Professionalisierung in der Frühpädagogik: Potenziale, Probleme, Perspektiven
Charis Förster
Seit Beginn des neuen Jahrtausends hat die frühe (institutionelle) Bildung, Betreuung und Erziehung eine besondere Aufmerksamkeit erfahren. Dies ist zum einen auf die von der OECD initiierten PISA-Studien zurückzuführen, die einen wesentlichen Impuls für die künftigen Veränderungen und Reformbewegungen gesetzt haben. Zum anderen gab es gesamtgesellschaftliche und politische Entwicklungen, die diese Prozesse begünstigt haben.
Der folgende Beitrag wird anhand von zwei Themenfeldern strukturiert:
1. Potenziale: Dabei werden einige zentrale Meilensteine der Professionalisierung innerhalb der Frühpädagogik in Deutschland zusammengefasst, die in den letzten 10 bis 15 Jahren besondere Bedeutung hatten. Hier werden vor allem Ereignisse herausgegriffen, durch die große bildungsrelevante Veränderungen angestoßen wurden.
2. Probleme – Perspektiven – Herausforderungen: Keine Entwicklung und keine Veränderung vollzieht sich problemlos, insbesondere wenn sie schnell und auf vielen Ebenen erfolgt. Einige der Herausforderungen, die sich in den vergangenen Jahren gezeigt haben, werden hier exemplarisch dargestellt. Aus diesen Überlegungen ergeben sich weitere mögliche Entwicklungsstränge in der multiprofessionellen Frühpädagogik.
Da diese beiden Themenfelder wiederum eine Menge an Einzelereignissen und spezifischen Themen integrieren, werden diese entsprechend der beteiligten Akteure nochmals in drei Bereiche untergliedert – politisch, fachlich und gesellschaftlich. Die Sicht der Eltern und Kinder wird dabei dem gesellschaftlichen Bereich zugeordnet.
Anstöße der aktuellen Professionalisierung in der Frühpädagogik
Die Frühpädagogik hat sich in den letzten beiden Dekaden mit einer ausgesprochen großen Dynamik entwickelt, die ohne die gesamtgesellschaftlichen Veränderungen in Deutschland während der 1990er Jahre kaum denkbar gewesen wäre. Doch trotz der Chancen, die die politische Wende 1989 auch für den Bereich der frühen Bildung, Betreuung und Erziehung bot, blieb das Zusammenwachsen zweier unterschiedlicher politischer und auch institutioneller Systeme zunächst ohne nachhaltige Konsequenzen, die sich grundsätzlich in der professionellen Tätigkeit niedergeschlagen hätten (Aktionsrat Bildung 2011). Umso erstaunlicher sind die Initiativen, die Anfang des neuen Jahrtausends quasi über Nacht als Reaktion auf die Ergebnisse der ersten Pisa-Studie angestoßen wurden und die mit einer großen Dynamik den Bereich der frühen institutionellen Bildung, Betreuung und Erziehung tangierten.
Als im Dezember 2001 die Ergebnisse der ersten Pisa-Studien veröffentlicht wurden, lösten diese eine mittlere sozial- und bildungspolitische Krise aus. Die Schulleistungen der 15-Jährigen in Deutschland stellten sich im europäischen Vergleich als so ernüchternd heraus, dass die 16 Kultusminister sofort in Aktion traten. Auf der ständigen Konferenz der Kultusminister (KMK) wurden bei ihrer Sitzung Anfang Dezember 2001 sieben Handlungsfelder identifiziert, in denen ein dringender und großer Veränderungsbedarf bestand. Diese umfassten auch den Bereich des Kindergartens, insbesondere hier die Sprachkompetenz, aber auch naheliegendere Handlungsfelder wie die Verbesserung der Lehrerbildung und der Unterrichtsqualität. Einige der Handlungsfelder, die die Ergebnisse der Pisa-Studie nahelegten, waren eher Querschnittsaufgaben wie zum Beispiel Migration oder Armut.
Potenziale
Politische Potenziale
Anfang des neuen Jahrtausends gab es einige politische Entscheidungen, gesetzliche Neuerungen und Initiativen, die für den Bereich des Kindergartens Veränderungen nachhaltig anstoßen sollten. Insbesondere die Kultusministerkonferenz (KMK) und die Jugend- und Familienministerkonferenz der Länder (JFMK) legten Beschlüsse vor, die die fachschulische und die hochschulische Ausbildung betrafen. Für den Bereich der Frühpädagogik besonders relevant sind die Empfehlungen zur Regelung der Anerkennung von Leistungen, Kenntnissen und Fähigkeiten für ein Hochschulstudium, die außerhalb der Hochschule erworben wurden (2002, 2008).
Diese Beschlüsse brachten eine enorme Flexibilisierung mit sich, und das zu einem Zeitpunkt, bevor der erste neue einschlägige Studiengang für den Bereich Frühpädagogik an den Start ging. Der Beschluss von 2002 regelte zuerst einmal lediglich, in welcher Weise Leistungen außerhalb des Studiums anrechenbar sind. Dieser Beschluss wurde dann im Jahr 2008 erweitert, indem auch die Möglichkeit der Anerkennung äquivalenter Leistungen in Europa zusammengefasst wurde. Diese bilden die Grundlage für die Anerkennungspraxis an den Hochschulen bis heute. Bis zu 50 Prozent der Studienleistungen und Kompetenzen können durch die Hochschule anerkannt werden.
Diese Beschlüsse hatten wesentliches Potenzial in Bezug auf die vertikale Durchlässigkeit innerhalb der Ausbildung und des Studiums. Sie boten darüber hinaus vielfache Möglichkeiten des Austauschs zwischen den unterschiedlichen Bildungsinstitutionen – waren also auf die Qualifizierung bereits ausgebildeter Erzieherinnen und Erzieher fokussiert. An manchen Standorten wurden gemeinsame Ausbildungs- und Studienangebote von Fach- und Hochschule, beispielsweise in Form dualer Studiengänge, entwickelt.
Etwa zeitgleich gab es weitere Initiativen, die insbesondere die Anerkennung internationaler Abschlüsse systematisch unterstützen sollten. Dazu zählt der Bologna-Prozess (Aktionsrat Bildung 2012). Die Hochschulen befanden sich nun in einem großen Umstrukturierungsprozess, der unter anderem mit der Einführung von Bachelor- und Master-Studiengängen verbunden war. Für die Einführung und Etablierung frühpädagogischer Studiengänge an Hochschulen erwies sich dieser Prozess als günstig.
Der Kopenhagen-Prozess, der ebenfalls 2002 angestoßen wurde, hatte zum Ziel, die beruflichen Abschlüsse innerhalb Europas vergleichbar und damit anrechenbar mittels der Beschreibung erworbener Kompetenzen zu machen (BMBF 2002). Damit verbunden war eine Aufwertung der beruflichen Qualifikation im Verhältnis zum Hochschulstudium. Die Ergebnisse des in Kopenhagen angestoßenen Prozesses finden sich im Europäischen Qualifikationsrahmen (EQR 2008) wieder.
Im Jahr 2011 wurde schließlich der Deutsche Qualifikationsrahmen (DQR) veröffentlicht, in dem beispielsweise die fachschulische und die hochschulische Ausbildung von Erzieherinnen und Erziehern als äquivalent charakterisiert wurden und beide Abschlüsse seitdem auf Niveau 6 eingestuft sind.
Im Jahr 2009 unterstützte die KMK den Zugang für beruflich Qualifizierte für ein Hochschulstudium, indem Absolventen der Fachschulen gleichzeitig der Hochschulzugang ermöglicht wurde. Damit konnten fortan Absolventen der sozialpädagogischen Fachschulen ein einschlägiges Studium der Frühpädagogik anschließen, auch ohne Hochschulreife.
In einer selten dagewesenen politischen Schnelligkeit und Einigkeit erfolgten gesetzliche Änderungen im Bereich der institutionellen Bildung, Betreuung und Erziehung von Kindern:
Im Jahr 2005 wurde der Rechtsanspruch auf institutionelle Betreuung, Bildung und Erziehung für Kinder ab drei Jahren (SGV VIII § 24; TAG 2005) gegeben. 2013 wurde dieser Anspruch im Kinderförderungsgesetz (KiföG) auf Kinder mit vollendetem ersten Lebensjahr ausgedehnt. Diese Initiativen sind zu begrüßen, da Kinder nun im Fokus der politischen, fachlichen und gesellschaftlichen Aufmerksamkeit standen, wie es kaum vorher der Fall gewesen war.
Diese verschiedenen politischen Impulse waren darüber hinaus von großer Tragweite, da sie auch die Entwicklung einschlägiger Studiengänge an den Hochschulen und verschiedene spezifische Forschungsprojekte förderten.
Zusätzlich begünstigte der im Jahr 2004 erschienene OECD-Bericht »Bildung auf einen Blick« diese Entwicklung. Darin wurde Deutschland im europäischen Vergleich ein unzureichendes Ausbildungsniveau für die institutionelle Betreuung und Erziehung attestiert. Im selben Jahr startete an der Alice-Solomon-Hochschule der erste neue Bachelor-Studiengang »Erziehung und Bildung im Kindesalter«, der im Jahr 2000 noch von der Bund-Länder-Kommission für Bildungsplanung und Forschungsförderung abgelehnt worden war. Dieser Studiengang war beispielgebend für Entwicklungen vor allem an den ehemaligen Fachhochschulen.
In Folge wurden vielfach Hochschulen durch die Politik angeregt, in manchen Fällen gedrängt, einen entsprechenden Studiengang anzubieten. Inzwischen gibt es in jedem deutschen Bundesland mindestens einen dieser Studiengänge, die meisten davon an (Fach-)Hochschulen. Deutschlandweit existieren inzwischen mehr als 90 Bachelor-Studiengänge – etwa die Hälfte sieht ein Teilzeitstudium bzw. ein berufsintegriertes Studium vor. Darüber hinaus werden etwa 15 Master-Studiengänge angeboten, Tendenz steigend. Es handelt sich also um ein Feld mit einem ungeheuren Potenzial – mit vielfältigen neuen Ideen und Spezialisierungsmöglichkeiten. Diese vorläufige Betrachtungsweise berücksichtigt vor allem, dass es bis dahin nur wenige einschlägige Studiengänge gab, die insbesondere durch die Reformbewegungen in den 1970er Jahren entstanden sind.
Frühzeitig wurde im Zusammenhang mit der großen Vielfalt und Heterogenität der Studiengänge jedoch auch auf eine beunruhigende...