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Politische Bildung in Ostdeutschland

Demokratie-Lernen zwischen Anspruch und Wirklichkeit

AutorAnett Krieger, Jan Pinseler, Peter Büchner, Rico Behrens
VerlagVS Verlag für Sozialwissenschaften (GWV)
Erscheinungsjahr2008
Seitenanzahl130 Seiten
ISBN9783531909318
FormatPDF
KopierschutzDRM
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis29,99 EUR
Die Studie stellt Ergebnisse aus einem langjährigen Forschungsprojekt zur schulischen politischen Bildung in Ostdeutschland vor. Im Mittelpunkt stehen die Probleme und Schwierigkeiten von Demokratie-Lernen im alltäglichen Gemeinschaftskundeunterricht in Ostdeutschland. Dabei werden auch Unterschiede der politischen Bildung in Ostdeutschland einerseits und Westdeutschland andererseits erkennbar. Besonders auffallend sind die Schwierigkeiten, politische Bildung als kritisch-demokratischen Prozess zu entfalten und eine kommunikative Streit-, Konflikt-, und Dialogkultur im Unterricht zu entwickeln.




Dr. Peter Henkenborg ist Professor für Didaktik der politischen Bildung am Institut für Politikwissenschaft der Philipps-Universität Marburg.
Anett Krieger war wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für Politikwissenschaft der TU Dresden und ist jetzt Gemeinschaftskundelehrerin in Dresden.
Dr. Jan Pinseler ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Kommunikationswissenschaft und Medienkultur (i.Gr.) der Universität Lüneburg.
Rico Behrens ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Politikwissenschaft der TU Dresden.

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Leseprobe
1 Einleitung (S. 9)

1.1 Politische Bildung in Ostdeutschland – gelungene Anpassung oder zwei Kulturen?

Dass von einem wirklichen Annäherungsprozess im Bildungswesen und vor allem zwischen den Pädagogen aus Ost und West nicht die Rede sein könne, ist eine These aus der Anfangszeit der deutschen Einheit (Reh, Tillmann 1994). Die Frage ist, ob sie heute noch zutrifft?

Hans Misselwitz (2002) hat in einer Bilanz des Aufbaus Ost für die außerschulische politische Bildung erneut die Bedeutung der unterschiedlichen politischen Kulturen in Ost- und Westdeutschland unterstrichen. Der Evaluationsbericht zur politischen Erwachsenenbildung stellt ebenfalls einen strukturellen Widerspruch der politischen Bildung in den neuen Bundesländern fest (vgl. Böhnisch u.a., 2005).

Die Idee einer nachholenden Transformation habe sich nicht nur als zu einfach erwiesen, sondern auch als problematisch in den Konsequenzen. Im institutionellen Bereich der Richtlinien, Einrichtungen und Maßnahmen habe eine Angleichung an westdeutsche Verhältnisse stattgefunden, Entwicklungsprobleme gebe es dagegen im Bereich der Bildungskultur. Denn während die institutionelle Transformation der politischen Bildung auf Ostdeutschland gelungen sei, sei die Bildungskultur vielen in Ostdeutschland fremd geblieben.

Das Problem einer fehlenden Bildungskultur liege vor allem in der Schwierigkeit, politische Bildung als kritisch-demokratischen Prozess zu entfalten und entsprechende Kommunikationsstrukturen zu entwickeln. Wo politische Bildung nicht als Vermittlung von Wissen verstanden werde, sondern als „gelebte Demokratie", werde dieses Fehlen einer konfliktfähigen, lebensweltlich verankerten Bildungskultur besonders beklagt.

In Ostdeutschland erscheint es schwierig, „unterschiedliche bis kontroverse Auffassungen zu diskutieren, Akzeptanz dafür zu finden, dass der Streit etwas Normales und Produktives ist" (Böhnisch u.a., 2005: 224). In den Interviews der Evaluationsstudie von Böhnisch u.a. (2005) mit politischen Bildnern aus Ostdeutschland wird u.a. beklagt, dass in Ostdeutschland ein „großes Harmoniebedürfnis" herrsche.

Streit werde sehr negativ bewertet, „alles [sei] stärker staatszentriert, stärker institutionenzentriert". Darüber hinaus stellen die Autoren dieser Studie fest, dass bei Leh- rern1 „traditionelle Methoden funktionieren, die im Westen schon gar nicht mehr akzeptiert würden" (ebd.: 231).

Der Evaluationsbericht führt die Defizite der politischen Bildungskultur im Wesentlichen auf zwei Barrieren zurück: einerseits auf die Aktualität jener alltagstradierten Verhaltensweisen, die aus der DDR-Zeit überkommen seien (z.B. Autoritarismus, Funktionsorientierung und familialer Rückzug) und andererseits auf die heutige soziale und ökonomische Situation in Ostdeutschland. Nach wie vor existiere zwischen Ost- und Westdeutschland ein „Vermittlungsgefälle". Aufgrund der westdeutschen Dominanz fühlten sich die Ostdeutschen in der politischen Bildung in ihrer Biographie entwertet und diskriminiert (ebd.: 220ff). Offen ist jedoch, ob und inwieweit solche Befunde auch auf die schulische politische Bildung zutreffen.

1.2 Untersuchungsansatz, Fragestellungen und Aufbau des Buches

Das vorliegende Buch stellt zu eben jener schulischen politischen Bildung in Ostdeutschland Ergebnisse aus einem langjährigen Forschungsprojekt vor. Unser Forschungsprojekt ‚Demokratie lernen und leben durch kognitive Anerkennung‘ war eingebettet in das Modellprojekt ‚Schule und Unterricht demokratisch gestalten (SUD)‘, das wiederum das sächsische Teilprojekt des bundesweiten Modellprojektes ‚Demokratie lernen und leben‘ der Bund-Länder-Kommission für Bildungsplanung und Forschungsförderung (BLK) darstellte, das von September 2002 bis März 2007 durchgeführt wurde.
Inhaltsverzeichnis
Inhalt5
1 Einleitung9
1.1 Politische Bildung in Ostdeutschland – gelungene Anpassung oder zwei Kulturen?9
1.2 Untersuchungsansatz, Fragestellungen und Aufbau des Buches10
1.3 Zum Stand der Forschung: Gemeinschaftskundelehrer zwischen Engagement und fehlender Professionalität?13
2 Unterricht untersuchen17
2.1 ‚Schule und Unterricht demokratisch gestalten‘ – Sachsen im BLKModellprojekt ‚ Demokratie lernen und leben‘17
2.2 Methodische Vorgehensweise18
3 Die Ebene der Schüler: Wie Schüler den Unterricht erleben27
3.1 Ambivalenz: „Es reißt mich nicht vom Hocker“27
3.2 Merkmale: „...und dann wird‘s ja noch langweiliger“29
3.2.1 „...was uns ja eigentlich noch betrifft“31
3.2.2 „Weil wir doch ziemlich viele Rechte hier haben“32
3.2.3 „...muss man sich selber nen Kopp drüber machen“33
3.2.4 „...wir haben uns richtig in die Arbeit vertieft“34
3.3 Problematisierung: „...das kann man auch alleine machen“35
3.4 Zusammenfassung37
4 Die Ebene des Unterrichts: Probleme der Unterrichtsgestaltung39
4.1 Datenmaterial39
4.1.1 Übersicht39
4.1.2 Die Unterrichtsstunde „Arme Welt – Reiche Welt“41
4.1.3 Die Unterrichtsstunde „Ist unsere Demokratie wehrlos?43
4.1.4 Die Unterrichtsstunde „Deutschlands Außenpolitik in der Weimarer Republik“45
4.1.5 Die Unterrichtsstunde „Was ist Demokratie?“47
4.1.6 Die Unterrichtsstunde „Wahlen“49
4.1.7 Die Unterrichtsstunden „Werbung“51
4.1.8 Die Unterrichtsstunde „Europäische Union“54
4.1.9 Die Unterrichtsstunde „Unternehmensgründung“54
4.1.10 Die Unterrichtsstunde „Einführung in die soziale Marktwirtschaft“56
4.1.11 Die Unterrichtsstunde „Elterliche Gewalt“58
4.2 Unterrichtsanalysen60
4.2.1 Politische Bildung als Überwältigung – Die Unterrichtsstunde „ Arme Welt – Reiche Welt“61
4.2.2 Politische Bildung als Institutionenkunde – Die Unterrichtsstunde „ Ist unsere Demokratie wehrlos?“66
4.2.3 Politik als Technik – Die Unterrichtsstunde „Wahlen“77
4.2.4 Politische Bildung und Konflikte – Die Unterrichtsstunde „ Was ist Demokratie?“82
4.3 Zusammenfassung98
5 Die Ebene der Lehrerprofessionalität: Handlungsprobleme bei der Arbeit mit schüleraktiven Methoden103
5.1 Einleitung103
5.2 Effizienzproblem103
5.3 Kompetenzproblem105
5.4 Unsicherheitsproblem105
5.5 Belastungsproblem107
5.6 Voraussetzungsproblem107
5.7 Lehrplanproblem109
5.8 Konstruktionsproblem110
5.9 Problem des Gesellschafts- und Politikverständnisses111
5.10 Zusammenfassung114
6 Zusammenfassung117
6.1 Ansatzpunkte der Untersuchung117
6.2 Die Akteursperspektive: Schüleraktives Demokratie-Lernen aus der Sicht von Schülern und Lehrern117
6.3 Schüleraktives Demokratie-Lernen und alltäglicher Gemeinschaftskundeunterricht121
6.3.1 Demokratie-Lernen und die Zielebene des Unterrichts: Unsicherheiten über die Philosophie des Schulfaches121
6.3.2 Demokratie-Lernen und die Inhaltsebene des Unterrichts: Die Gefahr eines unpolitischen Politikunterrichts124
6.3.3 Demokratie-Lernen und die Prozessebene des Unterrichts: Paradoxien schüleraktiven Lernens126
6.4 Empfehlungen für die Lehrerweiter- und -fortbildung129
Literaturverzeichnis133
Abkürzungen in Transkripten137

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