin, wie sehr diese Entscheidung meine Familie belastet hat. Es ist schwer, sich einer musikalischen Familie dieser Größenordnung zu widmen und gleichzeitig für die eigene da zu sein; es ist ein unausgewogenes Tauziehen, an dem ich immer noch arbeite.
Musik ist eine wunderbare Sprache, die jeder mit einem schlagenden Herzen in der Brust versteht, ganz gleich, woher er kommt. Diese Sprache müssen wir teilen und pflegen; sie gehört zu den wenigen Dingen, die der menschlichen Neigung, Mauern zu errichten, trotzen. Musik hat mich durch alle Höhen und Tiefen begleitet, denn sie war das Eine, auf das ich mich verlassen konnte, wenn alles andere versagte. Und es war tatsächlich auch das Einzige, was ich einigermaßen beherrschte. Doch darüber hinaus hat die Musik mir immer Freude bereitet und mir die Möglichkeit gegeben, meine Mitte zu finden. Wann immer ich mich verloren fühlte: Verlor ich mich in der Musik, fand ich stets meinen Weg zurück.
Nun, da ich dies schreibe, bin ich fünfundsechzig und blicke auf vierzig Jahre Rock and Roll zurück. Meinen ersten Gig als Drummer hatte ich in den Sechzigern in London. Damals war ich ein Teenager, der noch nicht mal Alkohol trinken durfte, auch nicht in England. Ich hatte keinerlei Ausbildung, sondern nur den Wunsch, ein Teil der Kultur zu werden, bei deren Entstehung ich Zeuge war. Und ich hatte ein angeborenes Gefühl für Rhythmus. Ich folgte einem Traum, und er wurde wahr, als ich zu einer Zeit des geschichtlichen Umbruchs einige der besten englischen Bluesmusiker meiner Generation begleiten durfte. Geplant hatte ich das nicht, aber ich glaubte fest daran, meinen Weg zu finden, wenn ich nur meiner Muse treu bliebe. Und so kam es auch – obwohl es nie leicht war.
Auf meiner Farm auf Maui, einer Insel, wo ich seit den Siebzigern regelmäßig Urlaub machte und wo ich seit über zehn Jahren lebe, habe ich eine verwitterte Scheune voller Erinnerungsstücke: Fotos, Tagebücher, Kleider, Autos, unzählige Videotapes, Konzertaufnahmen; alles Andenken an Fleetwood Mac und mein Leben. So sehr es mich in kreativer Hinsicht immer vorwärtsgetrieben hat, zu etwas Größerem, Besserem, Unbekanntem, bin ich gleichzeitig doch auch ein eingefleischter Nostalgiker. Ich liebe Fotos, Andenken, alle möglichen Erinnerungsstücke an Zeiten und Räume, die ich durchquert habe. In dieser Hinsicht bin ich ein Hamsterer. Ich liebe es, den Moment festzuhalten, so sehr mir auch bewusst ist, dass dieser Moment vergänglich ist und nur ein Zwischenstopp auf der Reise des Lebens.
Für diesen Instinkt, alles zu horten, bin ich dankbar, denn ich bin so oft umgezogen, von England nach Australien, von Europa in die Staaten, dass man es schon als kleines Wunder betrachten kann, wie viel von diesen Dingen sich noch in meinem Besitz befindet. Wie soll ich am besten das Gefühl vermitteln, wie es ist, ein Fotoalbum aufzuschlagen und das Polaroidfoto eines bereits verstorbenen Freundes zu finden, oder Zettel mit handgeschriebenen Songtexten, und zwar mit Kommentaren und Streichungen meiner Bandkollegen aus früheren Zeiten? Erinnerungen durchströmen mich, wenn ich auf diese Schätze stoße, die mir durch meine Erfahrungen im Laufe der Zeit nun wieder wie neu erscheinen. Es ist eine süße Qual, sich selbst, die eigene Vergangenheit und das gegenwärtige Leben mit neuen Augen zu sehen.
Das zur Erklärung, wie dieses Buch zustande kam. Im März 2012 interviewte mich mein Co-Autor Anthony Bozza auf meiner Farm auf Maui für den Playboy. Damals hatte ich gerade über fünfzig Stunden Filmmaterial von unserer Tournee 1977 in Japan ausgegraben, dem Höhepunkt unserer Rumours-Promotiontour. Wir befanden uns auf dem Zenit unseres Schaffens, und es war das Finale der bislang erfolgreichsten Tournee der Band, daher engagierte ich eine Filmcrew, die mit uns reisen und uns ohne Vorgaben sowohl auf als auch abseits der Bühne filmen sollte. Ich hatte die Absicht, das Material zusammenzuschneiden und als Film herauszubringen, der ein Jahr nach Abschluss der Tour in den Kinos laufen sollte. Doch dazu kam es nie; es passierte so viel, dass ich unseren kleinen Film dreißig Jahre vergaß. Als er mir in die Hände fiel, hatte ich nicht mal danach gesucht, sondern nach Aufnahmen, die meine Eltern von mir und meinen Geschwistern gemacht hatten, als wir noch klein waren. Doch dann entdeckte ich den Stapel Filmdosen, die irgendwie unbeschadet die verschiedenen Stationen meines Lebens überstanden hatten.
Ich ließ das gesamte Material digitalisieren, wobei die satten Farben des Originals so weit wie möglich erhalten wurden; dann engagierte ich einen Cutter und arbeitete mit ihm an einem Rohschnitt, der als Film oder auch als DVD herauskommen sollte. Ich wusste nur, dass das Material unbedingt veröffentlicht werden musste. Als Anthony mich besuchte, sichtete ich gerade die erste Fassung dieser vierzig historischen Stunden unserer Vergangenheit. Es war einfach wunderbar, all jene fast vergessenen Momente zusammen mit Anthony, der schon sein ganzes Leben lang Fleetwood-Mac-Fan war, wiederaufleben zu lassen. Meine Begeisterung und Hingabe flammten wieder auf, und so begann unser gemeinsames Projekt. In Laufe der nächsten zwei Jahre ließen wir auf Maui und auf unserer Tournee 2013 die Vergangenheit wieder lebendig werden. Das Ergebnis liegt nun vor.
Dieses Buch ist nicht die definitive Geschichte von Fleetwood Mac; Zahlen, Daten und auch etliche Gerüchte kann man woanders finden. Diese Seiten sind viel persönlicher. Sie enthalten die Geschichte all dessen, was mir je wichtig war: Augenblicke, Menschen, die Zeit. Dieses Buch ist die Geschichte meines Lebens mit Rock- und Bluesmusik. Es zeigt, wie die Band, die mir alles bedeutet hat, mich prägte. Früher habe ich das abgestritten, aber jetzt weiß ich, dass es wahr ist.
Ich betrachte dies alles immer noch mit Staunen, jeden einzelnen Tag. Manchmal frage ich mich, wie zum Teufel ich hier eigentlich gelandet bin! Ich spiele leidenschaftlich gern Schlagzeug und weiß, dass ich für etwas anderes auch kaum Talent habe, aber ehrlich gesagt sehe ich mich eher als Typen, der zufällig am Schlagzeug gelandet ist, und nicht als Schlagzeuger. Das mag eine merkwürdige, subtile Differenzierung sein, aber sie ist wesentlicher Bestandteil meiner Sichtweise und meines Selbsterkenntnisprozesses. Entwicklung war mir immer wichtiger als Reflexion, und ich habe Drama und Chaos immer über Gebühr romantisiert. Das hat jetzt ein Ende. Jetzt nehme ich mir die Zeit, nach innen zu schauen. Ich bin immer noch ein Lernender. Ich bin immer noch »im Werden begriffen«.
Das erinnert mich an ein anderes Prinzip, an das ich mich halte, wenn es mal wieder hart auf hart kommt. Wenn dir alles zu viel wird, raff dich auf und zieh los! Geh...