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E-Book

Digital Junkies

Internetabhängigkeit und ihre Folgen für uns und unsere Kinder

AutorBert te Wildt
VerlagVerlagsgruppe Droemer Knaur
Erscheinungsjahr2015
Seitenanzahl384 Seiten
ISBN9783426428030
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis9,99 EUR
Sucht, Vereinsamung und Verwahrlosung sind die Kehrseiten des World Wide Web. Als Ersatz für unerfüllte Wünsche und unerreichte Ziele ist das Internet der Nährboden für neue Verhaltenssüchte. Online-Spielabhängigkeit, Cybersexsucht und die Abhängigkeit von sozialen Netzwerken entstehen im Netz, altbekannte Süchte wie Glücksspiel- und Kaufsucht verlagern sich dorthin. Bert te Wildt ist Deutschlands führender Experte für Internetabhängigkeit. Seit vielen Jahren beschäftigt sich der Arzt und Psychologe in Wissenschaft und Praxis mit Menschen, die unter einer exzessiven Internetnutzung leiden. In diesem Buch schlägt er Alarm, damit die Digital Natives nicht zu Digital Junkies werden. Dabei ist er weit davon entfernt, dass Internet und die digitale Entwicklung generell zu verdammen. Kritisch beleuchtet er anhand von ausgewählten Fallbeispielen die Gefahren einer exzessiven Internetnutzung, die zur Sucht und einer therapiebedürftigen psychischen Erkrankung werden kann.

Prof. Dr. med. Bert te Wildt ist Chefarzt der Psychosomatischen Klinik im Kloster Dießen am Ammersee. Zuletzt war er als Leiter der Ambulanz am LWL-Universitätsklinikum für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie an der Ruhr-Universität Bochum tätig. Seine klinischen und wissenschaftlichen Schwerpunkte liegen im Bereich der Verhaltenssüchte, insbesondere der Internetabhängigkeit sowie der Nutzung digitaler Technologien in der Psychotherapie. 2015 erschien im Droemer Verlag sein Buch »Digital Junkies. Internetabhängigkeit und ihre Folgen für uns und unsere Kinder«. 

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Leseprobe

Einleitung: Vernetzt, verspielt, verloren


Den Digital Natives gehört die Welt! Dieser Slogan ist in aller Munde. Ihm zufolge hängen die digitalen Eingeborenen die Generation der Digital Immigrants kurzerhand ab. Der Stamm der digitalen Einwanderer – das heißt jener, die noch nicht mit dem Internet groß geworden sind und zu denen immer noch die meisten von uns gehören – käme beim Umzug in den Cyberspace zwangsläufig nicht mit. Die Politik und die Konzerne, die digitale Medien für ihre Zwecke missbrauchen, mag man kritisieren. Aber für die Digital Natives ist die Güte ihres Lebensraums über jeden Zweifel erhaben.

Diese Haltung ist in meinen Augen nicht nur falsch, sondern auch gefährlich. Denn sie führt zu einer einseitigen Verklärung der digitalen Medien und ist der Grund dafür, warum wir Erwachsenen Kinder viel zu früh und viel zu lange vor digitalen Bildschirmmedien sitzen lassen, während wichtige Entwicklungsaufgaben in der analogen Welt unbewältigt bleiben.

Mit dem Hinweis auf die glorreiche Zukunft der Digital Natives ziehen wir uns allzu bequem aus der Verantwortung. Der unkritische Umgang mit der schönen neuen Welt des Internets hat mittlerweile atemberaubende Ausmaße angenommen. Warum ist das so? – Haben wir Angst davor, den Anschluss an das digitale Zeitalter zu verpassen? Ist es ein Mangel an Information darüber, welche Gefahren vom Internet ausgehen? Oder sind wir einfach zu bequem, um etwas dagegen zu unternehmen?

Das Gefühl, dass hier etwas grundsätzlich im Argen liegt, beschleicht mittlerweile jeden, der aufmerksam durch die Welt geht. Wer kennt nicht die digitale Katerstimmung, viel zu viel mit anderen digital kommuniziert zu haben und sich danach zu sehnen, einfach ganz in Ruhe mit einem nahestehenden Menschen Zeit zu verbringen? Wer hat es noch nicht erlebt, mit welcher archaischen Wut Kinder manchmal darauf reagieren, wenn man ihnen ihr Computerspiel wegnimmt? Und wer ist noch nicht auf der Straße mit einem Jugendlichen zusammengestoßen, der in selbstgefährdender Weise laufend mit seinem Smartphone beschäftigt ist? – Im Grunde ist die Allgegenwart unserer Abhängigkeit vom Internet doch nicht mehr zu übersehen.

Mit diesem Buch verbindet sich die Hoffnung, dass immer mehr von uns von ihren digitalen Bildschirmen aufblicken, sich in der analogen Welt umsehen und den Handlungsbedarf erkennen. Kurz gesagt, es geht um die erschreckende Aussicht, dass immer mehr digitale Eingeborene von heute die digitalen Junkies von morgen sein werden. Im Zweifelsfall sind sie es – und nicht die digitalen Einwanderer –, die von der Entwicklung abgehängt werden. Die Internetabhängigen sind die Verlierer der digitalen Revolution.

Vernetzt! – Wie wir die Abhängigkeitsgefahr ausblenden

Der entscheidende Grund, warum wir einen blinden Fleck für die Abhängigkeitsgefahren haben, die vom Internet ausgehen, ist ganz einfach der, dass sich unsere Gesellschaft kollektiv längst derart abhängig von den digitalen Medien gemacht hat, dass uns die Einzelschicksale kaum auffallen.

Es ist wie mit dem Alkohol. Gegen diesen Vergleich habe ich mich lange gesträubt. Aber die Parallelen sind zu offensichtlich geworden. Einerseits gehört der Alkohol zu unserer Kultur. Andererseits ist die Alkoholabhängigkeit – abgesehen von der Nikotinabhängigkeit – in den deutschsprachigen Ländern nicht nur die am meisten verbreitete Suchterkrankung, sie gehört zu den häufigsten psychischen Erkrankungen überhaupt. Das wird gerne verdrängt. Gerade weil die meisten Menschen alkoholische Getränke als ein Kulturgut empfinden, haben sie bezüglich ihrer Gefahren einen blinden Fleck. Seien wir ehrlich: Auf einem sommerlichen Volksfest freuen sich die meisten über ein kühles Bier. Wenn es etwas zu feiern gibt, dann stoßen wir gerne mit einem Glas Sekt an. Zu einem festlichen Essen in netter Runde gehört ein gutes Glas Wein. Und für die Verdauung gibt es danach einen Schnaps. Nur wenige sagen dazu nein. Das Risiko, vom Alkohol abhängig zu werden, blenden wir aus. Ganz darauf zu verzichten kommt im Grunde nur denen wirklich in den Sinn, die Alkoholismus am eigenen Leib oder als Angehörige erlebt haben oder die Alkohol aus religiösen Motiven gänzlich ablehnen. Bei der allgemeinen Bierseligkeit und Weinkultur nicht mitzumachen ist jedoch gar nicht so einfach. Wer weiß kein Lied davon zu singen, wie schwer es ist, sich dem Gruppendruck einer trinkfreudigen Gesellschaft zu entziehen.

Mit dem Internet ist es kaum anders. Ihnen hat sicherlich schon jemand vorgeworfen, dass Sie nicht schnell genug auf ihre oder seine E-Mails reagieren. Oder Sie kennen das Gefühl, bei einer Gruppe von Menschen völlig abgemeldet zu sein, weil Sie nicht in einem bestimmten sozialen Netzwerk wie z.B. Facebook angemeldet sind. Vielleicht haben Ihnen Ihre Kinder schon einmal gesagt, dass sie ins soziale Abseits gedrängt werden, wenn Sie ihnen keinen permanenten Internetzugang verschaffen, sowohl im Kinderzimmer als auch per Smartphone, versteht sich[2] Dieser digitale Gruppenzwang trifft längst auch die Älteren in unserer Gesellschaft. Wenn man Computer und Internet nicht nutzen kann oder will, fühlt man sich heute ziemlich aufgeschmissen und von vielem ausgeschlossen.

Viele Dienstleistungen und Produkte sind kaum noch vor Ort zu haben. Wenn wir heute an allem, was in unserer Gesellschaft passiert, teilhaben wollen, müssen wir uns dem digitalen Netz wohl oder übel anschließen. Der Gruppendruck hat gesiegt. So ist es kein Wunder, dass in den deutschsprachigen Ländern heute bereits weit mehr als 90% der Menschen einen Internetzugang haben. Ganz ohne Netz geht’s nicht mehr, für nichts und niemanden.

An dieser Stelle hinkt allerdings der Vergleich zwischen der Abhängigkeit von Alkohol und Internet etwas. Das Internet ist nicht nur ein Genussmittel zu unserem Vergnügen, sondern auch ein Werkzeug, mit dem wir die Welt gestalten. Das Funktionieren von Politik und Wirtschaft, unser Bildungs- und Arbeitswesen sind kaum mehr ohne das Internet denkbar. Gäbe es von heute auf morgen keinen Alkohol mehr, würde zwar ein riesiger Wirtschaftszweig kollabieren, das gesellschaftliche und politische Leben wäre davon aber im Kern nicht berührt, zumindest nicht lahmgelegt. Dagegen wäre der Zusammenbruch des Internets heute schon gleichbedeutend mit einem Kollaps unserer Gesellschaft. Wir haben so viele Prozesse auf digitale Füße gestellt und dabei so viele analoge Standbeine verloren, dass wir in vielerlei Hinsicht hilflos dastehen würden. Dass wir uns dadurch immer weiter in eine allgemeine Abhängigkeit hineinbewegt haben, ist kaum jemandem bewusst.

Da wir dem Internet regelrecht verfallen sind, sehen wir hauptsächlich die vermeintlichen Gewinne, die die digitale Zukunft für uns bereithält. Dabei übersehen wir, was wir aufgeben und vielleicht unwiederbringlich verlieren. Oder sollte es besser heißen, was wir bereits aufgegeben und verloren haben? Da wir uns dies nicht eingestehen wollen, übersehen wir auch, dass einzelne Menschen völlig die Kontrolle über ihre Mediennutzung verlieren und einer Abhängigkeit im engeren Sinne zum Opfer fallen. So wie unsere trinkfeste Gesellschaft gerne die Kollateralschäden des Alkoholismus ausblendet, verliert die Netzgesellschaft diejenigen aus dem Blick, die im Internet ihr zumeist noch junges Leben digital vor die Wand fahren. Um unser eigenes Verhalten nicht in Frage stellen zu müssen, verdrängen wir die Abhängigkeitsgefahren aus unserem Blickfeld. Von den Opfern der Auswüchse unserer Trink- und Internetkultur wollen wir uns den Spaß doch nicht verderben lassen.

Dies gilt bedauerlicherweise auch für Eltern. Wenn im Wohnzimmer ununterbrochen der Fernseher läuft, werden Eltern ihre Kinder kaum davon überzeugen können, nicht jeden Abend und das ganze Wochenende vor Computern und Konsolen in ihren Zimmern zu hocken. Wenn die Erwachsenen bei jeder Gelegenheit auf die Bildschirme ihrer Smartphones starren und tippen, haben sie schlechte Karten, ihrem Nachwuchs ein gesundes Maß und Manieren im Umgang mit elektronischen Medien beizubringen. Warum sollten sich die Heranwachsenden mit einem Verzicht zufriedengeben, wenn die Erwachsenen selbst immer mehr hinter Bildschirmmedien verschwinden, anstatt sich mit ihren Kindern unmittelbar zu beschäftigen und auszutauschen? Wenn es aber um unseren Nachwuchs geht, müsste der Spaß doch eigentlich aufhören oder zumindest ab und zu seine Grenzen haben.

Verspielt! – Wie wir die Zukunft unserer Kinder aufs Spiel setzen

Nichts geht über eine gute Unterhaltung. Allerdings ist mit guter Unterhaltung heute und nicht erst seit gestern vor allem das gemeint, was uns Bildschirmmedien bieten. Unterhaltung hat immer auch etwas Spielerisches. Und Verspieltheit gehört zum Menschsein dazu. Das gilt nicht nur für Kinder, sondern auch für Erwachsene.

Dass der Mensch quasi von Natur aus ein Spielender sei, auf Lateinisch der sprichwörtliche Homo ludens, wird gerne von der Computerspielindustrie besonders betont. Mit diesem Argument verteidigt sie ihre enorme Erfolgsgeschichte gegen Kritik. Deutschland beispielsweise hat mit einem Jahresumsatz von 2,65 Milliarden Euro im Jahr 2013 europaweit den größten Markt für Computerspiele. Wenn es um die Lobby der Hersteller von Computerspielen geht, wird es ernst. Genauso offensiv wie die Vertreter der Glücksspielbranche vertreten sie ihre Interessen gegenüber den politischen Entscheidungsträgern in Berlin und Brüssel. Das Bedürfnis der Menschen, Spiele zu spielen und zu verkaufen, wird also auch politisch sehr ernst genommen.

Die Menschheitsgeschichte ist voll von Beispielen, wie Menschen mit Spielen in Abhängigkeit gehalten...

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